6. Juli 2013

Wie die Siebenbürger Sachsen nach Kriegsende in Wels eine neue Heimat fanden

Im September 1944 wurden aus etwa 50 von Siebenbürger Sachsen bewohnten Gemeinden Nordsiebenbürgens ca. 42 000 Menschen vor der heranrückenden Ostfront evakuiert. In Wagenzügen, Bahn- und Autotransporten erreichte der Großteil davon Anfang November österreichischen Boden. Diese Flüchtlinge wurden nach Kriegsende vorwiegend in Oberösterreich und Salzburg ansässig und bilden heute in den Gemeinden Traun, Bad Hall, Sierning, Wels, Eferding, Vorchdorf, Gmunden, Laakirchen, Schwanenstadt, Vöcklabruck, Vöcklamarkt, Frankenmarkt, Ried im Innkreis, Seewalchen, Rosenau, Lengau, Mattighofen und Munderfing einen voll integrierten, aber in seinen Eigenheiten doch deutlich erkennbaren Bevölkerungsanteil.
In den ersten Jahren nach der Flucht begannen sich die Siebenbürger Sachsen zunächst regional zu organisieren. So wurden im Zuge einer Weihnachtsspendenaktion in den eigenen Reihen zu Gunsten „notleidender Landsleute“ um Weihnachten 1947 in oberösterreichischen Gemeinden und Städten, in denen Siebenbürger Sachsen nach ihrer Flucht oder Entlassung aus der Gefangenschaft lebten, diese listenmäßig erfasst und Vertrauensleute gewählt. So auch in Wels und Umgebung, wo bis zum September 1949 über 1208 Landsleute samt ihren Familienangehörigen, die in 20 Gemeinden des Bezirkes Wels lebten, nach Heimatorten gegliedert in Karteiblättern angelegt wurden. Im Juni 1949 wurde auf Initiative von Dipl.-Ing. Kuno Eisenburger beschlossen, in Wels eine siebenbürgisch-sächsische Ortsgruppe zu gründen und in den umliegenden Gemeinden Vertrauensleute zur Mitarbeit zu gewinnen. So fand am 16. Oktober 1949 im Lagersaal der Wohnsiedlung 1000 (Fliegerhorst) in Wels die Gründungsversammlung der Ortsgruppe Wels der „Gruppe der Siebenbürger Sachsen in Österreich“ statt. Es folgten an jedem zweiten Sonntagnachmittag im Monat Zusammenkünfte. In den Folgejahren konnte sich so eine gewisse öffentliche Tätigkeit entfalten, alles im Rahmen der „Zentralberatungsstelle der Volksdeutschen“, die von den Sicherheitsbehörden bzw. der Oberösterreichischen Landesregierung genehmigt war. Jede Zusammenkunft oder sonstige Veranstaltung musste damals über die Zentralberatungsstelle in Linz, ab 1950 über deren Bezirkszweigstelle in Wels dem Bundespolizeikommissariat Wels drei Tage vorher schriftlich gemeldet werden.

Im Oktober 1951 fand unter dem Ehrenschutz des oberösterreichischen Landeshauptmannes Dr. Heinrich Gleißner ein Erstes Siebenbürgisch-sächsisches Musiktreffen in Wels statt. Es nahmen daran fünf siebenbürgische Musikkapellen, die Musikkapelle „Wermesch“ aus Linz, die Kapelle „Mettersdorf“ aus Braunau, die Kapelle „Waltersdorf“ aus Ried im Innkreis, die Kapelle „Tschippendorf“ aus Vorchdorf, die Kapelle „Viechtwang“ aus Gmunden sowie die Welser Stadtkapelle teil. Dabei gab es Platzkonzerte in den vier Welser Stadtteilen, einen Festgottesdienst in der Evang. Christuskirche, einen Festumzug und einen Musikwettbewerb im Volksgarten.
Gruppenbild von Trachtenträgerinnen beim ersten ...
Gruppenbild von Trachtenträgerinnen beim ersten Heimattag in Wels im Jahre 1958
Die ersten regelmäßigen Veranstaltungen der jungen Welser Ortsgruppe waren ab 1951 alljährliche Muttertagsfeieren und Weihnachtsfeiern, einmalig gab es 1951 auch ein Sommerfest. Verschiedene Versuche, die Gruppe als eigenen Verein anzumelden, scheiterten zunächst, obwohl Gründungsproponenten hätten gefunden werden können, die damals schon die österreichische Staatsbürgerschaft besaßen. 1953 wurde zunächst in Linz der „Verein der Siebenbürger Sachsen in Oberösterreich“ gegründet, dem auch die Welser Gruppe beitrat. Im gleichen Jahr wurde auch die „Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Österreich“ gegründet und behördlich genehmigt. Ab diesem Zeitpunkt nahm die Welser Gruppe offiziell die Bezeichnung „Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Oberösterreich, Nachbarschaft Wels“ an. Ende 1954 erfolgte die konstituierende Gründungsversammlung des Landesausschusses von Oberösterreich in Vöcklabruck. Seit dieser Zeit tragen alle Ortsgliederungen der Siebenbürger Sachsen in Oberösterreich die Bezeichnung „Nachbarschaften“, wie einstmals in der siebenbürgischen Heimat.

