4. Juni 2009

Martin Bottesch: Siebenbürger Sachsen haben sich immer wieder neu angepasst

„Einer der Gründe warum die Siebenbürger Sachsen achteinhalb Jahrhunderte nicht untergegangen sind, besteht darin, dass sie es fertiggebracht haben, sich immer wieder neu anzupassen. Tun wir das weiterhin, so bleiben wir, in einer gewissen Weise, was wir sind.“ Dies stellte Martin Bottesch, Vorsitzender des Kreisrates des Kreises Hermannstadt, in seiner Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen am Pfingstsonntag 2009 in Dinkelsbühl fest. Angepasst hätten sich auch die in Siebenbürgen verbliebenen Sachsen, als sie vor 20 Jahren, nach der Wende, mit dem Deutschen Forum eine eigene politische und kulturelle Interessensvertretung gründeten. Nachdem Klaus Johannis 2000 zum Hermannstädter Bürgermeister gewählt wurde, haben sie ihren Gemeinsinn auf alle ausgeweitet. Botteschs Ansprache wird im Wortlaut wiedergegeben.
Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland feiert 60 Jahre seines Bestehens. Auch wenn es für die jüngere Generation heute nicht einfach ist die Zeit um das Gründungsjahr 1949 zu verstehen, so ist es doch allgemein bekannt, dass die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, wie der Verband bis 2007 hieß, im Sinne und Interesse vieler Siebenbürger gewirkt hat, die durch den Krieg und die Zeit danach von ihren Familien getrennt worden waren und mit diesen wieder zusammen kommen wollten. Der Verband hat sich für die Erhaltung der siebenbürgisch-sächsischen Identität in Deutschland und die Pflege der Kultur der Siebenbürger Sachsen eingesetzt und vielen Einzelpersonen wie Familien sozialen und Rechtsbeistand geleistet.

Martin Bottesch während seiner Festrede in ...
Martin Bottesch während seiner Festrede in Dinkelsbühl. Foto: Petra Reiner
Vor 20 Jahren trat in Rumänien eine politische Wende ein. Dieses Ereignis sowie ähnliche in anderen Staaten Mittel- und Osteuropas leiteten für ganz Europa eine neue Zeit ein, die unser Dasein und damit unser Denken veränderte. Die Dinge sahen plötzlich ganz anders aus, sowohl für jene, die in Deutschland lebten, als auch für die, die in Siebenbürgen geblieben waren. Die Familienzusammenführung stellte kein Problem mehr dar, auch die Auswanderung nach Deutschland traf auf keine ernsthaften Schwierigkeiten mehr. Damals war der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland 40 Jahre alt. All die 40 Jahre hindurch hatte der Eiserne Vorhang den kommunistischen, von Diktatoren beherrschten Osten, von dem freien Westen getrennt. Vor zwanzig Jahren, also 1989, brach der Kommunismus zusammen, der Osten bekannte sich zu den Werten des Westens.



Was für eine Wanderbewegung die Öffnung der Grenzen unter den Deutschen Rumäniens und insbesondere den Siebenbürger Sachsen auslöste, ist allgemein bekannt. Ich will jedoch der Frage nach der Änderung in unserem Denken nachgehen und behaupte, dass in jener Zeit des raschen Wandels die Ereignisse der Mentalität oft vorauseilten. Wie die ausgewanderten Siebenbürger in Deutschland mit den Ereignissen zurechtkamen und wie ihr Verband sich neu orientierte, sei hier nicht dargelegt. Das hat der Bundesvorsitzende Dr. Bernd Fabritius vorhin in seiner Rede aufgezeigt. Ich möchte mich hingegen auf die Entwicklung in Rumänien beziehen.

