22. Juni 2007

„Historisches Erbe für die Zukunft entwickeln“

In einer Entschließung unter dem Titel „Positionen 2007. Gerechtigkeit – Solidarität – Verständigung“ hat der Bund der Vertriebenen (BdV) die wichtigsten Ziele und Aufgaben des Dachverbandes bestimmt. Das Positionspapier wurde von der BdV-Bundesversammlung am 9. Juni in der Hessischen Landesvertretung in Berlin verabschiedet. Im Rückblick auf das verflossene Jahr stellte BdV-Präsidentin Erika Steinbach zwei gegensätzliche Entwicklungen fest: „Einerseits schrumpft die Erlebnisgeneration. Die Zahl der Menschen nimmt ab, die uns als Zeitzeugen berichten können.“ Andererseits habe das Thema Vertreibung der Deutschen erfreulicherweise eine Intensität im öffentlichen Bewusstsein erlangt wie nie zuvor.
Für ihre Verdienste um die Menschenrechte wurde die bayerische Landtagsvizepräsidentin Barbara Stamm mit der Ehrenplakette des BdV ausgezeichnet. Die CSU-Politikerin sei als Staatssekretärin und Staatsministerin vor und nach der „Wende“ 1989/90 stets ein fairer und aufgeschlossener Partner der Vertriebenen und Aussiedler und auch der Deutschen in den Heimatgebieten gewesen. Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, die Mitglied im BdV ist, war bei der Bundesversammlung durch ihren Bundesvorsitzenden Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr vertreten.

Das bürgerschaftliche Engagement habe sich in allen Landsmannschaften sowie Landes- und Kreisverbänden des BdV „bei der Eingliederung, der Kulturarbeit und der Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn bewährt und zu einer gelungenen Eingliederung der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler maßgeblich beigetragen“, heißt es im Positionspapier.

Einsatz für das kulturelle Erbe

Als eines der wichtigsten Ziele definiert der BdV die Bewahrung und Entwicklung „des historischen Erbes für die Zukunft“. Bund und Länder hätten dabei ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, das Kulturgut des historischen deutschen Ost- und Siedlungsgebiete zu erhalten und weiterzuentwickeln. Neben den bestehenden Landesmuseen sollten bisher fehlende Museen der Sudetendeutschen, Russlanddeutschen und für Ost-Brandenburg eingerichtet werden. „Bestehende landsmannschaftliche Museen sollen wieder institutionell gefördert werden“, heißt es in einem Passus, der auf Initiative des Bundesvorsitzenden Landsmannschaft, Volker Dürr, in das Papier des BdV aufgenommen wurde.

Die kulturelle Breitenarbeit der Landsmannschaften als Träger der kulturellen Identität sei wieder personell und sachlich angemessen zu fördern, erneut durch den Einsatz hauptamtlicher, landsmannschaftlicher Kulturreferenten. Des Weiteren setzt sich der BdV dafür ein, dass die Geschichte der Vertreibungen und das Schicksal der davon Betroffenen in universitären Einrichtungen erforscht sowie verbindlicher Bestandteil der Lehrpläne für die Schulen wird. Baden-Württemberg sei diesbezüglich ein Vorbild, erklärte die BdV-Präsidentin Erika Steinbach, dem sich Länder wie Hessen, Sachsen und Niedersachsen angeschlossen hätten. „Die Kultur der Vertriebenen ist integraler Bestandteil der gesamtdeutschen Kultur und steht weder neben noch außerhalb dieser.“

Gedenktag für Opfer von Vertreibung und Deportation

Ein nationaler Gedenktag für die Opfer von Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit soll auf Anregung des BdV in Deutschland eingeführt werden. An dem Tag solle nicht nur der Opfer gedacht, sondern auch der Versöhnungswille der deutschen Vertriebenen gewürdigt und Vertreibung als Mittel von Politik geächtet werden.

Europäischer Rahmen für "Zentrum gegen Vertreibungen"

Ebenfalls im Geiste der Versöhnung hat der Bund der Vertriebenen im September 2000 die gemeinnützige Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ gegründet. Die Stiftung verfolgt das Ziel, den deutschen Vertriebenen im geschichtlichen Kontext das Gedenken an ihre Opfer zu ermöglichen. Ganz bewusst nimmt sie auch Anteil am Schicksal anderer Vertriebener in Europa. Damit will sie dazu beitragen, Verständigung über geschichtliche Gräben hinweg zu erreichen und Vertreibung als Mittel von Politik zu ächten. Im BdV-Positionspapier heißt es: „Im Einzelnen erwarten wir, dass die Erinnerung an das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen als staatliche Aufgabe umgesetzt wird. Rund ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands ist persönlich und familiär von Flucht, Vertreibung und Aussiedlung betroffen. Ihr Schicksal ist Teil der gesamtdeutschen Identität. Das geschichtliche und kulturelle Erbe der Deutschen aus den historischen Ostgebieten und den Siedlungsgebieten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist Bestandteil der deutschen Identität und darüber hinaus der europäischen Kultur. Es gilt, ihr kulturelles Erbe zu pflegen und fortzuentwickeln. Nachwachsende Generationen haben einen Anspruch darauf, davon auch in Zukunft zu erfahren und diese Kultur auch weiter zu tragen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel macht sich stark

