17. Oktober 2023
Vier Siebenbürger Sachsen in deutscher Eliteklasse: Helmut Heimanns persönlicher Rückblick auf 60 Jahre Fußball-Bundesliga
60 Jahre Fußball-Bundesliga – das sind 60 Jahre Faszination der Massen, 60 Jahre, in denen der Wettbewerb zu einem deutschen Kulturgut geworden ist. Ein Phänomen, das laut einer repräsentativen Studie 75 Prozent der deutschen Bevölkerung interessiert. 60 Jahre Bundesliga – das sind 60 Jahre Tore, Titel, Triumphe, aber auch Tragödien, Trauer, Tränen. Die Emotionsskala reicht von himmel hochjauchzend bis zu Tode betrübt, genauso wie es der größte deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe in den zehn Zeilen seines Gedichtes „Klärchens Lied“ in dem Theaterstück „Egmont“ beschreibt: „Freudvoll/ Und leidvoll/ Gedankenvoll sein/ Langen/ Und bangen/ In schwebender Pein/ Himmelhoch jauchzend/ Zum Tode betrübt/ Glücklich allein/ Ist die Seele, die liebt.“
Geliebt wurden und werden sie: die großen Mannschaften wie FC Bayern München, Borussia Mönchengladbach, Hamburger SV, VfB Stuttgart, Borussia Dortmund oder die großen Spieler wie Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Wolfgang Overath, Oliver Kahn, um nur einige zu nennen. 60 Jahre Bundesliga – das ist Fußball für Millionen in Deutschland und Milliarden in der ganzen Welt. Sie wird in über 200 Länder im Fernsehen übertragen. Eine Kultmarke!
Erster und bekanntester Siebenbürger Sachse in der Bundesliga war Gerhard Poschner. Er ist 1969 in Mettersdorf geboren und kam fünf Jahre später mit seiner Familie nach Deutschland. Sie ließen sich in Bissingen nieder, wo Gerhard bei der SpVgg mit dem Fußballspielen begann. Bald fiel er den Talentspähern aus dem nahen Stuttgart auf, und so landete er beim VfB, wo er mit 17 Jahren als A-Jugendlicher sein Bundesligadebüt im defensiven Mittelfeld gab. Er absolvierte in zwölf Spielzeiten für den VfB und Borussia Dortmund zwischen 1987 und 1999 sowie im ersten Halbjahr 2004 für den TSV 1860 München insgesamt 290 Bundesligaspiele mit 22 Toren. In 230 Partien davon stand er in der Startelf. Poschner gewann mit dem VfB einmal den DFB-Pokal, wurde mit Dortmund Vizemeister und Endspielteilnehmer im UEFA-Pokal. Kurioserweise gewann er nie die Deutsche Meisterschaft, obwohl der VfB und Borussia in seiner Zeit dreimal den Titel holten. Doch da stand er immer beim jeweils anderen Klub unter Vertrag. Verkehrte Fußball-Welt! Poschi, wie sein Spitzname lautet, ist ein Lebemann: drei Kinder mit zwei Ehefrauen, zwei Wohn- und Firmensitze als Spielerberater (Deutschland, Spanien), vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch). Mit Nationalspieler und VfB-Kollege Fredi Bobic betrieb er eine Sportsbar in Sindelfingen. Sohn Lucas arbeitet in seiner Agentur als Spielerberater und Scout. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. In Siebenbürgen war Poschi seit der Auswanderung nicht mehr. „Es reizt mich, dorthin zu reisen, da ich mich so gut wie an nichts mehr erinnern kann“, sagt er.
Das siebenbürgische Bundesliga-Quartett komplettiert Ronny Philp. Geboren 1989 in Hermannstadt, gelangte er mit der Familie als Einjähriger nach Deutschland. Es verschlug sie nach Fürth, wo Ronny mit dem Kicken begann und nach mehreren Stationen den Sprung in die Bundesliga schaffte. Dort absolvierte der Kämpfer mit dem Löwenherz als rechter Außenverteidiger zwischen 2012 und 2015 vierzehn Bundesligaspiele für den FC Augsburg, der viel von ihm hielt. Nach dem Karrierende machte Philp eine kaufmännische Lehre und kehrte zum Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth zurück, wo er als Mitarbeiter Sport und Scouting fest übernommen wurde. So hat sich der Kreis geschlossen.
