25. Oktober 2024
Vor 80 Jahren: Eine Stunde Zeit zur Flucht aus Maniersch
Besonders hart traf es während der Evakuierung die Siebenbürger Sachsen aus den sieben Orten im Kokelgebiet (Draas, Felldorf, Katzendorf, Maniersch, Rode, Zendersch, Zuckmantel). Hier gab es keine Vorbereitungen für eine geordnete Evakuierung. Sie fand kriegsbedingt vorwiegend panikartig statt. Die Bewohner der Orte mussten innerhalb von Stunden ihre Dörfer verlassen. Wie groß die Verbundenheit und Sorge der zur Flucht aufgeforderten Bauern auch mit ihren zum Zurückbleiben verurteilten Haustieren war, wird im folgenden Ausschnitt deutlich.

Zeitzeugnis des Johann Graef aus Maniersch:
Am 8. September 1944, nachmittags 3 Uhr kam eine Abteilung deutscher Soldaten mit Kraftwagen und Maschinengewehren in unsere Gemeinde Maniersch hineingefahren und forderte uns auf, schnell zu packen und in einer Stunde abzufahren. Wir sollten uns das Nötigste einpacken, das andere sollten wir dalassen, wir kämen in 3-4 Tagen wieder zurück. So haben wir uns schnell die nötigsten Kleider und Wäsche, etwas Kochgeschirr, zwei Säcke mit Mehl auf den Wagen geladen, in den Hof haben wir einen Sack Gerste geschüttet für die Schweine, Gänse und Hühner und wir hatten eine trächtige Sau, die in 14 Tagen ferkeln sollte, zwei Stück einjährige zum Mästen und das dritte hatten wir vor 14 Tagen dem Gemeindeschmied für 14000 Lei verkauft, dann hatten wir noch acht Gänse. Wir ließen dann die Schweine, Hühner und Gänse in den Hof zur Gerste.Nach einer Stunde wurden wir aufgefordert zum Abfahren. So sind wir dann mit schwerem Herzen und Tränen in den Augen aus dem Hof hinausgefahren, doch in der Hoffnung in ein paar Tagen wieder zurückzukehren. Das Korn, Gerste und Hafer blieben ungedroschen in der Scheune und die Scheune war ziemlich voll mit Futter, auch die Wirtschaftsgeräte und alles andere ist dortgeblieben. So haben wir unsere liebe Heimatgemeinde Maniersch, wo unsere Wiege stand und wo uns unsere Eltern großgezogen haben, verlassen. Auf den Feldern stand noch der Mais, die Kartoffeln. Rüben und Getreide. Auch alles andere war sehr gut geraten, in unsern Weingärten die schönen Trauben und Pfirsiche, alles blieb zurück.
Textauswahl: Horst Göbbel
Aus dem Tagebuch des Manierscher Dorfhannen und Bauern Johann Graef, geboren am 25. März 1902, Hausnummer 87 (bearbeitet und gekürzt von Volker Petri, Quelle: Volker Petri: „Österreich – deine Siebenbürger Sachsen“, Dresden 2001, S. 115-123)Schlagwörter: Flucht und Vertreibung, Zeitzeugenberichte, Maniersch
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