26. Juli 2020

Nestor der siebenbürgischen Literatur: Hans Bergel zum 95. Geburtstag – Ein Brief, der offen bleibt

Er überlässt nichts dem Zufall. Sogar die Eigenschaften, die man leicht substantivieren kann, hat er vorgeprägt. Er hat sich als einen Ruhelosen bezeichnet. Recht hat er! Was ist dennoch ein Mensch ohne Ruhe? Ein Getriebener? Vielleicht. Ein Mensch, der einen inneren Motor hat, der mit wenig Öl läuft und läuft ... Im August 1997 schreibt er: „Täglich Arbeit am Roman. Acht bis zehn Stunden. Während der letzten Tage viel Stilistisches an den ersten Kapiteln. Die Arbeit an einem Prosatext ist niemals zu Ende.“ Wir sprechen hier von Hans Bergel, dem Wortemacher, der am 26. Juli den 95. Geburtstag feiert. Wir gratulieren!
Hans Bergel bei einer Lesung in Nürnberg, 2017. ...
Hans Bergel bei einer Lesung in Nürnberg, 2017. Foto: Josef Balazs
Durch seine Tagesaufzeichnungen (1995 bis 2000) lässt Hans Bergel uns an seinem reichen Leben teilnehmen. Die Zeitspanne von wenigen Jahren täuscht, denn die vielen Rückblenden und Überlegungen geben dem aufmerksamen Leser die Möglichkeit, vieles aus seinem langen Leben zu erfahren. So auch über die Novelle „Fürst und Lautenschläger“: „Im Winter 1945/46 geschrieben, 1957 in Bukarest veröffentlicht, 1959 in Kronstadt Anlass meiner Verurteilung zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit und Kerker, lautet der Schlüsselsatz: ,Ich bin keine Hure und meine Kunst erst recht nicht.‘ Drei Stunden dauerte beim Prozess allein der Disput zwischen Staatsanwalt, Richter, Chef der Sachverständigenkommission und mir über Sinn, Hinter- und Doppelsinn, politische Tendenz dieses Satzes.“

Am Ende siegte dann doch die Diktatur. Mut wurde nicht honoriert. Haft und Zwangsarbeit bilden eine Zäsur im Leben des Schriftstellers Hans Bergel.

Im Dezember 1999 notiert er: „Zu den menschlichen Eigenschaften, die mir am häufigsten begegneten, zähle ich die Feigheit. Ich habe mich, vom eigenen Mutpotential ausgehend, in fast allen Fällen verrechnet, in denen ich auf den Mut anderer setzte.“ Und Mut, aber auch einer Dosis Waghalsigkeit bedurfte es damals, 1957, den stalinistischen Machthabern in Rumänien Sätze entgegenzuschleudern, die sie ungern hören wollten: „Ja, mein Fürst: ich bin frei, wenn ich singe!“

Als Zoon politikon konnte sich Hans Bergel vollends erst nach dem Wechsel in den Westen Europas entfalten. Die Abrechnung folgte sogleich in seiner ersten Publikation „Rumänien, Porträt einer Nation“, 1969 in München erschienen. Er bleibt aber ein Unbequemer, so seine Selbstbezeichnung im Titel eines Essaybandes von 1994; weiterhin aber auch ein Neugieriger. Er schreibt über Völker und Kulturen, über Kunst und Künstler, nicht zuletzt über Sprache und Musik. Sein Tagesgeschäft ist die Siebenbürgische Zeitung, deren Schriftleitung er 1970 übernommen hatte.

