26. Mai 2024

„Unsere Identität als Siebenbürger Sachsen, Deutsche und Europäer in Frieden und Freiheit bewahren“: Volker Dürr hält Rede an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen

Angeführt von der Knabenkapelle Dinkelsbühl, schritt der Fackelzug am Pfingstsonntagabend durch die Straßen Dinkelsbühls hin zu der den Opfern von Krieg, Verfolgung, Flucht und Vertreibung geweihten Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in der Lindenallee der Alten Promenade. Dort hielt der Altbundesvorsitzende und Altföderationsvorsitzende Dipl. Ing. Arch. Volker Dürr die traditionelle Rede an der Gedenkstätte - ein Programmbeitrag der den Heimattag 2024 mitausrichtenden Landesgruppe Nordrhein-Westfalen. Die Ansprache wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Volker Dürr sprach an der Gedenkstätte der ...
Volker Dürr sprach an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Foto: Christian Schoger
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer, sehr geehrte stellvertretende Bürgermeisterin Frau Nora Engelhard, sehr geehrter stellvertretender Bürgermeister Herr Georg Piott, sehr geehrte Ehrengäste, liebe Dinkelsbühlerinnen und Dinkelsbühler, liebe Landsleute!

„75 Jahre Gemeinschaft – Mach mit!“ lautet das Motto des diesjährigen Heimattages. Der darin enthaltenen expliziten Aufforderung zur Beteiligung sind viele Menschen gefolgt, erfreulicherweise auch viele junge Menschen, Alte und Junge haben gemeinschaftlich das Programm des Heimattages aktiv mitgestaltet, sei es in einer der Tanzgruppen, Blaskapellen, beim Trachtenumzug oder als Darsteller in einem siebenbürgischen Theaterstück, einer Ausstellung, einem Konzert u.a.m. Die Veranstaltung am heutigen Abend an der zentralen Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Deutschland ist eine besondere, worauf ich später noch genauer eingehen werde. Dazu tragen nicht nur siebenbürgisch-sächsische Akteure bei, dazu trägt auch in besonderer Weise die traditionell und alljährlich an dieser Feierstunde mitwirkende Dinkelsbühler Knabenkapelle bei. Den Musikern und ihrem Dirigenten möchte ich unseren großen Dank dafür aussprechen, dass sie dieser Feier- und Gedenkstunde einen wunderbaren, immer wieder würdigen musikalischen und optischen Rahmen geben.

Mein Dank gilt auch allen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Dinkelsbühl, die seit 73 Jahren bereit sind, die Tore ihrer Stadt mit großer Gastfreundschaft für die heimatliche Zusammenkunft der über die ganze Welt zerstreut lebenden Siebenbürger Sachsen zu öffnen. Link zum Video Fackelzug, Feierstunde und Großer Zapfenstreich an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl 2024. Video: Günther Melzer Liegt diese Bereitschaft nicht vielleicht auch in unserer beider geschichtlichen Vergangenheit begründet? Die Stadt Dinkelsbühl hat ihre Stadtgemeinschaft im Dreißigjährigen Krieg wehrhaft geschützt, verteidigt und schließlich ihren Fortbestand durch die friedliche, kampflose Übergabe ihrer Stadt am 11. Mai 1632 an die Schweden gesichert. Auch unsere siebenbürgischen Vorfahren haben ihre Siedlungen, Kirchenburgen und Städte, die sie auf der Grundlage des „Goldenen Freibriefs“ von 1224 – des Andreanums – in Siebenbürgen, unserer alten Heimat, errichteten, gegen äußere Feinde wehrhaft gesichert und erhalten. Aber nicht nur darin, sondern auch im äußeren Erscheinungsbild von Dinkelsbühl und dem siebenbürgischen Schäßburg gibt es große Ähnlichkeiten. Die 2006 gegründete Städtepartnerschaft zwischen Dinkelsbühl und Schäßburg, für die ich mich als damaliger Bundesvorsitzender auf der ersten Reise einer Delegation des Dinkelsbühler Rates nach Schäßburg einsetzen durfte, führt mittlerweile zu vielen fruchtbaren Begegnungen zwischen Jugendlichen und anderen Bürgerinnen und Bürgern der beiden Partnerstädte.