Doch bis dahin war es ein langer und entbehrungsreicher Weg. Auf ihm habe ich wie viele Landsleute in der alten Heimat die Bundesligaspiele aus der Ferne vorwiegend im Radio verfolgt. Unvergessen ist die legendäre Sendung „Heute im Stadion“ mit Moderator Fritz Hausmann im Bayerischen Rundfunk. „Sie hat Generationen geprägt“, erzählt Walter Schneider, ein pensionierter Deutschlehrer, der aus Grabatz bei Hatzfeld stammt. „Weil sie uns die deutsche Geographie und vieles mehr lehrte. Wir waren dadurch bereits in Deutschland angekommen, bevor wir eingereist sind und sozialisiert. Sport und besonders Fußball war und ist bei der Integration hilfreich und vorurteilsfrei.“
Im Banat war es leichter als in Siebenbürgen, deutschen Fußball im Fernsehen zu schauen. Den Jugoslawen sei Dank. In Siebenbürgen machte die Not erfinderisch. Davon erzählt Mathias Pfaff, der aus Petersdorf bei Mühlbach stammt: „Wir fuhren mit Autos sechzig Kilometer in die Berge, durch die heute die Transalpina-Hochstraße führt, und nahmen einen tragbaren Fernseher mit, den wir an eine Autobatterie mit zwölf Volt Spannung anschlossen. Hoch oben drehte ein Landsmann die Antenne so lange hin und her, bis wir das ungarische Fernsehen empfangen konnten. Dafür war eine Spezialantenne mit senkrechter statt waagerechter Gabelung wie beim rumänischen Fernsehen notwendig. So konnten wir Spiele mit deutscher Beteiligung sehen, egal bei welchem Wetter.“ Den ersten leibhaftigen Bundesligisten bekam der 85-Jährige als Soldat in Bukarest zu Gesicht. Am 8. Dezember 1957 spielte Borussia Dortmund beim Armeeklub CCA, der späteren Steaua. Pfaff war als Soldat in Pipera stationiert und wurde mit anderen Kollegen in Uniform mit Bussen ins Stadion gebracht, um CCA anzufeuern. Dortmund verlor das Achtelfinalrückspiel im Europapokal der Landesmeister, gewann aber später das Entscheidungsspiel.
Von den 56 Mannschaften, die in 60 Jahren in der Bundesliga spielten, habe ich vier journalistisch begleitet: SV Stuttgarter Kickers, SC Freiburg, VfB Stuttgart und SSV Ulm 1846. Fast wären es fünf geworden: Doch Coach Uli Stielike scheiterte 1995 mit dem SV Waldhof Mannheim 07 im Aufstiegsrennen auf der Zielgeraden. Damals habe ich es auch mit anderen bekannten Bundesligatrainern zu tun bekommen wie Volker Finke, Winfried Schäfer, Rainer Zobel, Ralf Rangnick oder Robin Dutt. Und auch mit rumänischen Nationalspielern wie Florin Răducioiu, Ioan Viorel Ganea und Ciprian Marica, die beim VfB Stuttgart kickten.
