16. Dezember 2019

70 Jahre Landesgruppe Baden-Württemberg: Festrede von Helge Krempels

Die Landesgruppe Baden-Württemberg des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland hat am 30. November ihr 70-jähriges Jubiläum gefeiert. Rund 800 Gäste kamen in der Heilbronner Harmonie zum Festakt zusammen (siehe 70 Jahre Gemeinschaftssinn: Landesgruppe Baden-Württemberg feierte mit 800 Gästen in Heilbronn). Die im Folgenden wiedergegebene Festrede hielt Helge Krempels, der stellvertretende Vorsitzende der Landesgruppe.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Landsleute und Freunde, sehr geehrte Ehrengäste dieser Festveranstaltung! Fast auf den Tag genau vor siebzig Jahren lud Hermine Höchsmann für den 11. Dezember 1949 zur Gründung des „Zweigverbandes Südwest“ im Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland ein, der bereits im Juni desselben Jahres in München gegründet worden war.

Infolge der tiefgreifenden, katastrophalen Auswirkungen des verheerenden Zweiten Weltkriegs verschlug es eine steigende Anzahl von Siebenbürger Sachsen in die Besatzungszonen der westlichen Alliierten auf dem Gebiet Österreichs und Deutschlands, von denen etwa 30.000 evakuierte Landsleute aus 34 Ortschaften des Nösnergaus, den 16 Gemeinden des Reener Landes und den sieben geflohenen südsiebenbürgischen Dörfern waren, zu denen 15.000 ehemalige Soldaten kamen, 6.000 aus sowjetischen Zwangsarbeitslagern, aufgrund von Erschöpfung und Krankheit, ausgemusterte deportierte Frauen und Männern sowie Studenten und Berufstätige, die sich seit dem Krieg in Deutschland befunden hatten, denen sich geflüchtete Einzelpersonen und Familien anschlossen. All diese Verlorenen und Verschollenen erhöhten die Anzahl der Flüchtlinge aus Südosteuropa und den Vertriebenen Osteuropas, denen es bis 1949 verboten gewesen war, organisierte Zusammenschlüsse zu bilden. Um die Unterstützung der heimatlosen Siebenbürger Sachsen kümmerte sich nach dem Ende des Krieges das Bayerische Rote Kreuz sowie das in Stuttgart angesiedelte, für alle heimatlosen Flüchtlinge tätige Hilfswerk der Evangelischen Kirche Deutschlands, die umso effizienter gestaltet werden konnte, je besser die Verantwortlichen mit den Belangen der Flüchtlinge vertraut waren und sie seelsorgerisch wie karitativ betreuten.

Nach der Verkündigung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 war die Bildung von Vereinen und Organisationen der Vertriebenen möglich. Danach beschlossen am 2. Oktober über 600 Landsleute die Gründung der „Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben“, für die ein Zehnerausschuss die notwendigen Statuten ausarbeiten sollte. All diese Ereignisse waren der Gründungsversammlung der Zweigstelle vorangegangen, deren zentraler Verband unter den Worten des Schriftstellers Heinrich Zillich ins Leben gerufen worden war: „Siebenbürger Sachsen, denen die Heimat genommen wurde und die fern von ihr in Deutschland leben, treten zusammen und gründen, DIE HEIMAT IM HERZEN, einen Verband zur gegenseitigen Hilfe, überzeugt davon, dass Recht und Zukunft zu erringen der tätigen Treue gelingen wird.“

