9. Juni 2022

Bernd Fabritius: Eine starke Stimme für Gerechtigkeit und einen positiven Heimatbegriff

Der Bund der Vertriebenen (BdV) sei der einzige repräsentative Dachverband der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland, betonte BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius in seiner Festrede am 5. Juni beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Der erzwungene Heimatverlust bedeute ein kollektives Trauma bis in die dritte Generation. Aus diesen Erfahrungen heraus fordert der Bund der Vertriebenen „ein weltweites, sanktionsbewehrtes Vertreibungsverbot“. Fabritius übte scharfe Kritik an der aktuellen Entscheidung der Bundesregierung, die Projektförderung für die Kulturarbeit der Vertriebenen und Aussiedler um über eine Million Euro zu kürzen. Zudem forderte der BdV-Präsident eine Gleichbehandlung der Aussiedler und Spätaussiedler im geplanten Härtefallfonds und darüber hinaus eine gerechte Neuregelung im Rentenrecht. Den Heimattag in Dinkelsbühl bezeichnete Fabritius als „schlüssig, stimmig und wunderbar“ und pries ihn als passenden Ort, um die siebenbürgisch-sächsische Kultur und Identität zu pflegen. Die Ansprache von Dr. Bernd Fabritius, der zugleich Ehrenvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland ist, wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius hielt eine ...
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius hielt eine engagierte Festansprache beim Heimattag in Dinkelsbühl. Foto: Siegbert Bruss

Sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender Rainer Lehni,
sehr geehrter Herr Staatsminister Herrmann,
sehr geehrter Herr Bischof Guib,
Herr Oberbürgermeister Hammer,
verehrte Ehrengäste des Heimattages,
liebe Landsleute!

Zum diesjährigen Heimattag der Siebenbürger Sachsen möchte ich Ihnen den Gruß aller Landsmannschaften in Deutschland überbringen, aller 37 Mitgliedsverbände des Bundes der Vertriebenen. Im Namen des Präsidiums des Bundes der Vertriebenen gratuliere ich dem Verband der Siebenbürger Sachsen zur Wiederaufnahme der Tradition des Heimattages in Dinkelsbühl! Viele von uns, ich persönlich, hatten richtig Entzugserscheinungen, zu Pfingsten nicht hier in Dinkelsbühl zu sein, kein buntes, sächsisches Treiben auf dem Markt, kein Grundrauschen aus unterschiedlichen sächsischen Dialekten in den Straßen zu erleben. Wir sind wieder da, liebe Landsleute, und das ist wunderschön! Danke!

Der Verband der Siebenbürger Sachsen ist – zusammen mit weiteren 17 Landsmannschaften, 16 BdV-Landesverbänden und 3 außerordentlichen Mitgliedsverbänden – eine starke Säule im BdV, dem Bund der Vertriebenen.

Der BdV, meine Damen und Herren, ist der einzige repräsentative Dachverband der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland, der uns alle vereint. Es ist dieser Verband, der auf Bundesebene und in den Ländern den umfassenden Repräsentationsanspruch innehat – sowohl für die organisierten als auch für die nicht in den Verbänden organisierten Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler. Für die Interessen eines jeden Einzelnen von uns, ob wir das wissen oder nicht und ob wir uns selbst einbringen – oder nicht.

Es lohnt, einmal gemeinsam darüber nachzudenken, dass wir uns als Siebenbürger Sachsen – trotz unserer eigenen Geschichte, trotz unserer spezifischen Bräuche und der eigenen Mundart – als Teil einer viel größeren Gemeinschaft sehen können, als Teil einer Schicksalsgemeinschaft, die heute mindestens ein Viertel der gesamten deutschen Bevölkerung ausmacht: Es ist die Gemeinschaft der Menschen, die selbst oder deren Eltern und Großeltern ihre Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg verloren haben oder gegen ihren Willen verlassen mussten.

Der erzwungene Heimatverlust wirkt als Trauma bis in die dritte Generation

Uns eint der erzwungene Heimatverlust. Sei es durch Flucht und Vertreibung im direkten Bezug zum Krieg oder in den darauf folgenden Jahrzehnten, geprägt von Deportation, Entrechtung, Enteignung, Ausgrenzung: Dieser Heimatverlust prägt das Leben der Betroffenen und ihrer Kinder, lenkt Entscheidungen und traumatisiert in vielen Fällen bis in die Enkelgeneration. Man spricht von einem kollektiven Trauma bis in die dritte Generation der Heimatvertriebenen hinein.

