1. Juli 2011

Land des unbezahlbaren Reichtums: Reise in das wilde schöne Siebenbürgen

Ende August 2010 hat Marion Homm zusammen mit ihrem Vater Siebenbürgen besucht, um Rumänien und was noch vom ursprünglichen Siebenbürgen übrig ist kennen zu lernen. Dabei haben sie die Landschaft und Menschen, die sie in dieser Woche treffen durfte, so stark beeindruckt, dass sie sie unbedingt festhalten wollte. Entstanden sind unglaublich schöne Bilder, die zum Träumen einladen und Reisesehnsucht wecken. Die folgende Reportage kann nur ungefähr wiedergeben, was sie erlebt und gefühlt hat. Zur Autorin: Marion Homm wurde 1988 in Nürnberg geboren, studierte Modejournalismus/Medienkommunikation in München (Diplomarbeit zum Thema „Heimatgefühl als Gesellschaftstrend“) und arbeitet zurzeit als Online-Redakteurin im Burda-Verlag in der bayerischen Landeshauptstadt.
„Kommt herein, kommt herein“, ruft die Hannitante aus Martinsdorf laut, nachdem sie uns herzlich mit festen Umarmungen und Küssen auf die Wangen begrüßt hat. „Ihr habt sicher Hunger nach der langen Fahrt!“. Und bevor man Ja oder Nein sagen kann, steht auch schon der große Emaille-Topf mit der Gemüsesuppe auf dem Tisch. Es ist kurz nach fünf am Nachmittag, gerade sind wir nach fünfzehn Stunden Fahrt in Martinsdorf, Siebenbürgen, angekommen. Das Dorf, in dem mein Vater aufgewachsen ist und sein junges Leben verbracht hat, bis er nach Deutschland gekommen ist. Die meisten Häuser, die hier rechts und links der einen Straße, die durch Martinsdorf geht, stehen, haben Risse durch das Mauerwerk, hier und da hängt ein Fensterladen lose herunter, nur noch von einer Schraube festgehalten. Seit Jahrzehnten haben sie keinen neuen Anstrich mehr bekommen, bei einigen sind sogar die Fensterscheiben eingeschlagen. Aber die typische siebenbürgische Bauweise ist überall noch zu erkennen: Das meist große Haus, mit der Stirnseite zur Straße, daneben das große Tor für Vieh und Geräte. Dann direkt das nächste Haus. Zwischen den verlassenen, langsam verfallenden Häusern stehen schöne, neu aussehende, wie das von der Hannitante.
Verwunschen und mystisch sieht der Morgen nach ...
Verwunschen und mystisch sieht der Morgen nach einem heißen Tag aus. Wie eine schützende Decke legen sich die Nebelfelder zwischen Agnetheln und Hermannstadt über das Land. Foto: Marion Homm
Nach dem Essen fahren wir weiter zu unserer Unterkunft für diese Woche. Müde kommen wir in Agnetheln, der Geburtsstadt meiner Mama, an. Eigentlich wollen wir nur noch schlafen, aber wir werden auch hier wieder herzlich empfangen. Die Eltern von Mamas Schwägerin kommen gleich aus dem Haus gelaufen, als sie unser Auto hören. Als wir aussteigen, drückt mich Moșu fest an seinen dicken Bauch und redet auf Rumänisch auf mich ein. Auch hier werden wir sofort zum Tisch durchgeschleust, Buni (auf deutsch Oma) hat natürlich auch schon das Abendessen fertig angerichtet. Der Tisch ist spärlich gedeckt, es gibt eine dicke Wurst und Butter. Dafür aber frische Tomaten aus dem Garten und Käse frisch vom Schäfer. Und das gute Hausbrot. Das typische Brot wird im Steinofen gebacken, bis es schwarz ist. Danach schlägt der Bäcker mit einem Stock die schwarze Kruste ab. Meiner Meinung nach kann Deutschland mit seiner Brotvielfalt diesem leckeren Brot nichts entgegensetzen. Nach dem Essen falle ich todmüde ins Bett. Fünfzehn Stunden Autofahrt sind richtig anstrengend.

Am nächsten Morgen werde ich von einem Pferdewagen, der an meinem Fenster vorbeitrabt wach. Nach dem Frühstück gehe ich mit meiner Tante im Garten spazieren. Hinter dem Haus erstrecken sich große Gemüsebeete, Apfelbäume und Himbeersträucher. Für den deutschen Ordnungssinn schaut so ein Garten zwar verwildert und unordentlich aus. Das Gras ist lang, der Zaun im hinteren Teil verrostet, selbst die Vogelscheuche schaut seltsam verloren und nutzlos aus. Für mich war es aber wie im Paradies. Überall blüht und wächst etwas. Jeden Tag pflücke ich eine frische Schüssel von der Sonne aufgewärmte Himbeeren. Jeden Tag geht Buni in ihren bunt gemusterten, weiten Baumwollhosen und mit dem Hut auf dem Kopf in den Hühnerstall, um Eier aus den Nestern zu sammeln.
Familienbild, links Onkel Dieter, rechts ...
Familienbild, links Onkel Dieter, rechts Moșu und vorne Marion Homm mit rumänischen Nachbarn in Agnetheln. Foto: Werner Homm
Am Montag fahren wir in ein nahe gelegenes Dorf zum Markt. Die Straßen von Dorf zu Dorf sind katastrophal. Im Prinzip fährt man von einem Schlagloch ins nächste. Dafür ist die Landschaft links und rechts der Straße unglaublich. Unberührte wilde Felder, dichte Wälder, in die teilweise nicht einmal ein Mensch seinen Fuß gesetzt hat. Und am Horizont, wo der leuchtend blaue Himmel auf die grünen Wiesen trifft, sieht man schon schwarz die Silhouetten der Karpaten.

