21. Mai 2008

Podiumsdiskussion: „Unser Verband. Unsere Gemeinschaft. Unsere Zukunft“

Die Frage nach der Zukunft unserer siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft im zusammenwachsenden Europa des 21. Jahrhunderts ist engstens verknüpft mit der Identitätsfrage. Aufgabenspektrum und Profil unseres Verbandes unterliegen dem Wandel der Zeiten. Von dem verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, einem Partner und Freund der Siebenbürger Sachsen, stammt der Ausspruch: „Wer nicht handelt, wird behandelt.“ Der Fort­bestand der sächsischen Gemeinschaft, die seit einem Vierteljahrhundert in der weltweiten Föderation der Landsleute in Siebenbürgen, Deutschland und Österreich, den USA und Kanada vernetzt ist, hängt von der aktiven und solidarischen Mitgestaltung ihrer Mitglieder ab. Mit diesem brisanten Themenfeld setzten sich am 12. Mai, zum Abschluss des Pfingst­treffens in Dinkelsbühl, Repräsentanten der siebenbürgisch-sächsischen Verbände aus Siebenbürgen, Öster­reich und Deutschland, Vertreter aus Kirche, Politik und Jugend auseinander.
Die Podiumsdiskussion im gefüllten Kleinen Schrannensaal stand unter dem Motto: „Unser Ver­band. Unsere Gemeinschaft. Unsere Zu­kunft“. Es moderierte die aus Hermannstadt ge­bür­­tige Politikwissenschaftlerin Dr. An­neli Ute Gabanyi (Berlin). Die ausgewiesene Rumänien­expertin, Mitglied im Bundesvorstand des Ver­bandes der Siebenbürger Sachsen in Deutsch­land, führte zunächst ins Thema ein, das den „zeitlosen philosophischen Dreiklang“ enthalte: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wir, d. h. unsere siebenbürgische Gemein­schaft, ist nach Auffassung von Dr. Gabanyi wieder einmal an einem Zeitpunkt angelangt, an dem das Neudenken dieses Dreiklangs ansteht. Nach dem Ende des Kalten Krieges stelle die Globalisierung und der Eintritt Rumäniens in die Europäische Union eine neuerliche Zäsur dar, die die Frage nach der Zukunft unserer Gemein­schaft aufwirft: „Wie positionieren wir uns?“ – Die Moderatorin stellte die Diskussions­teilneh­mer vor: Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzen­der des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland; Pfarrer Hans Bruno Fröhlich, Dechant des Kirchenbezirks Schäß­burg; Klaus Johannis, Vorsitzender des Demo­kratischen Fo­rums der Deutschen aus Rumä­nien und Bürger­meister von Hermannstadt; Dr. Jürgen Porr, Vor­sitzender des Siebenbür­gens­forums (DFDS); Pfarrer Mag. Volker Petri, Bun­desobmann des Bundesverbandes der Sieben­bür­ger Sachsen in Österreich; Ines Wenzel, Mit­glied im Vorstand der Landesgruppe Baden-Württemberg.
Die Podiumsteilnehmer, von links: Pfr. Hans Bruno ...
Die Podiumsteilnehmer, von links: Pfr. Hans Bruno Fröhlich, Ines Wenzel, Dr. Bernd Fabritius, Dr. Anneli Ute Gabanyi, Klaus Johannis, Dr. Jürgen Porr und Volker Petri. Foto: Christian Schoger
In Anspielung auf das Heimattagsmotto („Brücken über Grenzen“) bezeichnete Pfr. Bru­no Fröhlich, als Vertreter der Heimatkirche, das Bauen von Brücken als Verpflichtung „von Amts wegen“. Gemeint seien Brücken zwischen Lands­leuten hüben und drüben, freilich auch Brücken zur Völkerverständigung (z. B. Städte­partnerschaft Dinkelsbühl-Schäßburg), aber auch Brücken im Sinne der Ökumene zu anderen Kirchen, wie es erfolgreich in Schäßburg geschehe. Geografische Grenzen seien in unserem Zeitalter der Flexibilität, Mobilität, Techni­sierung und Vernetzung kaum noch maßgeblich. Diese Entwicklungen, die in die kirchliche Arbeit unmittelbar hineinwirken (z. B. sind Trauungen per E-Mail „bestellbar“), „nützen uns in unserer Diasporasituation“. Fröhlich hinterfragte die Haltbarkeit altbewährter Strukturen, stellte zugleich fest, dass die Kirche nicht immer Hand in Hand mit dem Zeitgeist gehe. Der Geistliche vertrat den – im weiteren Diskussionsverlauf kontrovers erörterten – Standpunkt, dass es „in einer pluralen Welt diesen einen Verband nicht geben kann“, sondern mehrere Zusammenschlüsse der Siebenbürger Sachsen je nach Interessenlage (Kultur, Sozia­les, Politik, Geselligkeit) legitim seien.

