28. Mai 2015

Paul Jürgen Porr: Siebenbürger Sachsen leben seit Jahrhunderten europäische Werte

In seiner Festrede beim Heimattag in Dinkelsbühl hat Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, aufgezeigt, wie sich die Identität Siebenbürger Sachsen im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat und doch im Wesen erhalten geblieben ist. Überall in der Welt, ob in Siebenbürgen oder in anderen Ländern lebend, hätten sich die Siebenbürger Sachsen vielfach behauptet, integriert, ohne auf ihre Identität zu verzichten. Herausragendes Beispiel sei Klaus Johannis: „Wir sind Präsident“, Identität lohne sich, fügte Porr hinzu. Das europäische Gedankengut, das friedliche interkonfessionelle und interethnische Zusammenleben, sei in Siebenbürgen seit dem Mittelalter gelebt worden. Auch heute setzten sich die Siebenbürger Sachsen im vereinten Europa nach Kräften für ein friedvolles Miteinander ein. Porrs Rede wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender Fabritius, lieber Bernd,
sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin Stamm,
sehr geehrter Herr Vizeaußenminister Böhm,
sehr geehrter Herr Ehrenvorsitzender des DFDR Philippi,
sehr geehrter Herr Bundesobmann Petri,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Hammer,
liebe Ehrengäste, meine sehr verehrten Damen und Herren, läw Landsloigt!
Zu allererst möchte ich mich für die große Ehre bedanken, heute am Mikrofon vor der Schranne zu stehen. Für mich ist es gleichzeitig auch ein Anlass besonderer Freude.

Sie haben Ihren heurigen Heimattag unter das Motto „Identität lohnt sich“ gestellt.

Was bedeutet überhaupt für uns Identität? Sind wir Schäßburger oder Petersdorfer, sind wir Bistritzer oder Zeidner? Sicher sind wir das. Jeder von uns ist, zu gutem Recht, stolz auf seinen Heimatort. Wenige von uns leben noch im Ort ihrer Geburt, aber dieVerbundenheit zu diesem bleibt bestehen. Auch wenn viele nur noch ihre Toten dort haben, bleibt die Verbindung wenigstens über die betreffende Heimatortsgemeinschaft (HOG) erhalten.

DFRD-Vorsitzender Dr. Paul Jürgen Porr während ...
DFRD-Vorsitzender Dr. Paul Jürgen Porr während seiner Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen 2015 in Dinkelsbühl. Foto: Hans-Alfred Schüller (Don ALfredo)
Wir bekennen uns auch zu unserer Region und sagen stolz: Wir sind Burzenländer oder Nösner. Auch das gehört berechtigterweise zu unserer Identität.

Wir sind aber vor allem Siebenbürger Sachsen! Was identifiziert uns als solche? Es ist die gemeinsame, fast 900 Jahre lange, Geschichte. Es sind die Kirchenburgen, die im frühen Mittelalter überall in Siebenbürgen gebaut wurden und die einzigartig in der Welt sind. Es ist unser gemeinsamer Dialekt, auch wenn von Ort zu Ort etwas verschieden. Es sind unsere Sitten und Bräuche, die über die Jahrhunderte erhalten blieben, genau so wie die Sprache. „Mer wällen bleiwen, wat mer sen.“ Dieses steht genau so auch in Luxemburg, bei der Toreinfahrt ins Schloss. Und auch die Luxemburger sind das geblieben, was sie schon immer waren, obwohl da Napoleon und Hitler und andere durchgezogen sind – nämlich das Großherzogtum Luxemburg. So blieben auch die Siebenbürger Sachsen, vor allem auf dem Königsboden, als solche bestehen. Entscheidend waren dabei die Sprache und der sprichwörtliche Gemeinschaftssinn.

Die Sprache wurde über Kirche und Schule gepflegt. Im Westen ist kaum bekannt, dass im finstersten Mittelalter, als es an verschiedenen europäischen Königshöfen noch genügend Analphabeten gab, in Siebenbürgen in jedem sächsischen Dorf ein Pfarrer oder Lehrer die Kinder alle lesen, schreiben und rechnen lehrte. Das Analphabentum war praktisch null!

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Der Gemeinschaftssinn äußerte sich vor allem in den Nachbarschaften. Man half sich bei allen Gelegenheiten: vom Häuserbau bis zum Schweineschlachten, von frohen Festen bis zu Beerdigungen. Dieses waren die Fundamente unserer siebenbürgisch-sächsischen Identität, auch nach 1867, als Siebenbürgen dem Königreich Ungarn einverleibt wurde, und bis ins 20. Jahrhundert. Nach 1918 fand man sich in einem neuen Land wieder – im Königreich Rumänien und lernte auch ander Rumäniendeutsche kennen – Banater Schwaben und Berglanddeutsche, Zipser und Bukowinadeutsche. Man hatte zwar gemeinsame Vertreter im rumänischen Parlament, aber es handelte sich dabei keineswegs um eine Identitätserweiterung. Mer bliwen, wat mer woren ...