Am 13. und 14. Juli 1958 fand in Wels der erste Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Österreich statt, ein weiterer Heimattag folgte bereits zwei Jahre später, am 13. bis 15. August 1960, wieder in Wels. Die Stadt Wels hatte sich somit als Veranstaltungsort einer ganzen Reihe von Großveranstaltungen, Kirchen- und Heimattagen der Siebenbürger Sachsen etabliert. Diese wurden bis in die jüngste Vergangenheit fortgeführt – zuletzt als „Kulturtage der Siebenbürger Sachsen“ im September 2012. Doch nicht nur Siebenbürger Sachsen haben in den ersten beiden Jahrzehnten nach Kriegsende in Wels eine neue Heimat gefunden. Über 5200 Flüchtlinge – Bukowinadeutsche, Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen und Sudetendeutsche – haben sich in dieser Zeit in Wels niedergelassen und als Neubürger an der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Stadt aktiv mitgewirkt. Die Stadt Wels hat sich in der Folge zu einem Mittelpunkt der kulturellen Großveranstaltungen der Heimatvertriebenen aus Oberösterreich und auch aus dem ganzen Bundesgebiet entwickelt. Auf Initiative ihres damaligen Bürgermeisters Leopold Spitzer übernahm die Stadt Wels am 11. Juli 1963 die Patenschaft über die nach dem Krieg in OÖ sesshaft gewordenen deutschsprachigen Heimatvertriebenen. Dies erfolgte in einer Sitzung des Welser Gemeinderates unter dem Vorsitz von Bürgermeister Oberamtsrat Leopold Spitzer, im Beisein der Obmänner aller vier Landsmannschaften.

Durch die nunmehr offizielle Förderung ihrer Aktivitäten hat Wels damit als erste Stadt in Österreich ihre Wertschätzung gegenüber der Volkskultur, den Traditionen und der Leistungskraft der Heimatvertriebenen um Jahrzehnte früher ausgedrückt, als dies allgemein erkannt wurde. Durch die Schaffung eines Vereinszentrums in den 1980er und 1990er Jahren wurde überdies ihr Gemeinschaftsleben ermöglicht, und in einer eigenen Abteilung im Stadtmuseum ist ihr Volkskunstgut ausgestellt und gesichert.

Im Rahmen eines „Tages der Heimatvertriebenen“ am 30./31. August 1963 gab Bürgermeister Spitzer anlässlich eines Festabends in der Stadthalle die Patenschaftsübernahme bekannt. Mit einem großen Festumzug mit Kundgebung auf dem Stadtplatz, wo als Festredner Bürgermeister Leopold Spitzer und der österreichische Vizekanzler Dr. Bruno Pittermann auftraten, wurde die Patenschaftsübernahme feierlich begangen. In der Folge fand am 7. Oktober 1964 die Gründungsversammlung des „Kultur-vereines der Heimatvertriebenen in Oberösterreich“ in Wels statt. Die Siebenbürger Sachsen, Sudeten- und Karpatendeutschen traten auf Stadtebene und der Verband der Donauschwaben auf Landesebene bei. Erster Landesobmann wurde der Donauschwabe Anton Tiefenbach, seine Stellvertreter Georg Grau, Siebenbürger Sachse, Kurt Goldberg, Sudetendeutscher und Wilhelm Kisling, Karpatendeutscher. In den Vereinsvorstand wurden je sechs Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen, Sudetendeutsche und vier Karpatendeutsche gewählt.

Am 8. Juni 2013 gedachte der Magistrat der Stadt Wels der 50. Jährung der Patenschaftsübernahme in einer öffentlichen Festsitzung des Gemeinderates in der Welser Stadthalle. Im Anschluss an diese Feierstunde fand der von der Oberösterreichischen Landesregierung mit den Verbänden der Heimatvertriebenen initiierte jährliche Erinnerungstag der Heimatvertriebenen in Oberösterreich statt (siehe "Erinnerungstag der Heimatvertriebenen in Oberösterreich“).

C. Schuster

Schlagwörter: Österreich, Wels, Flucht und Vertreibung, Heimattag

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