11. Dezember 2011

Interview mit Horst Göbbel über Migration und Integration der Siebenbürger Sachsen

Migration und Integration bewirken einen wechselseitigen Kulturaustausch zwischen den Völkern. Von einem transkulturellen Prozess kann man auch bei den Siebenbürger Sachsen sprechen, da bestimmte kulturelle Werte übertragen und übernommen wurden, die zur Identifikation mit der siebenbürgisch-deutschen Kultur geführt haben. Mit der „Transkulturalität“ der Siebenbürger Sachsen befasst sich Carmen Diana Oltean in ihrer Magisterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Im Rahmen eines Praktikums bei der Siebenbürgischen Zeitung führte sie das folgende Interview mit Horst Göbbel über den Verlauf des Kulturaustausches sowie über Vor- und Nachteile der Migration und Integration. Horst Göbbel wurde am 2. Oktober 1944 auf dem Fluchtweg im ungarischen Ofeherto geboren. Er studierte Geschichte in Klausenburg und, nach seiner Aussiedlung, Germanistik und Sozialkunde an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg. 1977 trat er in den bayerischen Schuldienst ein und war bis 2009 als Gymnasiallehrer in Nürnberg tätig. Er war 20 Jahre lang ehrenamtlicher Vorsitzender die Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen, wirkte als stellvertretender Bundesvorsitzender und stellvertretender Vorsitzender der Landesgruppe Bayern des landsmannschaftlichen Verbandes. Heute ist er u. a. als Vorsitzender des Hauses der Heimat Nürnberg e.V., Vorsitzender der HOG Jaad und Sprecher der HOG-Regionalgruppe Nordsiebenbürgen aktiv.
Welche Erfahrung haben Sie als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien gemacht?
Meine Kindheit und Jugendzeit habe ich bis zu meiner Heirat und Aussiedlung im Jahre 1973 in Siebenbürgen, in Rumänien erlebt. Geprägt wurde ich stark durch das deutsche Elternhaus, durch meine Ausbildung (deutsche Grundschule, Schüler in der deutschen Abteilung des Bistritzer Gymnasiums und ab 1962 bis 1967 Student der Geschichte in Klausenburg, dann Geschichtelehrer am gleichen Bistritzer Gymnasium), durch meine offene Haltung gegenüber unseren rumänischen, ungarischen, zigeunerischen Nachbarn, zu denen ich auch heute noch ein ungestörtes Verhältnis pflege. Die gesamte Zeit war mir klar, dass ich der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft angehöre. Aus dieser Gemeinschaft schöpfte ich Kraft und Zuversicht auch bezüglich meiner Zukunftsvorstellungen.
Meine Erfahrungen in Rumänien sind, ganz allgemein gesehen, einerseits negativ gewesen, weil ich innerlich das diktatorische und vermehrt nationalistische Regime (zuletzt das Ceaușescu-Regime) abgelehnt habe, andererseits sehr positiv, weil für mich das Nebeneinander- und Zusammenleben mit den Rumänen, den Ungarn, den Zigeunern im Alltag und kulturell befruchtend war.

Wenn Sie sich, neben den siebenbürgisch-sächsischen, auch in rumänischen Kreisen bewegt haben, gibt es Werte aus der rumänischen Kultur, die sich auf Ihre Persönlichkeit übertragen haben?
Ja, natürlich: Etwa eine gewisse Gabe, sich mit der Umwelt, mit der Umgebung, mit dem anderen zu arrangieren, ein unbeschwertes, balkanisches Lebensgefühl mit Sinn für das Lockere, für Musik, für Tanz, in gewissem Maße auch Toleranz.

Sie sind in den 1970er Jahren nach Deutschland ausgewandert. War das ein starker Wunsch von Ihnen?
Ja, dieser Wunsch war sehr massiv. Auswandern wollte ich unbedingt wegen der Unfreiheit in der rumänischen Diktatur, wegen dem verstärkten Nationalismus Ceaușescus und seiner Partei, auswandern wegen der immer kleiner werdenden Perspektive, als Deutscher in Rumänien mir eine sinnvolle Zukunft aufbauen zu können, zuletzt auch auswandern, weil ich eine Frau aus Österreich (mit siebenbürgisch-sächsischen Wurzeln) geheiratet hatte …

Horst Göbbel. Foto: Don Alfredo ...
Horst Göbbel. Foto: Don Alfredo
Wie war Ihr erstes Gefühl, als Sie Deutschland betraten? Hatten Sie den Eindruck, dass Sie zu Hause angekommen sind?
Ja, eindeutig. Ich war vom ersten Augenblick hier zu Hause. Ich erlebte hier erstmals persönliche Freiheit, gelebte, wertvolle, recht gut funktionierende Demokratie. Dabei habe ich mich von Siebenbürgen und Rumänien nie losgesagt, auch wenn beispielsweise meine Besuche in der Heimat Siebenbürgen vermehrt erst nach 1990, nach dem Ende der kommunistischen Diktatur stattfinden.

