21. September 2006

16. Sachsentreffen in Birthälm: "Wir in Europa"

Gutgelaunte Menschen – viele von ihnen in schöner siebenbürgisch-sächsischer Tracht – schlendern durch die Gassen. Auf dem Marktplatz steigt ein süßer Vanillegeruch hoch. Dann läuten die Kirchenglocken, und die Menschen begeben sich in die geräumige Burgkirche. Allmählich wird die Kirche voll, einige müssen stehen, der Gottesdienst beginnt. So ähnlich wird es früher in allen sächsischen Dörfern gewesen sein. Und so beginnt das 16. Sachsentreffen am Morgen des 16. Septembers 2006 in Birthälm.
“Wir in Europa“ war das diesjährige Thema des Begegnungsfestes, an dem 2 000 Gäste teilnahmen. Ortspfarrer Ulf Ziegler hieß die Gottesdienstbesucher herzlich willkommen. "Das ist meine Freude" sang passend dazu der Zeidner Chor unter der Leitung von Johann Untch, der auch an der Orgel spielte. Prof. Dr. Hans Klein, Bischofsvikar und Vorsitzender des Hermannstädter Forums, stellt in seinem Grußwort fest: „In der nächsten Zeit werden wir in die Europäische Union integriert, das ist ein großer historischer Augenblick. Wir waren vom westlichen Teil Europas abgeschnitten, wir waren eingeriegelt und haben versucht, das Beste aus der Situation zu machen.“ Trotz der schweren Vergangenheit sei man zuversichtlich: „Die Zukunft ist nach allen Richtungen“, erklärte der Bischofsvikar abschließend.

Beim Sachsentreffen in Birthälm bietet die Kirchenburg das perfekte Ambiente für den Trachtenmarsch der zehn Tanzgruppen. Foto: Ruxandra Stanescu
Beim Sachsentreffen in Birthälm bietet die Kirchenburg das perfekte Ambiente für den Trachtenmarsch der zehn Tanzgruppen. Foto: Ruxandra Stanescu

Die Kronstädter Pfarrerin Marion Werner betonte in ihrer Predigt, dass es wichtig sei, „auf das zu sehen, was noch immer da ist, auf das zu sehen, was immer da ist“. Auch sei es „nicht selbstverständlich, dass man sich auf das Zusammensein freut, und dafür soll man dankbar sein“.

Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen (DFDS), kündigte in seiner Ansprache nach dem Festgottesdienst an, dass dies vorerst das letzte Sachsentreffen in Birthälm sei. 2007 werde das Treffen im Rahmen der Veranstaltungen der „Kulturhauptstadt Europas“ in Hermannstadt gefeiert. Danach werde das Begegnungsfest abwechselnd in verschiedenen Orten Siebenbürgens ausgerichtet. Seitens der Bundesrepublik Deutschland überbrachte Generalkonsul Thomas Gerlach die besten Grüße. Die Siebenbürger Sachsen leisteten als Brückenbauer sowohl in Siebenbürgen als auch in Deutschland einen wichtigen Beitrag zu einem vereinten Europa, betonte Gerlach. Der Bundesvorsitzende des landsmannschaftlichen Verbandes aus Österreich, Pfarrer Volker Petri, richtete Grüße seitens der in Österreich lebenden Landsleute aus. Neben seinen Gedanken zum Motto „Wir in Europa“ überbrachte Petri auch eine Spende zum guten Gelingen des Festes.

Grüße seitens der in Deutschland lebenden Landsleute und des Bundesvorstandes der Landsmannschaft in Deutschland sprach der stellvertretenden Bundesvorsitzende Dr. Bernd Fabritius aus. Er gratulierte dem Siebenbürgenforum zum Motto „Wir in Europa“, das er wie folgt interpretierte: „Sie beschreiben damit genau den Zustand unserer siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft. Wir sind eine von gleichen Werten geprägte und nicht auf eine geographische Region reduzierbare Gemeinschaft. Wir haben alle den gleichen kulturellen Hintergrund, eine gemeinsame Geschichte und nun ab 2007 mit dem zusammenwachsenden Europa auch wieder ein gemeinsames Zuhause.“ Damit bezeichne das Motto auch die Überwindung der oft gehörten Trennung zwischen „Hiergebliebenen“ und „Weggegangenen“, den „Sommersachsen“ oder „Deutschländern“, wie die Landsleute zum Teil bezeichnet werden. Das Motto sei gleichsam ein Bekenntnis zu einer grenzüberschreitenden Gemeinschaft, die in der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen schon einen weiteren Rahmen gefunden habe. In diesem Sinne übergab Fabritius seitens der Siebenbürger Sachsen in Deutschland eine Spende zum Gelingen des Festes und wünschte ein frohes Wiedersehen beim Heimattag 2007 in Dinkelsbühl, wozu alle herzlich eingeladen seien.