Ines Wenzel, die am Vortag mit dem Sieben­bürgisch-Sächsischen Jugendpreis 2008 ausgezeichnet worden war, trug ihr Statement vor als Vertreterin der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD) und der Landes­gruppe Baden-Württemberg. Der Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft sei fö­derationsweit wahrnehmbar, meinte Wenzel. Nur so erkläre sich der rege Zulauf von Landsleuten aller Generationen bei den mannigfaltigen Ver­anstaltungen der Untergliederungen, was auch dieser Heimattag zeige. „Extrem hohen Zulauf“ an jungen Siebenbürger Sachsen hätten überdies Internet-Plattformen wie SiebenbuergeR.de, die Rokestuf oder das „Phänomen“ Sibicom: Hier ließe sich Anschluss finden an diverse Interessengruppen. Vorrangige Aufgabe der SJD sei es, Jugendlichen „in unserer globalisierten Welt Orientierungsangebote zu ma­chen“. Die siebenbürgisch-sächsische Lebensweise bezeichnete Ines Wenzel als „kulturell und moralisch wertvoll“. Im Trachten danach, die Werte unserer Gemeinschaft auch außerhalb der Familie selbstbewusst zu leben, gelte es einen Weg zu finden „im Einklang mit der Selbstentfaltung und der Integration in die hiesige Gesellschaft“.

Dr. Bernd Fabritius, seit November 2007 Bun­des­vorsitzender des Verbandes der Siebenbür­ger Sachsen in Deutschland, nutzte die Gelegen­heit, um vor und mit dem Forum „darüber ins Gespräch zu kommen, was wir am Verbandstag gesät haben“. Er definierte „unsere Gemeinschaft als einen grenzüberschreitenden Zusammen­schluss, der sich geschichtlich entwickelt hat. Zusammenhalt heute beziehen wir aus der Prägung durch diese geschichtliche Entwick­lung; es sind unsere Traditionen, unsere kulturellen Werte, die Einbindung in die Heimat­kirche in Siebenbürgen.“ Der Verband sei der „Versuch einer strukturellen Organisation unserer Gemeinschaft“ und zu fortschrittlicher Weiterentwicklung verpflichtet. Die staatlicherseits nicht übernommenen, (freiwillig) „selbst ge­stellten Aufgaben wollen und müssen wir als Gemeinschaft erfüllen“. Die größte Gefahr be­stehe darin, „dass wir in eine passive Erwar­tungshaltung verfallen und warten, dass die da machen. Das funktioniert definitiv nicht.“ Der Bundesvorsitzende sprach sich dezidiert gegen eine Koexistenz mehrerer, nach unterschiedlichen Interessenschwerpunkten ausgerichteten Splitterverbände aus und rief zu Geschlossen­heit und zu vereintem Handeln auf.

Trotz bevorstehender Kommunalwahlen nahm der Vorsitzende des Demokratischen Fo­rums der Deutschen in Rumänien, Klaus Johan­nis, die Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl wahr, um für Siebenbürgen und respektive Hermann­stadt zu werben. Die Lebensbedingungen in Siebenbürgen und in Deutschland seien heute vergleichbar: „In diesem neuen Europa geht es uns wirtschaftlich fast genauso gut wie Ihnen. Politische Verfolgung gibt es nicht mehr. Wir sind in Rumänien ein sicheres demokratisches Land mit spezifischem Lokalkolorit.“ Journa­listen aus Deutschland, die ihn nach der Zu­kunft der Deutschen in Siebenbürgen fragten, pflege er optimistisch so zu antworten: Zweifel­los sei die Auswanderungswelle Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre eine „Katastrophe für die sächsische Gemeinschaft“ gewesen, sie werde jedoch nicht zu ihrem Verschwinden in Siebenbürgen führen. Allerdings müsse sich die Gemeinschaft mit der Identitätsfrage auseinander setzen. Die heute gelebte Identität sei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, als die politische Macht der Volksgruppe der Siebenbürger Sachsen gebrochen wurde. Seinerzeit wären Kultur- und Brauchtumspflege „als Kompensa­tion“ aufgeblüht. „Wir haben seit damals keine Fort­schritte gemacht“, meinte Johannis, der den Fortbestand der Sieben­bürger Sachsen von der Klärung der Frage ab­hängig machte, „ob wir diese 19. Jahrhundert-Identität weiter pflegen und weiter führen wollen oder ob wir unter den neuen Bedingungen in diesem Europa eine neue Identität aufbauen wollen“. Klaus Johan­nis plädierte für eine zukunftsfähige Fortentwicklung unserer siebenbürgisch-sächsischen Identität vermittels von Impulsen aus den Bereichen Wissenschaft, Kultur und Politik.

