31. Oktober 2001

Geschichte - lebendig und provokant

Angesichts des Stellenwertes der Stadt München, des Austragungsortes der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2001, als Zentrum der Ost- und Südosteuropa-Forschung war es nahe liegend, im weiten Spektrum siebenbürgisch-sächsischer Kultur auch die Wissenschaft zu berücksichtigen. Bekannte Persönlichkeiten wie Harald Zimmermann, Claus Stephani, Harald Roth, Krista Zach und Günter Czernetzky kamen in der Vortragsreihe "Siebenbürgen: Forschung und Dokumentation" am 10. und 11. Oktober zu Wort.
Dank des Mitveranstalters, der Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas des Historicums der Ludwig-Maximilians-Universität München, wurde im Historicum der Ludwig-Maximilians-Universität München einem großen Kreis von Interessierten ein Einblick in aktuelle siebenbürgisch-sächsische Forschungsthemen gewährt.
Die Vortragsreihe wurde im voll besetzten Hörsaal 001 des Historicums durch Dr. Harald Roth, Leiter des Siebenbürgen-Institutes in Gundesheim, eröffnet. Mit dem Beitrag „Das Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim und die Siebenbürgen-Forschung“ zeichnete er nach einem kurzen Überblick zur Entwicklung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Siebenbürgen deren gegenwärtigen Stand auf und machte die Schlüsselstellung unserer zentralen Kultureinrichtungen in Gundelsheim deutlich. Dass diese über die Funktion einer Dokumentations- und Forschungsstelle hinausgeht, verdeutlichte er insbesondere durch die „Entwicklungshilfe“ die gerade gegenwärtig beim Ausbau des Hermannstädter Kulturzentrums „Friedrich-Teutsch-Haus“ mit Archiv, Museum und Forschungsstelle der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien gewährt wird.
Mit dem Referat „Hans Meschendörfer und sein posthum erschienenes Werk ‚Siebenbürger’“ präsentierte Dr. Krista Zach, Direktorin des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas und Geschäftsführerin des Südostdeutschen Kulturwerks in München, einen „Beitrag zur Herkunftsnamen-Forschung, zur Geschichte der frühen Migration und Integration sowie zur Dokumentation der Siebenbürger“. Ihr Vortrag war gleichzeitig eine Würdigung des Verlegers, Sammlers und Dokumentars Hans Meschendörfer, der in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte.
Im zweiten Teils des Abends zeigte der Autor, Regisseur und Produzent Günter Czernetzky seinen Dokumentarfilm „Deutsche im Gulag“ dem überwiegend aus Studenten und jüngeren Teilnehmern bestehenden Publikum und erntete für seine überzeugende Aufklärungsarbeit mit wichtigen Zeitzeugen der Kriegs- und Nachkriegszeit viel Lob und Anerkennung. Im Film sind neben beeindruckenden Aussagen und Schilderungen der Erlebnisse in russischen Straf- und Todeslagern von deutschen Zeitzeugen auch mehrmals betroffene Siebenbürger Sachsen mit ihren Schicksalen eingeblendet, darunter Friedrich Cloos, geboren 1909, und Dr. Hans-Julius Balthes, geboren 1924.
Der Film löste unter den anwesenden Zuschauern große Betroffenheit aus und regte zu Diskussionen an. Vor allem wollte man wissen wissen, wie der menschliche Umgang mit den Zeitzeugen, das Erfragen der Schicksale und Erlebnisse in den Gulag-Lagern der ehemaligen Sowjetunion zu bewerkstelligen sei, um diese leidgeprüften Menschen zu Aussagen vor der laufenden Kamera zu bewegen. Czernetzky klärte darüber auf, dass es um das Aufbauen und Vorhandensein eines Vertrauensverhältnisses zu den Zeitzeugen gehe und man diese reden lassen müsse, ohne sie durch Fragen allzusehr einzuengen oder zu unterbrechen. Auf die Frage nach dem Anteil von alten Dokumentarfilmen aus Archiven und eigenen Aufnahmen von den einstigen Lagern wie die der Umgebung aus Workuta im hohen Norden Sibiriens, antwortete der Regisseur, dass man sich bemüht habe, möglichst auch authentische Bilder von den früheren Lagern zu zeigen, die Möglichkeiten dazu jedoch begrenzt seien.
Im Anschluss daran stellte Czernetzky die gewichtige Dokumentation „,Ihr verreckt hier bei ehrlicher Arbeit!‘ Deutsche im Gulag 1936-1956. Eine Anthologie des Erinnerns“ vor, die Berichte vieler weiterer Zeitzeugen enthält. Das Buch ist im Leopold Stocker Verlag Graz-Stuttgart, im Jahr 2000 erschienen und von Eva Donga-Sylverster, Günter Czernetzky und Hildegard Toma herausgegeben worden. Es ist für DM 49,80, zuzüglich Versand, bei der Bücherquelle Buchhandlungs GmbH des Leopold Stocker Verlages, A-8011 Graz, Hofgasse 5, zu bestellen.