In der Nazizeit wurde diese Identität hart auf die Probe gestellt. Auch vorher gab es selbstverständlich Beziehungen zum Mutterland – praktisch jeder sächsische Studierende tat dieses in Göttingen oder Breslau, in Tübingen oder Heidelberg. Aber unter dem Nazieinfluss wollte man „Deutscher“ sein, auch wenn von diesen oft als „Specksachsen“ verlacht, man wollte dem Reich dienen und zog in die Waffen-SS. Dieser Identitätswandel war ganz und gar nicht bekömmlich, weil Kriegsgefangenschaft oder Deportation folgten, wenn nicht sogar der Tod.

Es folgten die Jahre des „siegreichen Sozialismus“, mit Enteignung und Kollektivisierung. Damit verschwanden die Nachbarschaften – ein wesentliches Element unserer siebenbürgisch-sächsischen Identität.

Inzwischen waren schon einige Familienmitglieder im goldenen Westen und damit begannen die Attraktion der Auswanderung und einige Zweifel an der eigenen Identität. Man hatte in Rumänien keine politische Vertretung mehr, außer einer pseudodemokratischen – dem „Rat der Werktätigen deutscher Nationalität“. Als Identitätserhalt blieben nur Sprache, Bräuche und Sitten. Im Westen musste man sich zuerst anpassen, vor allem in Übersee, aber auch in Deutschland und Österreich. Die sprichwörtliche Loyalität der Siebenbürger Sachsen hat sich auch diesmal behauptet – man wurde ein guter und zuverlässiger Mitbürger, egal ob in Kitchener, Ingolstadt oder Vöcklabruck. Man hatte aber dadurch seine Identität nicht aufgegeben. Außer Bibel und Gesangbuch haben sehr viele Ausgewanderte ihre Trachten mitgenommen und wenn man auch öffentlich versuchte, den bayerischen Dialekt zu imitieren, so sprach man zu Hause meist weiter sächsisch. Man versuchte, sowohl in der Heimat als auch in der Wahlheimat von seiner Identität möglichst viel zu retten. Die Heimattage in Dinkelsbühl sind das beste Beispiel dafür.

Und dann kam der Zusammenbruch des Kommunismus. In Rumänien hatte man nun plötzlich wieder Gelegenheit, seine Identität neu zu finden. Die Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien war das wichtigste Bestreben in dieser Hinsicht. Nur der Moment war ein denkbar ungünstiger: Im ersten Halbjahr 1990 fiel die Anzahl der Siebenbürger Sachsen in Rumänien auf die Hälfte, jeder Zweite sass auf gepackten Koffern und man fragte sich bei der Forumsgründung oft zu Recht: „für wen und mit wem“? Den „finis saxoniae“-Rufen aber zum Trotz haben wir damals wiederum mit sprichwörtlicher sächsischer Konsequenz weiter gemacht. Wer hätte damals gedacht, dass z.B. im Hermannstädter Stadtrat die Forumsvertreter die absolute Mehrheit stellen, und das schon im dritten Mandat?! Das ist eine Sache fürs Guinnessbuch. Wer hätte damals gedacht, dass ein Siebenbürger Sachse Staatspräsident Rumäniens werden wird? Ganz bestimmt niemand. Identität hat sich also gelohnt – „Wir sind Präsident“... Aber auch in Drabenderhöhe hat sich der Identitätserhalt gelohnt, auch wenn der dortige Turm nur eine Imitation ist.

Es stellt sich die berechtigte Frage: Was tun wir heute, im 21. Jahrhundert, mit unserer Identität? Nun – wir stellen sie unter das europäische gemeinsame Dach. Wir wollen nicht „globalisiert“ werden, aber wir wollen gute Europäer sein, hier wie dort, die „Fortgelaufenen“ und die „Zurückgebliebenen“ und auch die „Heruntergekommenen“. Europäisch waren die Siebenbürger Sachsen schon immer. Das, was wir heute als europäisches Gedankengut bezeichnen, d.h. friedliches interkonfessionelles und interethnisches Zusammenleben, und das in einigen Gebieten Europas noch Wunschdenken ist (ich denke da nicht nur an den Kosovo, sondern auch an Irland z.B.), das wurde in Siebenbürgen über die Jahrhunderte gelebt, auch wenn es mehr ein Nebeneinander als ein Miteinander war, aber es war ein friedliches! Als in Mitteleuropa der Dreißigjährige Krieg tobte, wurde die Reformation in Siebenbürgen unter Honterus absolut friedlich durchgeführt – es floss kein Tropfen Blut!

In diesem nun vereinten Europa leben wir mit unserer Identität. In diesem gemeinsamen Haus wollen wir nicht nur wohnen, sondern traditionell weiter auch Mittler sein zwischen den anderen Einwohnern. Die Brückenfunktion, von der alle Politiker sprechen, wenn von uns die Rede ist, wollen wir tatsächlich mit Leben erfüllen! In diesem gemeinsamen Haus wollen wir aber ein kleines sächsisches Zimmer, am besten mit Fenster sowohl gegen Westen als auch gegen Osten ...

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Schlagwörter: Heimattag 2015, Identität, Porr

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