23. Juni 2011

Bodo Löttgen: "Politiker müssen die deutsche Identität der Aussiedler anerkennen"

Auf das schwere Schicksal de Siebenbürger Sachsen im zwanzigsten Jahrhundert ist Bodo Löttgen, Beauftragter für Heimatvertriebene und Spätaussiedler der CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, in seiner Ansprache bei der Eröffnungsveranstaltung des Heimattages am 11. Juni eingegangen. Durch Flucht, Deportation, Enteignung, Kommunismus unter wachsendem Druck sei ihr Leben weitgehend fremdbestimmt gewesen. Deshalb sei es eine Pflicht Deutschlands und seiner Politiker, achtsam mit den Heimatvertriebenen und Spätaussiedlern umzugehen, ihre deutsche Identität anzuerkennen und ihre Position in der Gesellschaft zu stärken. Die Ansprache des Landtagsabgeordneten wird im Folgenden gekürzt abgedruckt.
Im Namen meiner 67 Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag bedanke ich mich ganz herzlich für die Einladung zu diesem 60. Heimattag, diesem besonderen Heimattag, und grüße Sie alle recht herzlich, auch im Namen unseres Fraktionsvorsitzenden Karl-Josef Laumann. Wir alle wünschen Ihnen viel Freude, gute Gespräche und dem Heimattag mit seinen zahlreichen Veranstaltungen einen gelungenen Verlauf!

Es ist für mich eine besondere Ehre, bereits zum dritten Mal an dieser Stelle zu Ihnen sprechen zu dürfen und ich freue mich ganz besonders auf ein Wiedersehen mit vielen Freunden und vielen Siebenbürger Sachsen – ich schaue in Richtung der nordrhein-westfälischen Landsmannschaft, in Richtung des Bundesvorstands – deren Rat ich in den vergangenen Jahren zu schätzen gelernt habe. Ich freue mich auch oder ich würde mich freuen, wenn meine Frau jetzt nicht zuhören würde, auf die Mici und den Baumstriezel, aber das habe ich nicht gesagt.

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Mein sehr geehrten Damen und Herren, auch in diesem Jahr ist der Heimattag ein Feier-Tag. Das Wiedersehen nach einem Jahr hat – gottlob – einen sehr hohen Stellenwert. Heute Morgen habe ich mit Hermann Schuller darüber gesprochen, und ich denke, wie Recht hatte doch Wilhelm von Humboldt mit seiner Erkenntnis: „Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, welche dem Leben seinen Wert geben.“

Die persönliche Freude des Einzelnen, ja sogar der gesamten Gemeinschaft der rund 20.000, die im Laufe der nächsten Tage nach Dinkelsbühl kommen werden, lässt kaum Raum nach der tiefergehenden Frage: Was ist der eigentliche Anlass, der Grund für diesen und die 59 vorausgegangenen Heimattage?

Lassen Sie mich die Frage trotzdem stellen und zeitgleich auch beantworten:

Dass die Siebenbürger Sachsen ihren Heimattag in Deutschland abhalten, ja dass sie ihn überhaupt feiern, hat seine Ursachen in den kriegerischen und politischen Umwälzungen des letzten Jahrhunderts.

So, wie die Siebenbürger Sachsen über Jahrhunderte die Geschichte Siebenbürgens bestimmt und geprägt haben, so wurden sie als Volk im 20. Jahrhundert fremdbestimmt.

Die Siebenbürger Sachsen hatten nicht die Option, zwischen verschiedenen, zumal guten Handlungsalternativen frei wählen zu können. Oft gab es für sie nur das „kleinere Übel“!