Am zweiten Abend der Vortragsreihe konnte Prof. Dr. Edgar Hösch seitens der Veranstalter nur einen kleineren Besucherkreis begrüßen, fand doch zur gleichen Zeit die Eröffnung der Grafik-Ausstellung Johann Untch statt – siehe Bericht in dieser Zeitung. Ihnen bot der Volkskundler Dr. Claus Stephani einen Einblick in ein reiches Sammel- und Dokumentationswerk, das sich bisher in der Veröffentlichung von 16 Sammlungen mündlicher Überlieferung sowie 6 Sammlungen von Lebensberichten insbesondere der deutschen Minderheiten in Rumänien niedergeschlagen hat. Auch wenn sein Referat gewissermaßen als „Trauerarbeit“ präsentiert wurde – Dokumentation und Auseinandersetzung mit einem Aspekt siebenbürgisch-sächsischer Kultur, der in der Zwischenzeit untergegangen ist –, geschah das zu einem solch interessanten Thema und wurde so kurzweilig dargeboten, dass es für die Besucher zum Genuss wurde und auch zu Diskussionen anregte. Das Referat „Wirklichkeit und Freiraum der Phantasie. Dämonische Wesen im Alltag und in der Volkserzählung“ wird in einer der nächsten Folgen der Siebenbürgische Zeitung abgedruckt.
Das ist mit dem Beitrag von Professor Harald Zimmermann schon auf Seite 1 dieser Folge geschehen. Die Fragestellung zur Zukunft der siebenbürgischen Forschung und Geschichtsschreibung war ähnlich provokant, wie die Frage „Feiern wir hier richtig?“ bei der 850-Jahrfeier in der Frankfurter Paulskirche. Vermutlich wurde Prof. Zimmermann dazu einerseits angeregt durch die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur im Entstehungsprozess seines jüngsten Werkes „Der Deutsche Orden im Burzenland. Eine diplomatische Untersuchung“, Band 26 der Reihe Studia Transylvanica, andererseits durch die Kritik jüngerer Historiker an der bisherigen Geschichtsschreibung und deren Forderung, sie unter gesamtsiebenbürgischem Aspekt und entsprechender Berücksichtigung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte neu zu schreiben.
Die provokante Fragestellung führte trotz des versöhnlichen Fazits – Geschichte muss immer weiter geschrieben werden, und man muss sich dafür einsetzen, dass die 850 Jahre bisherige Geschichte Siebenbürgens als Teil der deutschen Kulturgeschichte nicht in Vergessenheit gerät – zu einer angeregten Diskussion, in der sich Pro und Contra zum Teil als generationsbedingt herausstellten.

Walter Klemm


Schlagwörter: Kulturtage, Kulturtage 2001, Kulturprogramm, Kultur, Wissenschaft, Geschichte, Forschung, Persönlichkeiten, Vortrag

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