27. November 2009

Aufklären ist ein Beitrag zur Versöhnung

Achtzehn deutsche Autoren aus dem Banat und Siebenbürgen, rumänische und deutsche Historiker und Germanisten nehmen an der internationalen Tagung „Deutsche Literatur in Rumänien im Spiegel und Zerrspiegel der Securitate-Akten“ am 7. und 8. Dezember 2009 in München (Sudetendeutsche Stiftung, Hochstraße 8) teil. Herta Müller hat aus terminlichen Gründen abgesagt: Die banat-schwäbische Schriftstellerin nimmt am 10. Dezember in Stockholm den Literatur-Nobelpreis entgegen. Aktuelle Brisanz wuchs dem gewählten Themenschwerpunkt jüngst zu durch Herta Müllers Kritik an der Rolle der evangelischen Kirche in der kommunistischen Diktatur Rumäniens. Kann die Münchener Fachtagung einen Beitrag leisten zu einer fundierten, ausgewogenen öffentlichen Debatte? Tagungsleiter Prof. h. c. Dr. Stefan Sienerth, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), äußert sich im Gespräch mit Christian Schoger zur Zielsetzung, zu Erwartungen und Anspruch dieser zweitägigen Veranstaltung.
Herr Sienerth, registrieren Sie im Vorfeld der Tagung ein gesteigertes öffentliches Interesse?

Die Aufmerksamkeit, die der Tagung und der Thematik geschenkt wird, ist sehr groß. Nicht bloß aus dem Münchner Raum, aus ganz Deutschland und auch aus Rumänien haben sich Betroffene und Interessierte angemeldet, darunter erfreulicherweise auch viele Studenten und Doktoranden. Wir hatten mit einem solchen Interesse anfänglich nicht gerechnet und zunächst einen kleinen, zentral gelegenen Raum in der Nähe der LMU dafür auserkoren, mussten uns aber bald nach einem größeren als Tagungsstätte umsehen. Einladungen an Medienvertreter wurden versandt, die Tagung wird aufgezeichnet, und ich hoffe, dass auch die Siebenbürgische Zeitung mit von der Partie sein wird.


Selbstverständlich werden wir eingehend berichten. Wie sehr schmerzt es Sie als Tagungsleiter, dass die ursprünglich geplante Teilnahme Herta Müllers nicht zustande kommt?

Wie die überwiegende Mehrheit der rumäniendeutschen Schriftsteller hat auch Herta Müller die Initiative unseres Instituts, zwanzig Jahre nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in Rumänien deren unliebsame Hinterlassenschaft aufzuarbeiten, sehr begrüßt und ihre Teilnahme an der Tagung zugesagt. Wir freuen uns, dass im Rahmen unserer Recherchen für das gemeinsame Projekt mit dem rumänischen Nationalen Rat zur Aufarbeitung der Securitate-Archive (CNSAS) ihre Akte entdeckt worden ist. Als die Entscheidung des Stockholmer Preiskomitees Anfang Oktober um die Welt ging, waren wir terminlich bereits gebunden. Herta Müller teilte mir in einem Schreiben vom 8. November mit, dass sie wegen der Entgegennahme des Nobelpreises nicht dabei sein könne: „Sie können sich bestimmt vorstellen“, schrieb sie, „dass mich diese Terminüberschneidung mehr als ärgert. Gerade durch den Nobelpreis hätte die Tagung und ihr Thema durch meine Teilnahme ja eine öffentliche Wirkung auch dort entfaltet, wo man sich zunächst gar nicht dafür interessiert“.

Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth führte in die ...
Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth führte in die Lesung von Herta Müller am 12. No­vember in der LMU München ein. Foto: Gerald Volkmer

Auch so ist das Teilnehmerfeld prominent besetzt. Das Programm (siehe Artikel "In München: IKGS-Tagung über rumäniendeutsche Literatur") ist so konzipiert, dass komplementär zu einem zeitgeschichtlichen Teil mit Beiträgen zur Securitate-Forschung (am ersten Tag) deutsche Autoren, die von der Securitate überwacht worden sind und ihre Securitate-Akten eingesehen haben, ihre persönlichen Erfahrungen schildern (am zweiten Tag). Es scheint, als verlange die Subjektivität der Selbstaussagen nach einer wissenschaftlichen Einbettung der Problematik.

