14. Juni 2009

60 Jahre Grundgesetz – Anfang unter schwierigen Umständen

Im Jahr 1949 wurden die Bundesrepublik Deutschland gegründet und das Grundgesetz verabschiedet. Das Jahr 1949 ist aber nicht nur deshalb von Bedeutung. Im Vorfeld und in der Folge dieser politischen Veränderungen für Deutschland fielen auch wichtige Entscheidungen in der Vertriebenenpolitik.
Im April 1949 beschlossen die drei Westmächte Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich den wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluss ihrer Besatzungszonen in Deutschland, für die ein gemeinsames Besatzungsstatut gelten sollte. Das Grundgesetz, das der Parlamentarische Rat in Bonn am 8. Mai verabschiedete und das am 23. Mai in Kraft trat, umfasste diesen Geltungsbereich.

Von zentraler Bedeutung für die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen, später auch Aussiedler, war Art. 116 Abs. I GG. Danach ist Deutscher im Sinne des Grundgesetzes nicht nur der deutsche Staatsangehörige, sondern auch der deutsche Volkszugehörige, wenn er als Flüchtling oder Vertriebener oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling Aufnahme in Deutschland findet. Eine Legaldefinition der deutschen Volkszugehörigkeit und die Aufnahmevoraussetzungen wurden später durch das 1953 in Kraft getretene Bundesvertriebenengesetz geregelt. Im BVFG wird auch definiert, wer Flüchtling, Vertriebener oder Aussiedler ist. In Art. 116 Abs. II GG wurde ein Wiedereinbürgerungsanspruch für frühere deutsche Staatsangehörige begründet, die zwischen 1933 und 1945 aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen ausgebürgert worden waren.

Innenpolitisch drängten die neue Bundesrepublik Deutschland vornehmlich Sozial- und Wirtschaftsprobleme. Rund 14 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene, Ausgebombte, Evakuierte und Kriegssachgeschädigte waren unterzubringen, zu verpflegen und zu versorgen. Die meisten Industriebetriebe waren zerstört. Die Produktion und Zuteilung mit dem Nötigsten verlief mühsam. Letztendlich wusste niemand, der vertrieben worden war, ob und wann er jemals in seine Heimat zurückkehren konnte. Die Währungsreform von 1948 brachte eine erste Stabilisierung der Lage und verhalf zu einem sichtbaren Neuanfang. Die Menschen fassten wieder Mut.

In seiner Regierungserklärung legte der erste Bundeskanzler, Konrad Adenauer, den Finger in die Wunde der sozialen Situation und sagte, dass man sich politisch von dem Bestreben leiten lassen müsste, „so sozial im wahrsten und besten Sinne des Wortes zu handeln wie irgend möglich. Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit, wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein.“ Als besondere Aufgabe der Bundesregierung hob Adenauer die Sorge um die Vertriebenen heraus. Zum Unrecht der Vertreibung bemerkte er: „Ich weise darauf hin, dass die Austreibung der Vertriebenen in vollem Gegensatz zu den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens vorgenommen worden ist. ....Es fällt mir sehr schwer, wenn ich an das Schicksal der Vertriebenen denke, die in Millionen umgekommen sind, mit der notwendigen leidenschaftslosen Zurückhaltung zu sprechen.“

Als eine der ersten Maßnahmen der Bundesregierung wurde nach langen Debatten das Soforthilfegesetz im August 1949 in Kraft gesetzt, um durch Kriegsereignisse besonders in Not geratenen Menschen rasch Hilfe zu gewähren. Die Leistungen wurden nur nach Bedürftigkeitsgrundsätzen gewährt und orientierten sich an den Grundbedürfnissen des Geschädigten. Es hatte eher den Charakter eines Notprogramms und das Ziel, die Grundlagen für sozialen Frieden in einer schwierigen Zeit zu schaffen.

Nahezu zeitgleich wurde wegen der Bedeutung der Aufgaben das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte errichtet, das der Oberschlesier Hans Lukaschek als erster Bundesvertriebenenminister führte.

Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat verabschiedeten Gesetze zur rechtlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge. Eine der wirkungsvollsten Maßnahmen, die bis heute einmalige Berühmtheit weit über die deutschen Grenzen hinaus erlangte, war der Lastenausgleich.