Genauso selten war das, was am 26. Februar 2000 passierte. Ich fuhr mit dem Zug nach Bielefeld, wo die Ulmer Spatzen beim DSC Arminia antreten sollten. Damals waren Handys nicht lange auf dem Markt. Ich wollte mich aber nicht zum Sklaven eines solchen Gerätes machen, was mir fast zum Verhängnis geworden wäre. Denn während ich im Zug nach Bielefeld saß, wurde das Spiel wegen starken Schneefalls abgesagt. Die Verantwortlichen hatten vergessen, die Rasenheizung einzuschalten. Einmalig in der Bundesligageschichte! Doch die Redaktion konnte mich nicht verständigen, weil ich kein Telefon dabei hatte. Als ich in Bielefeld ankam und ein Taxi zum Stadion nehmen wollte, fragte mich der Fahrer: „Was wollen Sie dort? Das Spiel ist ausgefallen.“ Zum Glück hatte ich einen verständnisvollen Ressortleiter, sonst hätte ich mich nach einer anderen Arbeitsstelle umsehen müssen. War ich bis dahin wohl der einzige deutsche Sportjournalist ohne Handy, hat sich das umgehend geändert.
Geändert hat sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten auch der Bundesligafußball. Er ist kommerzieller, athletischer, schneller geworden – vom Rasenschach zum Tempospiel! Unverändert jedoch strömen Woche für Woche Hunderttausende in die Stadien. Bereits am ersten Spieltag ihrer Geschichte kamen 300.000 Zuschauer. Auf der Gala „60 Jahre Bundesliga“ der Deutschen Fußball-Liga (DFL) mit 450 Gästen im Berliner Tempodrom bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz die Bundesliga in seiner Festrede als „ein Thema, das die Nation um alle Lagerfeuer versammeln kann, immer noch wie kaum ein zweites“. Weil es zeitlos und unverwüstlich ist. Auf die nächsten 60 Jahre!
Frühes Debüt
Ihre Geschichte begann am 24. August 1963, als die ersten acht Bundesligaspiele angepfiffen wurden. In den vergangenen sechs Jahrzehnten haben vierzig Fußballer aus Rumänien in der Bundesliga gespielt, darunter innerhalb von 28 Jahren vier Siebenbürger Sachsen, im Schnitt alle sieben Jahre einer. Sie kamen allesamt in Transsilvanien zur Welt. Banater Schwaben kickten keine in der Bundesliga. Dafür haben sie einen Fußball-Weltmeister zu bieten: Jupp Posipal aus Lugosch wurde 1954 mit der deutschen Nationalmannschaft Erster bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz. Als Posipal beim Hamburger SV spielte, gab es die Bundesliga nicht. Ich habe darüber in dieser Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2004, S. 14, geschrieben (siehe auch SbZ Online vom 6. Juli 2004), als sich das „Wunder von Bern“ zum 50. Mal jährte.Erster und bekanntester Siebenbürger Sachse in der Bundesliga war Gerhard Poschner. Er ist 1969 in Mettersdorf geboren und kam fünf Jahre später mit seiner Familie nach Deutschland. Sie ließen sich in Bissingen nieder, wo Gerhard bei der SpVgg mit dem Fußballspielen begann. Bald fiel er den Talentspähern aus dem nahen Stuttgart auf, und so landete er beim VfB, wo er mit 17 Jahren als A-Jugendlicher sein Bundesligadebüt im defensiven Mittelfeld gab. Er absolvierte in zwölf Spielzeiten für den VfB und Borussia Dortmund zwischen 1987 und 1999 sowie im ersten Halbjahr 2004 für den TSV 1860 München insgesamt 290 Bundesligaspiele mit 22 Toren. In 230 Partien davon stand er in der Startelf. Poschner gewann mit dem VfB einmal den DFB-Pokal, wurde mit Dortmund Vizemeister und Endspielteilnehmer im UEFA-Pokal. Kurioserweise gewann er nie die Deutsche Meisterschaft, obwohl der VfB und Borussia in seiner Zeit dreimal den Titel holten. Doch da stand er immer beim jeweils anderen Klub unter Vertrag. Verkehrte Fußball-Welt! Poschi, wie sein Spitzname lautet, ist ein Lebemann: drei Kinder mit zwei Ehefrauen, zwei Wohn- und Firmensitze als Spielerberater (Deutschland, Spanien), vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch). Mit Nationalspieler und VfB-Kollege Fredi Bobic betrieb er eine Sportsbar in Sindelfingen. Sohn Lucas arbeitet in seiner Agentur als Spielerberater und Scout. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. In Siebenbürgen war Poschi seit der Auswanderung nicht mehr. „Es reizt mich, dorthin zu reisen, da ich mich so gut wie an nichts mehr erinnern kann“, sagt er.
