11. Mai 2012

Das Gemeinwesen bereichert: 50-jähriges Jubiläum des Adele-Zay-Vereins Drabenderhöhe

50 Jahre jung ist der Verein der Siebenbürger Sachsen „Adele Zay“ in Drabenderhöhe im Oberbergischen Land. In seiner Trägerschaft bieten der gleichnamige Kindergarten und das Haus Siebenbürgen den jüngsten und den ältesten Bürgern der siebenbürgisch-sächsisch geprägten Gemeinde und Gemeinschaft Stätten der Anleitung und des Geleits, der zeitgemäßen Lebensgestaltung. Die Feier und der festliche Gottesdienst mit Aktiven und Gästen von nebenan bis Hermannstadt vermittelten den Eindruck, dass es durchaus so etwas gibt wie eine siebenbürgisch-sächsische Öffentlichkeit und darin einen „Diskurs“, der bei allem Rückblick den Ausblick und die Herausforderung der Zukunft nicht scheut.
Damit ein Fest gelingt, muss man es wollen, hat ein kluger Mann in meiner Heimatgemeinde gesagt. Der kannte sich mit Festen sehr wohl aus, denn er wusste ebenso gut, ja besser noch, was Arbeiten ist. Dazu brauchte er gar nicht erst Goethes „Schatzgräber“ und die stets aktuelle Geisterstimme mit ihrem „künftig Zauberwort“. In der Dialektik „saure Wochen, frohe Feste“ haben die Siebenbürger Sachsen Übung, denn seit einem geraumen Jahrhundert sind ihre Feste allemal weniger dem Augenblick als dem Rückblick gewidmet, mithin getönt von Erinnerung und Wehmut. So waren und sind sie denn immer auch Arbeit, Erinnerungsarbeit, die man wollen und gut machen muss, damit sie gelingt.

Im oberbergischen Drabenderhöhe haben Erinnerung und Wehmut ein Nest, und selbst wer von außerhalb kommt, spürt sogleich dessen Wärme. Die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat hier in den frühen Sechzigern ihre Patenschaft für die Siebenbürger Sachsen angesiedelt, und das im Wortsinn. Hier erhielten die kriegsversprengten Siebenbürger bevorzugtes Siedlungsrecht, hier kamen sie wieder zu einem Stückchen Grund und Boden, und hier bekamen sie Gelegenheit, den sozial-solidarischen Gedanken, auf den sie ihr jahrhundertelanges Dasein im Karpatenraum gegründet hatten, zu bundesdeutschem Leben zu erwecken.

Die Gemeinde muss jene tragen, die noch nicht oder nicht mehr selbst für sich sorgen können, die Kinder und die Alten. Der Gedanke ist uralt, 50 Jahre jung ist der Verein, der ihn in Drabenderhöhe trägt und verwirklicht in Gestalt eines Kindergartens und eines Wohnheims. Das zu feiern hatten sich, wie in der Siebenbürgischen Zeitung bereits berichtet, Mitte April viele von denen zusammengefunden, denen die sächsische „Sache“ am Herzen liegt, die den Sinn aus der Vergangenheit und Gegenwart beziehen und damit Zukunft so zu gestalten suchen, daß sie den Landsleuten, seien sie in Siebenbürgen oder in Deutschland, ja nach Möglichkeit den Mitmenschen aus welchem Land auch immer, lebenswert erscheint. Der Name der Adele Zay, die Ende des 19. Jahrhunderts in Siebenbürgen Erziehung gelehrt und sich kämpferisch für die Gleichberechtigung von Mann und Frau eingesetzt hat, ist dem Verein eine Verpflichtung, die er keineswegs feierlich, sondern unmittelbar praktisch auffasst: „Man kann alles, was man ernstlich will“, zitierte der oberbergische – und sächsische – Landrat Hagen Jobi die klug entschlossene Namenspatronin, die einst auf den Punkt gebracht hat, was damals galt, wie es heute gilt.
Drei Orgelpfeifen als Geschenk für den Adele-Zay ...
Drei Orgelpfeifen als Geschenk für den Adele-Zay-Verein, von rechts: Bischof Reinhart Guib, Pfarrer i.R. Kurt Franchy und Hautpanwalt Friedrich Gunesch. Fotos: Christian Melzer
Allerdings gilt heute auch vieles, was man sich einst nicht hat vorstellen können. Die demographische Entwicklung ist ein Faktor, mit dem auch die Gründer des Hauses Siebenbürgen 1962 wohl weniger gerechnet haben, der aber ihren Willen rückwirkend geradezu dramatisch bestätigt. Die Familien driften allenthalben auseinander, zugleich altert die Gesellschaft: Wilfried Bast, Vizebürgermeister der Stadt Wiehl, hatte dazu einen christlichen Kommentar bereit, den er seinen relativ neuen, aber mittlerweile eben auch alten Mitbürgern aus Siebenbürgen abgelauscht und für um so aktueller befunden hat: Harr, häelf!

