17. Januar 2014

Das Armutsgefälle in Europa verringern

Seit dem 1. Januar 2014 gilt die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Bürger aus Rumänien und Bulgarien. Sie können uneingeschränkt Arbeit suchen und brauchen keine Arbeitserlaubnis mehr, um sich in Deutschland niederzulassen. Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, ist seit letztem Herbst Bundestagsabgeordneter der CSU. In der aktuellen, kontroversen Diskussion, die von der CSU angestoßen wurde (diese Zeitung berichtete), ist Bernd Fabritius ein gefragter Experte für viele deutsche Medien. Er wurde 1965 in Agnetheln in Siebenbürgen geboren und kam im Alter von 18 Jahren nach Deutschland. Siegbert Bruss befragt ihn im folgenden Interview über die Hintergründe der Armutsmigration und die Möglichkeiten, diese Probleme zu bewältigen.
Die CSU hat unter dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“ eine Diskussion über die Armutszuwanderung angestoßen und will Maßnahmen gegen den „fortgesetzten Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung“ ergreifen. Droht Deutschland eine Masseneinwanderung armer Rumänen und Bulgaren?

Ich würde nicht von „Masseneinwanderung“ sprechen. Die meisten Zuwanderer sind arbeitswillig, gut integrierbar und werden gebraucht. Trotzdem wird es in einem Europa mit derart unterschiedlichen Lebensniveaus auch Armutswanderungen geben. Ich würde dieses nicht auf konkrete Länder fixieren. Auf derartige Armutswanderungen sind unsere Sozialsysteme nicht eingestellt. Sie funktionieren nach einem Solidarprinzip und beruhen auf einem Zusammenspiel von Einzahlung und Leistungsforderung. Wenn eine Personengruppe nicht einzahlt und nur an Leistungsforderung Interesse hat, dann ist das Missbrauch der Solidarsystematik. Es waren SPD-regierte Städte, wie gerade auch München, die bereits im letzten Jahr vor einer „Gefährdung des sozialen Friedens“ gewarnt und die Politik zum Handeln aufgefordert haben. Dieses hat die CSU nun aufgenommen und will Missbrauchsmöglichkeiten beseitigen. Das ist weder ein allgemeiner Vorwurf gegen „Rumänen und Bulgaren“ noch gegen zuwandernde Arbeitnehmer, sondern – herkunftsneutral – gegen diejenigen, die kein echtes Interesse an einer aufrichtigen Arbeitnehmerzuwanderung haben und nur auf Leistungen unserer Sozialsysteme abzielen.


Wie ist die Diskussion bei der Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth vom 7.-9. Januar aus Ihrer Sicht gelaufen, hat das Grundsatzpapier zum Thema Armutszuwanderung auch Ihre Zustimmung gefunden?

Die Diskussion war sachlich, differenziert und hat sich um die Findung von Lösungen für die offenbarten Missbrauchsmöglichkeiten bemüht. Dem Grundsatzpapier habe ich ohne Vorbehalte zugestimmt, weil ich dessen Aussage – nicht deren Überinterpretation und Verallgemeinerung in der öffentlichen Debatte – ohne Abstriche zustimme.


Welche Vorteile ergeben sich für Deutschland durch die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit, die seit 1. Januar 2014 in vollem Umfang auch für Rumänien und Bulgarien gilt?

Am 23. Dezember 2013 hat das Institut für ­Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, eine Studie veröffentlicht, aus der klar ersichtlich ist, dass die Arbeitnehmerzuwanderung in einer Gesamtschau für Deutschland vorteilhaft ist. Es wandern mehrheitlich Arbeitnehmer zu, die wir auf dem deutschen Arbeitsmarkt benötigen. Viele davon bringen eine fertige Ausbildung mit, die sie bei uns einsetzen. Diese zahlen nach einer Arbeitsaufnahme auch Beiträge in unsere Sozialsysteme, die wir aufgrund der demografischen Situation ebenfalls dringend benötigen. Das alles sind Vorteile.

Sprechen wir auch über die andere Seite der Medaille: Sind die Befürchtungen berechtigt, dass die neuen Zuwanderer die sozialen Systeme Deutschlands missbrauchen? Und was lässt sich dagegen tun?

