24. Juli 2010

Neuer Film über die Russlanddeportation: "Die Alptraumreise"

„Die Alptraumreise“ ist der neueste Dokumentarfilm über die Russlanddeportation der Siebenbürger Sachsen nach dem Zweiten Weltkrieg. Der junge rumänische Regisseur Florin Besoiu ist eigentlich Schauspieler, hat nach einem Workshop vor einigen Jahren seine Liebe zum Dokumentarfilm entdeckt. „Die Alptraumreise“ ist Besoius bisher längster Film. Mit kürzeren Streifen hat der Filmemacher bereits an mehreren Festivals teilgenommen.
177 Personen wurden 1945 aus Mühlbach nach Russland zur Zwangsarbeit deportiert. Grete Zink, Agnetha Fakner, Christian Dahinten und Friedrich Mauksch erinnern sich an die schweren Zeiten. Einerseits wird in dem 46-minütigen Film die Deportation der beiden Frauen nacherzählt, andererseits die Geschichte von Christian Dahinten, der seinen Vater in Russland verloren hat. Friedrich Mauksch hat es zwar geschafft, sich rechtzeitig bei einer rumänischen Familie zu verstecken, seine Mutter wurde deswegen jedoch öfters zur Polizei bestellt und bedroht, an Stelle ihres Sohnes depor­tiert zu werden. Letztendlich wurden sie und ihr Sohn nicht mehr nach Russland geschickt, da keine weiteren Deportationen aus Mühlbach organisiert wurden.

Regisseur Florin Besoiu. ...
Regisseur Florin Besoiu.
Der Film beginnt mit einer kurzen Vorstellung der Stadt Mühlbach und einer geschichtlichen Einführung. Dabei rückt die evangelische Kirche in den Vordergrund – die meisten Deportierten waren Siebenbürger Sachsen. Allerdings nicht alle, wie die Protagonisten des Films glauben, denn für die damalige Polizei sei es wichtig gewesen, dass „die Zahl stimmt“. So kam es dazu, dass Grete Zink deportiert wurde, die eigentlich nicht zur Zielgruppe gehörte: Männer zwischen 17 und 45 Jahren, Frauen zwischen 18 und 30.

„Ich denke, ich habe über acht Stunden Film“, sagt Florin Besoiu, der den Film selbst finanziert hat. So stand ihm nur ein Kameramann zur Verfügung. Besoiu, der für die Regie, für Skript und Schnitt verantwortlich zeichnet, hat den Fokus auf die Abfahrt und auf die Fahrt nach Russland gelegt. „Am 15. Januar 1945 kamen um 7.30 Uhr morgens drei Soldaten und ein Kommissar“, erinnert sich Grete Zink, die über die Vergangenheit nicht verbittert spricht, obwohl sie schwer krank aus Russland nach Deutschland geschickt wurde, wo die Ärzte mehrere Monate um ihr Leben kämpfen mussten.

„Als ich den Hauptdarstellern den Film gezeigt habe, sind aber Tränen geflossen“, berich­tet der Regisseur, „und Herr Dahinten konnte ihn fast nicht ertragen – dass sein Vater in Russland gestorben ist, hat die Familie nur erfahren, als die ersten Deportieren zurückgekehrt sind.“ Dessen Vater war ein berühmter Metzger in Mühlbach. Er hat das Leben im russischen Lager nicht ausgehalten. Immer wieder sprechen die Darsteller über das Essen im Lager: altes, hartes Schwarzbrot und eine dünne Suppe. Dazu werden Archivfotos gezeigt: Besoiu erklärt: „Meine Hauptdarsteller hatten kaum Fotos, so dass ich die Fotos in Büchern und im Internet gefunden habe“.
Mit einer Rückfahrtgeschickte endet „Die Alptraumreise“. Agnetha Fakner ist in Russland aus­gestiegen, um die Rubel auszugeben, dabei ist der Zug weggefahren. Bewegt erzählt die Dame, wie sie, zusammen mit einer anderen Zurückgebliebenen, den Zug dann doch erwischt hat. Auch heute kann sie nicht verstehen, warum sie überhaupt ausgestiegen ist: „Ich war eigentlich sehr zurückhaltend und hätte mich normalerweise nicht getraut, aus dem Zug auszusteigen.“

„Wir müssen diese Chance ergreifen, mit Au­genzeugen über die Deportation zu sprechen“, unterstreicht der Filmemacher, der 2007 die Schauspielschule in Hermannstadt absolviert hat, wo er dann auch zwei Jahre im Theater aufgetreten ist. „Ich bin zwar kein Siebenbürger Sach­se, doch dieses geschichtliche Ereignis ist auch für die Rumänen wichtig.“ Die Idee, einen Doku­mentarfilm über die Deportation zu drehen, kam ihm während eines Gesprächs mit dem evangelischen Stadtpfarrer aus Mühlbach, Alfred Dahin­ten: „Er hat mich mal einfach gefragt, warum ich dieses Thema nicht aufgreife. Das habe ich auch getan.“ Über das Resultat schreibt Pfarrer Dahinten: „Der Film ,Die Alptraumreise‘ des Mühlbacher Laienregisseurs Florin Besoiu bringt einen besonderen Einblick in die Geschichte jener grauenhaften Zeiten, als unschuldige Siebenbürger unter großem Leiden die Schuld anderer büßen mussten – die Geschichte der Depor- ­tation. Gerade weil aus dem Blickwinkel eines Unbetroffenen und Unvoreingenommenen erzählt wird, einem jungen Rumänien mit historischem Interesse, fällt ein objektives Licht auf jene Geschehnisse. Und es wird ganz deutlich, dass ein Krieg niemals eine Lösung eines Konfliktes ist, sondern immer nur der Anlass zu fast unvorstellbarer Not und vielfachem Tod.“

„Die Alptraumreise“ wurde bereits in Mühlbach, Petersdorf und Hermannstadt gezeigt. Der Kulturreferent des Hermannstädter Forums, Hel­mut Lerner, befand: „Der Dokumentarfilm erweckt Erinnerungen und bewegt die Zuschauer. Es ist nicht leicht, heutzutage einen solchen Film zu drehen. Die kommenden Generationen müssen aus solchen Erlebnisse lernen. Solche Initiativen kommen immer gut an und ich möch­te Herrn Florin Besoiu für seine Mühe herzlich danken.“

Auch in Deutschland möchte der Regisseur seinen Dokumentarfilm präsentieren. Beim Treffen der Mühlbacher im nächsten Jahr ist er jedenfalls dabei.

Inzwischen wurde „Die Alptraumreise“ deutsch untertitelt und ist als DVD zum Preis von 20 Euro erhältlich. Den Vertrieb übernimmt in Deutschland Gerhard Wagner, HOG Mühlbach: Münchener Straße 31 b, 85368 Moosburg, Telefon: (08761) 727671 oder (0160) 3662292,in Rumänien der Regisseur unter Telefon: (0040-744)610320 oder (0040-358) 402510, E-Mail: die.alptraumreise[ät] yahoo.com.

Ruxandra Stănescu

Schlagwörter: Deportation, Film

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