23. April 2006

Forstmann, Universitätsprofessor und Kunstmäzen: Otto Erich Witting (1889-1955)

Vor 51 Jahren starb in seiner Heimatstadt Kronstadt im Alter von 66 Jahren einer der wohl bedeutendsten deutschen Forstmänner des Südost-Karpatenraumes: Otto E. Witting. Er sollte in seiner erfolgreichen beruflichen Laufbahn die höchste – von einem Deutschen je erreichte – Stufe in der Staatsforstverwaltung des 1862 gegründeten und 1919 zum Großstaat sich entwickelten Königreichs Rumänien erklimmen.
Otto Witting wurde am 4. Februar 1889 als zweiter Sohn des wohlhabenden Kronstädter Kaufmanns Friedrich Witting und seiner Ehefrau Friederike, geb. Halamka, geboren. Sein Lebensweg verlief bemerkenswert wechselreich, zu Beginn jedoch charakteristisch für einen Großteil der siebenbürgischen Jugend, deren Ausbildung noch durch die k. u. k. Vielvölkermonarchie tiefgründig geprägt war. In seiner Geburtsstadt besuchte er die Volksschule und das Honterus-Gymnasium, um anschließend an der renommierten Forstakademie in Schemnitz (Selmeczbánya – damals Oberungarn, heute Banská Stiávnica in der Slowakei) zu studieren. Hier studierte auch sein älterer Bruder, der namhafte Jagdschriftsteller und Leiter der Siebenrichter-Waldungen/Hermannstadt Emil Witting (1880-1952). Zu den akademischen Lehrern Otto Wittings gehörten u. a. die Professoren Ludwig Fekete und Tibor Blattny, deren internationaler Ruf durch die Herausgabe des zweibändigen Monumentalwerks über die phytogeographische Verbreitung der Bäume und Sträucher Ungarns begründet wurde. Später sollte auch ihr Schüler durch mehrere Beiträge zur Komplettierung dieses Werkes beitragen. Angeführt seien: „Die Sukzession der Baumarten im Komitat Kronstadt“, 1934 veröffentlicht in der rumänischen Fachzeitschrift Revista Pãdurilor; „Eine Eibeninsel in den Fogarascher Karpathen Rumäniens“, erschienen 1935 in den Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft.

Otto Witting. Zeichnung von Hans Eder, 1947, 48 x 59 cm.
Otto Witting. Zeichnung von Hans Eder, 1947, 48 x 59 cm.


In der Zeitspanne 1913 bis 1919 war er am Forstamt ªimleul Silvaniei (Szilágysomlyó) tätig; bis 1914 als Forstingenieurs-Praktikant (Forstreferendar) und nach der großen Staatsprüfung im selben Jahr in Budapest als Forstrat. Bereits 1914 jedoch wurde er als einjährig Freiwilliger zum Wehrdienst nach Klosterneuburg bei Wien einberufen, wo auch sein erster Sohn Wido Rolf (1916-1981) geboren wurde. Den Weltkrieg erlebte er als Oberleutnant der österreichisch-ungarischen Armee; wie alle seine damaligen Kameraden kehrte er enttäuscht vom Kriegsausgang in seine siebenbürgische Heimat zurück. In ªimleul Silvaniei sollte er den dort geborenen Iuliu Maniu (1873-1953) kennen lernen, der bis 1918 Abgeordneter im ungarischen Parlament war und es in dem 1919 entstandenen Groß-Rumänien bis zum Regierungschef brachte. 1919 wurde Witting zum Leiter des Forstamtes seiner Vaterstadt Kronstadt ernannt; hier gab er mit Richard Jacobi (1901-1972), ebenfalls Forstmann sowie Ornithologe und Schriftsteller, sowie in Zusammenarbeit mit dem Maler Fritz Kimm (1890-1979) den „Siebenbürgischen Jagd-Kalender“ und den „Karpathen-Jagdkalender“ heraus. Hier schrieb er auch die „Geschichte der Forstwirtschaft, der Jagd und der Fischerei“, veröffentlicht 1929 in Band V „Das Burzenland“ (Herausgeber Erich Jekelius, Kronstadt). In dieser Zeit durchforscht er intensiv das reiche Stadtarchiv seiner Vaterstadt; anhand dieser Ergebnisse veröffentlicht er 1936 in Bukarest das von der Rumänischen Akademie der Wissenschaften prämierte Werk „Die Geschichte des Jagdrechtes in Siebenbürgen“. 1926 wurde er zum Leiter des Sachgebietes Waldbautechnik der Forstdirektion Szeklerburg (Miercurea-Ciuc) ernannt, um dann von 1930 bis 1931 als Sachgebietsleiter an der Forstdirektion Klausenburg zu fungieren. 1931 bis 1939 wurde ihm die Leitung (als Forstpräsident) der Forstdirektion Schäßburg übertragen. 1936 starb seine Ehefrau Wilhelmine (geb. Stadlmüller); nach der Trauerzeit heiratete er die Schwester der Verstorbenen, Luise-Marie (1894-1993).

