14. März 2008

Walter G. Seidner: Mit Glaube und Humor der Gemeinschaft gedient

Walter G. Seidner wurde am 15. März 1938 in Hermannstadt als ältestes Kind eines Schreiner­meisters geboren. Nach dem Besuch des Theologischen Instituts in Klausenburg, später in Hermannstadt, wurde er zuerst Vikar und Magisteranwärter für Religionsphilosophie in der Stadt an der Samosch, ehe er 1962 für sechs Jahre seine erste Pfarrstelle in Sankt Georgen im Nösnerland antrat. Nach weiteren 14 Jahren als Pfarrer in Reußdörfchen bei Hermannstadt wirkte er von 1982 bis zum Eintritt in den Ruhestand am 3. Januar 2008 als Pfarrer in Stolzen­burg.
In Rumänien ist Walter G. Seidner einem großen Publikum als Dichter von Humoresken („Die eheliche Feuerwehr“), als Schriftsteller (Erzählungen, Aufsätze) und als Verfasser von Mundartstücken („Sherlock Honnes“ u.v.a.), die vom Hermannstädter Staatstheater wie auch von Laienspielgruppen aufgeführt, z. T. auch verfilmt wurden, bekannt. Über hundert evangelische und katholische Gemeinden des Erzgebirges (in der ehemaligen DDR) führten sein Krip­penspiel „Das gemütskranke Kamel“ vor und nach der Wende auf. Für seine humorvollen Mundartdichtungen wurde er mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Seine Aussage „Glaube und Humor haben eines gemeinsam: Sie stehen beide schon jenseits der Katastrophe“ kann als Motto über sein Leben in der Gemeinschaft und sein literarisches Werk, aber auch über seine Neuerscheinung im Honterus-Verlag „Auf Wolke Sieben//Bürgen“ gesetzt werden. Anlässlich seines 70. Geburtstages führte Gerda Ziegler folgendes Interview.

Der Pfarrer und Schriftsteller Walter Gottfried ...
Der Pfarrer und Schriftsteller Walter Gottfried Seidner. Foto: Gerda Ziegler
Herr Seidner, 25 Jahre lang wirkten Sie als gewählter Pfarrer in Stolzenburg. Wie würden Sie Ihre Beziehung zu dem Ort und seinen Be­wohnern charakterisieren?

Bei meinem Amtsantritt 1982 legte mir mein Vorgänger, der verewigte Pfarrer Ernst Otto Schneider, die Gemeinde mit den Worten ans Herz: „Stolzenburg ist leicht zu lenken. Bloß im Presbyterium geht es hin und wieder männlich zu – wie beim Fußball.“ Und er empfahl mir, mich in allen Belangen an die Nachbarväter zu wenden. Das habe ich getan. Heute sage ich den Touristen unverhohlen: Stolzenburg war auch vor der Wende eine Traumgemeinde. Indem die Nachbarväter Jahr für Jahr in ihrem Amt bestätigt wurden, kam ein willkommener Ruhepunkt in das Leben der Gemeinschaft. So erkläre ich es mir, dass es niemals eine Spaltung in der Gemeinde gab. Wohl gab es Spaltungen innerhalb der Lehrerschaft, der Blasmusik, selbst in einigen Nachbarschaften, die Gemeinde aber war nie gespalten. Diese geschlossen auftretende Gemeinschaft forderte – und ich hatte zu entsprechen. Die Jugendlichen wollten beschäftigt werden. Auf ihr Drängen führten wir das „Kron­steigen“, das in den Fünfzigern aufgelassen wor­den war, wieder ein. Tanz- und Theatergruppen, ein Orchester wurden ins Leben gerufen. Bis 1991 gab es die sonntägliche Kindervesper und die Mittwochsandachten. Wie in jeder Beziehung gab es Hoch-Zeiten und Tief-Zeiten. Hoch-Zeiten wie Trauungen, Taufen, aber auch Darbietungen waren Zeichen der Lebensfreude. Zu den Tief-Zeiten zählten die Tage des Jahres 1990. Ganze 700 Seelen musste ich mir aus dem Herzen reißen. In dieser Zeit habe ich auch noch 500 „Ah­nenpässe“ ausgestellt. Wie in keiner anderen Ortschaft habe ich in Stolzenburg ein seltsames Heimatgefühl entwickelt, so dass ich auch nach Beendigung meines aktiven Dienstes bis auf Wei­teres hier wohnen bleibe, von hier aus meinen Nachfolger Klaus Untch einarbeiten, mich um die Burg und unsere Kirche, sozusagen als Feu­erwehrmann, kümmern werde.