Sie h(ä)elfen sich selbst, die Sachsen in Drabenderhöhe, aber eben nicht nur sich. Ebenso wie der Adele-Zay-Kindergarten sein Platzangebot für alle Kleinen bereithält, ist das Haus Siebenbürgen zu einem Heim für alle älteren Menschen geworden, die in der Familie keines mehr haben. Kurt Franchy, der Vorsitzende des Adele-Zay-Vereins und als solcher Majordomus der Festveranstaltung, zählte zur bescheidenen Illustration der helfenden Offenheit die Sprachen auf, die im Haus gesprochen werden: von Hochdeutsch über Sächsisch und Rumänisch bis hin zu Russisch. Dass dieses Miteinander zu einem Füreinander gediehen ist, belegte der oberbergische Landtagsabgeordnete Bodo Löttgen als Volksvertreter mit Volkes Stimme: Es gehe in der Gegend das Wort um, alte Menschen sähen als rechten Ort für ihren Lebensabend in erster Linie die Familie, dann das Haus Siebenbürgen – „aber nicht das Altenheim“.

Dieses Haus Siebenbürgen ist eben keine karitative Funktionseinheit, keine Anstalt zur Lösung sozialer Problemfälle, sondern eine Stätte der Begegnung, wie diese Festveranstaltung eine war, nicht nur durch die von Agnes Franchy moderierten feierlichen Gedenk- und Grußworte, sondern auch durch die künstlerische Umrahmung, an der sich die am Ort tätigen kleinen und großen Kunstbewegten von Kindergruppen über jugendliche Instrumentalsolisten bis zum Männergesangverein und der siebenbürgischen Blaskapelle begeistert und begeisternd beteiligten. Angemessen und keineswegs anmaßend klang deshalb auch die Zustimmung, die Bernd Fabritius, der Bundesvorsitzenden des Vereins der Siebenbürger Sachsen den Lobesworten der Lokalpatrioten auf die Schönheit des oberbergischen Landkreises angedeihen ließ: Ja, sie hätten wohl recht, sagte der landschaftlich verwöhnte Sachse aus Bayern, schön sei es hier fürwahr und dies auch nicht weiter verwunderlich, schließlich gebe es hier ja auch ein gutes Stück Siebenbürgen als „Anker der Beständigkeit“.
Der "Turm der Erinnerung" in Drabenderhöhe. ...
Der "Turm der Erinnerung" in Drabenderhöhe.
Bei so großzügiger Auslegung der Geographie war nicht nur das Wort, sondern auch der Gedanke Europa ganz nahe, wie Kurt Franchy ihn schon in siebenbürgischer Selbstbescheidung nicht aus-, aber angesprochen hatte. Dort, daheim, sei jedem Sachsen aufgrund seiner sozusagen angeborenen Gemeinschaftszugehörigkeit stets das eigene Dorf obenauf gewesen und der Gedanke, dieses sei das wichtigste. Diese einst legitime, gleichwohl vorgestrige Quelle des Selbstbewusstseins ist von den Erdrutschen und Himmelsstürzen der Zeitgeschichte verschüttet worden, und nun steht er, der Sachse, mitten in besagtem Europa, konkret etwa in Drabenderhöhe, und muss nach einer anderen Quelle graben – nur steht und gräbt er hier eben keineswegs allein.

Ihm, „dem“ Sachsen, seinen „Schwestern und Brüdern“ dieses zu sagen, eine ebenso historisch begründete wie zeitgenössisch aktive, ausdrücklich „europäische“ Verbundenheit zu beschwören war Bischof Reinhart Guib gemeinsam mit Landeskirchenkurator Friedrich Philippi und weiteren Geistlichkeits- und Geistesarbeitern der evangelischen Landeskirche A. B. aus Hermannstadt angereist. Drei Orgelpfeifen, die keinen Dienst mehr tun werden dort, wo die Brunnen „anders rauschen“, deren stumme Botschaft aber immer noch einen eigenen Klang trägt, überbrachte er dem Adele-Zay-Verein.