Ist es noch im Bewusstsein von uns Gästen, im Bewusstsein eines seit mehr als 60 Jahren in Frieden und Freiheit lebenden Volkes,
  • dass die Nordsiebenbürger bei ihrer Flucht Haus und Hof zurücklassen mussten;
  • dass die die Daheimgebliebenen Zwangsaushebung und anschließender Deportation ausgesetzt waren;

  • dass die Enteignungen damals wie heute großes menschliches und persönliches Unrecht darstellen;

  • dass ein Leben im Kommunismus von dem wachsenden Druck geprägt war, als Person, als Familie, als schrumpfende deutsche Minderheit unbeschadet zu überstehen?
Nein, meine Damen und Herren, die Siebenbürger Sachsen konnten selten frei wägen und noch seltener ihre Selbstbestimmung frei wählen.

Es darf uns als deutsche Gesellschaft niemals die Erinnerung an deutsche Landsleute entgleiten, deren persönlicher Ermessenspielraum durch (brutale) Fremdbestimmung gegen Null reduziert wurde.

Bodo Löttgen. Foto: Lukas Geddert ...
Bodo Löttgen. Foto: Lukas Geddert
Das als Teil des Mottos dieses Heimattages gewählte Bild einer physikalisch eigentlich unmöglichen „Brücke über Zeit und Raum“ hat mich fasziniert. Nicht nur die Tatsache, dass es ausschließlich eine Frage des persönlichen Standpunktes, viel mehr noch des Standortes ist, ob jemand kommt oder geht; es werden weitere Fragen aufgeworfen: Schaut man auf dem einen Weg nach vorn und auf dem anderen zurück? Ist der Weg hin zu den Wurzeln ein Weg zurück oder nach vorn?

Ganz gleich wie Sie für sich selbst diese Fragen beantworten können: wichtig ist doch heute, dass unabhängig von dieser Antwort, unabhängig von den sicherlich höchst unterschiedlichen Gefühlen, die ausgelöst werden auf diesem Weg, jeder von Ihnen hierher nach Dinkelsbühl gehört, jeder seinen Beitrag zu dieser Brücke durch Raum und Zeit geleistet hat und leistet und dieser Beitrag von anderen wertgeschätzt wird.

Und der Beitrag der Politik?

Für uns Politiker gilt es, der Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rufen, dass Deutschland eine Pflicht hat, nicht nur achtsam mit den Vertriebenen und Spätaussiedlern umzugehen, sondern deren Identität anzuerkennen und ihre Position in unserer Gesellschaft zu stärken. Darüber hinaus ist die Politik insbesondere gefordert, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren.

Gestatten Sie mir, mit einem Zitat unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel ein kurzes Schlaglicht auf diesen letztgenannten Punkt zu werfen. Sie sagte:

„Aussiedler und Spätaussiedler sind Deutsche und als solche von ausländischen Migranten zu unterscheiden.“

Diese Feststellung war dringend notwendig!

Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass sich im Zuge aktueller Integrationsdebatten ein Zungenschlag in die politische Diskussion, ja sogar in die Dialektik eingeschlichen hat, der fast unbemerkt, aber vor allem auch von den Medien unreflektiert übernommen worden ist:

Deutsche aus Kirgisien oder Russland, aus Oberschlesien oder Ostpreußen, aus Siebenbürgen oder dem Banat werden – häufig unwidersprochen – selbst von führenden Köpfen der Politik als Migranten und Migrantinnen bezeichnet.

Im Bewusstsein des Leidensweges deutscher Spätaussiedler widerspreche ich dieser Gleichsetzung als Christdemokrat in aller Entschiedenheit!

Niemand hat ein Recht dazu, denen, die bis 1990 jenseits des Eisernen Vorhangs unter schwierigsten Bedingungen als Teile deutscher Minderheiten ausgeharrt haben und dann zu uns kamen, ihre deutsche Identität abzusprechen und sie dessen zu berauben, was sie unter widrigsten Bedingungen aufrecht erhalten und liebevoll gepflegt haben!

