4. Dezember 2011

„Reise durch die Unterwelt“: Zeitzeugenberichte zum Schwarze-Kirche-Prozess 1957/58

Das vorliegende Buch der Herausgeber Karl-Heinz Brenndörfer und Thomas Șindilariu will zur „Aufarbeitung der Geschichte und Vergangenheitsbewältigung“ beitragen, wie es im Vorwort heißt. Ein großes Unterfangen, das mit einem Einführungstext von Corneliu Pintilescu beginnt, der eine wissenschaftliche Grundlage für die nachfolgenden Erlebnisberichte bildet. Neben den wichtigen Fakten wird die Komplexität des Materials dargelegt, insbesondere des Aktenmaterials, dessen Interpretation großes Sachwissen und Fingerspitzengefühl voraussetzt. Der Leser bekommt zudem einen Einblick in die Funktionsweise der kommunistischen Schauprozesse und die große Absurdität des Vorgehens, das gleichzeitig einer strengen Systematik folgte.
Die folgenden Berichte sind sehr unterschiedlich in Länge und Form. Häufig finden sich Mischformen, die zwischen Erlebnisbericht und distanzierterem Schreiben schwanken. Die Distanz macht es zum einen einfacher, über das Erlittene zu schreiben, zum anderen fördert sie den Eindruck einer gewissen Objektivität, die es bei den Betroffenen ja nicht wirklich geben kann. Somit dient diese Objektivierung vielleicht auch dazu, den eigenen Erinnerungen einen allgemeingültigeren Rahmen zu geben. Ein verständlicher Wunsch, doch angesichts der oft sehr eindrucksvollen Erzählungen vollkommen unnötig – und teilweise auch problematisch, wie es Karl Dendörfer am Beginn seines Beitrags thematisiert, indem er beschreibt, wie schwierig es ist, die Hintergründe zu beleuchten.

Der Leser begegnet immer wieder sehr eindrücklichen Schilderungen des Häftlingslebens, so beispielsweise bei Günter Volkmer: „An diesem mörderischen Ort wurden nun den Neuankömmlingen nachts um 2.00 Uhr mittels Stemmeisen die Ketten von den Beinen entfernt. Nach dem üblichen Gefluche und Hin-und-her-Ge­boxe verschwanden dann die Einzelnen halbnackt, nur mit der Unterhose bekleidet, mit Kleiderbündeln unter dem Arm, hinter einem großen elektrisch betriebenen Stahltor.“

An vielen Stellen habe ich mich gefragt, was unausgesprochen bleibt, welche Erlebnisse und Grausamkeiten nicht thematisiert werden konnten: „Während ich diesen Bericht schreibe, steigen immer neue Erinnerungen aus der Gefängniszeit auf und werden wieder lebendig. Auch unbehagliche Gefühle machen sich bemerkbar. Ich spüre ein unangenehmes Vibrieren im Körper, Ausdruck einer starken seelischen Spannung […].“ So beschreibt Gerhard Gross das Gefühl während des Verfassens seines Textes. Diese Belastung durch das Wiederaufleben der Erinnerungen ist in den Erzählungen teils stark spürbar und macht die Gegenwärtigkeit des Erlebten deutlich. Die Berichte sind bedeutsam, für den Schreibenden ebenso wie für den interessierten Lesenden, da sie die Erinnerungen durch die Zeit tragen, sie erhalten und allgemein zugänglich machen.
Dr. Konrad Möckel (Mitte) in Begleitung von ...
Dr. Konrad Möckel (Mitte) in Begleitung von Securitate-Offizieren auf dem Dachboden der Sakristei der Schwarzen Kirche 1958. Das bis zu diesem Zeitpunkt eingemauerte Protestschreiben des Presbyteriums der Honterusgemeinde, in dem es sich gegen die Enteignung des Honterus-Gymnasiums verwehrt, geht in den Besitz der Securitate über (Archiv CNSAS, Fond Penal, dosar Cluj 5348, vol. IV, Bl. 2-15).
Zum Aufbau des Bandes haben sich mir als Leserin vor allem zwei Fragen gestellt:

