10. Februar 2015

Gedenkfeier in Bukarest erinnert an Russlanddeportation der Deutschen aus Rumänien vor 70 Jahren

Etwa 70000 Deutsche aus Rumänien – 112000 aus ganz Südosteuropa – wurden im Zuge des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit in russische Arbeitslager deportiert: Junge, arbeitsfähige Menschen – Männer zwischen 17 und 45 Jahren, Frauen von 18 bis 30 Jahren, Knaben und Mädchen, manchmal sogar mit ihren Vätern und Müttern zusammen – wurden in Viehwaggons verfrachtet und mitten im strengen Winter 1945 abtransportiert. Wochen oder gar Monate dauerte die Reise in ein unbekanntes Schicksal. Familien wurden auseinandergerissen, in verschiedene Arbeitslager gebracht. Mit den Lieben, die in der Heimat verblieben – den Kindern und Großeltern oder den Männern, die noch an den Fronten kämpften, denn zum Zeitpunkt der Deportation war der Krieg noch nicht zu Ende – riss jahrelang jeder Kontakt ab. Fünf Jahre lang, manche auch länger, kämpften die Deportierten gegen Kälte, Hunger und Tod in den Erz- und Kohleminen und -fabriken im Donbass oder im Ural, bis die meisten der Überlebenden 1948/49, einige erst 1950/51, zurück in die Heimat durften. Die anderen etwa 10000, die Krankheit, Arbeitsunfällen oder dem Hunger zum Opfer gefallen waren, schluckte die russische Erde: nackt, namenlos, würdelos. Kein Grabstein, keine Gedenktafel erinnert bis heute in der ehemaligen Sowjetunion an ihr Schicksal – an den Teil der Geschichte, den es überhaupt erst seit der Wende 1989 zu geben begann.
Mit der Rückkehr in die Heimat war das Leid der Deportierten noch lange nicht beendet. So mancher wurde der Spionage für Russland bezichtigt. Das kommunistische Regime in Rumänien verpflichtete sie zum lebenslangen Schweigen, selbst den Allernächsten gegenüber. Wer dagegen verstieß, wurde für weitere Jahre ins Gefängnis gesteckt. Hinzu kamen persönliche Dramen: enteignete Häuser, ausgewanderte Familien, einst zurückgebliebene Ehepartner, wieder verheiratet, mit neuen Familien, denn viele wussten bis zuletzt nicht, ob die Verschleppten überhaupt noch lebten.

Letzte Chance für Oral History

70 Jahre sind vergangen seit der Russlanddeportation der Rumäniendeutschen. Und doch reicht das Wissen darüber kaum über den Kreis der Betroffenen hinaus. Das auferlegte Schweigen, und damit das Fehlen einer auf Zeitzeugenaussagen gegründeten Oral History, die an Nachfolgegenerationen hätte weitergegeben werden können, aber auch die Tatsache, dass man mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte erst zaghaft nach der Revolution von 1989 begonnen hat, erklärt warum. Noch ist die Chance nicht verloren. 250 ehemalige deportierte Rumäniendeutsche sind heute noch am Leben, schätzt Dr. Klaus Fabritius, der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen im Altreich, anlässlich der Gedenkfeier „70 Jahre Deportation der ethnischen Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion“, zu der am 31. Januar das Forum zusammen mit der Hanns-Seidel-Stiftung ins Bukarester Kulturhaus „Friedrich Schiller“ einlud, und an der auch Zeitzeugen teilnahmen.

Zeitzeugen ist es zu verdanken, dass mittlerweile einige Bücher und wissenschaftliche Werke entstanden sind, zuletzt das aktuell durch die Landsmannschaft der Banater Schwaben ins Deutsche übersetzte Werk „Lungul drum spre nicăieri“ / „Der weite Weg ins Ungewisse“, in dem sich 41 seinerzeit verschleppte Banater Schwaben zum Alltag in russischen Arbeitslagern äußern. Neu hinzu kamen zwei Werke, die Carmen Cobliș, Geschäftsführerin des Altreichforums, anlässlich der Veranstaltung in Bukarest vorstellte: In „Erinnerungen/Amintiri“ berichtet die Zeitzeugin Dora Dumitru von ihrem fünfjährigen Russlandaufenthalt, gefolgt von zwölf Jahren schwerem Kerker in Rumänien, weil sie die auferlegte Schweigepflicht gebrochen hatte. In „Die Volkszugehörigkeit als Schuld“ werden sechs Fälle von Betroffenen aufgerollt, die der Journalist Dan Popa 2002 aufgezeichnet hatte.
Zeitzeugin Dora Dumitru. Foto: George Dumitriu ...
Zeitzeugin Dora Dumitru. Foto: George Dumitriu
Wie es zu dem Buch „Lungul drum spre nicăieri“ gekommen war, verriet der Forumsvorsitzende Erwin Josef Țigla aus Reschitza: 2012 kam die Historikerin und Journalistin Lavinia Betea auf ihn zu und bat um Unterstützung bei einem EU-finanzierten Projekt. Ziel waren das Buch und ein internationales Symposium zum Thema. „Im Banater Bergland gibt es noch 68 Zeitzeugen, davon in Reschitza 31“, erklärt Țigla. Im Rahmen des Projektes entstand auch der Film „Memoria deportării etnicilor germani din România in URSS“ (Erinnerungen der ethnischen Deutschen aus Rumänien an die Deportationen in die UdSSR), der im Internet auf Youtube zu sehen ist.