Beruflich wie auch in der Freizeit widmete sich Witting in besonderem Maße der Rotwild- und Gamshege; so pachtete er u. a. im Fogarascher Gebirge ein großes Gämsenrevier. Im Mai 1938 wurde Witting – als Zeichen der Anerkennung für seine bisher erschienenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen – zum korrespondierenden Mitglied der Rumänischen Akademie der Wissenschaften gewählt, eine Ehre, die nur wenigen Rumäniendeutschen zuteil geworden ist. Zu erwähnen wären hier folgende bemerkenswerte Arbeiten: „Einige Angaben zur Geschichte der Gemeindewälder des Komitates Kronstadt“ (1926), „Wild und Jagd in Rumänien“ (1932), „Die Anfänge des gesetzlichen Jagdrechts in Siebenbürgen“ (1932), „Das Problem der Stieleichen in Siebenbürgen“ (1936). Zwischen 1919 und 1938 veröffentlichte Witting 42 Arbeiten: sieben Bücher (oder Bücherbeiträge); 24 Beiträge in Fachzeitschriften, zwei Buchbesprechungen und neun Zeitungsartikel. Als aktiver Mitarbeiter der Rumänischen Akademie lernte Witting auch Mihail Sadoveanu (1880-1961) kennen, den fruchtbarsten und bedeutendsten Repräsentanten der rumänischen Prosaliteratur, der es später zum Stellvertretenden Vorsitzenden der Großen Nationalversammlung Rumäniens bringen sollte. Da beide passionierte Jäger waren und Sadoveanu den Vorsitz des Rumänischen Jagdverbandes innehatte, veranlasste er O. Witting, ehrenhalber den Verbands-Sekretärposten anzunehmen.
Auf Hasenjagd in der Burzenländer Ebene. Jäger (Otto Witting) und Flintenspanner. Kohlezeichnung von Fritz Kimm, 1921, 57 x 45 cm.
Auf Hasenjagd in der Burzenländer Ebene. Jäger (Otto Witting) und Flintenspanner. Kohlezeichnung von Fritz Kimm, 1921, 57 x 45 cm.

1939 bis 1941 wurde Witting (seit 1931 Generalforstinspekteur) die Leitung der Forstdirektion Weißenburg (Alba Iulia) anvertraut (Forstpräsident). Seine bisher erzielten Ergebnisse im Dienste der rumänischen Staatsforstverwaltung führten zu seiner Ernennung (November 1941) zum Ministerialdirigenten bzw. 1947 zum höchsten Beamtengrad, den je ein Deutscher im Rumänischen Forstministerium erreichen konnte: Ministerialdirektor. 1942 ernannte ihn König Michael I. für seine Verdienste um das Jagdwesen Rumäniens zum „Ritter der Krone Rumäniens“. Seine beiden Hochwildjagdreviere Dittersdorf (Ditrãu) in den Ostkarpaten und Pojorta-Tal (in den Südkarpaten) waren Treffpunkte bekannter Persönlichkeiten des In- und Auslandes jener Zeit, wie Prinz Alfonso von Bourbon, Kieferchirurg Prof. Dr. Axhausen aus Berlin, Schokoladefabrikant Heller aus Wien, Völkerrechtler Carlo Schmid, Mihail Sadoveanu, Dr. Rudolf Müller, ehemaliger Forstattaché Deutschlands in Rumänien, mit dem ihn eine enge Männerfreundschaft verband. Mit Manfred von Killinger, dem Gesandten des Deutschen Reiches in Bukarest (1941-1944), vermied Witting soweit möglich die Gemeinschaftsjagden, da dieser bekanntlich kaum die üblichen gesellschaftlichen Kontakte pflegte, dem Alkohol nicht abgeneigt war und als leidenschaftlicher Bärenjäger die Urwälder der Karpaten unentwegt durchstreifte. Als im August 1944 Rumänien dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, beging von Killinger mit seiner Sekretärin Selbstmord. Die Gesandtschaftangehörigen wurden durch den späteren Minister der Streitkräfte, Emil Bodnãraº, verhaftet und kamen teils in sowjetische Gefangenschaft, teils in rumänische Internierungslager. Trotz außergewöhnlicher Gefährdung seiner Person, seiner Familie und seiner professionellen Zukunft gelang es Witting in dieser schweren Situation, seinem Freund Dr. R. Müller sowie den anderen Internierten der Botschaft die überlebensnötigen Lebensmittel und Medikamente zukommen zu lassen, wie aus Müllers Tagebuch (in Privatbesitz) hervorgeht.