Die Schriftsteller, die sich bereit erklärt haben, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, gehören der intellektuellen Elite der Rumäniendeutschen an. Sie haben bereits in Rumänien Gedichte, Erzählungen, Romane und literaturkritische Beiträge verfasst, in denen sie, freilich verdeckt und kodifiziert, gegen das kommunistische Regime anschrieben. Bei den besonders Mutigen ist es auch zur offenen Konfrontation mit dem Machtapparat gekommen. Es hat, bei Hans Bergel beispielsweise, Gefängnis, Zwangsaufenthalt gegeben, bei anderen Verhaftungen, Verhöre, Drangsalierungen und vor allem eine über Jahre andauernde Bespitzelung.
Was durch die Tätigkeit von fleißigen Zulieferern und von den oft hochrangigen Offizieren hierbei zustande gekommen ist, sind Berge von Papieren, Zehntausende von Seiten, die gehortet wurden, damit die Behörde bei Bedarf zuschlagen konnte. Zu Wort kommen auf der Tagung in erster Linie die Schriftsteller, die über ihre Erkenntnisse nach der Lektüre ihrer Akte berichten, wobei ihnen durchaus zuzutrauen ist, dass sie die Problematik kontextbezogen und sachlich zur Sprache bringen werden. Wissenschaftliche Beiträge der Mitarbeiter des CNSAS, die mit der Thematik sehr vertraut sind und zahlreiche Veröffentlichungen auf diesem Gebiet vorweisen können, und der Literaturhistoriker des IKGS, die die politischen und kulturhistorischen Rahmenbedingungen zu rekonstruieren versuchen, unter denen die Bespitzelung stattfand, sollen einen ersten Einblick in dieses bislang nicht durchleuchtete Kapitel rumänischer und rumäniendeutscher Geschichte vermitteln. Übrigens wird eine kleine Ausstellung, die in Kopien Unterlagen über deutsche Schriftsteller aus Rumänien aus den Beständen des CNSAS präsentieren soll, während der Tagung in den Räumlichkeiten der Sudetendeutschen Stiftung und danach im IKGS gezeigt.


Welche Zielsetzung und Erwartungen, welchen Anspruch verknüpfen Sie und Ihr Institut mit dieser internationalen Veranstaltung?

Zu den prioritären Forschungsvorhaben unseres Instituts gehört seit mehreren Jahren auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den so genannten Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, dem Nationalsozialismus und Kommunismus. In den Büchern unseres Verlags und in der institutseigenen Zeitschrift Spiegelungen sind darüber eine ganze Reihe von Studien und Aufsätzen veröffentlicht worden. Im Zuge der Aufarbeitung der Geschichte dieser Diktaturen kann und will das Institut die Beschäftigung mit dem berüchtigten, Angst und Schrecken verbreitenden Repressionsorgan kommunistischer Herrschaftssicherung, das das Leben vieler Menschen zerstört und nachhaltig beschädigt hat, nicht aus dem Wege gehen. Die Geschichte der deutschen Minderheit in Rumänien nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kann ohne die Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels ihrer Existenz nicht wahrheitsgetreu nachgezeichnet werden, offenbart sich doch gerade in diesen Akten die Fratze eines perversen und kriminellen Systems.


Rechnen Sie mit spektakulären Enthüllungen, dass Autoren - in Kenntnis der Rechtslage - die Identität von Spitzeln publik machen?

Was die Autoren jeweils berichten werden, ist jedem einzelnen von ihnen überlassen, wir können und wollen keine Zensur ausüben. Es ist davon auszugehen, dass sie mit den Erkenntnissen, die sie nach der Lektüre ihrer Akten gewonnen haben, nicht hinter dem Berg halten und in Einzelfällen wohl auch Ross und Reiter nennen, wo die Identität der unter Kodenamen agierenden Informanten zweifelsfrei belegt ist. Die Autoren haben ein Anrecht zu wissen, wer sich in ihr Leben eingemischt hat. Auch möchten sie im Umgang mit dieser Epoche die Deutungshoheit nicht den ehemaligen Kollaborateuren und Profiteuren des Regimes überlassen, die um ihr Verhalten von damals zu rechtfertigen, zu Nostalgie oder herablassenden Verharmlosungen neigen. Natürlich wird alles im Rahmen der persönlichkeitsrechtlichen Bestimmungen erfolgen, die für den Umgang mit solchen Unterlagen sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Rumänien erlassen worden sind.