Zum Kreis der gründenden Mitglieder gehörten Hermine Höchsmann, Brigitte Csaki, Alfred Coulin, Kurt Rhein, Richard Langer, Oskar Kraemer, Edwin Konnerth und Hans Henrich. Die neu gegründete „Zweigstelle Südwest“ betreute ab der Gründung die Landsleute in den Bundesländern: Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden. Diese schlossen sich 1952 zusammen, wobei Flüchtlinge und Vertriebene darauf einen wesentlichen Einfluss hatten. Somit nahm die organisatorische Gliederung unserer Landesgruppe im Verband der Siebenbürger Sachsen die spätere politische Vereinigung des Landes Baden-Württemberg bereits im Jahr 1949 bei ihrer Gründung vorweg.
Helge Krempels, der stellvertretende Vorsitzende ...
Helge Krempels, der stellvertretende Vorsitzende der Landesgruppe, bei der Festrede
Zur selben Zeit öffneten sich die Tore der sowjetischen Arbeitslager, um die meisten der darin noch verbliebenen deportierten Landsleute in die Heimat und eine ungewisse Zukunft zu entlassen. Die Zustände in der Heimat, welche die Rückkehrer antrafen, hatten sich inzwischen grundlegend verändert und ihre Familien litten nicht selten Not, waren aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben worden und hatten Jahre der Entrechtung und der Willkür ertragen müssen. Das Schicksal der Siebenbürger Sachsen, die auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, der sich inzwischen mitten in Europa herabgesenkt hatte und unseren Kontinent für Jahrzehnte in einen freien und einen unfreien Teil trennte, nahm in den Überlegungen der Gründungsmitglieder eine fundamentale Rolle ein, betraf es doch ihre Familien, Verwandten, Freude und Bekannte, die Menschen, die mit ihrem bisherigen Leben verbunden gewesen waren und nun davon gewaltsam auf unabsehbare Zeit getrennt werden sollten. So wurde anlässlich der Gründung unserer Landesgruppe das Laienspiel „Das Christi-Geburt-Spiel der Siebenbürger Sachsen im Donbas“ gezeigt, das von damals kürzlich nach Deutschland entlassenen deportieren Frauen und Männern in ihrer Originalsträflingsbekleidung aufgeführt wurde.

In diesen schwierigen Lebensbedingungen wurde die Rolle des Verbandes als Solidargemeinschaft Gleichgesinnter, denen er mit Rat und Tat helfend zur Seite stehen will, definiert und geschärft. Vertretung im öffentlichen und politischen Alltag, Beratung für die verschiedensten Fragestellungen, Bildung einer Plattform für gesellschaftliche und kulturelle Verbindungen, Hilfeleistungen im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten, um in Not geratenen Landsleuten in Deutschland, vor allem aber in Rumänien zu helfen und Familienzusammenführungen erst in gezielten, humanitären Fällen, später auf genereller Basis zu ermöglichen. Ernsthafte Arbeit und empathisches Verständnis, ehrenamtlicher Einsatz in bewährtem Gemeinschaftssinn haben dem Verband und mit ihm der Landesgruppe wachsende Bedeutung, Zuspruch durch die Partner und die Landsleute sowie aufgrund beispielgebenden Handelns steigende Aufmerksamkeit und Mitgliederzahlen beschert. Über die Jahre haben sich die Rahmenbedingungen in objektiver wie subjektiver Weise mehrfach verändert und somit auch den Verband veranlasst, durch Umbau und Reform mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Hervorzuheben sind dabei die vielfältige, breit aufgestellte Struktur der Landesgruppe in 32 Kreisgruppen, die in abgestimmter Weise das Gemeinschaftsleben der Siebenbürgen Sachsen zwischen Kurpfalz und Bodensee, zwischen Rhein und Schwäbischer Alb erfolgreich beeinflussen und gestalten. Deren wesentliche Aufgabe besteht darin, den Menschen eine rasche und gute Eingliederung in ihr neues Lebensumfeld zu ermöglichen, damit sie es als ihr neues Zuhause annehmen können und es ihnen zur Heimat werden kann. In diesen Untergliederungen wirken eine Vielzahl von Kinder- und Jugendtanzgruppen, Chören, Theatergruppen und Musikorchestern, die mit ihren Darbietungen künstlerisches Leben auf breiter Basis mitgestalten, Traditionen wahren und in die Zukunft tragen, um in der Öffentlichkeit kulturelle Botschafter unserer Gemeinschaft zu sein, damit wir alle in unserem zur Heimat gewordenen neuen Zuhause angenommener Teil eines verbindenden Ganzen werden.