Wie kann man in wenigen Worten das Werk von Hans Bergel, dem Nestor der siebenbürgischen Literatur, vorstellen? Er hat geschrieben: große Romane, unzählige Erzählungen, viele Essays, Gedichte. Als Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung in München hat er das Schicksal der Siebenbürger Sachsen direkt beeinflusst und geprägt. Er sagt: „Ich brauche das Schreiben, um mit dem, was an Welt auf mich eindringt, leben zu können.“

Und er konnte leben. Wenn man mit Bertolt Brecht fragen würde: „Hat er was rausgekriegt?“ Ja: „Dass das weiche Wasser in Bewegung/ Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt./ Du verstehst, das Harte unterliegt.“ Mit der Zeit ... und als es dann doch zu viel war, stieg er im Dezember 1982 auf die Rednertribüne und hielt „die Rede vor dem Kölner Dom“ vor sechstausend Demonstranten. Bergels Rede wurde zu einer grundsätzlichen Abrechnung mit der Bukarester Minderheitenpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die donnernden Worte des ersten Satzes: „Es gibt eine Grenze des Hinnehmens und Schweigens, die zu überschreiten den Verrat am Gebot der politischen Vernunft bedeutet“; … klingen wie ehemals die Worte Catos: Ceterum censeo Carthaginam …

Als im Dezember 1989 der Diktator in Bukarest gestürzt wurde, stieg Hans Bergel abermals auf die Rednertribüne vor der Feldherrnhalle in München und sprach gewichtige, aber auch mahnende Worte: „Wenn wir aus der leidvollen europäischen Geschichte eines gelernt haben müssen, dann ist es die Überwindung der nationalen Denkgrenze in den größeren, umfassenderen europäischen Raum hinaus.“ Und weiter: „Die Nationalität ist lediglich das Kleid, das wir tragen und in dem wir uns der Welt zeigen, die Humanität aber ist die Aufgabe, in deren Dienst wir alle stehen, sagte einst ein großer Siebenbürger. Wir werden dies begreifen oder alle miteinander untergehen.“

Bereits 1986 wird Hans Bergel das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Seine einstige Heimat, nun in Freiheit, hat die lebenslangen Bemühungen des Menschen Hans Bergel gebührend wahrgenommen und honoriert: „Für Verdienste um die Literatur, für Unbeugsamkeit während der Diktatur und für Engagement im deutsch-rumänischen Kulturdialog“ wurde Hans Bergel im April 2001 der Titel eines Dr. h.c. der Universität Bukarest verliehen. Darüber hinaus ist er Ehrenbürger Kronstadts (1996) und erster Träger des Preises „Der Schriftsteller Kronstadts“ (2012).

In einem Interview im September 2019 bekannte er, dass „Die Stunde der Schlange“, der dritte Band seiner Roman-Trilogie „Finale“, in großen Zügen fertig sei. Allerdings werde die Arbeit erheblich ins Stocken gebracht durch eine Schreibblockade, die als Folge seiner Beobachtungen gesellschaftlicher Entwicklungen entstand. Sorge bereite ihm der sich seit Langem ausbreitende Verlust der Maßstäbe im gesellschaftlichen Denken und Handeln.

Lieber Hans Bergel,
lassen Sie sich bitte von den Maßlosigkeiten einiger Repräsentanten dieser Welt nicht beirren. Ihre Leser, und es sind nicht wenige, warten auf Ihren Roman, der nach Ihren eigenen Aussagen, die „mit Sicherheit stärksten Prosapartien“, die Sie je geschrieben haben, enthält.

Ein ehrwürdiger, alternder Mann, Samuel von Brukenthal, mit dem Hans Bergel den Geburtstag teilt, schrieb am 8. April 1800 einem Freund nach Wien: „Ich sehne mich oft nach guten und geliebten Freunden, deren Gespräch mir so wohltuend war; ich sehe mich von einem neuen Geschlecht umringt, die das nicht sind, was wir waren, und nicht leisten können, was ich bedarf. Das ist, glaube ich, die Lage aller Alten und ob es gleich schwer ist, sich darein zu finden, so muss es doch sein.“

In diesem Sinne, lieber Herr Bergel, wünschen WIR, Ihre Leser, viel Kraft und Stärke, die Zeit mit Weisheit einzuteilen, um die Schönheit dieser einzigartigen Welt lange genießen zu können und sie weiterhin zu beschreiben!

Ad multos annos!

Josef Balazs

Schlagwörter: Kultur, Hans Bergel, Schriftsteller, Publizist, Siebenbürgische Zeitung, Rosenau, München, Burzenland

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