Nicht „die neuen Zuwanderer“, über die wir vorher gesprochen haben, missbrauchen unsere Systeme, sondern nur diejenigen, die sich der Leistungssolidarität entziehen und nur Forderungen geltend machen wollen. Wenn jemand nur zu uns kommt, weil er hier ohne Arbeit alleine aufgrund der Kindergeldansprüche besser lebt als in seinem Herkunftsland, dann ist das Missbrauch unserer Solidarsysteme.

Dr. Bernd Fabritius vor dem Reichstagsgebäude in ...
Dr. Bernd Fabritius vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Foto: S. Dobberstein
Zur Lösung der Problematik muss zuerst alles unternommen werden, damit das Armutsgefälle in Europa verringert wird. Sowohl Rumänien als auch Bulgarien (auch wenn hier durchaus relevante Unterschiede bestehen) ist der Vorwurf zu machen, dass die Übergangszeit als Chance für Verbesserungen in der Armutssituation weitgehend ungenutzt verstrichen ist. Mittel der Europäischen Union wurden zu wenig genutzt. Auch die Europäische Union muss ihren Beitrag zur Beseitigung dieser Missstände leisten und in den betroffenen Ländern auf geeignete Maßnahmen drängen – das Prinzip „Fordern und Fördern“ würde sich auch hier bewähren. Zusätzlich sind Rechtsänderungen in Deutschland und in Europa erforderlich. Die Zahlung von Kindergeld müsste z.B. zeitlich und örtlich an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes und seiner Familie gekoppelt sein. Es kann nicht sein, dass ein Vater mit fünf Geburtsurkunden nach Deutschland kommt, hier jeden Monat einige Hundert Euro Kindergeld beansprucht und dieses dann seiner Familie in die Herkunftsgebiete überweist. Dafür ist das Kindergeld in Deutschland nicht gedacht.


Die Siebenbürger Sachsen, Banater und Sathmarer Schwaben haben sich in den letzten Jahrzehnten vorbildlich in Deutschland integriert. Ergeben sich daraus Strategien oder Erfahrungen, die bei der Bewältigung der derzeitigen Zuwanderungsprobleme hilfreich sein könnten?

Nur bedingt. Die Ausgangslagen sind völlig unterschiedlich. Das liegt schon daran, dass Armutszuwanderung aus fremden Kulturkreisen erfolgt und Sprachbarrieren oder Mentalitätsunterschiede eine Integration erheblich behindern. Siebenbürger Sachsen, Banater und Sathmarer Schwaben hingegen sind Deutsche und weisen keinerlei Integrationshemmnisse auf. Auch sind die dauerhaft und mit ganz erheblichem, eigenem Integrationsinteresse zugezogen. Übertragbar sind vielleicht Erfahrungen mit Ghettobildung, Stigmatisierung und Willkommensdefiziten. Derartige Erfahrungen muss man nicht wiederholen.

Rumänien hat in zehn Jahren zwölf Prozent seiner Bevölkerung verloren, die meisten Bürger sind in die romanischen Länder Italien, Frankreich, Spanien und Portugal ausgereist. Viele Ärzte und andere Fachkräfte sind aber auch nach Deutschland und Großbritannien gegangen. Rumänien leidet also unter dem sogenannten Brain-Drain. Wie kann dem Land geholfen werden, damit es den Anschluss nach Europa nicht verliert?

Rumänien benötigt die zuwandernden Arbeitskräfte selbst ganz dringend. Damit gerade jüngere und ausgebildete Menschen nicht ausreisen, sondern ihre Leistungsfähigkeit dem Aufbau und der Verbesserung der Situation im eigenen Land zur Verfügung stellen, müssten dort Zukunftsperspektiven geschaffen werden. Meiner Meinung nach mangelt es am meisten an Vertrauen. In Rumänien fehlt es an Vertrauen in die eigene Wirtschaft, in die Regierung, in die Politik im Allgemeinen etc. Das Meinungsbild zu Rumänien ist auch im Lande selbst zum Teil schlechter als die Realität. Ein kluger Politiker hat einmal gesagt: „Gute Politik beginnt mit der Beobachtung der Wirklichkeit“. Das gilt genauso außerhalb der Politik und wäre auch in Rumänien ein wichtiger erster Schritt.

Links: Bernd Fabritius' Presseerklärung zum Thema Armutszuwanderung in der Siebenbürgischen Zeitung Online

Umfrage der Siebenbürgischen Zeitung: Sehen Sie die Öffnung des Arbeitsmarktes eher als Chance oder als Bedrohung?

Schlagwörter: Fabritius, Politik, Armutszuwanderung, Migration, EU

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