27. Dezember 2009

Kalten Krieg auch am Englischen Garten gewonnen

Der Rundfunksender Radio Freies Europa (RFE) hat seine Tätigkeit weitgehend eingestellt, nachdem in den meisten ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas die Pressefreiheit wieder hergestellt wurde. Der enorme Einfluss der Sendungen von Radio Europa Liberă auf große Teile der Bevölkerung Rumäniens kann auch heute, 20 Jahre „danach“, beinahe täglich festgestellt werden, denn es gibt kaum eine seriöse Tages- oder Wochenzeitung, die nicht immer wieder diesen Sender erwähnt. Der Siebenbürger Sachse Hans-Joachim Acker hat von 1964 bis 1992 als Redeakteur bei RFE in der rumänischen Redaktion gearbeitet und schildert im Folgenden sowohl Geschichtliches als auch persönliche Erlebnisse beim Sender.
In diesen letzten Dezembertagen, 20 Jahre da­nach, erinnert man sich an jene dramatische Zeit, die das Blatt der Geschichte Ostmittel­europas fundamental ändern sollte. Während in allen ehemaligen Ostblockstaaten der Zusam­menbruch der Regime auffallend ruhig verlief, war der Beginn des Wandels in Rumänien brutal, blutig und chaotisch. Wie so oft waren es wieder einmal die Sendungen von RFE, die versuchten, seinen Hörern ein möglichst klares Bild von den Ereignissen im eigenen Lande zu vermitteln. Mit der Fülle von Nachrichten, die sich zum Teil überschlugen, musste sorgfältig umgegangen werden. Es durfte nicht der Eindruck erweckt werden, dass der Sender zum Sturz des Regimes aufrief. Zu oft waren solche Vorwürfe gegen den Sender am Englischen Gar­ten in München gemacht worden. Es war hohes journalistisches Können gefragt. Im Laufe der Jahrzehnte hat der Sender seinen Hörern nicht nur allgemeine Nachrichten zum internationalen Geschehen vermittelt, sondern vor allen Dingen die Zuhörerschaft über Vor­gänge im eigenen Land auf dem Laufenden gehalten und diese Vorgänge, vor allem die aktuellen, aber auch weitläufigere Entwicklungen politisch analysiert. Das war letztendlich das große Ver­dienst dieses Senders, dessen Sendungen in den Ostblock fünf bis sechs Jahre nach Kriegsende, also 1949 und 1950 aufgenommen wurden. Es war jene Zeit, als die Anti-Hitler-Koalition zerbrach und Moskau im Oktober 1949 in seiner Besatzungszone die „Deutsche Demokratische Republik“ ausrief, mit der Ber­liner Blockade begann und somit den USA, Großbritannien und Frankreich zu verstehen gab, dass der gesamte Ostblock zu seinem Einflussbereich gehört.

Beide Seiten begannen „propagandistisch“ aufzurüsten mit der Absicht, die Völker der „anderen“ Seite in ihrem Sinne zu beeinflussen. In diese Zeit fällt die Entscheidung der USA, Radio Free Europe ins Leben zu rufen. Wenn anfangs keiner davon ausging, dass die Sendungen von RFE über 60 Jahre in die Oststaaten Europas ausgestrahlt würden, so konnte auch niemand 1989 annehmen, dass die diesen Staaten aufgezwungene Staats- und Gesellschaftsordnung in weniger als drei Monaten wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde. Der tatsächliche An­fang des Zerbröckelns des Sowjetimperiums begann jedoch schon Anfang der 50er Jahre, als nach dem Tode Stalin (5. März 1953) Ost­ber­li­ner Bauarbeiter in der Stalinallee gegen zu ho­he Arbeitsnormen und sonstige wirtschaftliche Missstände zu protestieren begannen. Dieser Protest ist brutal von Sowjetpanzern niedergeschlagen worden und ging als der „Volksauf­stand des 17. Juni“ in die Geschichte ein.