Entschädigungszahlungen für die Kinder von Russlanddeportierten

Es ist daher richtig und hoch anerkennenswert, liebe Frau Botschafterin Stănescu, dass Rumänien nun auch den Kindern der Opfer von Deportation und Entrechtung eine Entschädigung zahlt. Ich ermuntere Sie, liebe Landsleute, stellen Sie die Anträge, auch wenn das Verfahren lange dauert. Die Leistung entschädigt zu Recht für verlorene Kindheit, wenn die Eltern etwa für Jahre in Deportation verschleppt wurden und ihre Kinder hoch traumatisiert bei Fremden zurückbleiben mussten. Ich danke dem Verband der Siebenbürger Sachsen für die regelmäßige Information und auch dem in München ansässigen Deutschen Roten Kreuz für die Arbeit bei der Ermittlung der Belege für diese lange zurückliegende traumatische Zeit, für das auch heute noch spürbare Unrecht.

Passiver Vertreibungsdruck im Kommunismus

Auch wir Siebenbürger Sachsen haben Flucht erlebt. Die Nordsiebenbürger unter uns können davon ein trauriges Lied singen. Was Ihnen, liebe Landsleute, was der Mehrzahl unter uns jedoch stärker im Bewusstsein geblieben ist, das sind die Jahrzehnte der kommunistischen Diktatur, die viele von uns erdulden mussten. Das System von Überwachung, Repression und Angst paarte sich für uns Deutsche in Rumänien im Alltag zunehmend mit dem Gefühl, Fremdkörper in der eigenen Heimat zu sein. Diejenigen, die man noch nicht gegen harte D-Mark verkauft hatte, ließ man es spüren, dass sie unerwünscht gewesen sind. Das nennt man einen passiven Vertreibungsdruck. In einfachen Worten würde man sagen: Man musste nicht unmittelbar um sein Leben fürchten und man wurde nicht physisch gezwungen zu gehen, aber das Bleiben wurde einem in den Repressionsjahren Ceaușescus dermaßen schwer gemacht, dass nur noch das Verlassen der Heimat als Ausweg gesehen wurde. Eine Veränderung zum Guten schien damals nicht erreichbar.

Wichtige Aufgaben des Bundes der Vertriebenen

Liebe Gäste des Heimattags, warum diese kurze Rückblende? – Um unseren Blick zu weiten für die anderen Volksgruppen und Landsmannschaften, die ähnlich schlimme kollektive Schicksale erlebt haben. Und um aus der Vergangenheit Aufgaben für die Zukunft herauszumeißeln. Wir sind nicht allein!

Schicksal und Geschichte haben die Heimatvertriebenen aus ganz Mittel- und Osteuropa miteinander verbunden. Der Bund der Vertriebenen und seine Verbände – gerade auch der Verband der Siebenbürger Sachsen – haben Aufgaben zu erfüllen, die wichtig sind und im gesamten Interesse Deutschlands stehen.

Lassen Sie mich nur kurz die Wichtigsten nennen:

• Menschenrechte müssen auf der ganzen Welt gelten.

• Wir fordern daher ein weltweites, sanktionsbewehrtes Vertreibungsverbot.

• Wir erheben die Stimme genauso für die Heimatverbliebenen, also die Landsleute in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die heute noch dort leben. Und wenn die Benachteiligungen durch Staat oder Gesellschaft deren Bestand gefährden, dann sind wir gefordert. Ich nenne heute nur unsere Landsleute in Polen, denen durch aktive aktuelle staatliche Diskriminierung die Muttersprache streitig gemacht, ja ausgetrieben werden soll.

• Wir setzen uns für die Spätaussiedler ein, die heute noch zu uns kommen, um deren Wiederbeheimatung in Deutschland zu festigen, und ja – wir bringen selbstverständlich unsere Erfahrung auch dann ein, wenn es um die Integration anderer Menschen geht, die heute als Flüchtlinge oder Vertriebene nach Deutschland kommen.

Danke an dieser Stelle allen Landsleuten, Ihnen allen, die sich an der Spendenaktion des BdV und der Landsmannschaften für unsere Landsleute in der Ukraine beteiligt haben. Ich war vor wenigen Tagen selbst in der Ukraine und habe dort Menschen erleben müssen, die noch vor Tagen vor Bomben aus den Kellern in ihren Siedlungsgebieten fliehen mussten; Frauen und Kinder, die ihre Männer im Krieg zurückgelassen haben. Es ist schwer, nach solchen Erlebnissen wieder im Alltag anzukommen.