Die Heimat, vor allem aber ihre Menschen im Herzen, veranlasste die Verbandsmitglieder in vielfältiger Weise ihren daheim lebenden Landsleuten helfend zur Seite zu stehen. Einzelschicksale konnten somit medizinische Hilfe und Assistenz erhalten, bis hin zu Behandlungen in Deutschland in besonders schweren Fällen. Breitere Hilfslieferungen wurden im Zuge der sogenannten Tauwetterpolitik des rumänischen Regimes im Falle der Überschwemmungskatastrophen der Anfang und Mitte siebziger Jahre, vor allem jedoch nach dem verheerenden Erdbeben vom 4. März 1977 möglich sowie sofort nach dem politischen Umsturz im Dezember 1989. Die Beziehungen zu den politischen und kirchlichen Vertretern der Siebenbürger Sachsen in Rumänien, zu den Vereinigungen unserer Landsleute in Österreich, Kanada und den Vereinigten Statten von Amerika haben in ihrer Föderation seit den achtziger Jahren institutionellen Charakter, der sich ab den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts bedeutend intensiviert hat und aufzeigt, dass sowohl Generationenwechsel in der Zusammensetzung unserer Gemeinschaft, wie an der Spitze ihrer Vertretungen, noch Grenzen und systemische Barrieren, am Bewusstsein „UNUS SIT POPULUS“, an der Einheit des Volkes keinen Sinneswandel veranlassen können.

Einerseits mag sich die Tatsache, dass sich die besonderen Umstände der Veränderung unserer Gemeinschaft auf über Jahrzehnte ausdehnendes persönliches Erleben erstrecken, begünstigend auf das kollektive Gedächtnis ausgewirkt haben. Der bedeutende und für uns ermutigende Umstand der breiten Bereitschaft der Kinder und der Jugend, sichtbar auf die Belange des Verbandes grenzüberschreitend einzuwirken, welche von nunmehr fast dreißig Jahren Freiheit und rechtstaatlicher Entwicklung geprägt sind, weist andererseits auf ein tieferes, empathischeres Empfinden hin, das sich aufgrund kultureller und sozialer Prägung auf die tolerante und zutiefst demokratische Grundeinstellung der heranwachsenden Generation der Siebenbürger Sachsen auswirkt. In ihren Wurzeln fest, wird diese Gemeinschaft auch die Herausforderungen der Zukunft in bewährter Weise annehmen, versuchen, sich ihnen in bestmöglicher Weise zu stellen und im Bewusstsein der eigenen Identität und dem Vertrauen auf gegenseitiges Einstehen füreinander dafür die nötige Kraft beziehen. Denn so wie die Tracht veräußerliches Zeichen der inneren Identität für uns ist, so ist die Gemeinschaft mit der Wirkung in der Öffentlichkeit von ihrer Verfasstheit im Inneren geprägt, die von ihren Gliedern, einzelnen Menschen, von uns allen gebildet und getragen wird und einen tief verwurzelten Bezug und eine untrennbare Verbindung darstellen. Darin bilden, neben den greifbaren, materiellen Dingen, wie siebenbürgischer Ursprung und Heimat, Bezug zur Festtracht, als Begleiter in besonderen Lebenslagen, Organisationen, Kultureinrichtungen und Veranstaltungen, neues Zuhause und Umfeld, Menschen die einem nahe stehen und denen man in Liebe verbunden ist, eine Symbiose zum Inneren von uns allen, zu unseren Gedanken, Träumen und Sehnsüchten, zu unseren Vorhaben und Zielsetzungen, zu unseren Bedenken, Ängsten, zur Freude und dem Schmerz, die uns abrundend ausmachen.

In einer Zeit der Veränderung, mit sich ankündigenden Umbrüchen, kann uns, die wir diese Gemeinschaft bilden, aus diesem Bewusstsein und der Besinnung auf die uns prägenden Werte, das Selbstverständnis erwachsen, mit der Veränderung positiv umzugehen, uns jeglicher klaustrophobischer Reflexe und enger Gedanken zu erwehren, nicht zu verzagen und der Zukunft gestaltend zu begegnen.

Dafür haben die Frauen und Männer des Verbandes in der Landesgruppe Baden-Württemberg über sieben Jahrzehnte gestanden, in der Gestaltung ihres Lebens und ihres lebenswerten Umfelds auf ihr immaterielles Gepäck, oftmals das Einzige gerettete, ihre siebenbürgisch-sächsische Identität, vertraut.