Tragisches Ende
Drei Jahre nach Poschners Bundesligadebüt erfolgte jenes von Michael Klein, geboren 1959 in Hamlesch. Als Kind zog es ihn mit den Eltern und drei Geschwistern nach Eisenmarkt (Hunedoara), wo sein Vater eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Bei Corvinul stieg Mischa rasch zum Führungsspieler auf. Er brachte es zum Kapitän im Verein und der rumänischen Nationalmannschaft, mit der der defensive Mittelfeldspieler an der Europameisterschaft 1984 und der Weltmeisterschaft 1990 teilnahm. Ich interviewte ihn 1986 für die Neue Banater Zeitung (NBZ) in Temeswar, bei der ich bis zur Ausreise 1990 sechs Jahre als Sportredakteur gearbeitet habe. Klein war ein stiller, hingebungsvoller, zurückhaltender, seriöser, bienenfleißiger Fußballer. Deshalb schaffte er den Sprung in die deutsche Eliteklasse, wo er für den FC Bayer 05 Uerdingen in zwei Spielzeiten zwischen 1990 und 1993 insgesamt 37 Begegnungen bestritt. Leider nahm sein Leben viel zu früh ein tragisches Ende. Während eines Dauerlaufes mit der Uerdinger Mannschaft kollabierte er und verstarb wenig später mit nur 33 Jahren an Herz-Kreislaufversagen in Verbindung mit einem Infekt in der Lunge. In Eisenmarkt ist er unvergessen geblieben. Das Stadion des frischgebackenen Zweitligisten Corvinul trägt seinen Namen, und im Stadtzentrum steht seine Bronzestatue, an der jedes Jahr zum Todestag eine Gedenkfeier mit Kranzniederlegungen stattfindet. Der dritte Siebenbürger Bundesliga-Sachse ist Ralph Gunesch, der 1983 in Schäßburg zur Welt kam. Dort besuchte er die erste Klasse und wanderte als Siebenjähriger mit der Familie nach Deutschland aus, wo sie in Aachen ein neues Zuhause fand (siehe SbZ Online vom 26. April 2006). Der Innenverteidiger absolvierte 29 Bundesligaspiele: neun in der Saison 2006/07 unter Trainer Jürgen Klopp für den 1. FSV Mainz 05 sowie zwanzig in der Spielzeit 2010/11 für den FC St. Pauli. Mit beiden Mannschaften stieg er ab. Dennoch hat er auch angenehme Erinnerungen. 2011 gewann Gunesch mit St. Pauli das Stadt-Duell im ausverkauften Volksparkstadion beim renommierten Hamburger SV, als der Siebenbürger zu den Besten auf dem Platz gehörte. Es war der erste Derbysieg für St. Pauli nach 34 Jahren.Angesehener Experte
2015 musste Gunesch seine Karriere beim FC Ingolstadt 04 wegen eines Kreuzbandrisses ausgerechnet nach dem Aufstieg in die Bundesliga beenden. Dem Fußball blieb er ein Jahr später beim Streamingdienst DAZN erhalten. Zunächst ein Jahr als Assistent von Fußballkommentator Marco Hagemann, anschließend fünf Jahre als TV-Experte mit tiefgründigen Analysen der Bundesliga und Champions League. Das hat sich im vergangenen Jahr geändert, als Eintracht Frankfurt ihn für die neu geschaffene Stelle des Übergangstrainers verpflichtete. Er erstellt Pläne für die Spieler des Nachwuchsleistungszentrums, die er auf dem Platz umsetzen kann. Seine Funktion ist ein Mix aus Manager und Trainer. „Aus zeitlichen Gründen werde ich nur noch hin und wieder als Experte bei DAZN auftreten“, erklärt Gunesch. Nach Siebenbürgen möchte er gerne wieder reisen, um Ehefrau Marina und dem dreijährigen Töchterchen Laeticia die alte Heimat zu zeigen, an die er sich gerne erinnert: „Ich verstehe Sächsisch, kann es aber nicht sprechen.“ Verwandte hat er keine mehr in Transsilvanien.Das siebenbürgische Bundesliga-Quartett komplettiert Ronny Philp. Geboren 1989 in Hermannstadt, gelangte er mit der Familie als Einjähriger nach Deutschland. Es verschlug sie nach Fürth, wo Ronny mit dem Kicken begann und nach mehreren Stationen den Sprung in die Bundesliga schaffte. Dort absolvierte der Kämpfer mit dem Löwenherz als rechter Außenverteidiger zwischen 2012 und 2015 vierzehn Bundesligaspiele für den FC Augsburg, der viel von ihm hielt. Nach dem Karrierende machte Philp eine kaufmännische Lehre und kehrte zum Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth zurück, wo er als Mitarbeiter Sport und Scouting fest übernommen wurde. So hat sich der Kreis geschlossen.