• Wir setzen uns mit Nachdruck auch dafür ein, das kulturelle Erbe der Vertriebenen und Spätaussiedler sowie die aktive Kulturarbeit zu erhalten und nachhaltig weiterzuentwickeln. Ich nenne hier, auch gerade weil Bischof Guib da ist, die einmalige Kirchenburgenlandschaft in Siebenbürgen, mit deren Sicherung weder die Evangelische Kirche als rechtlicher Eigentümer noch die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft als moralischer Eigentümerin alleine gelassen werden dürfen! Für diese nationalen Kulturdenkmäler in Rumänien von Weltrang ist zuerst der rumänische Staat gefordert, angemessen Verantwortung zu übernehmen, und auch Deutschland ist hier gefordert, sich an der Sicherung dieses gesamtdeutschen kulturellen Erbes zu beteiligen.

Ich spreche hier erneut einen Dank aus, dass auf Initiative und unter Schirmherrschaft unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und des Präsidenten Rumäniens Klaus Werner Johannis die Stiftung Kirchenburgen gegründet wurde. Was sie auf den Weg gebracht haben, ist wegweisend. Ich danke herzlich dafür. Ich danke natürlich auch allen Landsleuten, allen Heimatortsgemeinschaften, allen Gliederungen des Verbandes, die in dieser Sache viel, viel Ehrenamtliches leisten.

Kritik an Kürzungen der Kulturarbeit

Und ich habe kein Verständnis dafür, wenn die aktuelle Bundesregierung die Projektförderung für genau diese, unsere Kulturarbeit um über eine Million Euro kürzt, so wie das letzte Woche erfolgt ist. Es ist die falsche Entwicklung und wenn ich weiß, dass gleichzeitig der Kulturetat um sieben Prozent steigt, dann geht es nicht um Kürzung, um Sparen, sondern um Veränderung zum Schlechten, und dafür habe ich kein Verständnis!

Ganz besonders wichtig ist uns, die Verantwortung für das Schicksal unserer Gemeinschaft im kollektiven Bewusstsein unseres ganzen Landes, unserer Gesellschaft und des Staates zu verankern.

Einsatz für gerechte Renten für Aussiedler und Spätaussiedler

Nach wie vor ist der Einsatz des BdV gegen die Benachteiligung von Aussiedlern und Spätaussiedlern im Rentenrecht ein gemeinsames und drängendes Thema, das du, lieber Rainer Lehni, zu Recht angesprochen hast.

In meiner Zeit als Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung habe ich immer wieder die Einstandspflicht Deutschlands für das Kriegsfolgenschicksal der Aussiedler und Spätaussiedler betont. Zusammen mit dem BdV und in Solidarität mit allen in ihm vereinten Landsmannschaften haben wir mehrfach die Korrektur des Rentenrechts gefordert, um die personenkreisspezifischen Benachteiligungen zu beseitigen. Leider wurde dieses vom dafür zuständigen Bundesarbeitsministerium beharrlich blockiert. Und auch gestern habe ich in der Botschaft der Bundesregierung kein Wort dazu vernommen.

Der im letzten Jahr im Bundeshaushalt für 2022 im Bereich der Grundsicherung verankerte Härtefallfonds für Spätaussiedler ist noch nicht beschlossen – er wäre ein gutes und wichtiges Zeichen, um die Lage der Betroffenen auch nur ein bisschen zu mildern.

Aber auch hier liegt der Teufel im Detail. Und ich bitte dich, lieber Joachim Herrmann, um die Unterstützung des Freistaates Bayern, wenn es darum geht, die Fehler im Konzept zu bereinigen. Das zuständige Sozialministerium in Berlin und die aktuelle Bundesregierung wollen die deutschen Aussiedler – also alle vor 1993 zugezogenen Landsleute – aus dieser Regelung vollständig ausschließen und nur Spätaussiedler, also die nach 1993 gekommen sind, einbeziehen. Das ist grob ungerecht, es gibt keinerlei sachlichen Grund und es verletzt das Prinzip des Vertrauensschutzes. Diejenigen, die vor 1993 gekommen sind, durften darauf vertrauen, dass wir für das Kriegsfolgenschicksal einstehen. Ich fordere daher eine Gleichbehandlung aller Aussiedler und Spätaussiedler in diesem Gesetzesprojekt!

