30. November 2024

Sprache in ihrer schönsten Form: Ein Abend mit Georg Aescht und Alexandru Bulucz

Wintereinbruch in München – und hereingeschneit kamen zwei ausgewiesene Kenner der rumänischen und rumäniendeutschen Literatur, die sich am 21. November bei der Podiumsdiskussion „Die Sprache zwischen Übersetzung und Überwindung“ im Haus des Deutschen Ostens (HDO) erstaunlich offen über ihre Arbeit und ihr Leben äußerten. Georg Aescht aus Bonn und Alexandru Bulucz aus Berlin gewährten im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin und Germanistin Dr. Enikő Dácz, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Stellvertreterin des Direktors am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München (IKGS), Einblicke in ihre Übersetzerwerkstatt und boten dem Publikum in ausgewählten Textbeispielen Sprache in ihrer schönsten Form.
Alexandru Bulucz, Enikő Dácz und Georg ...
Alexandru Bulucz, Enikő Dácz und Georg Aescht (von links) diskutierten im HDO über „Die Sprache zwischen Übersetzung und Überwindung“. Alle Fotos: Tobias Weger
Die Begrüßung der knapp 30 Gäste durch Dr. Lilia Antipow, im HDO zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, und Dagmar Seck, Kulturreferentin des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, fiel erfrischend kurz aus, die Vorstellung der Protagonisten durch Enikő Dácz dafür etwas länger, da beide einiges vorzuweisen haben. Georg Aescht, 1953 in Zeiden geboren, studierte Germanistik und Anglistik in Klausenburg, wo er danach als Lehrer tätig war. Daneben verfasste er literaturkritische Beiträge in deutschsprachigen Publikationen, übersetzte rumänische Autoren und arbeitete an den Gymnasiallehrbüchern für deutsche Literatur mit. 1984 reiste er nach Deutschland aus, wo er unter anderem als Redakteur bei der Bonner Stiftung Ostdeutscher Kulturrat arbeitete und die Kulturpolitische Korrespondenz redigierte. Neben seiner feuilletonistisch-publizistischen Tätigkeit hat er Bücher von Ion Agârbiceanu, Gabriela Adameșteanu, Ana Blandiana, Lucian Boia, Nicolae Breban, Filip Florian, Claudiu Komartin, Norman Manea, Gellu Naum, Alexandru Papilian, Ioana Pârvulescu, Andrei Pleșu, Liviu Rebreanu, Mihail Sebastian und Alexandru Vona aus dem Rumänischen bzw. Französischen übersetzt und war als Herausgeber tätig.
Georg Aescht ...
Georg Aescht
Alexandru Bulucz, geboren 1987, ist Lyriker, Literaturkritiker, Herausgeber und Übersetzer. Er lebte bis zu seinem 13. Lebensjahr im rumänischen Karlsburg/Alba Iulia und emigrierte mit seiner Mutter nach Deutschland, wo er Germanistik und Komparatistik in Frankfurt/Main studierte. Sein Lyrikdebüt „Aus sein auf uns“ erschien 2016. Für Gedichte aus „was Petersilie über die Seele weiß“ erhielt er 2019 den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis. 2022 wurde er in Klagenfurt im Rahmen der Tage der deutschsprachigen Literatur mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet. 2024 bekam er mit dem Hölty-Preis den höchstdotierten Lyrikpreis Deutschlands und erhielt auch den Horst Bingel-Preis für Literatur. Aus dem Rumänischen übersetzte er unter anderem Alexandru Vona, Eugène Ionesco und Andra Rotaru.
Alexandru Bulucz ...
Alexandru Bulucz
„Zukunft braucht Herkunft“: Dieser Titel eines Panels beim Textland Literaturfest 2023 in Frankfurt/Main, das Bulucz mit der Schriftstellerin Tanja Maljartschuk kuratierte, diente als Einstieg in die Diskussion. Wie sie zu ihrer Herkunft stünden, wollte Dr. Dácz wissen. Aescht sprach vom Privileg, als Europäer geboren worden zu sein in Siebenbürgen mit seinen drei Sprachen, und dem Glück, nach Klausenburg zu dürfen „aus dem engen Burzenland und dem noch engeren Zeiden“, und erwähnte den Lyriker Franz Hodjak als wichtigsten Einfluss seiner frühen Jahre. Für sich hat er den Begriff „europäischer Transsilvanismus/transsilvanischer Europäismus“ geprägt. Weggegangen sei er als Wirtschaftsflüchtling, der nicht bleiben wollte, als alle anderen gingen, und bezeichnete die Ausreise als „Sprung in sehr kaltes und sehr bewegtes Wasser“. Bulucz sagte klar: „Das ist das Thema meiner Lyrik“ und bekannte, ein zwiespältiges Verhältnis zu seiner Herkunft zu haben. Er sei kein Rumäne mehr, aber auch kein Deutscher, habe einen ungarischen Vater und einen siebenbürgischen Stiefvater, sprach von der „Tragödie der Migration“ und nannte die Literatur der Rumäniendeutschen, besonders die von Werner Söllner, sein „Scharnier“. Die ihn permanent beschäftigenden Widersprüche seien produktiv für das Schreiben.
Enikő Dácz ...
Enikő Dácz
Die Rolle des Übersetzers für die Literatur war ein weiteres Thema des Abends. Er sei ein Vermittler, ein „Fährmann“, so Dácz, und könne ein Land in einem anderen Land bekannt machen. Zur Veranschaulichung las Aescht zwei von ihm übertragene Texte in Rumänisch und Deutsch vor – einen Auszug aus Norman Maneas Roman „Die Rückkehr des Hooligans“ sowie ein Stück aus dem Essay „Un popor blând“ (Ein zahmes Volk) von Ana Blandiana („die Diva, die Doyenne der zeitgenössischen rumänischen Literatur“) – und erläuterte schlüssig, welche Implikationen in den Originaltexten steckten, die man einem nichtrumänischen Publikum erklären müsse. „Mein Problem ist oft, dass ich zu viel weiß“, bekannte Aescht und erläuterte, man müsse mit fremdem Blick an einen Text herangehen, sich immer wieder selbst in Frage stellen und mehr fragen, als man fragen zu müssen glaube.

