19. Februar 2021

Wie im Krimi: Urweger Ehepaar vereitelt Enkeltrick

Als Enkeltrick bezeichnet man ein betrügerisches Vorgehen, bei dem sich Täter per Telefon meist gegenüber älteren oder hilflosen Personen als deren nahe Verwandte ausgeben, um unter Vorspiegelung falscher Tatsachen deren Bargeld oder Wertgegenstände zu ergaunern. Dies widerfuhr auch dem Landsmann Hans Schuller im November vergangenen Jahres, als sich eine Trickbetrügerin am Telefon als seine Enkeltochter ausgab und eine Notlage vortäuschte. Nur zum Schein ging der 87-jährige Siebenbürger Sachse auf die Betrugsmasche ein, wie er und seine Frau Maria in einem packenden Erlebnisbericht schildern.
Das Ehepaar Maria und Hans Schuller half der ...
Das Ehepaar Maria und Hans Schuller half der Polizei in Holzwickede in einer spektakulären Aktion, eine Enkeltrick-Betrügerin zu überführen.
Man muss alt werden, um einiges oder alles zu erleben. Mein Name ist Hans Schuller, ich stamme aus Urwegen, bin wohnhaft in Holzwickede, Kreis Unna. Viele Landsleute kennen mich aus dem Bad Bük in Ungarn, wo ich viele Jahre die Siebenbürger mit Musik beim Tanz unterhalten habe, oder aus Bad Kissingen bei den Tagungen des HOG-Verbandes.

Was meine Frau mit 85 Jahren und ich mit 87 Jahren erlebt haben, war wie ein Film über Trickbetrüger. Durch das Fernsehen und die Westfälische Rundschau kannte ich diese Betrugsmasche. Mit dem Enkeltrick erhofften sich die Betrüger, auch bei uns das schnelle und vor allem auch einfache Geld zu ergaunern.

Da ich über den Enkeltrick gut informiert war, habe ich mir immer gewünscht, so etwas zu erleben und auch einen aus dieser Betrügerbande in die Falle zu locken. Angefangen hat es wie bei vergleichbaren Fällen: Es war am 18. November 2020 beim Mittagessen, als eine junge Frau sich als unsere vermeintliche Enkeltochter am Telefon meldete. Die Anruferin erzählte folgende erfundene Geschichte: Sie sei in einen Verkehrsunfall verwickelt und deswegen von der Polizei festgenommen worden. Sie würde erst wieder freigelassen, wenn sie die fällige Kaution in Höhe von 25000 Euro bezahlt hätte. Die Anruferin bat uns mit einer bittenden Stimme, ihr in ihrer Finanzsituation zu helfen. Sie sagte, wir würden das Geld bald von der Autoversicherung zurückbekommen.

Wenn wir telefonieren, stellen wir am Telefon immer den Lautsprecher an, so hat auch meine Frau das Gespräch mit der angeblichen Enkeltochter mitbekommen. Wir haben nahe Bonn eine Enkeltochter mit dem Namen Beate. Meine Frau fragte am Telefon: „Beate, bist du es?“ Die Anruferin antwortete: „Ja, Oma.“ Meine Frau sagte: „Deine Stimme klingt aber ganz anders.“ Die Anruferin antwortete: „Ach Oma, ich bin ein wenig erkältet.“ Allein aufgrund der Klangfarbe der Stimme wusste ich sofort, dass die Anruferin nicht unsere Enkelin sein konnte. Ich erkannte die Betrugsmasche und ergriff von meiner Frau das Telefon. Ich habe versucht, meine Stimme alt und schwach klingen zu lassen. Ich wollte den Eindruck erwecken, dass ich ein sehr gebrechlicher Mann bin, also ein vermeintlich einfaches Opfer für die Betrugsmasche.

Wir sind zwar alte Rentner, aber dem Alter entsprechend noch gesund und fit. Damit hat die Betrügerin nicht gerechnet. Eigentlich gelten Trickbetrüger als äußerst clever darin, sich spontan Lügen auszudenken und in kurzer Zeit eine glaubhafte Geschichte zu erzählen, mit der sie ihr Opfer täuschen und sie in vielen Fällen auch um ihr Vermögen bringen. Was folgte, war ein regelrechtes Schauspiel, das sich 90 Minuten lang am Telefon abspielte. Ich habe immer wieder versucht, alt und schwach zu klingen, und durfte auch keinen Fehler machen. Die Trickbetrügerin bekam von mir eine beispiellose Lektion erteilt. Während des Gespräches bat sie immer wieder, ich solle das Telefon nicht auflegen, wahrscheinlich damit sie alles mitbekommt, was sich in unserer Wohnung abspielt.