Und natürlich wird sich der Bund der Vertriebenen, flankiert vom Verband der Siebenbürger Sachsen, aber auch den Banater Schwaben, von denen ich gestern aus Ulm beste Grüße mitbringen soll, ebenso von den vielen Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion, den Russlanddeutschen, weiterhin für eine Beseitigung der Kürzungen und eine gerechte Neuregelung im Rentenrecht einsetzen.

"Die Stärke eines Verbands bemisst sich auch an der Anzahl der Mitglieder"

Für das Agieren im Schulterschluss, lieber Rainer Lehni, bedanke ich mich als BdV-Präsident ganz herzlich. Gemeinsam ist man eben stärker, gemeinsam ist die Stimme lauter und die Forderung gewichtiger. Und es ist genau so, wie der Bundesvorsitzende Rainer Lehni es vorhin gesagt hat: Die Stärke eines Verbands bemisst sich auch an der Anzahl der Mitglieder, die den Verband tragen. So widersprüchlich es sich anhören mag, aber selbst die Interessen einzelner Betroffener lassen sich im Kollektiv erfolgreicher durchsetzen, als wenn jeder für sich alleine strampeln muss.

Festigung der siebenbürgisch-sächsischen Identität

Neben dem, was die Landsmannschaft, der heutige Verband der Siebenbürger Sachsen für unsere Landsleute erreicht hat, möchte ich einen wichtigen Aspekt hervorheben, den auch du, lieber Joachim Herrmann zum Schluss angesprochen hast: Es ist die Festigung der eigenen kulturellen und der eigenen Werte-Identität, die Festigung der Identität der Siebenbürger Sachsen. Und da sage ich ganz deutlich: es ist leichter, schöner und vor allem unterhaltsamer, ein Siebenbürger Sachse zu sein – und vor allem zu bleiben! –, wenn man dies zusammen mit anderen ist. Am besten als Mitglied des Verbandes der Siebenbürger Sachsen. Wir erleben gerade in diesen Tagen in Dinkelsbühl, wie schön es ist, Siebenbürger Sachse zu sein.

Liebe Landsleute, Siebenbürger Sachse ist man nicht nur zu Pfingsten und auch nicht nur im Sommer, Siebenbürger Sachse ist man immer und überall; zuhause, im Urlaub und am Arbeitsplatz. Wir sind stolz darauf, zu diesem kleinen, feinen Kulturvolk zu gehören. Unsere Geschichte reicht zurück bis in die Anfänge des Hochmittelalters. Wir wissen, woher wir kommen, und mit einem kleinen Augenzwinkern für noch Unwissende: Nein, Siebenbürger Sachsen ist keine weniger bekannte Region in den neuen Bundesländern… Geographisch liegt Siebenbürgen in Südosteuropa, im Herzen des heutigen Rumänien. Und wir alle tragen unsere Heimat Siebenbürgen im Herzen.

Für einen positiven Heimatbegriff

Das innere Bild unserer Heimat ist so individuell wie die Menschen, die es in sich tragen. Es finden sich darin Pinselstriche der Kindheit und des Glücks, der Feste und Feiern mit geliebten und mit ungeliebten Menschen, der großen, fröhlichen Hochzeiten und der schmerzhaften Beerdigungen unter Anteilnahme eines ganzen Dorfes.

Unser Heimatbild ist zum großen Teil sehr persönlich, in kleinen Teilen kollektiv. Es ist von Glück und Trauer, von Erinnerung und unerfüllten Erwartungen, von vertrauten Menschen und Neugierde auf das Fremde geprägt. Es ist unsere Heimat, die uns zu Pfingsten hier in Dinkelsbühl zusammenruft. Jeder, wirklich ein jeder Einzelne spürt hier und heute, welch positive Kraft dieses Band der Heimat in uns entfaltet. Die Energie des Heimattages wird noch lange vorhalten und jeden von uns über die nächsten Wochen und Monate des Alltags tragen.

Ich bitte Sie aus ganzem Herzen, und hier bin ich ganz nah bei Joachim Herrmann: Lassen wir uns niemals die positiven Gefühle, die wir am Heimattag verspüren, von anderen zerreden, umdeuten oder gar ausreden! Unser Heimatbegriff ist nicht negativ besetzt! Unser Heimattag ist schlüssig, er ist stimmig und er ist wunderbar.

Ich wünsche Ihnen einen herrlichen Heimattag, danke für die Aufmerksamkeit, die Sie meinen Worten entgegengebracht haben, und zum Abschluss: En hiischen Fuistdach uch alles Geadet.

Schlagwörter: Heimattag 2022, Bernd Fabritius, BdV, Renten, Kulturförderung

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