12. Oktober 2005

Evangelische Kirche in Bistritz - ein siebenbürgisches Juwel bricht sein Schweigen

Sie beherrscht das Stadtbild von Bistritz, jahrhundertelang wirtschaftliches, politisches, kirchliches, kulturelles Zentrum der Nordsiebenbürger Sachsen: Die Evangelische Kirche in Bistritz ist neben der Schwarzen Kirche in Kronstadt, der imposanten Stadtpfarrkirche in Hermannstadt und den hunderten wertvollen siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen ein markantes Beispiel abendländischer Kulturleistung in Siebenbürgen. Dass der gotische Baustil, den sie stolz zur Schau trägt, ihre west- bzw. mitteleuropäische Prägung dokumentiert, ist unübersehbar. Ihre Substanz ist jedoch heute bedroht, ein Anlass für das siebenbürgisch-sächsische Juwel, sein Schweigen zu brechen.
Bevor mich 1559 bis 1563 kluge Baumeister errichteten - Chefarchitekt und Bauleiter war der Italiener Petrus Italus, den man aus dem galizischen Lemberg (heute Lwow in der Westukraine) nach Bistritz lockte und der auch Mauerteile meiner romanischen Vorgängerin mit einbezog - gab es in der Bürgerschaft der Stadt Bistritz viele heftige Debatten. Es war zwar allen klar, dass unsere alte, dem heiligen Nikolaus geweihte Kirche (um 1275 als Franziskanerklosterkirche entstanden) den Erfordernissen der Zeit nicht mehr entsprach. Sie war längst zu klein, stark renovierungsbedürftig und - sagen wir es frei heraus - inzwischen war ein neuer Baustil Mode und wir wollten auch mit der Zeit gehen. Über einen Neubau hat man sich einigen können. Strittig war lediglich, wie so oft im Leben, die Finanzierung. Guter Rat war hier teuer.

Die Evangelische Kirche in Bistritz, August 2005. Foto: Horst Göbbel
Die Evangelische Kirche in Bistritz, August 2005. Foto: Horst Göbbel

Eine Spendenaktion über die Siebenbürgische Zeitung kam nicht in Frage, die wurde erst rund 400 Jahre später in Deutschland begründet. Und die Heimatortsgemeinschaft Bistritz, die gab es auch noch nicht. So mussten meine Bistritzer Bürger wieder mal tief in ihre eigenen Taschen greifen. Darüber hat sich auch niemand wirklich aufgeregt. Die Bürgerschaft wollte ein Juwel und wusste, dass ihr dies nicht geschenkt wird. Deswegen haben es die Bürger selber bezahlt und gebaut. Kaufleute und Handwerker, jeder nach seinen Möglichkeiten. Fester Glaube, Tatkraft, Fleiß, Hartnäckigkeit, die Bereitschaft, sich für das Gemeinwesen einzusetzen - mit Geld und Rat und Tat - das alles fehlte meinen Bistritzern, meinen Siebenbürger Sachsen all die Jahrhunderte nicht. Zupackend schafften es die weit weniger als 5 000 Bistritzer mit Geld, mit Ideen, mit freiwilligen Arbeitsleistungen, mich solide zu errichten - ich messe vom Westportal bis zum Chor 45, die mittlere Breite meiner drei Schiffe 20 und die Gewölbehöhe 28 Meter -, prachtvoll auszustatten und für meine nicht billige Instandhaltung fast 400 Jahre aufzukommen. Wir haben dabei auch harte Zeiten erlebt. Auf meine Siebenbürger Sachsen war aber Verlass. Sie haben immer wieder neu begonnen, sich aufgerafft, zupackend neu aufgebaut, repariert und renoviert, ein Faktum, das nach dem großen Umbruch, der Evakuierung der Deutschen 1944, nicht mehr so wie früher möglich war.

Was die Bistritzer und die Besucher der Stadt an mir bewundern? Sicherlich zunächst den Anfang des 16. Jahrhundert fertiggestellten Turm mit vier Ecktürmchen (als Zeichen der Blutgerichtsbarkeit der Stadt), der mit seinen 75 Metern der höchste Kirchturm Siebenbürgens ist. Ebenso meinen hochgotischer Hallenbau mit Emporegeschossen der Seitenschiffe, mit dem filigranen Netzgewölbe, mit hoch gestreckten gotischen Fenstern sowie mit den fünf Renaissance-Portalen. Wer mich genauer ansieht, wird feststellen können, dass meine riesige Westfassade mit ihren angeblendeten dreigeschossigen Säulen im Giebel, ebenso wie die Säulen des Mittelschiffes, das Haupt- und ein Seitenportal mit rundbogiger Säulenumrahmung an die Renaissance, den damaligen Modeschrei in der abendländischen Architektur, angepasst wurden. Dass Petrus Italus von der Renaissance mehr verstand als andere Baumeister, hängt natürlich auch damit zusammen, dass diese Kunstrichtung ihren Siegeszug in seiner Heimat Norditalien begonnen hatte. Mein Chorgestühl, meine einmaligen Zunftfahnen sind wertvoll.