Das mit dem Tod Stalins entstandene Macht­vakuum in Moskau sollte sich als der Beginn einer sich langsam entwickelnden Schwächung der imperialen Macht der Sowjetunion abzeichnen. Ende Oktober 1956 organisierten ungarische Studenten Solidaritätskundgebungen mit den Arbeiterunruhen in Polen. Diese Proteste weiteten sich zu einem Volksaufstand aus, der wie drei Jahre zuvor in der DDR von sowjetischen Panzern niedergewalzt wurde. Bei diesem Aufstand beging RFE einen großen Fehler. Es sendete Aufrufe in ungarischer Sprache an die Bevölkerung dieses Landes und munterte zu weiterem Widerstand auf. Das war unverantwortlich. Dieser Fehler führte letztendlich auch zu einer strengen Handhabung der in die Redaktionen einfließenden Agenturmeldungen. So wurde verfügt, dass jede zu sendende Nach­richt vorerst von zwei unabhängigen Presse­agen­turen bestätigt werden müsse, bevor sie über die Sender von RFE in den Äther gestrahlt wurde. Diese Verfügung brachte uns RFE-Redakteure im Dezember 1989 in Bedrängnis, als alle bedeutenden Agenturen und auch Rundfunkanstalten von mehreren tausend To­ten während der rumänischen „Revolution“ sprachen und wir in unseren Nachrichten und Kommentaren von einigen Dutzend Opfern berichteten. Später sollte sich dann herausstellen, dass RFE mit seiner vorsichtigen Informations­politik richtig gelegen hatte, denn in ganz Ru­mänien waren während der Kämpfe etwas mehr als tausend Opfer zu beklagen.

Viele Zuhörer fragten immer wieder, wie der Sender zu seinen Nachrichten, besonders jenen aus dem Inneren Rumäniens, kam. Der Sender verfügte über starke Abhöranlagen, die den Empfang osteuropäischer Sender zuließen. Alle gesprochenen Sendungen wurden aufgezeichnet und ausgewertet. So ereignete sich in den 70er Jahren ein schweres Seil­bahn­­unglück in der Schulerau, bei dem Menschen zu Schaden gekommen waren. Unter den Opfern befanden sich Touristen aus der Tsche­cho­slowakei. Radio Prag meldete die Nachricht, die von unseren Ab­hör­anlagen empfangen wurde. Die Kollegen der tschechoslowakischen Abteilung gaben die Nachricht an uns weiter und wir sendeten sie nach Rumänien. Die dortigen Medien hatten das Un­glück verschwiegen, und wir durchbrachen damit das Pres­semono­pol des Staates.

Eine der Glanzleistungen der rumänischen Sen­deabteilung war zur Zeit des schweren Erdbebens vom Abend des 4. März 1977. Das Ehepaar Ceaușescu war auf Staatsbesuch in Afrika. Die ersten Berichte über das Erdbeben kamen vor Mitternacht über westliche Medien. Alle Redakteure, auch die, die keinen Dienst hatten, eilten in die Redaktion, um Einzelheiten zu erfahren. Noel Bernard, der bekannte Di­rektor der rumänischen Sendeabteilung, hatte sofort die Programmleitung am frühen Morgen des 5. März übernommen. Was war geschehen? Radio Bukarest und das rumänische Fernsehen hatten zeitweilig überhaupt nicht mehr gesendet. Als diese dann ihre Sendungen am Morgen des 5. März 1977 wieder aufnahmen, erwähnten sie das schwere Erdbeben mit keinem Wort. Niemand aus der Partei- und Staatsführung hatte es gewagt, auf eigene Verantwortung Sofortmaßnahmen zu ergreifen oder zu veranlassen. Alles wartete auf die Rückkehr des Diktators. Nun schlug die große Stunde für RFE. Sehr viele Sendungen gingen direkt über den Äther und das Unerwartete geschah tatsächlich. Noel Bernard befand sich in einem Telefongespräch mit zwei Architekten über die Ausmaße des Bebens. Ein in Deutschland lebender rumänischer Architekt rief im Sende­studio an, um seine Meinung zu diesem Beben zu äußern. Bernard ließ das Gespräch in die laufende Sendung zuschalten und forderte anschließend die Zuhörer auf, auch anzurufen und ihre unmittelbaren Erlebnisse zu schildern. Die rumänische Post schaltete die Gespräche durch und es entstand eine Direktkom­mu­ni­kation zwischen Hörern und RFE. Aus aller Her­ren Länder riefen Rumänen beim Sender an, um sich nach dem Schicksal ihrer Ver­wandten und Freunde zu erkundigen. Auf diese Weise entstand eine Brücke über den Eisernen Vorhang hinweg zwischen rumänischen Hörern auf beiden Seiten. So wurde RFE zur Schalt­stelle für weltweite Kommunikation. Es war natürlich interessant festzustellen, dass die Durchschaltung dieser Telefongespräche nicht ohne die Genehmigung „ganz oben“ angesiedelter Stellen hätte möglich werden können.