Dr. Paul Jürgen Porr (links) überreicht die Honterus-Medaille an den Historiker Prof. Dr. Thomas Nägler. Foto: Ruxandra Stanescu
Dr. Paul Jürgen Porr (links) überreicht die Honterus-Medaille an den Historiker Prof. Dr. Thomas Nägler. Foto: Ruxandra Stanescu
Nach der Feierstunde zog es Ehrengäste und Besucher auf den großen Platz der Gemeinde. Hier gab es vieles zu probieren, riechen und insbesondere zu fotografieren. Der hausgemachte Kuchen, direkt vom Blech angeboten, war bald alle, leckerer Baumstriezel und die traditionellen mici rundeten das Angebot ab. In fließendem „Babylonisch“ tauschte man Erinnerungen aus: deutsche, ungarische, rumänische und vor allem sächsische Geschichten waren überall zu hören. In einer bunten Mischung von kleinen Ausstellungen und Ständen war für jeden etwas zu finden: selbst gebastelter Schmuck, gestrickte und gehäkelte Handarbeiten, alte und neue Fotos, bemalte Steine, Plastikkram, Spielzeug und bunte Schlappen, aber auch nach Keller riechende Bücher, Zeitungen (Neuer Weg oder Die Woche Weg aus dem Jahr 1976) und sogar alte Heimat- oder „Sylvia“-Romane.

Begeistert waren die Besucher besonders von den zehn Tanzgruppen, die den Marktplatz um die Mittagszeit belebten: Jung und Alt, Klein und Groß, der Trachtenumzug und die Auftritte der Volkstanzgruppen ernteten begeisterten Applaus. Dabei waren viele der „Siebenbürger Sachsen“ gar keine Sachsen mehr, sondern Schüler der deutschen Abteilungen der rumänischen Schulen, wie man auch beim Treffen des Jugendwerks feststellen konnte. Die Tanzgruppen waren u.a. aus Zeiden, Schäßburg, Sächsisch-Reen, Hermannstadt, Heltau, Bistriz, Kronstadt angereist. Die kleinen Heltauer hatten zwar ihr Schild mit dem Wappen vergessen, doch ließen sie sich nicht stören und ernteten lebhaften Applaus.

Ein weiterer Höhepunkt stand am Nachmittag im Kulturheimsaal auf dem Programm: Der Historiker Nägler sprach in seiner Festrede über die Geschichte und Zukunft, aber auch über die Rolle der sächsischen Gemeinschaft in Europa: „Die wichtigste Errungenschaft nach der Wende, auch für uns, war die Vereinigungsfreiheit. Man wurde wieder ein Partner im In- und Ausland, aber die Mehrheit der Siebenbürger Sachsen verließen die angestammte Heimat. Zu viel hatte sich angestaut, und das Ventil brach auf. Die Evangelische Kirche und das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien gehen nach 1989 einen neuen Weg. Es hat einen Sinn, sich für Europa und die Menschlichkeit der Welt einzusetzen.“ Dieser neue Weg sei jedoch nicht einfach. Mit Blick auf die Brückenfunktion der Siebenbürger Sachsen betonte Nägler: „Die Freiheit, die wir haben, hat einen besonderen Wert nur durch die Anerkennung aller Grundrechte, nicht nur eines beliebigen Teils, den uns die Regierungen gönnen.“

Der Saal des Kulturhauses war voll, gespannt verfolgten die Zuschauer eine Zusammenfassung der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte. „Es ist eine große Ehre, dass ein berühmter Historiker das Wesentliche über die Siebenbürger Sachsen vorträgt“, hörte man aus dem Publikum leise.

Dem Historiker Prof. Dr. Thomas Nägler verlieh das Siebenbürgenforum, der Organisator des Sachsentreffens, sodann die Honterus-Medaille „für besondere Verdienste um den Zusammenhalt der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft“. Seit 14 Jahren wird diese Medaille verliehen, erklärte Paul Jürgen Porr, der dem Historiker die Medaille überreichte. Bisher haben u. a. Professorin Inge Jikeli und Professor Dr. Paul Philippi diese Medaille erhalten, aber auch ausländische Persönlichkeiten wie Wilhelm Schiel, langjähriger Vorsitzender des Sozialwerks der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, oder Dr. Fritz Frank, der ehemalige Bundesobmann der Landsmannschaft in Österreich.

Wer eine Laudatio auf Prof. Thomas Nägler zu halten hat, steht vor einer schwierigen Aufgabe, da seine Tätigkeiten schon vielen bekannt sind. Ein ehemaliger Schüler von Nägler, Dr. Zeno Pinter, Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen in Bukarest, berichtete über dessen wissenschaftliche Forschung, seinen Einsatz für die deutsche Minderheit in Rumänien und gemeinsame Erinnerungen.

Nach der Festrede eilten die Besucher zu den verschiedenen Veranstaltungen. Auf dem Platz vor dem Bürgermeisteramt spielten die „Lustigen Adjuvanten“ aus Traun und die Blaskapelle des Bistrizer Forums um die Wette, in der Kirche traten Kinder und Jugendliche aus Schäßburg und Fogarasch mit dem Musical „Jonathan“ von Marion und Gilbert Schäl auf, und im Kulturheimsaal sang der Chor aus Piatra Neamt.

Viele kauften noch einen Baumstriezel, bevor sie schweren Herzens heimfuhren. Dass man sich aber beim 17. Sachsentreffen unbedingt wiedersehen muss, bleibt gewiss.

Ruxandra Stănescu


Schlagwörter: HOG-Treffen, Birthälm

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