Auf dem Markt angekommen, fühlt man sich wie in einer anderen, früheren Welt. Auf einer großen Wiese gibt es Stände, wo Essen verkauft wird. Die riesigen Wassermelonen, die hier in Rumänien massenweise wachsen, werden direkt aus einem großen Laster verkauft, 25 Cent kostet das Kilo umgerechnet. Neben der großen Wiese in einem kleinen Waldstück stehen die Viehhändler. Auf dem Berg sind Kühe, Pferde und kleine Holzwägen mit laut quiekenden Schweinen an die Bäume gebunden. Es ist eng, die Tiere drängen sich nah beieinander und neben ihnen laufen die rufenden Händler auf und ab.
Papa und Moșu fangen Fischchen im Bächlein ...
Papa und Moșu fangen Fischchen im Bächlein hinterm Haus für die Katzen. Foto: Marion Homm
In den folgenden Tagen besuchen wir Birthälm und die Törzburg (Bran). Zwei Städte, in die der Tourismus schon eingezogen ist. Die vielen Kirchburgen in Rumänien, besonders die gut erhaltenen, locken Menschen aus aller Welt. Dabei ist die Wehrkirche in Birthälm noch nicht so überrannt wie die Törzburg. Hier merkt man den Tourismus an allen Ecken. Schließlich lockt es ja auch mit einer weltbekannten Geschichte: In der Burg, die hier auf einer Anhöhe steht, soll hier angeblich der Fürst Vlad Țepeș, der westlichen Welt besser bekannt als Dracula, gelebt und gemordet haben. Der Grund, warum viele Deutsche Siebenbürgen überhaupt kennen, ist jedoch Bram Stokers Roman „Dracula“, eine ausgedachte Geschichte aus dem Jahr 1897. Für das Geschäft ist diese Geschichte aber ein Segen: Ein Bus nach dem anderen fährt an die Burg heran.

Hermannstadt haben wir natürlich auch besucht. 2007 war sie Europäische Kulturhauptstadt zusammen mit Luxemburg, und dass hier etwas getan wurde, sieht man ganz deutlich. Eine Einkaufsstraße mit zahlreichen Cafés und Geschäften läuft durch die Stadt, mit neu renovierten, verzierten Gebäuden. Allein diese Straße steht westlichen Einkaufspassagen in nichts nach.