Leider - oder soll ich sagen: Gott sei Dank? - gibt es inzwischen auch Menschen, die mich genauer unter die Lupe genommen haben und feststellen mussten, dass ich sehr bedroht bin. Ich sehe aus der Ferne prächtig aus, mein Inneres, meine Substanz jedoch krankt. Mir geht es seit geraumer Zeit so richtig an den Kragen. Nein, ich meine nicht das Baugerüst, das mich in den letzten 15 Jahren etwas eingeschnürt hat. Das wird ohnehin bald verschwinden und ich strahle dort wie vor 440 Jahren. Der abgedeckte obere Bereich mit dem prachtvollen Giebelteil zeigt jedem, dass ich wirklich ein Juwel bin. Nein, ich bange um meine Substanz als gewichtiges Bauwerk. Denn an weniger sichtbaren Stellen, da liegt manches im Argen. Ich meine zum Beispiel mein Dach. Statt meine Mauerteile und das kostbare gotische Gewölbe zu schützen, lässt es seit Jahren immer mehr die zerstörerische Nässe eindringen. Rund 30 Prozent des Daches - sagen die Fachleute - besteht aus schadhaften Stellen. Wenn da keine sofortige Abhilfe kommt, dann ist es trotz imposanter Westfassade mit meiner Pracht allmählich vorbei.

Hand aufs Herz: Was würden Sie tun, wenn es Ihnen durch das schadhafte Dach Ihres Hauses auf den Kopf regnet, Sie kein Geld für Reparaturen, jedoch relativ wohlhabende Kinder hätten, die allerdings längst nicht mehr in Bistritz wohnen, sondern etwa nach Deutschland, nach Österreich, in die USA, nach Kanada ausgesiedelt sind? Würden Sie an Ihre Nachkommen in aller Welt einen Appell richten, nach Herzenslust und Geldbeutelgröße zu helfen? Würden Sie sie auffordern, sie bitten, sie anregen, das Rettungsprojekt mit zu finanzieren? Etwa durch Spenden? Also, ich in meiner großen Bedrängnis, ich würde es tun. Ich bin also, wie schon oft in meinem langen Dasein, wieder mal auf tatkräftige Hilfe angewiesen. Einige Zeit war ich ratlos, denn ich weiß, dass die zumeist alten und mittellosen noch knapp 290 evangelischen Gemeindeglieder diese Last nicht bürden können. Die Mittel meiner Landeskirche in Hermannstadt sind ebenfalls begrenzt. Es ist somit zum Verzweifeln.

Bis vor kurzem. Ich habe unlängst mit großer Freude erfahren, dass beherzte Nösner und deren Freunde mich unbedingt retten wollen. Zu Pfingsten 2005 haben sie in Dinkelsbühl die Heimatortsgemeinschaft (HOG) Bistritz-Nösen als eingetragenen Verein aus der Taufe gehoben. Unter der Leitung ihres Vorsitzenden Dr. Hans-Georg Franchy (Wiehl-Drabenderhöhe, Telefon: (0 22 62) 44 08, Mobil: (01 71) 6 28 05 61, E-Mail: Hans.Franchy@t-online.de, und seines engagierten Teams wurden sofort alle bisherigen Spendengelder (27 000 Euro) für meine Rettung eingesetzt. Die Firma "Creativ Group S.A." beendet bis zum 1. November 2005 die Renovierung des Kirchendaches für 42 300 Euro. Also benötigt der Verein mindestens noch 15 000 Euro. Ganz nebenbei sei bemerkt, dass allein zwischen 1997 und 2001 die Kirchengemeinde vor Ort, die Stadt Bistritz, das Landeskonsistorium und das Kulturministerium in Bukarest für umfassende Renovierungsarbeiten schon insgesamt 5,55 Milliarden Lei (umgerechnet 156 320 Euro) bereitgestellt haben (plus 30 000 Euro für 2005). Das freut mich ungemein, aber durch das Dach regnet es gewaltig weiter in mein Inneres. Ob die Kontaktaufnahme des HOG-Vorstandes Bistritz-Nösen mit der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung, mit dem rumänischen Staat, mit der Stadtverwaltung Bistritz, mit Prinz Charles aus Großbritannien mir weiter helfen wird? Und Sie? Haben Sie sich schon überlegt, was Sie persönlich tun könnten, um dieses nordsiebenbürgische Juwel zu retten? Die neu gegründete HOG hat Ideen, hat Tatkraft, hat Geld. Jedoch nicht genug. Wie sehen Sie die Lösung dieser Frage?

Horst Göbbel

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2005, Seite 19)

Schlagwörter: Stadtpfarrkirche Bistritz, Nordsiebenbürgen, Denkmalpflege

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