Dunkle Vorahnungen

Schon im Herbst 1944 kursierten Gerüchte über eine mögliche Deportation der deutschen Minderheit, erzählt Fabritius weiter. Die Regierung fühlte sich bemüßigt, diese im kommunistischen Blatt „Scânteia“ vom 18. Januar „richtigzustellen“: Für eine Mobilisierung der deutschen Volksgruppe an „Orte, wo arbeitende Hände nötig seien“ – von Russland war mit keinem Wort die Rede – kämen ausschließlich Männer zwischen 16 und 45 und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren in Betracht. Man werde die Familien von diesen Orten umgehend in Kenntnis setzen, so dass Korrespondenz stattfinden und Pakete geschickt werden könnten. Eine glatte Lüge! Zum Zeitpunkt des Artikels waren die Deportationen bereits in vollem Gange. Eine Zeitzeugin erinnert sich, man hätte ihr drei Wochen Arbeitseinsatz im eigenen Land vorgegaukelt.

Auch die aus Bușteni stammende Dora Dumitru schreibt in ihren „Erinnerungen“: „Anfang Januar 1945 begannen die ersten Aushebungen in Kronstadt. Meine Familie versuchte, mir ein trauriges Schicksal zu ersparen, und brachte mich zu Verwandten nach Agnetheln.“ Als auch dort die ersten Aushebungen begannen, wurde die junge Frau in einem Heuwagen versteckt nach Großschenk geschmuggelt, wo sie sich im Haus einer Tante im Keller verbarg, den sie nur nachts zu verlassen wagte. Bis ihre Eltern traurig mitteilten, man habe an ihrer Stelle eine Kusine, Mutter zweier Kinder, mitgenommen, die nur entlassen würde, wenn sie sich im Gegenzug stellte. „Selbstverständlich gab es keine andere Lösung – ich musste mich melden.“

Im Vorfeld der Deportationen

Ungewiss war für die Deportierten nicht nur der Zielort, sondern auch die Frage, ob überhaupt eine Rückkehr geplant war. „Es gab keinen Hinweis auf die Dauer der Deportation“, erklärte Daniel Seiberling, Direktor der Hanns-Seidel-Stiftung für Rumänien und Moldau, in seinem Vortrag. Er zitierte Dokumente, aus denen auch hervorging, Stalin hätte den Deportierten Gepäck über 200 Kilogramm, Arbeitsausrüstung, Verpflegung und Unterkunft nach den Normen der Kohle- und Stahlindustrie der UdSSR zugesagt. Wie das Gepäck zu transportieren sei, war nicht festgelegt.

Der Historiker Dr. Alexandru-Murad Mironov berichtete von Listen zu den Deportierenden, die bereits im Herbst 1944 auf russisches Bestreben angelegt worden waren. Am 13. Januar hatte der rumänische Premierminister Rădescu noch eine Protestnote an Russland gerichtet, doch da hatten die Deportationen schon begonnen. Aus humanitären Gründen hätte man zumindest die Frauen, die am Kriegsgeschehen unbeteiligt waren, verschonen müssen. Zudem waren in den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Russland und Rumänien 1944 die ethnischen Deutschen kein Thema gewesen.

Späte Erinnerungskultur

Im Januar 1990, berichtete Țigla von seinen Bemühungen in Reschitza, hatte er erstmals zur Errichtung eines Denkmals für die Deportierten aufgerufen und hierfür Spenden gesammelt. Am 14. Oktober 1995 wurde das Monument im Beisein der Bischöfe D. Dr. Christoph Klein (Evangelische Kirche A.B.) und Sebastian Kräuter (römisch-katholisches Bistum Temeswar) enthüllt. Zu diesem Anlass wurde ein Buch mit dem Titel „Ich weiß, dass du mein Vater bist, aber ich kenne dich nicht“ herausgegeben. Es folgten weitere Gedenkveranstaltungen: 1995 in Kronstadt, 2000 in Temeswar, 2005 in Reschitza, 2010 in Sathmar. Am 11. Januar 2015 nahm Staatspräsident Klaus Johannis an einer Gedenkveranstaltung in Hermannstadt teil, es folgten weitere in Sathmar, Kronstadt, Reschitza u.a. Am 8. März soll das Denkmal „In Memoriam“ für die Opfer der Deportation vor dem Sitz des Forums in Temeswar enthüllt werden, und am 10.-11. März veranstaltet die Deutsche Gesellschaft e.V. in Kooperation mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien und der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt ein Symposium in Hermannstadt zum Thema „Die Deportation im kollektiven und individuellen Gedächtnis“.

In Zukunft sollen sich Gedenken und Aufarbeitung nicht auf Rumänien und Deutschland beschränken, ließ der Bischofsvikar und Bukarester Stadtpfarrer Dr. Daniel Zikeli wissen: Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien steht derzeit mit den Kirchen in Russland und der Ukraine in Verhandlung, um Denkmäler an allen Orten der Deportation zu errichten und dort alljährlich gemeinsame Gedenkfeiern abzuhalten. So findet auch das beinahe in Vergessenheit geratene Schicksal der deportierten Rumäniendeutschen seinen Platz im globalen Bewusstsein. Den Betroffenen nützt es nicht mehr. Doch zumindest ihr Leid erhält eine Stimme: So etwas darf nie wieder geschehen!

Nina May

Schlagwörter: Deportation, Rumänien, Bukarest, Gedenken, Geschichte

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  • 14.02.2015, 10:40 Uhr von Göckler-Timoschenko: Schade nur, dass das erste Buch mit diesem Thema, das nach 1989 in Rumänien erschienen ist, in ... [weiter]

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