26. April 2006

Ralph Gunesch verteidigt St. Pauli

Hamburg – Es ist der 12. April 2006 und wieder einmal bestreitet der FC St. Pauli eines jener Fußballfeste, wie sie dieser „verrückte“ Kultverein schon häufiger erlebt hat. Für Gänsehautatmosphäre sorgen 19 200 Menschen im ausverkauften Stadion am Millerntor. Ein Millionen-Publikum an den Fernsehschirmen beobachtet gespannt, ob der Regionalligist dem deutschen Rekordmeister Bayern München im Halbfinale des DFB-Pokals ein Bein zu stellen vermag. Am Ende dieses elektrisierenden Pokalfights siegt der Favorit doch noch standesgemäß 3:0. Das ZDF, das die Partie live übertrug, urteilte hinterher im Online-Spielbericht: „Auf Seiten der Gastgeber waren Timo Schultz und Ralph Gunesch die Eifrigsten.“ Dem 22-jährigen Abwehrspieler Gunesch wird in Expertenkreisen eine große Perspektive bescheinigt. Seine Wurzeln liegen in Siebenbürgen.
Zwei Tage nach der Pokalniederlage, Karfreitag, Mittagszeit. Eine gute halbe Stunde vor Trainingsbeginn nimmt sich Ralph Gunesch Zeit für ein Telefoninterview; immerhin ist ihm die Siebenbürgische Zeitung ein Begriff, von seiner Oma her. Zunächst fällt auf, dass er mit leichtem norddeutschen Akzent spricht. Dies habe man auch schon in seinem näheren Umfeld bemerkt. Dabei lebt der Jungprofi noch keine drei Jahre in Hamburg. August 2003 war er vom Zweitligisten Alemannia Aachen zum Kiez-Klub St. Pauli gewechselt. Das zeugt von rascher Anpassungsfähigkeit. Und ihrer bedurfte Gunesch schon in jungen Jahren.

1983 ist Ralph Gunesch in Schäßburg zur Welt gekommen. Mit der großen Aussiedlungswelle im Jahr 1990 verließ die Familie ihre siebenbürgische Heimat und zog nach Aachen. „Die Umstellung ist mir sehr leicht gefallen“, meint Ralph, „ich war gerade sieben geworden, hatte keine Sprachprobleme und wurde gut in der Schule aufgenommen.“ Seine schulische Ausbildung verfolgte er konsequent. Parallel zum Fußball besuchte er das Gymnasium und erwarb das Fachabitur. Sportliche Erfolge haben ihm „die Integration natürlich erleichtert. Fußball ist die populärste Sportart. Lob und Anerkennung, die man sich hier verdienen kann, sind eine große Hilfe.“
Verteidiger mit Gardemaß: Ralph Gunesch
Verteidiger mit Gardemaß: Ralph Gunesch


Der Weg in den Profifußball war ihm keineswegs in die Wiege gelegt. Freilich spielte Mutter Christine in Schäßburg in der 2. Liga Handball. Ralphs Schwester Franziska spielt hobbymäßig Handball. Sein „Entdecker und erster Förderer“ war Vater Wilhelm, der dem sechsjährigen Sprössling beim Kicken auf der Straße zusah und ihn zum Fußballverein Alemannia Aachen brachte. Mit 17 Jahren sollte Ralph seinen ersten Profivertrag erhalten. Damit nicht genug, wurde er deutscher Auswahlspieler, spielte durchgängig in den U 17- bis U 20-Nationalmannschaften. Für Aachen, das jüngst den Aufstieg in die erste Bundesliga gefeiert hat, absolvierte der Jungprofi in seiner ersten Saison zwei Zweitligapartien. Danach gefragt, ob ihm die mit seinem Wechsel zu St. Pauli einhergehende Trennung von seiner Familie schwer gefallen sei, kontert der gelernte Innenverteidiger: „Überhaupt nicht. Seit meinem 19. Lebensjahr bin ich im bezahlten Profifußball tätig, jedes zweite Wochenende reist die Mannschaft zu Auswärtsspielen. Da lernt man Selbstständigkeit.“ So war der Sprung in die selbstständige Existenz nicht mehr groß. Dass ihn seine damalige Freundin in die Weltstadt Hamburg begleitete, machte die Eingewöhnung noch leichter. In seinem neuen Umfeld ist er bereits ein Sympathieträger. Im Verein nennen sie ihn ob seiner Leidenschaft für schnelle Autos „Felgen-Ralle“. Mit seinen Eltern, „die mich sehr unterstützt haben“, pflegt er regelmäßigen telefonischen Kontakt. Sein Vater und Schwester Franziska waren beim Bayern-Spiel im Stadion und fieberten mit.

Schäßburg bleibt unvergessen


Stichwort Karrierechancen: Wie sieht der 22-Jährige seine Zukunft? – „Langfristig will ich den nächsten Schritt gehen und in der ersten Bundesliga spielen, natürlich am liebsten mit St. Pauli. Dazu muss ich zunächst aber gesund bleiben, meine Leistungen der letzten Wochen und Monate bestätigen.“ Auf den Verteidiger mit Gardemaß (1,90 m) sind inzwischen auch andere Vereine aufmerksam geworden. Das Hamburger Abendblatt brachte ihn kürzlich mit dem Aufstiegsaspiranten Energie Cottbus in Verbindung. Reine Spekulation. Außer Frage steht jedoch, dass Gunesch das Potenzial für eine erfolgreiche Karriere besitzt. Da vergisst man leicht, woher man kommt, oder? Fanbegeisterung und Medienhype haben Gunesch bislang jedenfalls nicht abheben lassen. Siebenbürgen betrachtet er hier und heute zwar nicht als seine Heimat; auch der Begriff „Ursprung“ kommt ihm nicht leicht über die Lippen. Dann aber, beim dritten Anlauf, antwortet er mit unverstellter Nüchternheit: „Meine Wurzeln liegen in Siebenbürgen. Ich habe viele schöne Kindheitserinnerungen an Schäßburg, zum Beispiel an den Schulweg durch die Burg, an der Bergschule vorbei.“ Nach der Aussiedlung war die Familie Mitte der neunziger Jahre noch drei, vier Mal dort, bei Verwandten zu Besuch. Und Gunesch will „irgendwann, wenn es die Zeit erlaubt, wieder nach Schäßburg reisen, um meine Eindrücke aus der Kindheit mit der aktuellen Situation zu vergleichen“. Bis dahin aber ist ihm nur zu wünschen, dass er von schwerwiegenden Verletzungen verschont bleibt und weiterhin beharrlich seinen Weg im Profifußball geht, Schritt für Schritt.

Christian Schoger


Schlagwörter: Sport

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