Größter Wunsch
Mein Bundesliga-Kreis begann sich früh zu öffnen. Fünf Jahre vor dem Start der Bundesliga geboren, begann ich mich als Bube dafür zu interessieren. Der Vater eines Jugendfreundes bekam jahrzehntelang per Post von Verwandten aus Deutschland den kicker im Abo nach Großjetscha im Banat geschickt. Das Fachmagazin wurde in meinem Geburtsort nahe der jugoslawischen Grenze reihum gelesen. Irgendwann war ich dran und verschlang die Berichte. Im kicker gab es eine Rubrik für Neuerscheinungen. So begann ich als Kind, deutsche Verlage anzuschreiben und sie um Sportbücher zu bitten. Das Erste bekam ich mit acht Jahren über die Fußball-WM 1966 in England. Im Laufe der Zeit wurden es fünfzig Sportbücher, die ich alle gratis per Post erhielt. Bei der Ausreise nahm ich sie in Holzkisten nach Deutschland mit, wo sie einen Ehrenplatz in meiner Bibliothek bekommen haben. Dem kicker und diesen Büchern verdanke ich, dass ich Sportjournalist geworden bin, obwohl niemand in meiner Familie etwas mit Sport am Hut hatte. Schon als Kind war es mein größter Wunsch, Sportreporter zu werden statt Kosmonaut oder Lokführer. Nach Rumänien habe ich ihn auch in Deutschland verwirklicht, wo ich neun Monate nach der Ankunft als Sportredakteur bei BILD angestellt wurde, der größten Tageszeitung Europas, für die ich mehr als 22 Jahre lang tätig war. Vom chinesischen Philosophen Konfuzius stammt der Spruch: „Der Weg ist das Ziel.“ Was gibt es Schöneres, als auf diesem Weg das Hobby zum Beruf und den Beruf zum Hobby machen.Doch bis dahin war es ein langer und entbehrungsreicher Weg. Auf ihm habe ich wie viele Landsleute in der alten Heimat die Bundesligaspiele aus der Ferne vorwiegend im Radio verfolgt. Unvergessen ist die legendäre Sendung „Heute im Stadion“ mit Moderator Fritz Hausmann im Bayerischen Rundfunk. „Sie hat Generationen geprägt“, erzählt Walter Schneider, ein pensionierter Deutschlehrer, der aus Grabatz bei Hatzfeld stammt. „Weil sie uns die deutsche Geographie und vieles mehr lehrte. Wir waren dadurch bereits in Deutschland angekommen, bevor wir eingereist sind und sozialisiert. Sport und besonders Fußball war und ist bei der Integration hilfreich und vorurteilsfrei.“
Erfinderische Not
Mit der Zeit füllte sich mein Jugendzimmer in Großjetscha mit Bundesligasouvenirs, Postern und Starschnitten, bis kein Platz mehr auf Wänden, Tisch, Bett, Schranktüren war. Überall lagen, standen, klebten, hingen Wimpel, Kissen mit Anstecknadeln, Autogrammkarten, Vereinsembleme aus Plastik, Trikots, Kämme, Taschen, Schlüsselanhänger, Broschen, Handtücher mit Klublogos und die traditionelle kicker-Stecktabelle. In Grabatz hängte der Dorffriseur ein Foto von Bayernstar Karl-Heinz Rummenigge in seinem Friseurladen an die Wand statt, wie üblich, eines von Machthaber Nicolae Ceaușescu. Kinder gaben sich Namen von berühmten Bundesligaspielern, einige haben sie bis heute bewahrt. Ein anderer Grabatzer wurde als glühender Anhänger des VfB Stuttgart-Hans genannt.Im Banat war es leichter als in Siebenbürgen, deutschen Fußball im Fernsehen zu schauen. Den Jugoslawen sei Dank. In Siebenbürgen machte die Not