3. November 2021

Ein mit Siebenbürgen tief verwurzelter Künstler: Interview mit Reinhardt Schuster

Seine Kunst geht von siebenbürgischen Themen, dem Berliner Mauerfall, 11. September 2001 oder anderen Anlässen aus, doch malt Reinhardt Schuster „nicht das Ereignis, sondern die daraus abgeleitete Vision“, wie der Kunstkritiker Franz Heinz feststellt. Am 1. September 1936 in Brenndorf geboren, ist der heute in Bonn lebende Maler und Zeichner auch mit 85 Jahren noch voller Ideen, die in seine Werke münden. Im ersten Halbjahr 2022 ist eine Ausstellung im Siebenbürgischen Museum geplant. SbZ-Chefredakteur Siegbert Bruss hat Reinhardt Schuster gefragt, was ihn geprägt hat und beschäftigt.
Reinhardt Schuster mit seinen Ölbildern „Satrap“ ...
Reinhardt Schuster mit seinen Ölbildern „Satrap“ (1980) und „Alte Geister in altem Gemäuer“ (1994), aufgenommen im Oktober 2005 im Haus des Deutschen Ostens München. Foto: Konrad Klein
Wie und wann bist du zur Kunst gekommen?

Eigentlich wollte ich nach den sieben Klassen der Allgemeinschule in Brenndorf eine Kunstschule besuchen, kannte aber keine. Also besuchte ich zunächst die Bauschule in Săcele bei Kronstadt als Vorstufe zu einem Architekturstudium. Noch immer mit dem Wunsch, Kunst zu studieren, verließ ich die Bauschule, verbrachte ein abenteuerliches Jahr in Brenndorf mit verschiedenen Beschäftigungen. 1952 hatte ich das Glück, einen Kurs in Kronstadt zu besuchen, in dem Hans Mattis-Teutsch Zeichnen und Malerei unterrichtete.

Du hast in Bukarest von 1953-1957 das Kunstlyzeum „N. Tonitza“ und 1958-1964 die Kunstakademie Nicolae Grigorescu absolviert. Wie war die Situation damals in der Hauptstadt?

Es gab eigentlich eine relativ entspannte Lage, bis der Staatschef von einem Chinabesuch bei Mao Tse-tung zurückkam. Da wehte plötzlich ein anderer Wind. Eine eben eröffnete große Hans Mattis-Teutsch-Ausstellung im renommierten Dallas-Saal wurde nach einer Woche geschlossen. Der Unterricht an der Kunstakademie wurde nach dem Vorbild des deutschen Bauhauses Dessau aufgebaut, aber etwas weiter gefächert, es gab z.B. eine Abteilung Monumental-Malerei u.a. Und wenn man von den ideologischen Vorgaben absah, die ohnehin kaum jemand beachtete, ging es recht frei zu. Es gab sehr gute bis eminente Professoren für alle Fächer. Der damalige Stadtarchitekt Horia Teodoru unterrichtete architektonische Stilkunde, der professionelle Victor Schobel unterrichtete Perspektive, wichtig für die räumliche Wahrnehmung, vor allem aber der eminente, überaus gebildete Professor Dr. Gh. Ghițescu, auch virtuoser Zeichner, unterrichtete Anatomie für Künstler (Miologie und Osteologie), was für die Darstellung des menschlichen Körpers unerlässlich war. Er hat die wohl beste „Anatomie für Künstler“, ein Traktat, herausgegeben. Außerdem hatte ich sehr gute Künstlerkollegen. Ich erinnere mich gerne an diese schöne Zeit.
Reinhardt Schuster, Im Lichtkegel, 1987, Acryl, ...
Reinhardt Schuster, Im Lichtkegel, 1987, Acryl, 100 x 150 cm
Du bist nach sechsjähriger Studienzeit in Bukarest geblieben. Warum?

In Rumänien war es ähnlich wie in Frankreich. Das kulturelle und künstlerische Leben spielte sich vorwiegend in der jeweiligen Hauptstadt ab. Es war wichtig für mich, im Zentrum des Geschehens zu bleiben. Bedingung war, eine Stelle anzunehmen, und diese bot sich mir im Lyzeum Nr. 21 mit deutscher Unterrichtssprache an, wo ich zwei Jahre lang Zeichnen unterrichtete. Danach war ich, bis zu meiner Ausreise 1983, als freischaffender Künstler tätig. In dieser Zeit nahm ich an allen großen hauptstädtischen und Landesausstellungen (Biennalen) teil. Zudem hatte ich fünf Einzelausstellungen, in den bekanntesten Galerien des Künstlerverbandes, dessen Mitglied ich seit 1967 war. Die bekanntesten Kritiker äußerten sich sehr positiv in den Presse, zum Beispiel Dan Grigorescu, Tudor Octavian, Octavian Barbosa u.a., in deutschsprachigen Medien: Günther Ott, Paul Schuster, Elisabeth Axmann, Rohtraut Wittstock, Ruth Lissai, Ildiko Schaffhauser, Heinrich Lauer und später vor allem Franz Heinz, der auch in Deutschland fachkundig über meine Ausstellungen berichtete. Als Fotograf dokumentierte Edmund Höfer meine Ausstellungen. Als Künstler in Bukarest waren auch andere deutsche Absolventen der Kunstakademie wie Marianne Simtion- Ambrosi, Peter Jacobi u.a. aktiv.

