17. November 2007

Berliner Konferenz zur Aufarbeitung des Holocaust in Rumänien

Ist das Glas halbvoll? Oder ist es halbleer? Auch nach mehr als zwei Stunden angeregter Diskussion zwischen ausgewiesenen Experten aus Rumänien, Deutschland und den USA lässt sich diese Frage nicht eindeutig beantworten. Fest steht: Vor allem seit seinem Beitritt zum nordatlantischen Verteidigungsbündnis NATO hat Rumänien bei der Aufarbeitung des eigenen Holocaust erhebliche Fortschritte gemacht. Vieles bleibt aber noch zu tun. Dies ist in aller Kürze das Ergebnis einer Konferenz, zu der die Botschaft von Rumänien, das Rumänische Kulturinstitut „Titu Maiorescu“ und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas am 30. Oktober nach Berlin eingeladen hatten.
Die am Podium sitzenden Fachleute waren sich einig, dass es ein deutlicher Fortschritt ist, dass das offizielle Rumänien mittlerweile anerkannt hat, dass es in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts bei der Vernichtung seiner Juden große Schuld auf sich geladen hat. Während Nazi-Deutschland, seine Verbündeten und Mitläufer ihre Vernichtungspläne gegen die Juden in Europa verwirklichten, hat der rumänische Staat eine eigene Judenverfolgung geplant. Angekündigt hat sich dies mit dem antisemitischen Gesetz von 1940. Durch die Pogrome von Dorohoi und Galatz im Juni 1940, Bukarest im Januar 1941 und Jassy im Juni 1941 verloren Tausende von Juden ihr Leben. Mit diesen Pogromen begann die staatlich organisierte Judenvernichtung in Rumänien.

Im Oktober 1941, während des Regimes des rumänischen Führers und Hitler-Verbündeten Ion Antonescu, begannen die ersten Deportationen von Juden aus Bessarabien und der Nord-Bukowina nach Transnistrien. Ziel war die Eliminierung aller Juden in Rumänien. In der Zeit von 1940 bis 1944 hat der rumänische Staat die Vernichtung von etwa 280 000 Juden aus Rumänien und der Ukraine zu verantworten. Hinzu kommen 25 000 Roma und Sinti, die ebenfalls nach Transnistrien deportiert wurden. 11 000 von ihnen wurden ermordet. Im Frühjahr setzte die ungarische Besatzungsmacht im Nordwesten Siebenbürgens die Deportationen fort. Etwa 135 000 Juden aus Siebenbürgen wurden nach Auschwitz verschleppt und ermordet.

Wie Prof. Dr. Radu Ioanid, Leiter der Abteilung Internationale Archivprogramme am U. S. Holocaust Memorial Museum in Washington D. C., auf der Konferenz anmerkte, gibt es in Rumänien bei der Aufarbeitung des Holocaust viel Licht, aber auch viel Schatten. Als positiv bewertete er, dass noch in der Zeit des früheren Präsidenten Ion Iliescu eine Internationale Kommission zum Studium des Holocaust in Rumänien eingesetzt wurde, die einen viel beachteten Abschlussbericht vorgelegt hat; ferner dass Rumänien auf Empfehlung dieser Kommission ein Holocaust-Institut gegründet und zudem beschlossen hat, in Bukarest ein eigenes Holocaust-Denkmal zu errichten; und nicht zuletzt, dass es keine Straßen mehr gibt, die Antonescus Namen tragen. Positiv sei auch der Zugang zu rumänischen Archiven. So habe die von ihm geleitete Abteilung sehr gute Beziehungen zum Archiv des rumänischen Nachrichtendienstes SRI, zum Archiv des rumänischen Außenministeriums sowie zum Archiv des Generalstabs der rumänischen Armee. Große Defizite sieht der Wissenschaftler nach wie vor im Bereich der rumänischen Justiz. So sei zum Beispiel bis heute kein einziger rumänischer Täter, der für den Holocaust Verantwortung trage, vor Gericht gestellt worden. In der Zeit des früheren Präsidenten Emil Constantinescu seien sogar Leute rehabilitiert worden, die in die Juden-Deportationen verwickelt gewesen seien. Überdies wirft Ioanid Rumänien vor, dass es zu wenig gegen die Ausbreitung des Antisemitismus getan habe und tue.

Über Reaktionen auf den Bericht der Internationalen Kommission zum Studium des Holocaust berichtete der aus dem Banat stammende und in Berlin lebende Schriftsteller und Publizist William Totok. Es habe sachliche Reaktionen gegeben ebenso wie „distanziert-ironische und historisch-kritische“. Der Bericht der Kommission sei zum Teil aber auch auf offene Ablehnung gestoßen. So hätten Leugner des Holocaust beispielsweise behauptet, Rumänien habe die Juden nicht vernichtet, sondern gerettet. Oder: Rumänien habe die Juden nicht ermordet, sondern ihnen die Emigration nach Palästina erlaubt. Oder: In der Antonescu-Zeit hätten jüdische Einrichtungen weiter funktioniert. Antonescu habe die Juden nicht an Nazi-Deutschland ausgeliefert. Und für die Vernichtung der Juden trügen nur Deutschland und Ungarn Verantwortung. Totok räumte ein, dass es in Rumänien zwar keine Straßen mehr gebe, die nach Antonescu benannt sind. Wohl aber gebe es Straßen mit Namen von Legionären, beispielsweise in Temeswar, der Hauptstadt des Banat. In der Stadt Karansebesch, im Süden des Banat, sei vor der Synagoge ein Denkmal mit Namen von Legionären aufgestellt worden. In Bukarest gebe es zwei Kirchen mit Antonescu-Bildern. Totok bemängelte, dass im Abschlussbericht der Internationalen Holocaust-Kommission, der er selbst als Mitglied angehörte, die Rolle der Kirchen nicht hinreichend beleuchtet werde.

Auf der Konferenz in der rumänischen Botschaft in Berlin stellte der siebenbürgische Künstler Prof. emerit. Peter Jacobi das von ihm entworfene Holocaust-Denkmal vor, das in Bukarest errichtet werden soll. Der Entwurf sieht eine Skulptur in Form eines sieben Meter hohen, begehbaren Gebäudes mit einem Glasdach vor. Neben dem Gebäude soll eine Davidstern-Skulptur stehen, außerdem die Darstellung eines Rads, das symbolisch für die ebenfalls verfolgten und ermordeten Roma steht. Mit seinem Entwurf hat Jacobi, der 1935 in Ploiești geboren wurde und heute in der Nähe von Pforzheim lebt, 2005 eine Ausschreibung des rumänischen Kulturministeriums gewonnen. Wie viel Aufklärungsarbeit in Rumänien noch notwendig ist, zeigt eine Umfrage, die das von Mihail Ionescu geleitete Bukarester Institut „Elie Wiesel“ zum Studium des Holocaust in Rumänien im Oktober diesen Jahres veröffentlichte. Demnach haben 65 Prozent der befragten Rumänen angegeben, dass sie vom Holocaust gehört haben. 27 Prozent sagten, sie hätten davon noch nie gehört. Nur ein Viertel vertrat die Ansicht, Antonescu habe sich Verbrechen gegen die Juden schuldig gemacht.

Ernst Meinhardt

Schlagwörter: Holocaust, Rumänien, Jacobi

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