In welchem Lebensabschnitt waren die Heraus­forderungen Ihres Berufs besonders nachhaltig?

Zu allen Zeiten herrschte große Anspannung. Als Pfarrer einer Gemeinde ist man zuweilen der Turm, in den dauernd die Blitze einschlagen. Während des Kommunismus hatte ich Narren­freiheit. Aber Freiheit ist Freiheit. Ich wurde nie in ein Joch gebückt. Zwar bin ich verfolgt worden, aber es ist mir nie etwas geschehen. Mit dem Apostel Paulus konnte ich sagen: „Ich bin in Banden, aber das Wort Gottes ist frei.“ Ich fühlte mich nach außen hin zwar eingeschränkt, setzte mir auch selbst Grenzen – aber im Innern fühlte ich mich frei. Zuweilen habe ich gemeinsam mit meinen Kirchenkindern dem Wolf sogar einiges aus dem Rachen gerissen: Das war der Fall, als wir gegen den Willen der örtlichen Machthaber das Kronenfest wieder einführten. Sehr viel Glück hatte ich mit Bürger­meister Hans Hihn, einem ehemaligen Schulka­meraden; dadurch herrschten in Stolzenburg Zustände, wie man sie aus dem Film „Don Ca­millo und Peppone“ kennt: Öffentlich mussten wir gegeneinander sein, aber insgeheim steckten wir die Köpfe zusammen und beratschlagten über Möglichkeiten, unserer Gemeinschaft zu helfen. Was mich oft gekränkt hat, war das Misstrauen einzelner ausreisewilliger Gemein­deglieder, die mich der Mitarbeit mit dem Pass­amt verdächtigten. Solchen Herausforderungen als Seelsorger zu begegnen, wurde mit zunehmender Ausreisewilligkeit immer schwerer zu ertragen. Meine Absicht war es, meine Stolzen­burger zu entkrampfen. Keinem habe ich die Ausreise ausreden wollen. Doch habe ich meinen Kirchenkindern zu bedenken gegeben, einen festen Glauben im Reisegepäck mitzunehmen, um all das Schwere, das es noch zu bestehen galt, tragen zu können. Nur jenen bin ich über den Mund gefahren, die sich als Nestbeschmut­zer wichtig machen wollten und auf ihre Rechte in Rumänien in fahrlässiger Weise verzichteten. Es war eine Zeit der Spannung und der Anspan­nung, und vielleicht habe auch ich mitunter über das Ziel hinausgeschossen. Wir standen ja alle unter dem Zwang des vermeintlichen Nicht-an­ders-Könnens. Selbst die sommerlichen Besuche ehemaliger Gemeindeglieder werden zur begütigenden Herausforderung, wenn sie über meine Ratschläge von einst und ihre gesammelten Er­fahrungen sprechen. Die einstige Begeisterung ist einer heilkräftigen Nüchternheit gewichen. Auf beiden Seiten. Und wir wachsen wieder zu­sammen. Ganz anderer Art waren die Heraus­forderungen, als wir fast über Nacht Diaspora­gemeinde wurden. Neben Stolzenburg hatte ich die evangelischen Restgemeinden in Haschagen, Salzburg, Törnen, Bell, Martinsdorf, Mardisch/ Rosch, Reußen, zeitweilig auch in Marktschel­ken, Gemeinden mit jeweils weniger als 50 See­len zu betreuen. Ich musste mich also auf den unendlichen Wert der Einzelseele einstellen. In Deutschland rechnet man mit Tausenden, wenn man einen Pfarrer bestellt, hier ging es um die einzelne Seele, um die zerstreuten Seelen insgesamt. Allerdings ist Seelsorge für einen im Kreis seiner Gemeinden pendelnden Pfarrer fast unmöglich. Jede Gemeinde – ob groß oder klein – fordert ihren Pfarrer zu allen Zeiten heraus. Diesem berechtigten Anspruch im Zustand der Diaspora zu genügen, war und bleibt eine schwierige Aufgabe. Das sage ich nicht im Ton des Selbstbedauerns. Wir alle leben von der Bergpredigt, dem Hohelied des Verzichts.

