21. Mai 2020

Kulturell und sozial engagiert: Antje Krauss-Berberich zum Achtzigsten

Nein, vorgezeichnet oder gar vorgegeben war der Weg der als Aussiedlerin nach Deutschland gekommenen Antje Krauss-Berberich zur Leiterin des Ebersberger Stadtarchivs und zu einer der profiliertesten Persönlichkeiten des kulturellen und öffentlichen Leben des Landkreises Ebersberg nicht. Am 21. Mai 1940 in Kronstadt geboren als Tochter der Rita Thea Hella Krauss, geborene Seewaldt, aus Kronstadt und des Schauspielers Hans Krauss, gebürtig aus Rosenau, fand sie 1977 in Ebersberg eine zweite Heimat, wo sie sich vielseitig kulturell und sozial engagiert.
In gehörigem Corona-Abstand überreicht Antje ...
In gehörigem Corona-Abstand überreicht Antje Krauss-Berberich die von ihr konzipierte Legende an Bürgermeister Walter Brilmayer (rechts) und „artesano“-Pächter Danijel Babic. Foto: Andrea Liebl
Antje Krauss-Berberich, in einer wohlhabenden Industriellenfamilie aufgewachsen, lernte am Gymnasium ihres Heimatortes Kronstadt Sprachen und nutzte ihre Doppelbegabung, um als Basketballspielerin auf nationaler Ebene ihre Vereinsmannschaft zu unterstützen und nebenbei durch Wettkämpfe in allen Regionen das Vielvölkerland Rumänien und deren Kultur kennen zu lernen. Doch als die Industriellenfamilie Seewaldt, aus der sie stammt, im Zuge der kommunistischen Machtübernahme 1948 in Rumänien Hab und Gut verlor, der Wohnraum knapp, der Vater ins russische Arbeitslager musste, verdüsterten sich auch für Antje Krauss-Berberich, die Zukunftsaussichten dramatisch.

Sie hätte sich angesichts der neu entstandenen Lage völlig zurückziehen, in die innere Emigration gehen, sie hätte sich – wie andere – mit den neuen Machthabern arrangieren können; sie tat es nicht. Stattdessen wagte sie den Neuanfang, konnte 1972 als Aussiedlerin dem Heimatland den Rücken kehren und kam über die Stationen Nürnberg, Ingolstadt und München 1977 schließlich nach Ebersberg, wo sie den Hoch- und Tiefbauingenieur Dieter Berberich ehelichte. Sie war nicht nur ein Kopf mehr in der Statistik, sondern ein Gewinn für Ebersberg, den Landkreis und darüber hinaus, wie sich bald herausstellen sollte.

Als sie 1994 die Leitung des Ebersberger Stadtarchivs übernahm, traf sie nicht auf einen gut sortierten Bestand an Kulturgütern, sondern auf eine Fülle ungeordneter und nicht katalogisierter Schachteln und Kisten. Parallel zur Katalogisierung der Bestände begann sie mit der Sammlung von Kostbarkeiten (bis heute über 2000 historische Unterlagen und Gegenstände sowie über 3400 Kunstwerke von Ebersberger Künstlern aus der Vergangenheit, teilweise der Gegenwart, darunter 40 Holzdrucke von Heinz Schunn), eine Sammlung, die ohne Zweifel ihresgleichen im Landkreis Ebersberg sucht.

Neben ihrer Sammeltätigkeit beschäftigt sich die Siebenbürgerin auch mit der Kunst, speziell mit den Künstlern aus dem Landkreis Ebersberg, aber auch aus Siebenbürgen und darüber hinaus. Antje Krauss-Berberich legt – wohl eine Folge ihrer Auseinandersetzung mit der politischen Instrumentalisierung der Kultur im kommunistischen Rumänien – einen entschieden demokratischen Kulturbegriff zugrunde: Gleichgültig, ob sie Erwachsene oder Schüler durch ihre beeindruckende Sammlung unter dem Dach des Rathauses führt, die Ergebnisse ihrer Forschungen in der Fachpresse darlegt oder Zusatzschilder mit Informationen zu Leben und Werk der Namensgeber (sogenannte Legenden) an Straßenschildern in Ebersberg anbringt, geht es ihr stets im besten Sinne um Aufklärung der Bürger, darum, sie mit der Kunst vor Ort vertraut zu machen. Am weitesten in dieser Hinsicht ging die Archivarin vielleicht im Jahr 2001 bei der legendär gewordenen Performance „1000 Stühle in Ebersberg“ mit bemerkenswerten Exponaten, darunter vier Meter hohen Sitzmöbeln auf dem Ebersberger Marienplatz. Ebenso erfolgreich und spektakulär war der „Adventskalender“ an 24 Fenstern des Finanzamtes, für die sie 24 Schulklassen, Vereine und körperlich und seelisch Behinderte zur Schmückung und Beleuchtung animierte. Ein nachhaltiges Kunstereignis war 2017, als sie bei der Enthüllung von fünf modernen Skulpturen des international bekannten Aktionskünstlers Otto Dressler (1930-2006) am Eingang des neuen Einkaufszentrums E-EinZ inmitten der Stadt Ebersberg verkündete, dass diese unschätzbaren Skulpturen, die Dressler kurz nach seinem Studium der Bildhauerei und Umzug in den Landkreis Ebersberg geschaffen hatte, ein Geschenk von ihr an die Stadt und den Landkreis Ebersberg sei. Als Vertraute des Ehepaars Dressler und deren Familie erhielt sie zur Betreuung und Verwertung den künstlerischen Nachlass Otto und Hildegard (Malerin und Lehrerin) Dresslers zu treuen Händen. Diesen übergab sie in die Obhut des von ihr gegründeten Stadtarchivs. Die sympathische Archivarin und Mitbegründerin des Historischen Vereins im Landkreis Ebersberg wurde 2002 von den Lesern der Süddeutschen Zeitung zur „Frau des Jahres“ im Landkreis Ebersberg gewählt. Zudem ist sie Trägerin der Bundesverdienstmedaille, vergeben vom Bundespräsidenten Joachim Gauck (diese Zeitung berichtete).
Enthüllung von fünf Skulpturen des international ...
Enthüllung von fünf Skulpturen des international bekannten Aktionskünstlers Otto Dressler (1930-2006) am Eingang des neuen Einkaufszentrums E-EinZ in Ebersberg, 2017 von links: Landrat Robert Niedergesäß, Stadtarchivarin Antje Krauss-Berberich und Bürgermeister Walter Brilmayer.
Bewundernswert, mit welcher Energie und Akribie Antje Krauss-Berberich den vieldiskutierten Bau der Ebersberger Ostumfahrung begleitete. Sie war fast täglich auf der Baustelle, als hätte sie geahnt, dass sie Fernsprechkabel aus den Jahren der NS-Zeit finden würde, die vom Münchner Domizil Adolf Hitlers via Ebersberg auf den berühmt-berüchtigten Obersalzberg führten. Während dieser Fund die Bestände des Jüdischen Museums in München bereichern wird, ist der ebenfalls von ihr in zwei Metern Tiefe entdeckte, laut Fachleuten vor Millionen von Jahren „angeschwemmte“, am Marienplatz aufgestellte Marmorstein bereits heute fester Bestandteil der Ebersberger Stadtführungen.