Die Einrichtung einer Dokumentations- und Begegnungsstätte zu Flucht und Vertreibung sei eine „längst überfällige Verpflichtung Deutschlands“, zu der sich auch die derzeitige Bundesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung bekannt habe, erklärte Erika Steinbach. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte sich einem Bericht des Rheinischen Merkur zufolge kürzlich in einem Gespräch mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann dafür stark, dass sowohl der Bund der Vertriebenen als auch die Repräsentanten der Betroffenen in die Vorbereitungen des Zentrums mit einbezogen werden. In Tschechien, Polen, aber auch unter einigen Sozialdemokraten in Deutschland gibt es indes starke Vorbehalte gegen ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin, da eine Revision des deutschen Geschichtsbildes befürchtet wird. Die Stiftungsgründer, Erika Steinbach und der inzwischen verstorbene SPD-Politiker Peter Glotz, hatten allerdings von Anfang klar gemacht, dass es ihnen nicht allein um das Schicksal der Deutschen, sondern auch um die europäische Dimension, die Vertreibung anderer Völker, gehe. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erklärte Hessen vor kurzem zum Patenland der Stiftung. Sein bayerischer Amtskollege Edmund Stoiber will, ermuntert von der bayerischen SPD, dem Beispiel folgen.

Bundesvorsitzender Volker Dürr überreichte in Berlin 5 000 Euro als ersten Betrag seitens der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen für die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ an Präsidentin Erika Steinbach.

Öffentlichkeitswirksame Ausstellungen

Die Ausstellung „Erzwungene Wege“, die im vorigen Jahr in Berlin gezeigt wurde, nannte Steinbach einen großen Erfolg. Sie kündigte an, daraus eine Wanderausstellung zu konzipieren, die ab 17. Juni in der Frankfurter Paulskirche und ab November 2007 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München gezeigt werden soll. Für nächstes Jahr ist eine Ausstellung über Kultur- und Siedlungsgeschichte der deutschen Vertriebenen geplant. Der Bund der Vertriebenen fordert in seinem Positionspapier eine verbindliche Regelung offener Vermögensfragen. „Im Verhältnis zu einigen unserer östlichen Nachbarstaaten, nicht nur zur Tschechischen Republik und zur Republik Polen, gibt es offene Fragen, die das Unrecht der Vertreibung und das Unrecht der völkerrechtswidrigen Enteignungen der deutschen Vertriebenen sowie das Fortbestehen völkerrechtswidriger Dekrete betreffen.“ Von Seiten der Vertriebenen sei dieses Problem nicht zu lösen, auch nicht vom Bund der Vertriebenen. Es sei eine staatliche Aufgabe, eine verbindliche Lösung zu finden und eine dauerhafte Befriedung herbeizuführen. „Im Sinne eines zusammenwachsenden Europas sollten die Wunden der Vertreibungen versorgt und geschlossen werden, damit die Europäische Union ihrer Aufgabe als Friedenswerk gerecht werden kann“, heißt es in der BdV-Entschließung.

Lobbyarbeit für Spätaussiedler

„Den Spätaussiedlern gehört unsere ganze Solidarität“, stellt der Vertriebenverband fest. Die Aufnahme und Eingliederung der Spätaussiedler seien nach wie vor zentrale Aufgaben der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb erwarte man von der Bundesregierung, „dass sie Bedingungen für eine nachhaltige Eingliederung schafft, indem sie bei der Rente für die ältere Generation großzügigere Übergangsregelungen schafft und in diese auch Betroffene einbezieht, die keine Rechtsmittel gegen ihre Bescheide eingelegt hatten, sowie die Situation abgelehnter Spätaussiedlerbewerber deutscher Volkszugehörigkeit im Bundesgebiet verbessert.“ Zudem sollte sich die Regierung verstärkt dafür einsetzen, dass im Bewusstsein der bundesdeutschen Bevölkerung deutlich werde, „dass Spätaussiedler eine vielfältige Bereicherung für unser Land darstellen“. Dazu tragen Maßnahmen bei, die die Toleranz, Akzeptanz und den wechselseitigen Respekt stärken. Zu guter Letzt stellt sich der Bund der Vertrieben an die Seite der deutschen Volksgruppen und Minderheiten in ihren Heimat- und Wohngebieten: „Wir erwarten, dass Deutschland auch weiterhin seinen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Volksgruppen und Minderheiten leistet, insbesondere auf dem Gebiet der Kultur und der Begegnung ist diese Hilfe unverzichtbar. Von den östlichen Nachbarn erwarten wir, dass Volksgruppen- und Minderheitenrechte beachtet, verankert und umgesetzt werden.“

Siegbert Bruss

Schlagwörter: BdV, Vertriebene und Aussiedler, Flucht und Vertreibung

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