Welches sind aber die tieferen Gründe dafür, dass wir Siebenbürger Sachsen hier in Dinkelsbühl zum 74. Heimattag zusammenkommen und uns heute Abend an diesem Ort versammeln? Antworten finden wir im Rückblick auf die vergangenen über acht Jahrhunderte, in denen auch unserer siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft existenzbedrohende Prüfungen nicht erspart blieben, von denen ich nur die wichtigsten nennen möchte:
  • zum Ersten die Aufhebung der Sächsischen Nationsuniversität im Zuge des Ausgleichs zwischen Ungarn und Österreich, was auf einen Verlust der politischen Selbstverwaltung der Siebenbürger-Sachsen hinauslief, verbunden mit der Aufhebung von territorialen Sonderrechten
  • des Weiteren die Auswanderung aus der siebenbürgischen Heimat aus wirtschaftlicher Not vor 125 Jahren nach Nordamerika, die zur Gründung der Alliance of Transylvanian Saxons führte,
  • sodann die Evakuierung der Nordsiebenbürger nach dem 23. August 1944 vor der heranrückenden russischen Front im sog. Treck zunächst nach Österreich, später auch nach Westdeutschland, vorrangig nach Nordrhein-Westfalen im Zuge der sog. „Kohleaktion“ 1953, aber auch nach Kanada, in deren Folge schließlich 1960 die Vereinigung der Siebenbürger Sachsen von Kanada gegründet wurde,
  • schließlich die Deportation von 70 000 Rumäniendeutschen im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in den Donbass in der damaligen Sowjetunion
  • aber auch das unfreie Leben während vier Jahrzehnten kommunistischer Diktatur, in der der Geheimdienst Securitate die Menschen überwachte, bespitzelte und durch Intrigen und Verleumdungen psychische und körperliche Gewalt ausübte, hatte eine einschüchternde und zersetzende Wirkung auf die Gesellschaft mit bis heute spürbaren Folgen. Die Literaturpreisträgerin Herta Müller hat dies in ihren Romanen eindringlich geschildert. Auch mir persönlich sind solche bedrängenden Erlebnisse nicht fremd. Ich hatte aber das Glück, sie in jungen Jahre hinter mir lassen zu können.
  • Nicht zu vergessen die Enteignung, Entrechtung, politische Verfolgung und Diskriminierung der deutschen Bevölkerung Rumäniens sowie auch der Freikauf politisch verfolgter Siebenbürger Sachsen durch die deutsche Bundesregierung
  • und daraus folgend schließlich die massenhafte Auswanderung von Angehörigen unserer Volksgruppe der Siebenbürger Sachsen nach Deutschland nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989.
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vor 75 Jahren am 23. Mai 1949 haben die in Deutschland lebenden Rumäniendeutschen schon am 26. Juni desselben Jahres den „Verband der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben“ in München ins Leben gerufen, der nach der Gründung eines eigenen Banater Verbandes ab 1951 als „Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.“ weitergeführt wurde.

Die Aufgabenbereiche des landsmannschaftlichen Verbandes und der seit 1983 gegründeten Föderation der Siebenbürger Sachsen, der unsere Landsleute aus USA, Kanada, Österreich, Deutschland und seit 1993 aus Siebenbürgen/Rumänien angehören, waren die heimatpolitische Vertretung, die Individualbetreuung, die Zusammenführung der zerrissenen Familien zu Zeiten des Eisernen Vorhangs und sind heute verstärkt die Erhaltung und Sicherung unseres siebenbürgischen Kulturgutes.