Ich ging auf ihre Masche ein und tat so, als wollte ich ihr aus ihrer Not helfen. Ich täuschte vor, dass es mir durch ihren Unfall nicht gut ginge und ich mich ein wenig hinlegen möchte. Unsere vermeintliche Enkeltochter war einverstanden: Ich solle mich hinlegen und ein wenig ausruhen. Sie brauche auch Zeit, um mit der Polizei über den Geldbetrag zu verhandeln, und sie müsste ein Protokoll abschließen.

Ich legte mich mit dem eingeschalteten Telefon ins Bett, schaltete einen Gang noch tiefer und fing an zu jammern, dass es mir schlecht ginge und die Oma fühle sich auch nicht gut. Immer nach fünf bis zehn Minuten wurde ich gefragt, wie es mir gehe. Das Ziel der Anruferin war, ich solle das Geld und Schmuck an einen bestimmten Ort bringen. Wieder täuschte ich vor, dass ich mit fast 90 Jahren krank wäre und auch kein Auto mehr fahren könne. Weil ich meine Rolle so glaubhaft spielte, tappte die Betrügerin in meine Falle. Jede Frage, die ich am Telefon beantwortete, musste gut durchdacht sein. Eine falsche Reaktion und „der Fisch wäre vom Hacken gewesen“. Es gab sehr viele Fragen der Anruferin. Hier nur einige davon: wie viel Geld ich im Haus hätte? Wo ich es verschlossen hielte? In welchen Scheinen ich es hätte? Ich solle das Geld zählen und die Banknoten aufschreiben und mitteilen. Weil ich das Geld nicht selber bringen konnte, wollte die Betrügerin jemanden vorbeischicken, um die Tüte mit dem Geld und Schmuck abzuholen.

Wir wohnen an einer Kreuzung, Ecke Goethestraße und Südstraße, wo ich mich laut Vereinbarung mit einer Frau treffen sollte, um die Tüte mit dem Geld zu übergeben. Die Betrügerin nannte mir ein Kennwort, Luise, und die Nummer 1020. Ich solle mir diese Daten gut merken. Sie bestand darauf, nur mit dem Kennwort sollte ich das Geld übergeben. Unter dem Vorwand, mich anziehen zu müssen und dass es bei meinem Alter langsam voranginge, sollte sie mir ein wenig mehr Zeit lassen.

Ich reichte das Telefon wieder meiner Frau, die mit der angeblichen Enkeltochter das Gespräch weiter führte. Meine Frau fragte besorgt, wie es den Kindern gehe und ob sie von dem Unfall Verletzungen hätte usw. Während meine Frau mit der Betrügerin sprach, nutzte ich die Gelegenheit, in einem anderen Zimmer vom Mobiltelefon die Polizei zu verständigen. Ich bat um schnelle Hilfe mit einer Zivilstreife und erklärte kurz, dass es um den Enkeltrick gehe.

Mit der Betrügerin hatte ich vereinbart, das Geld in einem zugeklebten Briefumschlag in einer Tüte zu übergeben. In meiner vorbereiteten Tüte war natürlich statt Geld nur Papier. Außerdem hatten wir vereinbart, dass ich eine Schutzmaske trage, weil die Geldabholerin auch eine Maske tragen würde. Weil ich alt wirken wollte, nahm ich einen Gehstock mit. Um Zeit zu gewinnen bis die Polizei kam, wurde alles in einem langsamen Tempo vorbereitet.

Die fingierte Geldübergabe auf offener Straße war wie in einem Krimi. Auf dem Weg zum Übergabeort spielte ich meine Rolle weiter. Gebückt und mit Gehstock, den ich sonst nicht brauche, ging ich langsam und gebeugt zu jener Kreuzung, an der die Übergabe stattfinden sollte. Die Straße war menschenleer. Ich schaute mich um, keine Polizei. An der Kreuzung angekommen, tauchte plötzlich aus einer Nebenstraße die Betrügerin mit Maske auf. Die Frau näherte sich. Man kann sich vorstellen, wie bei mir der Adrenalinspiegel stieg und der Puls höher schlug.

Als wir beide an der Kreuzung auf Augenhöhe waren und das Stichwort fiel, ließ ich die mitgebrachte Tüte und den Gehstock fallen, packte die Frau mit beiden Händen an Brust und Kragen und stieß sie gegen unseren Gartenzaun. Die Maske fiel beiden vom Gesicht. Ich dachte nicht mehr an Corona und auch an nichts anderes, was passieren könnte. Mein Plan war, die Frau festzuhalten, bis die Polizei kam. Es war ein Gerangel auf dem Bürgersteig; die Betrügerin schlug ständig mit den Fäusten auf meinen Kopf und mir ins Gesicht und schrie: „Lassen Sie mich los, was wollen Sie von mir.“ Durch die Schläge auf den Kopf, die ich aushalten musste, reizte sie mich noch mehr. Ich bündelte meine Kräfte und stellte ihr einen Fußhacken und warf sie zu Boden. Nach einem Gerangel am Boden flogen die Fetzen von ihren Kleidern, wo ich sie mit meinen Händen festhielt.

