30. November 2024
Sprache in ihrer schönsten Form: Ein Abend mit Georg Aescht und Alexandru Bulucz
Wintereinbruch in München – und hereingeschneit kamen zwei ausgewiesene Kenner der rumänischen und rumäniendeutschen Literatur, die sich am 21. November bei der Podiumsdiskussion „Die Sprache zwischen Übersetzung und Überwindung“ im Haus des Deutschen Ostens (HDO) erstaunlich offen über ihre Arbeit und ihr Leben äußerten. Georg Aescht aus Bonn und Alexandru Bulucz aus Berlin gewährten im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin und Germanistin Dr. Enikő Dácz, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Stellvertreterin des Direktors am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München (IKGS), Einblicke in ihre Übersetzerwerkstatt und boten dem Publikum in ausgewählten Textbeispielen Sprache in ihrer schönsten Form.




Der Lyriker Alexandru Bulucz übersetzt im Gegensatz zu Georg Aescht, der Auftragsarbeiten von Verlagen annimmt, nur Texte, die ihn interessieren (vor allem aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa von Mircea Eliade, Emil Cioran und Eugène Ionesco, die wie er selbst im Ausland ihre Herkunft verstecken wollten – da bestehe eine existentielle Verbindung), und bezeichnete das Übersetzen als seine Leidenschaft und „Verlängerung meines lyrischen Ichs“, denn er finde seine Themen in den Themen anderer. Den Roman „Die vermauerten Fenster“ von Alexandru Vona in der Übertragung von Georg Aescht erwähnte er als wichtige Inspirationsquelle (Vona selbst, erzählte Aescht, habe in einem Telefonat mit ihm, nachdem er den deutschen Text durchgesehen hatte, zugegeben: „Seit ich deine Übersetzung gelesen habe, habe ich meinen Roman verstanden.“). Kongeniale Übersetzer, so Bulucz, nenne er nicht viele, aber Aescht und Ernest Wichner schon: „Mein Gott, so will ich auch übersetzen!“
Im Gegensatz zu Bulucz habe er das Glück, kein Dichter zu sein, sondern sei am Schreibtisch ein Techniker, erzählte Aescht. Er habe beim Übersetzen am Wahnsinn des anderen teil und komme dem Autor so nah, dass er sich manchmal Finger oder Zunge verbrenne, denn als Übersetzer gehe er tiefer als die Leser, die nur läsen, weil sie sich freuten, dass es anderen noch schlechter ginge als ihnen selbst – eine provokante These, die vom Publikum mit einer Mischung aus Heiterkeit und Staunen aufgenommen wurde.
Bulucz las seine Übertragungen von vier Ionesco-Gedichten, die nicht nur literatur-historischen Wert, sondern auch ästhetische Qualität besäßen, und eines von Alexandru Vona, dessen frühe Gedichte und Prosa er 2014 herausgegeben hat, gefolgt von Aescht mit dem Gedicht „Wie zwei Glocken“ von Gellu Naum. Abschließend stellte Enikő Dácz die Frage, ob ein Übersetzer Angst vor Lyrik habe. „Nein, aber es ist anstrengend“, gab Bulucz zu, denn man sei immer unzufrieden mit sich, arbeite immer weiter; allerdings: „Ich habe von mir gelernt, dass ich mich darauf verlassen kann, dass ich es gut mache.“ Davon konnte sich das Publikum anhand eines von ihm übertragenen Gedichts der Schriftstellerin und Journalistin Moni Stănilă (geboren 1978 in Tomești/Banat) überzeugen, das er zum Schluss vortrug.
Vielschichtige Verflechtungen zwischen Literatur, Kultur, Geschichte, Politik, Biografie und genuiner Textarbeit taten sich im Lauf des inspirierenden Abends auf, und das von Dagmar Seck eingangs erwähnte Spannungsfeld „übersetzen, überwinden, übertragen“ wurde von Georg Aescht und Alexandru Bulucz unter der kompetenten und zugewandten Gesprächsführung von Enikő Dácz eindrucksvoll mit Leben gefüllt.
Die Veranstaltung, die zum Begleitprogramm der bis zum 13. Dezember laufenden Ausstellung „Deutsche Minderheit in Rumänien. Geschichte und Gegenwart im vereinten Europa“ gehörte, war eine Kooperation des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., des HDO und des IKGS und wurde vom Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert. Eine Aufzeichnung der Podiumsdiskussion ist über die HDO-Mediathek HDOnline auf www.hdo.bayern.de/programm/hdonline/ sowie über YouTube auf https://www.youtube.com/watch?v=mYaVMV64iGs abrufbar.
Doris Roth
Schlagwörter: Übersetzer, deutsch-rumänische Beziehungen, Literatur, Podiumsdiskussion
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