Der Lyriker Alexandru Bulucz übersetzt im Gegensatz zu Georg Aescht, der Auftragsarbeiten von Verlagen annimmt, nur Texte, die ihn interessieren (vor allem aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa von Mircea Eliade, Emil Cioran und Eugène Ionesco, die wie er selbst im Ausland ihre Herkunft verstecken wollten – da bestehe eine existentielle Verbindung), und bezeichnete das Übersetzen als seine Leidenschaft und „Verlängerung meines lyrischen Ichs“, denn er finde seine Themen in den Themen anderer. Den Roman „Die vermauerten Fenster“ von Alexandru Vona in der Übertragung von Georg Aescht erwähnte er als wichtige Inspirationsquelle (Vona selbst, erzählte Aescht, habe in einem Telefonat mit ihm, nachdem er den deutschen Text durchgesehen hatte, zugegeben: „Seit ich deine Übersetzung gelesen habe, habe ich meinen Roman verstanden.“). Kongeniale Übersetzer, so Bulucz, nenne er nicht viele, aber Aescht und Ernest Wichner schon: „Mein Gott, so will ich auch übersetzen!“

Im Gegensatz zu Bulucz habe er das Glück, kein Dichter zu sein, sondern sei am Schreibtisch ein Techniker, erzählte Aescht. Er habe beim Übersetzen am Wahnsinn des anderen teil und komme dem Autor so nah, dass er sich manchmal Finger oder Zunge verbrenne, denn als Übersetzer gehe er tiefer als die Leser, die nur läsen, weil sie sich freuten, dass es anderen noch schlechter ginge als ihnen selbst – eine provokante These, die vom Publikum mit einer Mischung aus Heiterkeit und Staunen aufgenommen wurde.

Bulucz las seine Übertragungen von vier Ionesco-Gedichten, die nicht nur literatur-historischen Wert, sondern auch ästhetische Qualität besäßen, und eines von Alexandru Vona, dessen frühe Gedichte und Prosa er 2014 herausgegeben hat, gefolgt von Aescht mit dem Gedicht „Wie zwei Glocken“ von Gellu Naum. Abschließend stellte Enikő Dácz die Frage, ob ein Übersetzer Angst vor Lyrik habe. „Nein, aber es ist anstrengend“, gab Bulucz zu, denn man sei immer unzufrieden mit sich, arbeite immer weiter; allerdings: „Ich habe von mir gelernt, dass ich mich darauf verlassen kann, dass ich es gut mache.“ Davon konnte sich das Publikum anhand eines von ihm übertragenen Gedichts der Schriftstellerin und Journalistin Moni Stănilă (geboren 1978 in Tomești/Banat) überzeugen, das er zum Schluss vortrug.

Vielschichtige Verflechtungen zwischen Literatur, Kultur, Geschichte, Politik, Biografie und genuiner Textarbeit taten sich im Lauf des inspirierenden Abends auf, und das von Dagmar Seck eingangs erwähnte Spannungsfeld „übersetzen, überwinden, übertragen“ wurde von Georg Aescht und Alexandru Bulucz unter der kompetenten und zugewandten Gesprächsführung von Enikő Dácz eindrucksvoll mit Leben gefüllt.

Die Veranstaltung, die zum Begleitprogramm der bis zum 13. Dezember laufenden Ausstellung „Deutsche Minderheit in Rumänien. Geschichte und Gegenwart im vereinten Europa“ gehörte, war eine Kooperation des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., des HDO und des IKGS und wurde vom Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert. Eine Aufzeichnung der Podiumsdiskussion ist über die HDO-Mediathek HDOnline auf www.hdo.bayern.de/programm/hdonline/ abrufbar.

Doris Roth

Schlagwörter: Übersetzer, deutsch-rumänische Beziehungen, Literatur, Podiumsdiskussion

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