Plötzlich erschien eine Frau, die glaubte, ich hätte die Betrügerin überfallen, und wollte diese befreien. Ich stand auf, verpasste der Frau eine Faust ins Gesicht und schrie: „Hau ab!“ Die Betrügerin wollte weglaufen. Ich aber packte sie von hinten mit beiden Händen und hielt sie fest. Weil meine Kräfte nachließen, schrie ich laut um Hilfe. Da kamen drei Männer auf Fahrrädern. Einer von denen sagte: Sie dürfen die Frau nicht festhalten, ich auch nicht, nur die Polizei; die fehlte aber noch. Obwohl ich ständig rief, das sei eine Verbrecherin, befreiten zwei Männer die Frau aus meinen Händen und hielten mich fest. Ich war wie von Sinnen und schimpfte mit den Männern. Alle meine Mühe und Kampf war umsonst. Die Betrügerin lief über die Kreuzung die Südstraße runter. Da tauchte ein Auto auf mit hoher Geschwindigkeit, besetzt mit drei Männern, die riefen, sie seien die Polizei (Zivilstreife). Ich lief zu ihnen und zeigte auf die Betrügerin, die noch in Sichtweite war. Die Polizei fasste in letzter Minute die Frau und mir fiel ein Stein vom Herzen.

In fünf Minuten standen fünf Polizeiwagen an der Kreuzung, zwei Zivilstreifen und drei Einsatzfahrzeuge der Polizei mit Blaulicht. Als ich mich umschaute, wo die Frau und die drei Männer wären, die mich festgehalten hatten, waren diese verschwunden. Ob die vier etwa mit dem Enkeltrick in Verbindung waren?

Die Polizei hat mich in ihr Auto genommen, mich beruhigt und mir sehr gedankt. Sie sagte, ich hätte mich gut verhalten, alles richtig gemacht und hätte ihnen sehr geholfen. Ohne meine Hilfe wäre die Festnahme der Frau nicht zustande gekommen. Da ich ein paar Schläge auf den Kopf bekommen hatte und ganz verwirrt aussah, wollte die Polizei mich ins Krankenhaus bringen. Ich lehnte ab und antwortete, ich sei keine weiche Nuss.

Was folgte, war ein Polizeiverhör in unserer Wohnung. Ich sollte Wort für Wort alles erzählen, wie sich alles von Anfang an bis zur Festnahme abgespielt habe.

Die festgenommene Frau war nach der Überprüfung 30 Jahre alt, Südländerin, kräftig und vorbestraft. Statt der fetten Beute von 25000 Euro sitzt die Betrügerin jetzt in Düsseldorf in Untersuchungshaft wegen Verdacht auf gewerbsmäßigen Betrug und Körperverletzung. Bei uns hatte sie keinen Erfolg, aber in Unna, Kamen, Fröndenberg und Holzwickede soll sie laut Westfälischer Rundschau ältere Menschen um über 50000 Euro geprellt haben. Es wird nach den Hintermännern gesucht und ob es noch weitere Geschädigte gibt.

Ich bin nicht stolz auf meine Tat. Wenn man nachträglich überlegt, und wie mich viele nach meinem Erlebnis gewarnt haben, hätte es auch anders ausgehen können. Mir ist jetzt auch bewusst, wie viele Leute über die Enkeltrick-Betrugsmasche wenig oder gar nicht informiert sind. Die Betrüger haben viele Rentner um ihr Vermögen gebracht und Millionen einkassiert. Die meisten Menschen wollen mit den Verbrechern nichts zu tun haben und legen bei Anruf das Telefon einfach auf. Ich würde es immer wieder versuchen, wenigstens einige von dieser Bande reinzulegen. Aber man sollte vorsichtiger sein und frühzeitig die Polizei verständigen, damit sie die Betrüger schon bei der Geldübergabe verhaften.

Was wir erlebt haben, war wie in einem Film. Auch in Zukunft werden wir oft an unser Abenteuer denken. Ich bin froh, dass ich heil und unverletzt davongekommen bin und die Betrügerin verhaftet ist.

Während sich das Schauspiel auf der Straße abspielte, telefonierte in der Wohnung die ganze Zeit über meine Frau mit der angeblichen Enkelin und hat von dem ganzen Trubel nichts mitbekommen. Als die Anruferin dachte, ich hätte das Geld übergeben, überraschte sie meine Frau am Telefon mit einer fröhlichen Stimme und sagte: „Oma, ich danke euch ganz herzlich, dass ihr mir geholfen habt und ich von der Polizei entlassen werde. Ich fahre jetzt in eine Konditorei, kaufe Kuchen, komme vorbei und wir trinken zusammen einen Kaffee.“ Von wegen. Bleibt gesund!

Maria und Hans Schuller

Schlagwörter: Bericht, Betrug, Enkeltrick, Polizei, Holzwickede, Urwegen

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