Schablonenhafte „Täter-Opfer-Kategorisierungen“ können eine differenzierte Auseinandersetzung ebenso behindern wie moralistische Positionen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass solche Kontroversen in München kein Forum finden?

Pauschalisierungen sind in der Regel falsch, selbstgerecht und gefährlich. Primäres Anliegen ist nicht Aufrechnung oder gar Rache, sondern Wahrheitsfindung und Aufklärung. Die Akten des Sicherheitsdienstes enthalten eine Fülle von auf den ersten Blick eher belanglosen und unverfänglich wirkenden Informationen und Hinweisen, die von Arbeitskollegen, Vorgesetzten und Bekannten verfasst worden sind, die mit ihrem Klar- oder Decknamen zeichneten und nicht selten darauf bedacht waren, nach Möglichkeit positiv zu berichten, um dem ins Blickfeld der Sicherheitsbehörde geratenen Freund oder Mitarbeiter nicht zu schaden. Darüber hinaus gibt es aber – neben den periodisch verfassten Analysen der Führungsoffiziere zum Stand der Beobachtungen und Ermittlungen – eine Vielzahl von Berichten, in denen mitunter ohne jede Zurückhaltung denunziert und verleumdet wird, oder gar böswillige, wahrheitswidrige Behauptungen ausgebreitet werden, verfasst von Inoffiziellen Mitarbeitern. Sie waren in das System des Sicherheitsapparates verstrickt, hatten den Auftrag, ein Vertrauensverhältnis zur auszuspähenden Person aufzubauen, sich in deren Umfeld einzuschleichen und oft auch deren Privatsphäre auszuschnüffeln. Viele dieser Informanten hatten keinerlei Hemmungen, über das Vorgefallene, Gesehene und Erlauschte zu berichten und über private oder dienstliche Verhaltensweisen Auskunft zu geben. Ihre Tätigkeit – wobei auch hier unterschieden werden muss, unter welchen Umständen sie dazu verpflichtet wurden, eine solche auszuüben und wie lange, mit welcher Absicht und mit welchem Ergebnis sie es taten –, macht den besonders brisanten Teil dieser Hinterlassenschaft aus. Oft kam sie – vor allem in den finsteren 1950er und frühen 1960er Jahren – unter lebensbedrohlichem Druck zustande, nicht weniger aber zum Zwecke eigener Vorteilsnahme, z. B. erhoffter Auslandsreisen, aufgrund von Karrierestreben, Berufsrivalität oder auch menschlicher Niedertracht.


Stichwort „Vergangenheitsbewältigung“: Herta Müllers „Zeit“-Beitrag „Die Securitate ist noch im Dienst“ (23. Juli 2009) hat erheblichen Wirbel ausgelöst. Darin kritisiert die Autorin, nach Einsichtnahme in ihre Securitate-Akten, die Landsmannschaft der Banater Schwaben massiv. Jüngst hat die designierte Literatur-Nobelpreisträgerin die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien angegriffen. Erkennen Sie einen Handlungsdruck für Institutionen und Organisationen der deutschen Minderheit in bzw. aus Rumänien zur Aufarbeitung ihrer Vergangenheit während der kommunistischen Diktatur unter Ceaușescu? Inwiefern kann die Fachtagung in München einen Beitrag leisten zu einer fundierten, ausgewogenen öffentlichen Debatte?

Verdrängung und Verharmlosung der geschichtlichen Wahrheit sind bekanntlich die schlechtesten Grundlagen für Versöhnung. Dass die rumänische Gesellschaft insgesamt und die deutsche Minderheit vor 1989 von den kommunistischen Staatssicherheitsorganen unterwandert waren, ist kein Geheimnis. Rumänische Staatsbürger aller Nationalitäten haben zu den Mitarbeitern und Zuträgern der Securitate gehört. Wer Aufklärung will und daran interessiert ist, dass nicht verzerrt und unvollständig über diese Dinge gesprochen wird, muss sich dieser Vergangenheit stellen. Deshalb freue ich mich, dass sich auch die Vertreter wichtiger Institutionen und Organisationen der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben Gedanken über den Umgang mit dieser unangenehmen Überlieferung machen und Bereitschaft signalisiert haben, ihre Aufarbeitung in Angriff zu nehmen. Besonders begrüße ich die Forderung nach einer vorbehaltlosen Öffnung der Archive.


Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Sienerth.

Schlagwörter: Securitate, Herta Müller, Literatur, IKGS

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