Die Regelung eines Lastenausgleichs fand sich als Grundgedanke schon im Währungsgesetz von 1948 und als Notprogramm im Soforthilfegesetz. Das Lastenausgleichsgesetz (LAG) bildete den Kern der Ausgleichsregelungen für die Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten. Es wurde wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Kriegsfolgengesetzgebung. Ihm folgten zahlreiche Neben- und Ausführungsgesetze, die Schadenstatbestände und Entschädigungsmöglichkeiten modifizierten. Grundidee des Lastenausgleichs war, den Geschädigten durch finanzielle Zuwendung die Eingliederung zu erleichtern. Zur Finanzierung wurde von denjenigen in den westlichen Besatzungszonen, die ihr Vermögen nicht verloren hatten, eine Abgabe gefordert, die in einen Sonderfonds einfloss, aus dem der Ausgleich für diejenigen gezahlt wurde, die alles verloren hatten. Neben den Ausgleichsabgaben speiste sich der Ausgleichsfonds u. a. aus Zuschüssen des Bundes und der Länder. Leistungen wurden gewährt für Kriegssachschäden in den westlichen Besatzungszonen sowie für Schäden von Vertriebenen nach Aufnahme im Bundesgebiet. Später kamen in den 60er Jahren die Sowjetzonenflüchtlinge als Antragsberechtigte hinzu.

Zur Durchführung des Lastenausgleichsgesetzes wurde eine umfangreiche Ausgleichverwaltung eingerichtet. Dazu gehörten auch die Heimatauskunftsstellen, die bei der Feststellung der Schäden mitwirkten und meist durch Vertriebene aus den einschlägigen Orten besetzt waren. Darüber gelang es, die Schäden weitestgehend zu rekonstruieren und amtlich zu bestätigen. So war der Lastenausgleich keine Entschädigung im Sinne eines Schadensersatzes, sondern eine unter sozialen und quotalen Gesichtspunkten nach Dringlichkeit gewährte Leistung.

Ein großes Problem stellte die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Da etwa sechs Millionen Wohnungen fehlten und der vorhandene Wohnraum zum Teil bis zu 80 Prozent zerstört war, wurden die Vertriebenen zuerst hauptsächlich im ländlichen Raum untergebracht. Wohnungsneubau setzte erst nach der Währungsreform 1948 ein. 1949 wurden in der jungen Bundesrepublik schon wieder 215 000 Wohnungen neu gebaut. Trotzdem fehlten noch mindestens fünf Millionen.

Wohnungsförderungsprogramme standen deswegen im Vordergrund und führten zum ersten Wohnungsbaugesetz. Die Richtlinien zum sozialen Wohnungsbau enthielten die Bestimmung, Wohnungen für Vertriebene bevorzugt zu fördern. Ebenso wurden Vertriebenen-Betrieben im Rahmen der amerikanischen Marschall-Plan-Hilfe Kredite gewährt.

Eine große Hilfe und Stütze für die Vertriebenen waren ihre Verbände, die wegen des anfänglichen Koalitionsverbots vorerst nur auf Landesebene bestanden. 1949 konnten sich daher erst viele Bundeslandsmannschaften gründen, so die Sudetendeutsche Landsmannschaft (LM) im März, Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, die Karpatendeutsche LM und die LM Weichsel-Warthe im Juni, die LM der Deutschen aus Jugoslawien im September, die LM der Buchenlanddeutschen und die LM Berlin-Mark Brandenburg im Oktober.

Die Landsmannschaft Ostpreußen hatte sich schon im Dezember 1948 gegründet und die Deutsch-baltische LM, die LM Schlesien, die LM der Deutschen aus Russland (anfangs „Arbeitsgemeinschaft der Ostumsiedler“) und die LM der Bessarabiendeutschen folgten 1950.

Die Landesverbände der Heimatvertriebenen schlossen sich im April 1949 zum Zentralverband der vertriebenen Deutschen (ZvD) zusammen, die Landsmannschaften im August zu den Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften (VOL; 1954 Verband der Landsmannschaften, VdL). ZvD und VOL einigten sich bei ihrer Zusammenarbeit darauf, dass der ZvD sich der sozialen und wirtschaftlichen Probleme annimmt, während der VOL sich den heimatpolitischen und kulturellen Aufgaben widmet. Gemeinsam wurde die Charta der deutschen Heimatvertriebenen entwickelt, die als „Grundgesetz der Vertriebenen“ galt und am 5. August 1950, dem ersten „Tag der Heimat“ auf dem Schlossplatz in Stuttgart vor über 100 000 Menschen verkündet wurde.

Beide Verbände nahmen in der Aufbauphase der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam die Vertretung der organisierten Heimatvertriebenen wahr. Sie bildeten die Basis, aus der 1957/58 der Bund der Vertriebenen hervorging.

Walter Stratmann (DOD)

Schlagwörter: Vertriebene und Aussiedler

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