Als Mitglied der Saxonia-Stiftung haben Sie vermehrt soziale Aufgaben wahrgenommen. Wel­che Erfahrungen konnten Sie dabei machen?

Nach 1990 musste jedes Mitglied der Gemein­schaft für immer mehr Aufgaben zur Verfügung stehen. In der Saxonia-Stiftung vertrete ich un­sere Kirche. Meine Erfahrung: Unsere Sachsen sind nicht totzukriegen, sowohl die ausgewanderten als auch die hier verbliebenen. Jene, denen „das Herz geöffnet wurde“, helfen immer öfter mit. Ihre Absicht ist es, Siebenbürgen von Neuem aufleben zu lassen. Die Saxonia ist zum Wohle aller in Siebenbürgen lebenden Völker­schaften gegründet worden, und sie alle dürfen hoffen, dass ihnen geholfen werde. Die Erfolge sind für jedermann sichtbar, von Bistritz über Kronstadt bis Bukarest. Trotz einiger Misserfol­ge behauptet sich die Stiftung auf erfreuliche Weise dank der Anstrengung ihrer Mithelfer in Deutschland, Österreich und Rumänien.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen und wie erleben Sie Ihre Entwicklung als Schriftsteller von Ihrer ersten Veröffentlichung bis zur Neu­erscheinung „Auf Wolke Sieben//bürgen“?

Albert Schweitzer sagte einmal: „Schafft euch ein Nebenamt!“ Diese Aufforderung schien mir wert, ergriffen zu werden. Mit gereimten Humo­resken bin ich vor genau 40 Jahren vor meine ersten Leser getreten, und zwar in den ersten Ausgaben der damals neu gegründeten Her­mannstädter Zeitung. Es folgten deutsche und sächsische Krippenspiele und Volksstücke, aber auch ernste Dramen und Bühnenstücke für Schüler. Mit der Prosa habe ich lange zugewartet; ich wollte zuerst sprachlich reif sein für das zu Erzählende. Aber wann ist man reif genug?! Ich bin ein Schwer-Schreiber. Einerseits trage ich einen sehr scharfen Kritiker in mir, andererseits gehen meine Frau und meine Kinder sehr streng mit dem, was ich schreibe, um. Wenn ich vor ihnen bestehe, hoffe ich, das auch vor meinen Lesern tun zu können. Zu meinen ersten Förderern zähle ich meine Deutschlehrer Helga Lieb, Dr. Bernhard Capesius und im Bru­kenthal-Gymnasium Prof. Harald Krasser. Dr. Capesius war es auch, dem ich die Entwicklung meiner persönlichen Schreibweise des Sächsi­schen verdanke.

Die ersten Versuche, in Mundart zu schreiben, unternahm ich als Pfarrer in Nordsiebenbürgen, in Sankt Georgen, doch erst nach meiner Rückkehr nach Südsiebenbürgen vervollständigte ich die beiden Mundartstücke „Sherlock Honnes“ und „Det Ärfstäck“ (deutsch „Das Wett­tränen“), sowie die Übertragung zweier Fast­nachtsspiele von Hans Sachs aus dem Oberfrän­kischen ins Sächsische. Die Jugendlichen meiner Gemeinde haben alle meine Stücke aufgeführt, zuletzt eine bearbeitete Fassung des Lust­spiels „Die Müßigen“ von Johann Plattner, meinem fünften Vorgänger. Seit 1970 gehöre ich dem Hermannstädter Kreis der Mundartauto­ren an.

Was hat Ihnen – als Pfarrer und als Schrift­steller – das Hermannstädter Kulturhaupt­stadtjahr gebracht?

Man muss nicht Pfarrer und schon gar nicht Schriftsteller sein um einzusehen: Die Heimat­stadt zur Kulturhauptstadt erhoben – das bedeu­tet Markstein, Gipfelpunkt und Sternstunde: Alles in einem. Jeder Hermannstädter schwebte im Jahr 2007 „Auf Wolke Sieben//bürgen“.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Seidner. Zum Geburtstag herzliche Glückwünsche und Gottes Segen für Ihr weiteres Wirken in der Gemeinschaft!

Schlagwörter: Kultur, Pfarrer, Kirche und Heimat, Saksesch Wält

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