Die östlichen Geheimdienste haben nichts unversucht gelassen, um diese Stimme der Frei­heit und der Wahrheit zum Schweigen zu bringen. Zu Beginn betrieben die Oststaaten starke Störsender, doch als sich herausstellte, dass diese mehr Energie verbrauchten als RFE selbst mit seinen Sendungen, schalteten sie wieder ab und griffen zu perfideren Methoden. So brachte die rumänische Securitate mit Hilfe des international bekannten Terroristen Illich Ramirez Sanchez, genannt Carlos, am Abend des 22. Fe­bruar 1982 eine mehrere Kilo schwere Bombe vor dem Sendegebäude zur Explosion, die erheblichen Sachschaden anrichtete und mehrere Redakteure der tschechoslowakischen Sende­ab­teilung verletzte. Angeblich soll „Carlos“ für diese Aktion eine Million Dollar von der rumänischen Securitate erhalten haben. Drei Direk­toren der rumänischen Sendeabteilung wurden innerhalb weniger Jahre von Krebserkran­kungen heimgesucht und sind daran verstorben. Der beliebte DJ Cornel Chiriac wurde im Münchner Stadtteil Schwabing nachts auf offener Straße von einem Jugendlichen erstochen, der Kommentator der rumänischen Innenpo­litik, Emil Georgescu, in der Tiefgarage seiner Wohnung von zwei gedungenen Mördern mit 26 Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Er starb einige Monate später ebenfalls an Krebs. All diese Aktionen haben nichts genüzt. RFE löste letztendlich sein Versprechen ein, seine Sen­dungen einzustellen, sobald in den Ziel­ländern die Pressefreiheit wieder hergestellt sein würde.

Es sind nun 20 Jahre vergangen, seitdem der Sender den Höhepunkt seiner Aktivität erreicht hatte und über den Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur in Rumänien berichten konnte. Ich schätze mich glücklich, dass ich in jenen Tagen um den 16. bis 25. Dezember 1989 die Ereignisse in Rumänien wenn nicht hautnah, so doch beinahe unmittelbar erleben konnte. Ich bin gleichfalls sehr zufrieden, dass ich es erleben konnte, wie einige deutsche Zeitungen, darunter auch sehr bedeutende, die, um die „Po­litical Correctness” zu wahren, von RFE wie von einem Nest alter kalter Krieger und Ewig­gestriger geschrieben haben sowie RFE als einen Propaganda­sender apostrophierten, zuletzt doch bekannten, dass der Kalte Krieg zu einem gewissen, nicht unwesentlichen Teil am Englischen Gar­ten in München gewonnen wurde. In Kürze wird damit begonnen, in Bukarest ein Doku­men­tarzentrum über die Arbeit von RFE ins Leben zu rufen. Ehemalige Mitarbeiter des Senders sowie namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben ihre aktive Teil­nah­me an dem Zustande­kom­men dieses Vorhabens zugesagt. Die Archive sollen vor allem nachfolgenden Generationen zu Forschungszwecken frei zur Verfügung stehen.

Hans-Joachim Acker

Schlagwörter: Zeitzeugenberichte, Revolution, Kommunismus, Radio

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