30. Januar 2008

Deutsch-belgische Gruppe entdeckt Siebenbürgen und noch mehr

Es gibt mehrere Gründe, warum diese Fahrt nach Rumänien zustande gekommen ist: Zum einen wollte ich schon immer meinen Kindern, Verwandten, Freunden und Kollegen meine alte Hei­mat zeigen; zum anderen wünschten sich belgische Freunde, die ich vor genau 20 Jahren als Reiseleiter durch das Land geführt hatte, noch einmal eine Reise nach Rumänien zu unterneh­men. So organisierte ich mit einem Busunternehmen aus Steinbach eine zwölftägige Tour in das Karpatenland. 22 Belgier aus dem Raum Brügge und 24 Deutsche aus dem Raum Schnelldorf meldeten sich für die Rundreise an. Am 11. August 2007 brachen wir Richtung Rumänien auf.
Nach einer Übernachtung in Szolnok fuhren wir bei Borș über die Grenze und erlebten unsere erste Überraschung: Während einige von uns noch nach ihren Pässen suchten, rollte der Bus schon Richtung Großwardein (Oradea) weiter. Hier an der Gren­ze war es zum ersten Mal zu erkennen: Rumä­nien ist in der Europäischen Union angekommen. Die ersten Punkte unseres Reiseprogramms waren die Anlage rund um das Bischofspalais bzw. die römisch-katholische Kirche, Rumäniens größter Barockbau, sowie das Stadtzentrum von Großwardein (Oradea). Hier erlebte man die zwei­te Überra­schung: Die Stadt war sehr sauber und gepflegt, viele Gebäude frisch renoviert; vor allem beeindruckte der imposante Bau des Schwarzen AdlerKomplexes. Über die Westkarpaten ging es weiter zu unserem ersten Übernachtungsziel: Klausenburg. Nachdem wir die Michaelskirche und das Zentrum Klausenburgs besichtigt hatten, fuhren wir auf den Schlossberg zum Belve­dere-Hotel.
Die deutsch-belgische Reisegruppe vor dem Alten ...
Die deutsch-belgische Reisegruppe vor dem Alten Rathaus in Kronstadt.
Am zweiten Tag besichtigten wir Bistritz. Hier besuchten wir den mittelalterlichen Ortskern und die evangelische Kirche. Die dort liegenden Gesang­bücher inspirierten einige aus unserer Gruppe, und so ertönte das Lied „Die güldene Sonne“, das, von Deutschen und Belgiern ge­meinsam gesungen, die stille Kirche mit Leben erfüllte. Später fuhren wir über den Borgo-Pass nach Voroneț weiter. Infolge der schweren Überschwemmungen Anfang August war eine Brücke in der Nähe von Vama eingestürzt, so dass wir einen Umweg nehmen mussten. Dies stellte sich aber als Glücksfall für uns heraus, denn so konn­ten wir die wunderbare Landschaft des Buchen­landes genießen und das erste Moldaukloster mit Außenmalerei besichtigen: Sucevița. Nicht nur die großflächige Komposition der sogenann­ten Himmelsleiter des Johannes Klimax beeindruckte die Mitreisenden, auch die Lage des Klosters und die weitläufige Festungsanlage fan­den großen Gefallen. Nach der Übernachtung in der neuen Hotelanlage Casa Elena stand ein weiterer Höhepunkt auf dem Programm: die Besich­tigung der Kirche von Voroneț, die wegen des Freskos des Jüngsten Gerichts die „Sixtinische Kapelle des Ostens“ genannt wird. Auch das Kloster von Humor bestätigte, dass die Außen­fresken dieser Klöster einmalig auf der Welt sind und die Kirchen zu Recht dem UNESCO-Weltkulturerbe angehören. Wir übernachteten in Piatra Neamț.

Am nächsten Tag stand ein Natur-Highlight auf dem Programm: die Bicaz-Klamm. Bei strah­lendem Sonnenschein spazierten wir durch die Schlucht des Bicaz. Die anschließende Fahrt ging über den Roten See nach Gheorgheni und von dort aus Richtung Süden durch das Szeklerge­biet. Kurz vor unserem Übernachtungsziel Kron­stadt wartete die Kirchenburg von Tartlau auf uns. Nicht nur das gewaltige Bollwerk blieb den Reisenden in Erinnerung, auch das hier kredenzte „Nationalgericht“ der Siebenbürger Sach­sen, Speck und Zwiebeln, fand großen Anklang. Da wir zwei Nächte in Kronstadt verbrachten, hatten wir ausreichend Zeit, die Stadt unterhalb der Zinne zu erkunden. Das Wahrzeichen der Stadt, die Schwarze Kirche, besichtigten wir gleich zwei Mal: Zunächst beim Stadtrundgang und später abends beim Orgelkonzert. Zum Abschied von Kronstadt nahmen wir im Hir­scherhaus an einem Folkloreabend teil.