In Deutschland haben Sie ein zweites Studium begonnen. Wie war Ihre Beziehung zu den einheimischen Mitstudenten? Wurden Sie als „Deutscher unter Deutschen“ akzeptiert oder wurden Sie anders behandelt?
Es mag sein, dass ich durch meine frühere Lehrertätigkeit und eben als Historiker manches in Deutschland relativ schnell einschätzen konnte. Meine Kommilitonen haben mich insgesamt korrekt aufgenommen. Ich habe hie und da zwar erklären müssen, dass ich nicht Rumäne, sondern Deutscher aus Rumänien bin, was mir nie schwer gefallen ist. Jede Diskussion über das Thema „Deutscher unter Deutschen“ zu sein war letztendlich befruchtend.

Wo haben sich die Siebenbürger Sachsen nach Ihrer Meinung als Minderheit gefühlt: nur in Rumänien oder auch in Deutschland?
Sicherlich ist in Deutschland nicht alles in Butter, auch hier gibt es viel zu tun, viel zu verändern, jedoch ist es klar, dass wir in Rumänien uns eher als Minderheit gefühlt haben (die Zahlen sind ja entsprechend), hier jedoch spielen die Zahlen nicht die gleiche Rolle, weil Siebenbürger Sachsen genau so wie Banater Schwaben eben Deutsche sind. Eng gesehen sind wir auch hier eine Minderheit und werden sicherlich im Laufe der nächsten Generationen mehr und mehr als Siebenbürger Sachsen wohl nicht auftreten, weil der Integrationsprozess in diese Gesellschaft unaufhaltsam ist.

Sie waren Gymnasiallehrer für Geschichte, Deutsch und Sozialkunde am Hans-Sachs-Gymnasium in Nürnberg. Inwieweit hatten Sie die Gelegenheit, Ihren Schülern einen Teil der siebenbürgisch-deutschen Kultur zu vermitteln?
Als Gymnasiallehrer für Geschichte, Deutsch und Sozialkunde hatte ich in Nürnberg vielfältige Möglichkeiten, meinen Schülern einen Teil der siebenbürgisch-deutschen Kultur zu vermitteln: Ich habe mich überall schon in der ersten Unterrichtsstunde als Siebenbürger Sachse vorgestellt, habe überall, wo es mir sinnvoll erschien, besonders in Geschichte und Sozialkunde, im Unterricht auf Siebenbürgen, auf Rumänien, auf die Diktatur hingewiesen, habe mit meinem Leistungskurs Geschichte-Sozialkunde beispielsweise eine Studienfahrt nach Siebenbürgen durchgeführt u. a. m. Siebenbürgen als europäische Kulturlandschaft war in meinem Unterricht, aber auch in meinem Zusammenleben mit meinen Kolleginnen und Kollegen immer ein Teil meiner öffentlich zur Schau getragenen Welt. Ich bin dabei auf Interesse und Achtung gestoßen.

Die Kreisgruppe Nürnberg, die Sie 20 Jahren geleitet haben, ist eine der aktivsten Gruppen der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Wie schaffen Sie es, die hier aufgewachsene Generation von der Wichtigkeit der Kulturpflege und Kulturvermittlung zu überzeugen?
Eigentlich ganz einfach, indem wir nicht weltfremd am Siebenbürgisch-Sächsischen festhalten. Wir prüfen hier, was überhaupt machbar ist, was erwartet wird, und passen unsere Aktivitäten auch an die Bedürfnisse unserer hiesigen deutschen Gesellschaft an. Wir versuchen eng mit anderen zugewanderten Deutschen aus Osteuropa zusammen zu arbeiten, ebenso mit den Kulturgremien und den politischen Strukturen der Kommunen. Wir wissen natürlich, dass viele Kinder und Jugendliche auch andere, nichtsächsische Wege gehen, was respektiert werden muss. Dass, was wir anpacken, wollen wir jedoch für unsere Interessenten möglichst attraktiv und sinnvoll gestalten, was uns in gewissem Maße wohl gelingt, wenn ich beispielsweise feststelle, wie viele Kinder und Jugendliche den Weg zu uns finden.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, eine Reise in die Vergangenheit durchzuführen, würden Sie die Auswanderung immer noch vollziehen?
Ja, auf jeden Fall würde ich wieder so handeln. Wer Freiheit und Zukunftsperspektive liebt, der verlässt Diktatur und Nationalismus gerne.

Schlagwörter: Interview, Migration, Integration, Siebenbürger Sachsen

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