Wer unter den Siebenbürger Deutschen Anfang 1990 vom In-Rumänien-Bleiben sprach, schwamm gegen den Strom. Auch wenn es von der Logik her richtig war, dass ab nun die deutsche Minderheit in einem demokratischen Land sich selber würde vertreten können, ja mehr noch, dass sie es um ihrer Existenz Willen tun müsse, so schien das den meisten nutzlos, das Bleiben ohne viel Sinn. Viele sahen nur den Untergang der sächsischen Gemeinschaften und bezweifelten, dass Rumänien den Weg der Demokratie und Gerechtigkeit bald einschlagen würde. Andere taten einfach das, was die Mehrheit tat, und wanderten aus. Hingegen gab es auch welche, die von Anfang an meinten, jetzt gäbe es neue Möglichkeiten auch für die Deutschen, die Sachsen seien nun einmal in Siebenbürgen zu Hause und hier würde sich ein Neuanfang lohnen. Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien wurde bereits in den Dezembertagen des Jahres 1989 in Hermannstadt gegründet und weitete Anfang 1990, als es auch zur rechtlichen Eintragung kam, seine Strukturen aus, so dass es in kurzer Zeit zu einem landesweiten Verband der deutschen Minderheit wurde. Hoffnung und Bangen lagen in jener bewegten Zeit eng beieinander. Einerseits hörten die traditionellen Gemeinschaftsstrukturen der Siebenbürger Deutschen in den Dörfern auf zu bestehen, andererseits waren die Zeichen einer neuen Zeit trotz anfänglicher Schwierigkeiten und Gegensätze klar erkennbar.

Ich bin in die Tätigkeiten und auch in die Leitung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien von Anfang an eingebunden gewesen, zuerst in Mühlbach, dann in Hermannstadt. Somit kenne ich die 20-jährige Geschichte des Forums von innen her und weiß, wie wir gedacht und gehandelt haben. Wir mussten uns unter neuen Gegebenheiten zurechtfinden und uns diesen anpassen. Das hieß in erster Linie, in vielen Dingen mit den Rumänen zusammen zu gehen. Das in der Vergangenheit vielerorts vorhandene Nebeneinander statt Miteinander von Siebenbürger Deutschen und Rumänen, war jetzt schon unserer kleinen Zahl wegen sinnlos geworden. Wir konnten nur über die Rumänen etwas für unsere Gemeinschaft erreichen, nicht getrennt von ihnen und schon gar nicht gegen sie. Einige Jahre nach der Wende stellte es sich heraus, dass die deutschen Schulen in den Städten nicht in dem Maße aufgelöst worden waren, wie wir befürchtet hatten. Sie konnten Dank der rumänischen Kinder weiter bestehen, die jetzt unsere Sprache in größerer Zahl als vor 1989 lernen wollten. Als Lehrer, der in deutscher Sprache unterrichtete, fühlte man sich nützlich. Nützlich für die eigene Gemeinschaft aber auch für alle, die am Unterricht in deutscher Sprache Interesse hatten. Und das waren jetzt zu über 90 Prozent Rumänen.

Politische Verantwortung übernommen

Die 20-jährige Geschichte unseres Verbands, des Forums, ist in Hermannstadt durch das Jahr 2000 in zwei unterschiedliche Abschnitte getrennt. Waren wir in den 90er Jahren als Deutsche zwar geachtet, aber ohne politischen Einfluss, so beginnt mit dem Jahr 2000, als Klaus Johannis zum ersten Mal zum Bürgermeister von Hermannstadt gewählt wurde die Zeit, in der uns die Rumänen derart Vertrauen entgegen brachten, dass sie uns durch die Wählerstimmen die Verwaltung zunächst der Stadt, später dann auch des Kreises übertrugen. In diese neue Rolle mussten wir uns wiederum hineinfinden. „Gemeinsinn leben“, wie es im Motto des heutigen Heimattags heißt, war bei den Siebenbürger Sachsen zwar Tradition, doch jetzt musste unser Gemeinsinn auf alle ausgeweitet werden. Das haben wir in unserer Haltung, in unserem Denken auch vollzogen. Offenbar ist unsere gegenwärtige Rolle uns auch deshalb zugewachsen, weil man uns von rumänischer Seite einen solchen Gemeinsinn zugetraut hat.