Das ist für mich ein Beispiel für die fortdauernde Notwendigkeit der Politik, sich weiterhin aktiv für die Belange und Interessen der Vertriebenen und Spätaussiedler einzusetzen. Und auch das, was der Verband mit Dr. Bernd Fabritius an der Spitze im Dialog mit rumänischen Politikern für die Sache der Siebenbürger Sachsen leistet, ist wertvolle, weil für den Einzelnen nützliche politische Arbeit.

Tatsache ist jedoch auch, dass Politik dort ihre Grenzen findet, wo sie sich mit der Leidensgeschichte des Einzelnen konfrontiert sieht. Unrecht bleibt Unrecht, Mord bleibt Mord, Deportation bleibt Deportation und Enteignung bleibt Enteignung!

Verletzte Herzen und seelische Wunden zu heilen vermag die Politik nicht. Nicht mit Worten und nicht mit Geld.

An diesem Punkt wird deutlich, dass es eine Kluft gibt zwischen den berechtigten Ansprüchen Einzelner an ihre Interessenvertreter und der Möglichkeit, diese Erwartungen im politischen Alltag durchzusetzen.

Persönliche Wünsche, Erwartungen, Hoffnungen und Ansprüche werden auf dem Weg durch die Instanzen von Politik und Verwaltung transformiert und allzu häufig ihrer Substanz beraubt. Aber: Als Teilnehmer am Brückenbau muss sich die Politik dem Anspruch stellen, dem Einzelnen diese demotivierende und erniedrigende Erfahrung zu ersparen.

Bei seinem Besuch im Bonner Haus der Geschichte sagte Bundespräsident Christian Wulff vor kurzem: „Geschichte ist kein gemütlicher Themenpark, kein Nostalgieprojekt. Geschichte ist Begegnung mit den Kämpfen und Leidenschaften der Menschen, (...), mit dem ganzen gelebten Leben.“

Ich zitiere das an dieser Stelle aus drei Gründen.
  • Zum einen sind 60 Jahre Heimattag bereits an sich zu einem Teil Ihrer eigenen siebenbürgisch-sächsischen Geschichte herangewachsen.

  • Zum anderen, weil wir als Volk, gerade bei der Bewältigung unserer Geschichte, beispielsweise unserer Stasi-Vergangenheit immer wieder an das Ungemütliche unserer Geschichte erinnert werden und ich sie mit Blick auf die mögliche Securitate-Verstrickung Einzelner im Sinne unseres Bundespräsidenten ermuntern möchte, die Begegnung mit den „Kämpfen und Leidenschaften“ der Vergangenheit offen, offensiv und ehrlich zu führen.

  • Drittens fordert Bundespräsident Wulff in seinem Zitat dazu auf, Geschichte nicht als Nostalgieprojekt zu betrachten. Der Blick zurück darf sich nicht in einer wehmütigen Hinwendung an vergangene Zeiten erschöpfen. Nur wenn Sie gemeinsam mit einem aktiven und vitalen Verband, mit dem gleichen persönlichen Engagement wie bisher hier kräftig mit den Flügeln schlagen und dort Ihre Wurzeln weiter pflegen, wird diese Gefahr gebannt.
Jeder einzelne von Ihnen ist damit aufgefordert, sich aktiv und gestaltend auf beiden Seiten der Brücke einzubringen und uns allen das Vergessen unmöglich zu machen, das ganze gelebte Leben der Siebenbürger Sachsen als Zugewinn für uns alle herauszustellen.

Mit dem Heimattag, meine Damen und Herren, liebe Siebenbürger Sachsen, organisieren Sie jedes Jahr eine öffentliche, kulturelle und gemeinschaftsstiftende Veranstaltung, die diesen Anspruch erfüllt und die, wenn ich mir das Urteil erlauben darf, in dieser Dichte und Vielfalt wohl einmalig ist.

Ihnen allen wünsche ich von ganzem Herzen einen von Freude geprägten 60. Heimattag, gutes Gelingen, Gottes Segen und ein frohes Pfingstfest!

Schlagwörter: Heimattag 2011, Politik, Vertriebene und Aussiedler

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Neueste Kommentare

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