Hierbei wird unser landsmannschaftlicher Verband nicht nur von vielen Heimatortsgemeinschaften (HOGs), Stiftungen und Privatinitiativen unterstützt, sondern hoffentlich auch weiterhin seitens der Bundesregierung, seitens unseres Patenlandes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Dinkelsbühl.

Die im Jahr 1985 geschlossene Partnerschaft zwischen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und der Stadt Dinkelsbühl ist über Jahrzehnte gewachsen: Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir bereits 1967 hier in Dinkelsbühl eine Gedenkstätte errichten durften. Der Oberbürgermeister dieser Stadt, Dr. Christoph Hammer, bezeichnete sie als Symbol der Verbundenheit zwischen den Siebenbürger Sachsen und Dinkelsbühl, ein Mahnmal für die Nachgeborenen, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Heute Abend stehen wir nun ein weiteres Mal an dieser Stelle, um gemäß der Inschrift des Denkmals gemeinsam der Söhne und Töchter Siebenbürgens, die in zwei Weltkriegen und den schweren Nachkriegszeiten ihr Leben ließen – im Norden, im Süden, im Osten, im Westen, auf der Flucht, hinter Stacheldraht, in der Heimat, zu gedenken. Ihr Schicksal lehrt und verpflichtet uns, für eine Zukunft einzutreten, in der Frieden, Freiheit, Toleranz und Versöhnung an erster Stelle stehen.

Vier Bundesvorsitzende beim Gruppenbild an der ...
Vier Bundesvorsitzende beim Gruppenbild an der Gedenkstätte, flankiert von siebenbürgisch-sächsischen Trachtenträgerinnen und Trachtenenträgern der mitausrichtenden Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, von links: Volker Dürr, Rainer Lehni, Herta Daniel und Bernd Fabritius. Foto: Günther Melzer
„Nie wieder Krieg!“ lautet die Botschaft, die von diesem Denkmal ausgeht. Und selbstverständlich wünschen wir alle uns Frieden. Die Realität belehrt uns aber eines anderen: Vor dem aktuellen Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, der eine fundamentale Bedrohung der Nachkriegsordnung darstellt, befinden wir uns in einer Zeitenwende, sind wir in Europa plötzlich mit Herausforderungen konfrontiert, die wir überwunden glaubten.

Fast 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs herrscht in Europa wieder Krieg, der uns unmittelbar angeht, nicht nur wegen der über eine Million Flüchtlinge, die wir allein in Deutschland aufgenommen haben. Wir unterstützen die angegriffene Ukraine gegen den Aggressor. Dabei ist uns wieder schmerzlich bewusst geworden, dass Frieden – auch für uns in Deutschland – keine Selbstverständlichkeit mehr ist und wir für ihn kämpfen müssen. Damit meine ich auch den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land. Uns bleibt keine andere Wahl, als unsere demokratischen Gesellschaften in Europa gegen jegliche Aggression sowohl von innen als auch von außen wehrhaft zu verteidigen!

Meine Damen und Herren, liebe Landsleute, für die gegenwärtige Situation fand unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die folgenden richtungsweisenden Worte: „[Aber] unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt“.

Möge es uns und vor allem unserer Jugend vergönnt sein und gelingen, unser kulturelles Erbe, unsere Bräuche, unsere kulturellen Einrichtungen und Institutionen und damit unsere Identität als Siebenbürger Sachsen, Deutsche und Europäer in Frieden und Freiheit zu bewahren und integrativ weiterzuentwickeln!

Zum Schluss rufe ich Sie alle im Sinne des Heimattags-Mottos auf: Machen Sie weiterhin mit bei der Gestaltung der Zukunft unserer Gemeinschaft und unserer Gesellschaft! Ich glaube, das wäre sicher auch im Sinne derjenigen, derer wir heute hier gedenken. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Schlagwörter: Heimattag 2024, Dinkelsbühl, Gedenkstätte, Volker Dürr, Rede

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