Welches ist das Verhältnis zu Siebenbürgen?

Erweitern wir nun unseren Blick, so dass er nicht nur den kleinen Teil der Siebenbürger Sachsen umfasst, der in Siebenbürgen lebt, sondern auch die vielen, die ausgewandert sind und vor allem in Deutschland leben. Welches ist ihr Verhältnis zueinander und ihr Verhältnis zu Siebenbürgen? Wo immer sie auch zu Hause sein mögen, die Siebenbürger Sachsen gehören zusammen, solange sie ihre Identität hauptsächlich durch den Bezug zu Siebenbürgen definieren. Die Bindungen der Einzelnen zu ihrem Ursprungsland mögen unterschiedlich sein, der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und auch die Föderation der Siebenbürger Sachsen nehmen eine eindeutige Haltung des Bekenntnisses zu Siebenbürgen und der Zusammengehörigkeit mit den dort lebenden Sachsen ein. Dass dieses auf Gegenseitigkeit beruht, zeigt der Beitritt des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen zur Föderation der Siebenbürger Sachsen im Jahr 1993. Ist man sich in den Verbänden hüben und drüben einig, dass man zusammengehört und gemeinsam für die Erhaltung der siebenbürgisch-sächsischen Identität wirken will, so ist letztendlich entscheidend, wie die vielen Einzelpersonen unserer Gemeinschaft zu Siebenbürgen stehen und die Frage nach ihrer Identität beantworten. Denn die Verbände leben durch ihre Mitglieder, durch das, was diese sind und was sie tun. Und hier geht es weniger um die ältere Generation, weil deren Identität klar ist und sich von Siebenbürgen ableitet, sondern um die jungen Leute. Was sagen wir unseren Kindern, was leben wir ihnen vor und wie sehr legen wir Wert darauf, Siebenbürger zu bleiben?

Wer sich anpasst, bleibt in gewisser Weise, was er ist

Mein Vorschlag ist, dass wir uns am konkreten Leben orientieren sollten, an dem, was praktisch und nützlich für uns und unsere Kinder ist. Als vor 850 Jahren die ersten Deutschen vom Rhein nach Siebenbürgen zogen, haben wohl nicht ideologische Erwägungen im Vordergrund gestanden, sondern sie dürften schlicht und einfach ein besseres Leben gesucht haben. Jetzt ist die Frage nach dem besseren Leben genau so aktuell, sie stellt sich aber für uns in einem zusammengewachsenen und weiter zusammenwachsenden Europa. Da müssen wir unsere Chancen ausloten unter den Bedingungen der Bewegungsfreiheit, der Möglichkeit, wo immer Arbeit anzunehmen und wo immer sich niederzulassen. Und da liegt es auf der Hand, dass die, die sowohl Siebenbürgen als auch Deutschland kennen, womöglich auch die Sprachen beider Länder sprechen, einen Vorteil haben. Arbeiten und leben wir dort, wo wir meinen, es ginge uns besser und nutzen wir unsere Vorteile! Identität bewahren? Ja! Aber das geht nicht ohne ständige Anpassung, sowohl was Arbeit als auch was Denken betrifft. Das starre Verharren am Überkommenen bedeutet Untergang. Einer der Gründe warum die Siebenbürger Sachsen achteinhalb Jahrhunderte nicht untergegangen sind, besteht darin, dass sie es fertiggebracht haben, sich immer wieder neu anzupassen. Tun wir das weiterhin, so bleiben wir, in einer gewissen Weise, was wir sind.

Ich danke Ihnen und wünsche allen ein frohes Pfingstfest!

Schlagwörter: Heimattag 2009, Forum

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