Als im Januar 1945 die arbeitsfähigen deutschen Frauen (18 bis 30 Jahre) und Männer (17 bis 45 Jahre) zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden, gelang es dem älteren Sohn O. Wittings, sich in den Bergen zu verstecken. Seine beiden jüngeren Brüder Kurt Herbert (* 1919) und Hans Horst (1923-1971) gehörten damals zu den rund 25 000 Siebenbürger Sachsen, die bei der Waffen-SS dienten. Beide Brüder gerieten in Gefangenschaft. Nun war der Samen aufgegangen, den Iuliu Maniu in enger Zusammenarbeit mit der damaligen tschechoslowakischen Exilregierung unter Eduard Benesch zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und Rumänien ausgeworfen hatte. Als Maniu 1946 einen politischen Vortrag in Kronstadt hielt und dabei Gift gegen die Deutschen Rumäniens spuckte, zeigte er mit dem Finger auf Ministerialdirektor Witting, der in der vorderen Sitzreihe der Honoratioren saß: „Seht ihn euch an! Auch er ist einer von denen!“ Trotz der harten Schicksalsschläge für die deutsche Minderheit Rumäniens wurde Witting von Kollegen und Freunden beschützt, sogar gefördert.

Am 30. Dezember 1947 wurde die rumänische Monarchie gestürzt und König Michael I. des Landes verwiesen. Ab 1. Januar 1948 wurde auch Witting seines Postens entbunden und pensioniert. Nach der kommunistischen Hochschulreform 1948 wurde in Kronstadt eine eigenständige Forstwissenschaftliche Fakultät gegründet. Witting wurde nun wieder reaktiviert und zum Professor für Jagd- und Fischereiwirtschaft berufen, eine Tätigkeit, die er bis zu seinem Tode am 9. September 1955 in Kronstadt ausübte. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse veröffentlichte er in 97 Arbeiten, darunter 16 Bücher wie: „Die Fischerei in den Gebirgsbächen“ (1952), „Jagd- und Fischereiwirtschaft“ (1953), „Waldbau auf natürlichen Grundlagen“ (1955), „Die Jagdwirtschaft“ (1960). Parallel veranstaltete er u. a. auch Landesjagdausstellungen mit Trophäenschau, die erste 1940 in Bukarest, die letzte 1950 in Moskau. Weitere Erfolge waren die Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat im Ministerium für Landwirtschaft und Forsten 1951, als Ordentliches Mitglied des Technischen Rates des Ministeriums 1952, zum Mitglied der Technisch-Wissenschaftlichen Abteilung des Ministeriums 1953; im selben Jahr wählte ihn die Gesellschaft für Naturwissenschaften und Geographie zum Ehrenmitglied der Sektion Kronstadt.

Otto Witting war nicht nur ein verdienstvoller Forstmann, Wissenschaftler, Naturschützer und akademischer Lehrer, sondern auch ein begeisterter Kunstliebhaber, -sammler und Mäzen. Freundschaft und Bewunderung für ihr künstlerisches Wirken verband ihn mit den siebenbürgischen Malern Hans Eder (1883-1955), Fritz Kimm (1890-1979), Waldemar Schachl (1893-1957) sowie mit dem ungarischen Maler Imre Nagy und der Malerin Noemi Ferenczi. Seine reichhaltige Kunstsammlung befindet sich heute zum Teil im Besitz seines Sohnes Kurt in München und seiner Tochter Inge Witting (* 1933) in Dachau.

Es muss hervorgehoben werden, dass Witting zu jeder Zeit ein loyaler Bürger seiner Heimat war, ob diese nun zum Königreich Ungarn, zum Kaisertum Österreich oder zu Rumänien gehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg verfolgte er mit Besorgnis den wachsenden Einfluss der nationalsozialistisch orientierten „Erneuerer“ in Rumänien, enthielt sich aber jedweder politischen Tätigkeit. Otto Witting – einer aufrechten, liebenswürdigen, der Kunst und der Natur gleichermaßen aufgeschlossenen Persönlichkeit mit väterlicher Ausstrahlung – gedachten anlässlich seines 50. Todestages (2005) seine einstigen Studenten mit Hochachtung als des unvergesslichen Nestors der siebenbürgischen Forst- und Jagdwissenschaften. Vor genau zehn Jahren erschien ein Jagderlebnisbuch aus der Feder eines seiner ehemaligen Studenten, der es in seiner beruflichen Laufbahn zum Leitenden Forstdirektor brachte und u. a. über seinen hochgeschätzten Lehrer schrieb: „Als Student in Kronstadt hatte ich als Professor den Inhaber des Lehrstuhls für Jagdwesen und Fischerei, Dipl.-Forsting. Otto Witting; er war ein Mensch mit umfassender, solider Kultur und mit den Umgangsformen eines wahren Akademikers mitteleuropäischer Prägung“. Kürzer und zutreffender kann man wohl den Menschen und Lehrer Otto Witting nicht charakterisieren!

Rudolf Rösler


Schlagwörter: Porträt, Naturwissenschaften

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