3. Juni 2015

70 Jahre Deportation – 30 Jahre Partnerschaft mit der Stadt Dinkelsbühl

Zwei Jubiläen galt es beim diesjährigen Heimattag in Erinnerung zu rufen bzw. zu feiern: einerseits die Russlanddeportation vor 70 Jahren, zum anderen die 30-jährige Partnerschaft des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland mit der Stadt Dinkelsbühl, seit 1951 Austragungsort des alljährlichen Pfingsttreffens der Siebenbürger Sachsen. Aus diesen beiden Anlässen luden die Große Kreisstadt und unser Verband zu einer Gedenk- und Festveranstaltung, die im Rahmen des Heimattagprogramms am 23. Mai in der St.-Pauls-Kirche zu Dinkelsbühl stattfand.
Der Bundesvorsitzende Dr. Bernd Fabritius begrüßte die beiden Festredner Prof. Dr. Jürgen Walchshöfer, Altbürgermeister von Dinkelsbühl, und den Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Peter Leber mit Gattin. Unter den Veranstaltungsgästen hieß Fabritius namentlich auch den Vizeaußenminister Kanadas Dr. Peter Böhm, den Präsidialberater des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis, Sergiu Nistor, den Deutschen Botschafter in Bukarest, Werner Hans Lauk mit Gattin, sowie den CSU-Bundestagsabgeordneten Artur Auernhammer herzlich willkommen.

Die musikalische Umrahmung der feierlichen Veranstaltung gestalteten Ann-Cathrin Hillenbrand (Violine), Kristina Schmid (Violine) und Lisa Seitenberger (Violoncello) mit Triosonaten von Johann Sebastian Bach und Johann Joachim Quantz.

Das Vermächtnis der Deportierten

Als ein Novum wertete es Peter Leber eingangs seiner Festrede, dass ein Bundesvorsitzender einer anderen Landsmannschaft beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen spreche. Das Thema betreffe freilich beide Gruppen, Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben gleichermaßen, da „sie sich im Leid vielleicht näher waren als je zuvor“.
Peter Leber, Bundesvorsitzender der ...
Peter Leber, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben
Vor 70 Jahren wurden rund 120000 Deutsche aus Südosteuropa zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Aus Rumänien waren es über 70000, Frauen und Männer zwischen 17 und 45 Jahren, von denen fast 15000 ihr Leben lassen mussten. In seinen Ausführungen wolle er nicht den historischen Sachverhalt referieren, erklärte Leber, sondern vielmehr darlegen, „wie sich diese Geschehnisse (…) auf die Gemeinschaft auswirkten, welche Spuren sie hinterließen, welchen Einfluss sie auf unser Sein heute haben“.

Damals seien Familien auseinandergerissen, Gemeinschaften zerstört worden. Für die Heimkehrer sei die Deportation eine traumatische Erfahrung geblieben, über die kaum einer reden wollte. Während in Rumänien ein „staatlich verordneter Mantel des Schweigens über dieses Unrecht“ gelegt wurde, hätten die bereits in Deutschland lebenden Landsleute „auch im Konsens mit der aufnehmenden Gesellschaft andere Prioritäten gesetzt“; vorrangig waren nun Existenzgründung und Integration. Erst 1995, da sich die Deportation zum 50. Mal jährte, habe in München eine erste große Gedenkveranstaltung der südostdeutschen Landsmannschaften mit Vertretern der Politik, Wissenschaft, Presse und vielen ehemaligen Deportierten stattgefunden, stellte der Festredner nicht ohne Bitterkeit fest. In der Folge hätten Betroffene begonnen, ihre Erinnerungen niederzuschreiben und zu veröffentlichen. Überdies entstanden dokumentarische Filmbeiträge und wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Die Politik habe sich ihrer Verantwortung besonnen: Seit 1990 werde den Landsleuten mit rumänischer Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Rumänien eine monatliche Entschädigung für die Jahre in der Deportation gewährt, und 2013, „vornehmlich durch den Einsatz des Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius“, diese Entschädigung auf alle ehemaligen Deportierten ausgeweitet, unabhängig von Staatsbürgerschaft und Wohnort. Mindestens genauso wichtig sei für die Betroffenen „die damit verbundene Anerkennung des an ihnen begangenen Unrechts“. In ihrem Roman „Atemschaukel“ habe Herta Müller das Schicksal und die Leiden der Deportierten literarisch verarbeitet und in der öffentlichen Wahrnehmung verankert. Nun, da sich die Reihen der Zeitzeugen immer weiter gelichtet haben, gelte es das Vermächtnis der ehemaligen Deportierten anzunehmen, betonte der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben. Dies schließe für die Nachkommen ein: „ihre Stimme zu erheben, wenn Menschenrechte und Grundwerte bedroht sind; zusammenzustehen, einer für den anderen da zu sein; Solidarität zu üben, wie damals die Großfamilien, in deren Obhut allein die zurückgebliebenen Kinder blieben; trotz schwerer Prüfungen im Glauben Kraft zu finden“. Und Peter Leber bekräftigte: „Das können wir tun.“