Leise Töne entfalten eine besondere Beredsamkeit, und der Bischof übte sich darin, als er in seiner Predigt in der Drabenderhöher Kirche an die zeitversetzt an diesem Sonntag begangene Osterfeier der orthodoxen Rumänen in Siebenbürgen erinnerte: Dieses Europa, das immer noch um seine Formen ringt, schafft jetzt schon eines, und das ist nichts Geringes: Landsleute sind nicht mehr die Leute eines Landes, sondern es sind die Leute, denen man verbunden ist über die Länder hinweg.

Der einem siebenbürgischen Wehrturm nachempfundene Turm der Erinnerung ragt im bergischen Hügelland, doch nicht mehr zum Schutz und Trutz, sondern auch, so Reinhart Guib, als Turm der Hoffnung. Ostern als Fest der Auferstehung sei diesem Mauerwerk eingeschrieben, und der Bischof zögerte nicht, all den höheren und tieferen und weiteren Sinn, der sich mit dem Fest und dem Turm und dem Jubiläum verbinden, die jeder damit verbinden mag, zu erden in dem so gängigen wie griffigen Wort von den „Möglichkeiten“: „Man kann alles, was man ernstlich will“, hat doch Adele Zay gesagt.

So war es denn nicht nur statthaft, sondern erquicklich, dass Enni Janesch, die ehemalige Frauenreferentin des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, daran erinnerte, dass hier, wie bei den Siebenbürger Sachsen keineswegs häufig, einer Frau gedacht werde, und dass Kurt Franchy neben dem Heimleiter Friedrich-Michael Barth der Heimmutter und den freundlichen Helferinnen des gastlichen Hauses Siebenbürgen dankte.

Dankens- und bedenkenswert schließlich der Vortrag einer Frau, der anrührende Bericht von Ortrun Rhein, der Leiterin des Dr.-Carl-Wolff-Heims in Hermannstadt, die aus der dort herrschenden Not keinen Hehl machte und doch so viel Zuversicht ausstrahlte, wie es nur eine Frau vermag, die Tag für Tag gezwungen ist, die „Möglichkeiten“ neu zu vermessen. Die Auseinandersetzung mit den Behörden ist dabei oft kräftezehrender als der praktische Dienst an den von „stiller Armut“ gezeichneten Menschen, die Abwanderung ausgebildeter Pflegekräfte ist ein chronischer Aderlass, aber Ortrun Rhein und ihre Leute, die die Stellung halten, tun dies auch in dem Bewusstsein, dass hier mitten in Rumänien etwas besteht und fortbestehen muss, das Modellcharakter hat und diesen Charakter auf das gesamte Land mit seinem noch keineswegs europäischen Versorgungsstandard ausstrahlen muss.

Hier war er wieder, der Wille, den Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung, so sachlich konstatierte, dass die Tätigen sich sehr wohl angesprochen fühlen konnten, niemand jedoch sich wohlfeil geschmeichelt vorkommen musste: Rumäniendeutsche in der Bundesrepublik Deutschland aufnehmen und integrieren, das sei nie das Problem gewesen. Seine Sorge sei eine andere. Man dürfe nicht zulassen, dass die Quellen versiegen – oder, siehe oben, verschüttet werden –, aus denen sich die Integrationsbereitschaft dieser Zuwanderer speist: eine unmittelbar praktisch orientierte Frömmigkeit, ein niemals fatalistisches, sondern stets engagiert zupackendes Gottvertrauen, eine nachbarschaftliche Verbundenheit mit einem unbestechlichen Sinn für individuelle Freiheit. Das seien, so Christoph Bergner, „Tugenden“, mit denen die Sachsen das Gemeinwesen bereichern, in das sie eingewandert sind.

Erstrebenswert ist, dass sich dieses Gemeinwesen in Europa auswächst und Landesgrenzen ihm keine Grenzen mehr setzen. Damit es gelingt, hat jener kluge Mann gesagt, muss man es wollen – das Fest und das, was gefeiert wird, denn auch das Vergangene feiert man im Gedanken an die Zukunft, in Sorge und Hoffnung.

Georg Aescht

Schlagwörter: Drabenderhöhe, Altenheim, Adele Zay

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