Stellvertretend für die in die tausende gehenden Träger des Einsatzes für dieses besondere Schicksal, haben ihre Vorsitzenden die Geschicke der Landesgruppe begleitet und geprägt: von 1949-1956 Alfred Coulin, gefolgt von Andreas Theil zwischen 1956 und 1959; von 1958-1960 stand Oskar Krämer der Landesgruppe kommissarisch vor und von 1960-1966 leitete sie Fritz Lukesch; Arthur Braedt war von 1966-1975 Landesvorsitzender, gefolgt von Dr. Udo Pieldner zwischen 1975 und 1978; von 1978-1985 leitete sie Hans Wolfram Theil und von 1986-1995 Richard Löw, gefolgt von Michael Trein zwischen 1995 und 1998; Alfred Mrass war von 1998-2015 ihr Vorsitzender und seit 2015 steht der Landesgruppe Michael Konnerth vor. Die Frauen in der Landesgruppe haben in deren gesamter Geschichte eine wichtige, richtungsweisende und bedeutende Rolle innegehabt und prägen diese in all ihren Gremien, Vorhaben, Veranstaltungen und Aufgaben sowie bei der Wahrnehmung ihrer sozialen Verantwortung. Die Kulturarbeit in Spezialgebieten, wie dem Siebenbürgischen Museum und dem Siebenbürgen Institut auf Schloss Horneck sowie in ihrer Breitenwirkung, im Musikleben, im Theater oder den Tanzgruppen ist von vielen starken Frauenpersönlichkeiten geprägt, die ihre Bemühungen in Frauen- und Kulturreferaten vereinen und abstimmen. In der Kinder- und Jugendarbeit finden sich seit Jahrzehnten engagierte Mädchen und junge Frauen in leitenden und gestaltenden Positionen. Ihnen allen ist nicht zuletzt die durchaus positive, über die Grenzen der eigenen Gemeinschaft und Heimat erkennbare Außenwirkung zu verdanken.

Junge Menschen, auf der Suche nach der eigenen Identität, werden von ihren Eltern und Großeltern auf die Vorzüge ihres Ursprungs und dieser gelebten Gemeinschaft aufmerksam gemacht und finden in vielen Jugendtanzgruppen und Musikorchestern Anschluss an Gleichgesinnte ihres Alters. Der Verband und im Besonderen die Landesgruppe Baden-Württemberg gewähren den Kinder- und Jugendgruppen innerhalb ihrer Untergliederungen ein hohes Maß an Selbstbestimmung, ermuntern die junge Generation, ihre Belange eigenverantwortlich zu regeln und gestaltend auf die Gemeinschaft zu wirken, um zukunftsweisend für uns alle zu sein.

Vielleicht ist es auch der Tatsache geschuldet, dass die Siebenbürger Sachsen in ihrer Gesamtheit schweren Herzens das Schicksal des Heimatverlustes und deren Aufgabe angenommen haben im Vertrauen darauf, ihren Kindern ein schlimmeres Daselbst zu ersparen und ihnen eine selbstbestimmte Zukunft in Freiheit und Gleichheit zu ermöglichen, dass sie der jungen Generation stets einen sehr hohen Stellenwert einräumen, in Trost und Zuversicht auf das Kommende, festverankert in demokratischem Bewusstsein.

War es denn nicht auch diese Zuversicht und das Versprechen auf dieselben Werte, die Freiheit, Gleichheit und die Ordnung eigenen Rechts, die unsere Vorfahren veranlasste, eine nicht minder wagnisreiche, gefährliche und ungewisse Reise in die Zukunft und ein damals fernes, wüstes Land am Rande Europas anzutreten? In Rückbesinnung auf eigene Fähigkeiten die Gegenwart gestalten hilft, generationsübergreifend und zukunftsorientiert auf die kommenden Jahre zu vertrauen. Sich selbst und den Zielen des Verbandes sowie den anvertrauten Menschen verpflichtet und treu, möchte der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und seine Landesgruppe Baden-Württemberg dienen, die künftigen Zeiten gestalten und begleiten, im Besinnen auf die eigene Kraft gestaltend wirken und auf Gottes Segen hoffen und vertrauen.

Helge Krempels

Schlagwörter: Baden-Württemberg, Jubiläum, Festveranstaltung, Heilbronn, Festrede, Krempels

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