erfinderisch. Davon erzählt Mathias Pfaff, der aus Petersdorf bei Mühlbach stammt: „Wir fuhren mit Autos sechzig Kilometer in die Berge, durch die heute die Transalpina-Hochstraße führt, und nahmen einen tragbaren Fernseher mit, den wir an eine Autobatterie mit zwölf Volt Spannung anschlossen. Hoch oben drehte ein Landsmann die Antenne so lange hin und her, bis wir das ungarische Fernsehen empfangen konnten. Dafür war eine Spezialantenne mit senkrechter statt waagerechter Gabelung wie beim rumänischen Fernsehen notwendig. So konnten wir Spiele mit deutscher Beteiligung sehen, egal bei welchem Wetter.“ Den ersten leibhaftigen Bundesligisten bekam der 85-Jährige als Soldat in Bukarest zu Gesicht. Am 8. Dezember 1957 spielte Borussia Dortmund beim Armeeklub CCA, der späteren Steaua. Pfaff war als Soldat in Pipera stationiert und wurde mit anderen Kollegen in Uniform mit Bussen ins Stadion gebracht, um CCA anzufeuern. Dortmund verlor das Achtelfinalrückspiel im Europapokal der Landesmeister, gewann aber später das Entscheidungsspiel.
Harter Konkurrenzkampf
Den ersten Kontakt zu Bundesligaspielern bekam ich bei der NBZ. Immer wenn sie zu Europapokalspielen nach Rumänien kamen, reiste ich nach Bukarest, Craiova oder Klausenburg und interviewte Thomas Berthold, Allan Simonsen, Uli Stielike, Morten Olsen, Hannes Löhr oder Dieter Müller, der mit sechs Treffern in einem Bundesligaspiel bis heute den Torrekord hält. Das gelang nicht mal seinem berühmten Namensvetter Gerd Müller. Jeder Interviewte schrieb eine Widmung für die Leser. In der NBZ wurden sogar die Bundesligaergebnisse veröffentlicht. Ich schrieb die Paarungen vor und rief nach Spielschluss in der Druckerei an der Arader Straße an, wo die Resultate vom diensthabenden Redakteur eingetragen wurden. Noch näher ran an die Bundesliga kam ich nach der Ausreise und meiner Anstellung bei BILD. Im harten Konkurrenzkampf um Exklusivnachrichten musste jeder Bundesligareporter seinen Verein nonstop begleiten. Das bedeutete: Anwesenheit bei Trainings, Pressekonferenzen vor und nach den Spielen, allen Partien, egal, ob zu Hause oder auswärts und in den Trainingslagern. Die Folge: Immer auf Achse, ständig weg, so gut wie kein Privatleben, meistens nur acht freie Wochenenden in einem Kalenderjahr. Dabei braucht es eine Partnerin mit viel Verständnis, damit das Familienleben funktioniert. Der ehemalige Chefredakteur von Sportbild Gerhard Pietsch hat gesagt: „Die Frau eines Sportjournalisten ist eine Witwe, deren Mann noch lebt.“Von den 56 Mannschaften, die in 60 Jahren in der Bundesliga spielten, habe ich vier journalistisch begleitet: SV Stuttgarter Kickers, SC Freiburg, VfB Stuttgart und SSV Ulm 1846. Fast wären es fünf geworden: Doch Coach Uli Stielike scheiterte 1995 mit dem SV Waldhof Mannheim 07 im Aufstiegsrennen auf der Zielgeraden. Damals habe ich es auch mit anderen bekannten Bundesligatrainern zu tun bekommen wie Volker Finke, Winfried Schäfer, Rainer Zobel, Ralf Rangnick oder Robin Dutt. Und auch mit rumänischen Nationalspielern wie Florin Răducioiu, Ioan Viorel Ganea und Ciprian Marica, die beim VfB Stuttgart kickten.
