30. Dezember 2005

Freude als Therapie

Eine Welt bricht zusammen, wenn ein chronisch Kranker, nach einer schier endlosen Lauferei von Arzt zu Arzt, endlich die klare Diagnose erfährt. So erging es auch mir im September 1996, als der Neurologe lakonisch "Parkinson" sagte. Bis zum Akzeptieren dieser Tatsache habe ich fast ein halbes Jahr lang versucht, die Realität zu ignorieren. Im Rückblick betrachtet kommt es mir vor, als habe ich vor dem eigenen Schatten wegzulaufen versucht.
In der Periode bis August 1999 bin ich weiterhin als Softwareentwickler tätig gewesen. Diese Beschäftigung, an der ich Freude hatte, half mir, die Krankheit leichter zu ertragen. Aber die Krankheit schritt fort und so wurden die Belastungen einer geregelten Arbeit fast unerträglich. Nach erfolglos verlaufenen Rehabilitationsversuchen schickte mich meine Rentenkasse im Jahr 2000 in Erwerbsunfähigkeitsrente.

Brunnen und Kreuz - dreifache symbolische Bedeutung: das Wasser (Brunnen) steht für das Leben, das Kreuz symbolisiert das Leiden und der Blick in die helle Ferne verheißt Erlösung. Foto: Otmar Rothbächer
Brunnen und Kreuz - dreifache symbolische Bedeutung: das Wasser (Brunnen) steht für das Leben, das Kreuz symbolisiert das Leiden und der Blick in die helle Ferne verheißt Erlösung. Foto: Otmar Rothbächer

Anfang 2000 trat ich der Regionalgruppe Schwäbisch Gmünd der deutschen Parkinson Vereinigung (dPV) bei. Vier Jahre später wurde mir die Gruppenleitung anvertraut. Dieses Amt hat mir, obwohl es eine zusätzliche Belastung war, auch Augenblicke der Zufriedenheit beschert. Ich bin um angenehme Erfahrungen reicher geworden. Es ist mir gelungen, das Hobby in den Dienst meines neuen Amtes zu stellen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse möchte ich anderen Menschen mitteilen. Wir haben uns die Krankheit nicht ausgesucht, sie hat uns heimgesucht. Sie ist heimtückisch! Von jetzt auf gleich kann sie zuschlagen, ohne Vorwarnung. Wir dürfen nicht fragen: "Warum gerade ich?". Berechtigter ist die Frage: "Warum ich nicht?". Was einen Menschen wirklich zum Menschen macht, ist der Verstand. Der ist uns geblieben. Gott sei Dank! Also nutzen wir ihn. Versuchen wir damit die Unzulänglichkeiten auszugleichen, die uns die Krankheit beschert hat. Versuchen wir Freude zu empfinden.
Und wir haben es versucht!

Als dPV-Regionalgruppenleiter habe ich die Möglichkeit, Persönlichkeiten kennen zu lernen, die im Kulturbereich politisch aktiv sind. So kam es, dass zwei Hobbyfotografen, Mitglieder unserer Gruppe, zusammen mit mir vom 1. bis 29. April 2005 in der "Spitalmühle" in Schwäbisch Gmünd 26 Fotos in den Größen 30x45 cm und 50x75 cm ausgestellt haben unter dem Motto: "Eine sinnvolle Beschäftigung, in unserem Fall die Fotografie, kann einem chronisch Kranken helfen, teilweise und/oder zeitweilig aus dem Hexenkessel seiner Krankheit auszubrechen". Primäres Ziel unserer Fotoausstellung war, mit unseren Bildern den Mitmenschen (Kranken und Gesunden) Freude zu machen. Natürlich wollten und wollen wir bei und durch unsere Tätigkeit auch Freude erfahren. Diese Freude hilft uns zumindest zeitweilig aus der Realität auszubrechen. Wenn man die Kette der dumpfen Gedanken von Zeit zu Zeit unterbricht, hat das eine positive Wirkung aufs Gemüt, was wiederum den Verlauf der Krankheit günstig beeinflussen kann. Freude braucht der Mensch (nicht zu verwechseln mit dem neudeutschen Begriff "Fun"). Es würde uns freuen, wenn auch andere Leidensgenossen oder sonstige Kranke (nicht nur Parkinson), unserem Beispiel folgend, ein altes Hobby aktivieren oder überhaupt ein Hobby entdecken würden, bei dem in ihnen schlummernde Kräfte sich entfalten könnten. Es wird ihnen Freude bereiten.

Unsere Fotoausstellung (siehe Siebenbürgische Zeitung) hat in der Presse ein positives Echo gefunden: "Parkinson ist eine nicht heilbare Krankheit. Ängste und Depressionen machen die Krankheit für die Betroffenen noch schlimmer. Doch Parkinson sei kein Grund zur Resignation, sagt Otmar Rothbächer, selbst Betroffener. Die Fotografie hilft ihm, aus diesem ‚Hexenkessel' auszubrechen." (Gmünder Tagespost). - "Trotz der Krankheit ist auch Freude möglich!" (Rems-Zeitung)

Zusammenfassend möchte ich hervorheben: Freude kann das Leben eines chronisch Kranken lebenswerter machen. Ein geeignetes Hobby kann die Quelle von Freude sein. Als Devise habe ich formuliert: Wir wollen uns auch weiterhin an den vielen kleinen schönen Dingen, die quasi am Wegrand liegen, z.B. einer schönen Blume, einem Sonnenuntergang etc. erfreuen und so versuchen, der Krankheit ein Stück von ihrem Schrecken zu nehmen!

Otmar Rothbächer

Bewerten:

30 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.