Am folgenden Tag reisten wir zur Törzburg, die vor allem den Kindern gut gefiel. Danach ging es nach Sinaia, zum Schloss Peleș, und anschließend durch das Prahova-Tal in die Landeshaupt­stadt. Beeindruckend fanden die Rei­senden die Ähnlichkeit des Bukarester Stadtbil­des mit Paris – die Bezeichnung „Paris des Os­tens“ trifft es auf jeden Fall. Als wir den „Palast des Volkes“, das zweitgrößte Gebäude der Welt, besuchten, stellte sich ein beklemmendes Gefühl ein: Hier war der Größenwahn Ceaușescus haut­nah zu erleben. Über Pitești ging es weiter nach Curtea de Argeș. Die Kathedrale, Grabstätte der rumänischen Könige, beeindruckte durch ihren byzantinischen Stil mit maurischen Arabesken. Wunderschön verlief die Fahrt entlang des Vidra­ru-Stausees über die Transfogarascher-Straße zum Bulea-See. Am Spätnachmittag kamen wir in Hermannstadt an. Beim Stadtrundgang regnete es leicht. Nach dem Abendessen hatten wir Zeit, den malerischen mittelalterlichen Stadtkern zu genießen.

Der folgende Tag steckte für mich voller Emo­tionen, galt es doch die Geburtsorte meiner Eltern zu besuchen. Durch ein im Nebel versunkenes Harbachtal fuhren wir zuerst nach Agne­theln, und zwar in die Obergasse, zum Haus mei­ner Großeltern. Ich hatte vor, das Haus mit meiner Familie zusammen zu betreten, während die Mitreisenden die Kirche besichtigten. Groß war meine Verwunderung, als alle mit uns zusammen das Haus ansehen wollten. Da die jetzige Hauseigentümerin nichts dagegen hatte, standen plötzlich mehr als 40 Menschen im Hof meiner Großeltern. Wir betrachteten die Scheu­ne, den Garten und den Keller. Alles war sauber und gepflegt. Die neuen Besitzer waren bemüht, das Anwesen in Schuss zu halten. Die Blumen­pracht und Pflanzenvielfalt in Hof und Garten waren beeindruckend. In der Kirche erzählte Pfarrer Boltres der Gruppe von seiner Arbeit als Seelsorger in Agnetheln. Dann, auf der Henn­dorfer Hill, folgte der nächste Höhepunkt: Auch wenn der Reiseleiter nicht zu den besten Sän­gern gehörte, trug er das Siebenbürgenlied so vor, dass alle gemeinsam in die Hymne der Sach­sen einstimmen konnten. Es war beeindru­ckend, wie Deutsche und Belgier zusammen „Sieben­bürgen, süße Heimat, Land der Fülle und der Kraft“ sangen.

Im nächsten Ort kippte die Stimmung: Der erbärmliche Zustand der Kirchenburg von Trappold entsetzte uns. Umso größer war aber unsere Bewunderung für die Helfer, die uns erklärten, dass sie für „Corona“, einen Verein zur Förde­rung lokaler Initiativen, arbeiteten, zu dessen Zielen auch die Sanierung und Wiederbelebung der Kirchenburg von Trappold gehört. Geplant ist, die Kirchenburganlage als regionales und überregionales Begegnungs- und Fortbildungs­zentrum zu nutzen. Ein besonderes Anliegen ist die Förderung des traditionellen Handwerks in der Gegend. Anschließend erkundeten wir das mittelalterliche Kleinod Schäßburg. Bei sengender Mittagshitze verweilten wir zwei Stunden in der herrlich renovierten Burg, viele wagten gar den Aufstieg auf den Stundturm. Ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe, Birthälm, ehemaliger Bischofssitz der Evangelischen Kirche in Sieben­bürgen, war unser nächstes Ziel. Wie in Tartlau ließ sich die Größe der Festungsanlage bewundern. Das letzte Abendessen nahmen wir in Sibiel in Bauernhäusern ein. Da wir am frühen Abend nach Hermannstadt zurückkehrten, nutz­ten viele aus unserer Gruppe die Gelegenheit, den kulturellen Darbietungen im historischen Zentrum beizuwohnen oder den lauen Som­merabend in einem der Straßen­cafés zu ge­nießen. Am nächsten Morgen ging es zeitig Richtung Arad. Hier, im Unterwald, in der Nähe von Urwe­gen, vertraute mir ein belgischer Freund an: „Jetzt weiß ich, warum im Siebenbürgenlied die Fülle und die Kraft des Landes besungen wird!“ Genauso schnell, wie wir nach Rumänien einreisen durften, verließen wir auch wieder das Land. Die langen Wartezeiten an der Grenze sind endgültig vorbei.

Beim Abschiedsabend in Kecskemet wurde klar zum Ausdruck gebracht: Die, die Rumänien nur vom Hörensagen kannten oder das Land nur mit negativen Schlagzeilen in Verbindung gebracht hatten, waren von der Vielfalt und Schönheit der Landschaft fasziniert. Die Tatsa­che, dass in Rumänien viel in Gang gekommen ist, wurde einstimmig positiv bewertet. All die Befürchtungen, die vor der Rei­se aufgekommen waren, dass in Rumänien mehr als anderswo gestohlen werden könnte oder die Hotels nicht westlichem Standard entsprechen würden, er­wiesen sich als unbegründet. Wir haben aber auch die Schattenseiten des Landes kennen ge­lernt: Die Altlasten der kommunistischen Regie­rung, die Armut, vor allem in der Provinz, die großen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Bedrückend war auch zu sehen, dass einst blühende sächsische Ortschaften dem Verfall preisgegeben sind und die Kultur der Deutschen in Siebenbürgen ein jähes Ende erfährt. Sowohl die deutschen als auch die belgischen Besucher werden ihren Bekannten und Freunden zu Hause das wahre Bild des Landes vermitteln können – und dafür haben sich die Mühen der Planung und Organisation voll ausgezahlt!

Uwe Kamilli

Schlagwörter: Reise, Reiseinfos

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