Abends wieder zurück „zu Hause“, essen wir im Garten Wassermelone. Buni sitzt auf einem Autositz mit Holzbeinen, der als Stuhl neben dem Biertisch steht. Sie hört aufmerksam zu, gibt ab und zu in einer Diskussion einen temperamentvollen Kommentar ab, immer wieder lachen alle laut, es muss für mich übersetzt werden. Wenn man sie sich anschaut, Elena und Nelu, der auf der Bank sitzt, beide Beine ausgestreckt hat und genüsslich von seinem Bier trinkt, dann kann man sich nur wohl fühlen und beide bewundern. Sie jammern nicht, trotz ihrer altersbedingten Gebrechen. Immer mit einem Lächeln im von der Sonne braun gebrannten Gesicht, strahlen sie für mich absolute Lebensfreude aus. Das ist ein Reichtum, der mit keinem Geld der Welt bezahlt werden kann. Das gilt für alle Menschen, die ich in dieser Woche treffen durfte: Sie sind anders reich. Reich an Persönlichkeit, an Geschichten, die sie über Siebenbürgen erzählen können, reich an Freude und Freundlichkeit. Während der Woche haben wir uns so schnell eingelebt, so schnell wohl gefühlt, dass ich die offensichtliche Armut oft nicht mehr wahrgenommen habe. Ja, es war schwer daran zu denken, zurück nach Deutschland zu müssen.
Das Haus der Großeltern in Martinsdorf. Seit der ...
Das Haus der Großeltern in Martinsdorf. Seit der Auswanderung der Familie blieb das große Anwesen unbewohnt. Foto: Marion Homm
Die Heimatverbände der Siebenbürger Sachsen zu Hause in Deutschland sind stark und befinden sich immer mehr im Wachstum, immer mehr Jugendliche wollen zurück zu ihren Wurzeln. Teenager fahren in Reisebussen zum Feiern nach Siebenbürgen, Familien der Generation meiner Eltern kaufen sich dort Häuser und richten sie in mehreren Wochen pro Jahr wieder her. Das Elternhaus meines Vaters in Siebenbürgen wurde, seit die Familie nach Deutschland gereist ist, nicht mehr bewohnt. Niemand hat sich um den Erhalt gekümmert, und so standen wir vor einem prächtigen, ehemals rosafarben gestrichenen Haus mit einer großen Scheune und einem weitläufigen Garten. Hinein konnten wir aber nicht, Roma hatten alles vor langer Zeit abgesperrt und sind abgehauen. Die Bretter von dem großen Tor sind zerschlissen, einige Holzlatten hängen herab. „Du musst dir vorstellen, was das einmal für ein schönes Haus war“, sagt Papa mit Wehmut in der Stimme. Das kann ich, ich hoffe es zumindest. Ich hätte Lust, das Haus zu kaufen und es zu dem zu machen, was es mal war. Alle seine Erinnerungen stimmen nicht mehr mit den Tatsachen überein. Die Schule zerfällt, nur noch in zwei Räumen wird unterrichtet. Auch die Kirche müsste saniert werden, das Pfarranwesen ist verlassen. Aus dem ehemaligen Kindergarten wachsen durch die kaputten Fenster Bäume aus dem Inneren nach außen. Innen liegen neben Scherben leere Bierflaschen und Dosen, hier wird nur noch nachts gefeiert und getrunken. Doch an den Wänden sieht man noch, dass hier einmal Kinder spielten. Kurz überkommt mich bei diesen Anblicken Traurigkeit, ich verstehe nicht, warum die Leute im Dorf alles so verfallen lassen. „Für wen sollen sie es denn aufrecht erhalten?“, fragt Papa mit den Schultern zuckend. Wir laufen still nebeneinander her, dann erhellt sich sein Gesicht. Er macht ein Foto von einem kleinen verkrüppelten Baum, der in einem ehemaligen Bachlauf steht. „Auf diesem Baum bin ich schon als kleines Kind herum geklettert!“, erzählt er „dass der noch steht…“.

Am letzten Tag besuchen wir noch einmal die Seiler Hannitante. Wir sitzen auf ihrer Veranda, im Garten blühen massenweise bunte schöne Blumen. „Regnen müsste es!“, ruft sie mit einem Blick in den wolkenlosen Himmel. „Ich kann sie nicht mehr gießen!“ Sie ist immer noch temperamentvoll, spricht mit lauter Stimme und lacht viel. Auch sie beschwert sich nicht. Man hätte ihr angeboten, ihr ein Zimmer im Altersheim frei zu halten, erzählt sie uns. Die medizinische Versorgung in Rumänien ist zwar schlechter als bei uns, aber im Altersheim geht es den Menschen viel besser, versichert ihr auch mein Papa. Aber sie winkt energisch ab. Solange sie sich noch selbst versorgen und einigermaßen laufen kann, bleibt sie in ihrem Haus, erklärt sie.
Büffel, Kühe und Ziegen - ein beeindruckender ...
Büffel, Kühe und Ziegen - ein beeindruckender Anblick, wenn die große Herde abends nach einem langen Tag auf der Weide ins Dorf zurückkehrt. Foto: Marion Homm
Warum die alten Menschen nicht auch mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen sind, frage ich meinen Papa. Gerade weil auch noch die Zeiten damals so schlecht waren. Im Ceaușescu-Regime sind die Siebenbürger Sachsen enteignet worden, die Kirche wurde ihnen verboten und ihre Lehrer und Gelehrte eingesperrt. „Sie sind hier so tief verwurzelt, dass sie gesagt haben, sie bleiben hier und stehen das durch“, erklärt er. Wie ein Baum denke ich mir. Nach dieser Woche spüre auch ich meine Wurzeln ganz deutlich und schwöre mir, ganz bald wieder zu kommen. Auch zur Seiler Hannitante. Über den Mann von der Hartmann Johanna sagt sie: „Er kann ja alt und schwach sein und ans Bett gebunden. Aber wer ein starkes Herz hat, den nimmt Gott noch nicht zu sich“. Wenn es nach dem starken Herzen geht, wird die Seiler Hannitante noch lange, lange leben.

Marion Homm

Schlagwörter: Reise, Reisebericht

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Neueste Kommentare

  • 16.07.2011, 23:32 Uhr von messerin: Hübsch geschrieben, von einer professionellen Journalistin ist das aber zu erwarten.Nur mit der ... [weiter]
  • 04.07.2011, 15:56 Uhr von Heinz Götsch: Hätte gern auf einem Photo auch die Hannitante gesehen. Eine liebenswürdige alte Dame. Habe sie ... [weiter]
  • 02.07.2011, 23:32 Uhr von maenix: vielen dank für diesen traumhaft schönen artikel. [weiter]

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