Reinhardt Schuster: Schwarzes Kartenspiel mit ...
Reinhardt Schuster: Schwarzes Kartenspiel mit rotem Zepter, 1989, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm
Du hast Anfang der 80er Jahre mehrmals mit deinen Werken angeeckt: Hast du Folgen zu erleiden gehabt?

Es war eine Zeit, als die rumänische Führung im Ausland gut dastehen wollte und eben einiges schluckte. Allerdings ist mir nichts passiert. Ein Berufsverbot wurde gegen keinen bildenden Künstler ausgesprochen. Bei mir ist es nach dem „Satrap“ (1980) bei einem strengen Verweis geblieben.

In den Kommentaren zu deiner Malerei wird immer wieder der flächenhafte Aufbau betont, d.h. das Fehlen der Zentralperspektive.

Eine Fläche, und das ist jeder Bildträger, ob Wand, Holzplatte, Leinwand, Papierbogen usw., ist zweidimensional. Wenn man nun mit Hilfe der intuitiven, später wissenschaftlichen (oder mathematischen) Perspektive die Illusion einer Tiefe oder eines Raumes erweckt, ist das ein Widerspruch an sich. Trotzdem hatten Menschen das Bedürfnis, diesen Schein zu erwecken, und um darin perfekt zu sein, wurde die Zentralperspektive entwickelt (durch Alberti in der Renaissance), die die Möglichkeit schuf, etwas so darzustellen, wie die Augen es sehen. Im Barock durchbrach man eine im Grunde einen Raum abschließende Kuppel malerisch, damit die Engel munter am gemalten Himmel herumschwirren konnten. Man bedenke aber, dass in früheren Zeiten, siehe Ägypten oder Byzanz, große Malerei ganz ohne Perspektive entstehen konnte, indem man die natürlichen Träger achtete, zum Beispiel tragende Wände, Tempel usw.
Das ging so weit, bis die Perspektive selber zum Inhalt des Bildes wurde. Ab da hinterfragte man den Sinn dieses Exzesses und rückte im Interesse der Farbe wieder davon ab. Man behielt nur so viel davon, wie gerade nötig war. Das Bild wurde immer mehr flächig, bis die Perspektive völlig ausgeschaltet wurde. Wer heute allerdings eine Ortschaft, eine Landschaft oder eine Straße darstellen will, muss sich mit vollem Recht der Perspektive bedienen, umso besser wenn man es kann.
Siebenbürgische T-Raumstation, Montage, 185 x 265 ...
Siebenbürgische T-Raumstation, Montage, 185 x 265 cm, 2007 ausgestellt in Andernach und Dinkelsbühl. „In der ,T-Raumstation‘ ist die unbekümmerte äußere Heiterkeit mit dem Nachdenklichen verbunden, und sie enthält sogar ein Quäntchen regionalen Patriotismus. Wie sollten uns hier nicht der Kaiserliche Geschützmeister Conrad Haas des 16. Jahrhunderts in ­Hermannstadt und der von Wernher von Braun als Lehrmeister verehrte Professor Hermann Oberth in den Sinn kommen?“ (Franz Heinz)
Im Umgang mit der Farbe scheint bei dir auch etwas anders zu sein. Was nämlich?

Es wurde schon früh bemerkt, dass neben anfänglichen tonalen Farbabfolgen (z.B. „Großes siebenbürgisches Brot“) sich etwas änderte. Eine flächenhaft angelegte Malerei verlangt auch von der Farbe eine entsprechende Anpassung. Ich habe dies in allen meinen Arbeiten angewendet, in einigen großen („Wohltemperiertes Tastenbild“, „Una fantasia quasi instrumentale“) sogar demonstrativ.

Welche Schwerpunkte hast du in deiner kunstpädagogischen Tätigkeit gesetzt?

Grundkennisse im Zeichnen unterrichtete ich im Lyzeum Nr. 21 und Schiller-Kulturhaus in Bukarest. Am Lernort-Studio in Düsseldorf, einer in Deutschland einmaligen Einrichtung für Jugendliche, leitete ich 19 Jahre lang (1985-2004) den Kurs Malerei, in dem ich Zeichnen, Malerei und Exkurse in die Kunstgeschichte vermittelte.

Besten Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg in deinem künstlerischen Schaffen!
Reinhardt Schuster, zwei Wandgemälde am Bunker, ...
Reinhardt Schuster, zwei Wandgemälde am Bunker, Aachener Straße 39, in Düsseldorf. Acryl- und Lackfarben, je 3,25 x 15 Meter. Foto: Ivo Faber, Düsseldorf

Einzelausstellungen von Reinhardt Schuster (Auswahl)

1967, 1970, 1971, 1974, 1981, 1996 in Bukarest
1978, 1993, 1995, 1996, 2001, 2006 in Düsseldorf
1981 Rom und London
1983 Echternach-Luxemburg
1985 Frankfurt am Main
1987 Mettmann
1989 Hilden
1990 Esslingen
1992, 1999, 2016 Berlin
1993 Tokio
1996 Temeswar
1997 Hermannstadt und Kronstadt
2005 München
2007 Andernach und Dinkelsbühl
2012 Bern
2019 Bonn

Schlagwörter: Kultur, Künstler, Reinhardt Schuster, Maler, Zeichner, Brenndorf, Bonn

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