„Wir passen zusammen!“

Am 25. Mai 1985 vereinbarten die Stadt Dinkelsbühl und der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland eine Partnerschaft mit dem Ziel, „die gewachsenen Beziehungen zu festigen und zu fördern“. Beide seinerzeit verantwortlichen Amtsträger wohnten der Festveranstaltung zum 30-jährigen Bestehen der Partnerschaft bei, der damalige Bundes- und heutige Ehrenvorsitzende Dr. Wolfgang Bonfert mit seiner Gattin Ingeborg ebenso wie Prof. Dr. Jürgen Walchshöfer, der, nun Altbürgermeister von Dinkelsbühl, die Festrede hielt (Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer war nicht zugegen).
Festredner Prof. Dr. Jürgen Walchshöfer, ...
Festredner Prof. Dr. Jürgen Walchshöfer, Altbürgermeister von Dinkelsbühl
Der Festakt vor 30 Jahren sei ihm noch in lebhafter Erinnerung, sagte Walchshöfer: „Manchmal kommt es mir so vor, als wäre dieses Ereignis erst gestern gewesen, manchmal liegt es schon eine Ewigkeit zurück“, besonders eingedenk der vor 25 Jahren erfolgten Wiedervereinigung. Der Festredner rief die Zuhörer auf, mit ihm über Wandel und Kontinuität in ihrem dialektischen Verhältnis mit nachzudenken. Oft habe er sich in den letzten Jahren gefragt, wie es möglich sei, „die Vereinigung der Siebenbürger Sachsen auch in einer veränderten Welt in solcher Stärke und mit solcher Begeisterung gerade der jungen Menschen zusammenzuhalten“. Dieses Phänomen erklärte sich der Experte für Wirtschafts- und Kommunalberatung so: „Das Bewusstsein um die eigene Identität, die Liebe zur Heimat, die Bereitschaft, tradierte Werte weiter zu tragen, die Pflege bewährter Traditionen, alles das zusammen ist vermutlich das Erfolgsrezept.“ Mit anderen Worten auf die Formel gebracht: „Identität stiftet Kontinuität.“

Die Partnerschaft sei die Fortsetzung eines jahrzehntelangen Miteinanders gewesen. Seit nunmehr 30 Jahren könne man diese „so harmonische, partnerschaftliche Verbindung erleben“, befand Walchshöfer und stellte fest: „Wir passen zusammen!“ Man habe sich an die Identität des jeweils anderen gewöhnt. Vor zehn Jahren habe die Partnerschaft in gewisser Weise eine Erweiterung erfahren durch die ins Leben gerufene Städtepartnerschaft zwischen Dinkelsbühl und Schäßburg. Altbürgermeister Walchshöfer ist Vorsitzender des Freundeskreises ­Dinkelsbühl-Schäßburg. Die Partnerschaft Dinkelsbühls mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen habe dieser Städtepartnerschaft allerdings etwas sehr Wichtiges voraus: „dass wir uns beide unserer Identität bewusst sind – dieses beiderseitige Bewusstsein fehlt in der Städtepartnerschaft im Augenblick“. Die offiziellen Kontakte seien derzeit beschränkt.
Interpretierten in der feierlichen Veranstaltung ...
Interpretierten in der feierlichen Veranstaltung Kompositionen von Quantz und Bach: Ann-Cathrin Hillenbrand (Violine), Kristina Schmid (Violine) und Lisa Seitenberger (Violoncello). Fotos: Christian Schoger
Bezogen auf das Deportationsgeschehen vor 70 Jahren betonte der Festredner, Partner der Siebenbürger Sachsen zu sein bedeute auch, „diesen Teil der siebenbürgischen Leidensgeschichte und Identität nicht zu vergessen und gemeinsam besonders wachsam zu sein, dass sich die Geschichte in solchen Aktionen nirgendwo wiederholen kann“. Walchshöfer wünschte der Partnerschaft „eine weiterhin gedeihliche Zukunft in der richtigen Mischung aus Wandel und Kontinuität, aber immer im wachen Bewusstsein unserer jeweils eigenen unverwechselbaren Identität“. Zustimmender Applaus des Publikums.

Christian Schoger

Schlagwörter: Heimattag 2015, Gedenken, Deportation, Jubiläum, Partnerschaft, Dinkelsbühl

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