Es verwundert nicht, dass Antje Krauss-Berberich, die als Galeristin des Ebersberger Rathauses über 300 Ausstellungen in Eigenregie veranstaltet hat und zugleich als Kultur- und Pressereferentin der Kreisgruppe Ebersberg des Verbandes der Siebenbürger Sachsen fungiert, ihre entschieden demokratische Grundeinstellung und ihr Engagement auch in den Dienst der Schwächeren, der Menschen im Halbdunkel oder im Dunklen stellt. So unterstützte sie frühere Zwangsarbeiter aus Ebersberg durch Nachweise ihrer Arbeit im Landkreis, um ihnen zu einer finanziellen Entschädigung zu verhelfen.

Vor 15 Jahren, um ein weiteres Beispiel ihres sozialen Engagements zu nennen, nahm sie ein in Not geratenes 17-jähriges rumänisches Waisenkind, das als Au-pair-Mädchen vor Ort beschäftigt war, quasi als Tochter auf und führte es mit Unterstützung von Barbara Stamm, damals Vizepräsidentin des bayerischen Landtags, und Sozialministerin Christa Stewens auf einen neuen, besseren Lebensweg. Und dankbar denken etwa 20 im Laufe der Jahre von der „Brücke“ betreute Frauen und Männer an die Zeit zurück, als ihnen Krauss-Berberich eine sinnvolle Beschäftigung im Archiv gab. Der geordnete Tagesablauf verschaffte ihnen neues Selbstvertrauen in der Zeit der Stellensuche.

Es ist wohl nicht übertrieben, Antje Krauss-Berberich als einen mittlerweile unverzichtbaren Teil des kulturellen und sozialen Lebens, als die „Kulturdame“ par excellence in Ebersberg zu bezeichnen, eine sprachgewandte Persönlichkeit, die seit vier Jahren wie selbstverständlich ihre Kontakte nutzt, um im Helferkreis mitzuwirken und für Asylsuchende in Ebersberg einen sinnvollen Beschäftigungsplatz anbieten zu können. Sie wurde zur Mama Afrika.

Wer die freundliche, humorvolle und beschlagene Leiterin des Stadtarchivs kennt, wundert sich nicht darüber, dass der scheidende Ebersberger Bürgermeister Walter Brilmayer sie bat, sich auch als bald 80-Jährige unter dem neuen Bürgermeister Ulrich Proske (der diesen Wunsch unterstützt) weiterhin als Festangestellte um die Historie und Kunst der Stadt zu kümmern. Brilmayer und Krauss-Berberich waren jeweils 26 Jahre lang als Stadtoberhaupt bzw. Archivleiterin tätig. Zum Abschied bedankte sich Brilmayer schriftlich und mündlich bei ihr: „Das Rathaus hast du zu einem Kunsttempel entwickelt – einmalig!“ Zudem verriet er ihr, dass er sie für ihre Leistungen bei Ministerpräsident Markus Söder für den Bayerischen Verdienstorden vorgeschlagen habe.

Antje Krauss-Berberich, die mit schier unerschöpflicher Energie unablässig sammelt, plant, an die Konzeption künftiger Ausstellungen denkt, revanchiert sich als Abschiedsgeschenk für „ihren“ Bürgermeister mit der ersten von ihr entworfenen Legende eines historischen Gebäudes (mit 13 Besitzern und Pächtern insgesamt) „Vom Handschuhbäck zum artesano“ (1655-2020) und verspricht, auch alle anderen historischen Häuser in Ebersberg mit Legenden zu bestücken. Inspiration dafür bezieht die begeisterte Radlerin und sportlich Aktive von ihren Touren im In- und Ausland. Es sind der 80-jähigen Jubilarin noch viele Fahrten zu wünschen, denn davon profitieren viele in Ebersberg und im Landkreis – in kultureller, sozialer und menschlichen Hinsicht. Und nicht nur dort.

Michael Schwarz

Schlagwörter: Kultur, Krauss-Berberich, Ebersberg, Kronstadt, Verdienstmedaille, Jubilarin

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