Seltene Vorkommnisse
Wer so lange dabei ist, erlebt viel wie 1992 den vierten Titelgewinn des VfB. Es war der erste, den ich als Sportjournalist in einem Bundesligastadion mitbekommen habe. Stuttgart wurde am letzten Spieltag in Leverkusen durch ein Kopfballtor von Weltmeister Guido Buchwald vier Minuten vor dem Schlusspfiff Deutscher Meister. Tausende VfB-Anhänger verwandelten das Ulrich-Haberland-Stadion nach dem Herzschlagfinale in einen Hexenkessel. Ich bin in einem Fanbus nach Stuttgart zurückgefahren und habe die Gänsehaut-Atmosphäre in einer Reportage für BILD eingefangen. Am selben Tag stiegen die Stuttgarter Kickers trotz eines Sieges über Bochum im Neckarstadion ab, in dem der VfB seine Heimspiele austrug. Zwei „meiner“ Vereine aus einer Stadt zeitgleich im Wechselbad der Gefühle. Etwas ganz Seltenes!Genauso selten war das, was am 26. Februar 2000 passierte. Ich fuhr mit dem Zug nach Bielefeld, wo die Ulmer Spatzen beim DSC Arminia antreten sollten. Damals waren Handys nicht lange auf dem Markt. Ich wollte mich aber nicht zum Sklaven eines solchen Gerätes machen, was mir fast zum Verhängnis geworden wäre. Denn während ich im Zug nach Bielefeld saß, wurde das Spiel wegen starken Schneefalls abgesagt. Die Verantwortlichen hatten vergessen, die Rasenheizung einzuschalten. Einmalig in der Bundesligageschichte! Doch die Redaktion konnte mich nicht verständigen, weil ich kein Telefon dabei hatte. Als ich in Bielefeld ankam und ein Taxi zum Stadion nehmen wollte, fragte mich der Fahrer: „Was wollen Sie dort? Das Spiel ist ausgefallen.“ Zum Glück hatte ich einen verständnisvollen Ressortleiter, sonst hätte ich mich nach einer anderen Arbeitsstelle umsehen müssen. War ich bis dahin wohl der einzige deutsche Sportjournalist ohne Handy, hat sich das umgehend geändert.
Geändert hat sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten auch der Bundesligafußball. Er ist kommerzieller, athletischer, schneller geworden – vom Rasenschach zum Tempospiel! Unverändert jedoch strömen Woche für Woche Hunderttausende in die Stadien. Bereits am ersten Spieltag ihrer Geschichte kamen 300.000 Zuschauer. Auf der Gala „60 Jahre Bundesliga“ der Deutschen Fußball-Liga (DFL) mit 450 Gästen im Berliner Tempodrom bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz die Bundesliga in seiner Festrede als „ein Thema, das die Nation um alle Lagerfeuer versammeln kann, immer noch wie kaum ein zweites“. Weil es zeitlos und unverwüstlich ist. Auf die nächsten 60 Jahre!
Helmut Heimann
Schlagwörter: Sport, Bundesliga, Fußball, Helmut Heimann
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- 23.10.2023, 08:17 Uhr von gogesch: Ganz spannender Bericht. Das der nächste Bundesligaspieler mit siebenbürgisch-sächsischen Wurzeln ... [weiter]
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