Dr. Paul Jürgen Porr stellte die Aufgaben des Siebenbürgenforums als Interessenverband der deutschen Minderheit in Rumänien vor. Zu diesen zählt der Erhalt der deutschsprachigen Schulen ebenso wie die Altenhilfe, v. a. mit Un­terstützung des Sozialwerks der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, oder das Veranstalten des Sachsentreffens in Birthälm. Das Forum sei von Anfang an europäisch ausgerichtet und um integratives Wirken bemüht gewesen, so Porr: „Wir haben versucht, zwischen rumänischen und ungarischen Extremisten zu schlichten und Roma sozial zu integrieren.“ Nach der großen Auswanderungswelle sei die Gemeinschaft mittlerweile nicht mehr nur deutsch oder siebenbürgisch, vielmehr integriere sie verschiedene Nationalitäten, Ethnien, Kulturen, und: „Was bringt die Zukunft? – Von Beruf bin ich Arzt und nicht Prophet, jedoch überzeugt, dass kurz- und mittelfristig das Deutschtum in Rumänien eine Zukunft hat.“

Dr. Porr verwies auf die steigende Zahl an Rückwanderern und Auswanderern. Auch Mag. Pfr. Volker Petri sprach sich für einen Identitätswandel aus. Ihm sei „bewusst geworden, dass wir nicht das bleiben können, was wir waren, sondern dass unser Siebenbür­ger-Sachsen-Sein ein Prozess, eine Metamor­phose ist“. Daher sollten wir, so regte der Bun­desobmann der Siebenbürger Sachsen in Öster­reich an, „Eigenschaften und Kompetenzen in die neue Heimat bzw. Welt, in der wir leben, integrieren“. Gleichzeitig gelte es verantwortlich weiterzugeben, „was uns wertvoll ist“. In Österreich, wo die Einheit von Kirche und Volk noch relativ intakt sei, sei die Wahrung der siebenbürgisch-sächsischen Identität leichter, bemerkte Petri und fügte hinzu: „Unsere Ge­meinschaft bewegt sich auf neuen Wegen. Wir sind ein kleines Experimentierfeld. Mit der zweiten und dritten Generation, die ihre Wurzeln in Siebenbürgen hat, aber in Öster­reich geboren wurde, versuchen wir unsere In­halte, Ziele, Kompetenzen für die Zukunft zu erarbeiten.“ Der Bezug zu Siebenbürgen sei grundsätzlich weniger gefühlsmäßig oder sentimental. Geradezu leitmotivisch klang die von dem Theologen formulierte Devise: „Aus neuer Perspektive eine neue Zukunft gestalten.“ Im Nachgang dieser Statements öffnete sich das Podium für die zahlreichen, thematisch breit gefächerten Fragen aus dem Publikum.

Christian Schoger


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Schlagwörter: Heimattag 2008, Podiumsdiskussion

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Neueste Kommentare

  • 22.05.2008, 16:42 Uhr von joker: Bevor die Kommentare hier zu lang und unübersichtlich werden, schlage ich vor sie im allgemeinen ... [weiter]
  • 21.05.2008, 20:34 Uhr von Christian Schoger: Hallo joker, das ist ein gutes Angebot. Was Ihre nachfolgende Bemerkung anbelangt, darf ich ... [weiter]
  • 21.05.2008, 18:15 Uhr von joker: Eine Aufzeichnung der Podiumsdiskussion zum Nachhören und Nachdenken gibt es demnächst bei RTI ... [weiter]

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