1. Es wird nicht deutlich gemacht, wonach die Zeitzeugenberichte ausgesucht wurden. Warum fehlen einige der Betroffenen wie beispielsweise Kurt-Felix Schlattner in dem Buch? Und etwas ratlos stand ich auch vor der Kurzbiographie von Rainer Georg Szegedi, die wirklich sehr kurz ist, und aus dem Rahmen fällt, da der Band doch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Wer wurde warum (nicht) aufgenommen? Diese Erklärung fehlt, auch wenn das Thema im Geleitwort kurz gestreift wird.

2. Die Texte sind in verschiedenen zeitlichen und thematischen Zusammenhängen entstanden. Auch wenn diese zwar vor Beginn der Berichte jedes Mal angerissen werden, fehlt doch ein weiterer erklärender Rahmen. Ich hätte mir auch einige biographische Daten zu den Schreibenden gewünscht, um eine bessere Einordnung vornehmen zu können. Ungeachtet dieser Kritikpunkte an dem Band „Der Schwarze-Kirche-Prozess 1957/58. Erlebnisberichte und Dokumentation“ ist er ein wichtiger, eindrucksvoller Beitrag zum Verständnis der kommunistischen Zeit in Rumänien und ein sehr lesenswertes Buch. Die Erzählungen machen das Leid der Betroffenen für uns, die wir es nicht erlebt haben, greif- und verstehbarer. Die Schreibenden nehmen den Leser mit auf die „Reise durch die Unterwelt“, wie der sehr umfangreiche Beitrag von Gerhard Gross es schon im Titel trägt.

Außerdem bewahrt es die Erinnerungen einer Erlebnisgemeinschaft. Diese Nahaufnahme der Mikroperspektive von Geschichte, aus Sicht der von ihr Betroffenen, ist ein wichtiger Schritt auch in Richtung einer wissenschaftlichen Forschung, die sich vom reinen Aktenstudium ­entfernt und die Perspektive erweitert. Zu der ebenso umfangreichen wie problematischen Überlieferung der Securitate sind Zeitzeugenberichte ein äußerst wichtiges Korrektiv.

Erinnerungen sind ein, wenn auch mit Vor- und Umsicht zu genießender, Schatz, auf menschlicher ebenso wie auf wissenschaftlicher Ebene. In diesem Sinne möchte ich mit den Worten eines der Herausgeber enden: „Daher wünschen wir dem vorliegenden Band, dass er möglichst viele Nachahmer finden möge[.]“ Dem kann ich mich nur anschließen.

Friederike Mönninghoff


Karl-Heinz Brenndörfer und Thomas Șindilariu (Herausgeber): „Der Schwarze-Kirche-Prozess 1957/58. Erlebnisberichte und Dokumentation“, Verlag des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, Heidelberg (ISBN 978-3-929848-89-2), Band 8 der Schriftenreihe von Studium Transylvanicum, und ­Aldus-Verlag in Kronstadt, 277 Seiten, 47 Abb., zu bestellen für 14,90 Euro plus Versand (für AKSL-Mitglieder: 10,43 Euro) beim Siebenbürgen-Institut, Schloss Horneck, 74831 Gundelsheim, bei Karl-Heinz Brenndörfer, E-Mail: khbrenndoerfer[ät]gmx.de, Telefon: (07 11) 85 02 89, oder im deutschen Buchhandel.
Der Schwarze-Kirche-Prozess 19
Der Schwarze-Kirche-Prozess 1957/58: Erlebnisberichte und Dokumentation

Arbeitskreis f. Siebenbürgische Landeskde
Taschenbuch
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Schlagwörter: Rezension, Schwarze-Kirche-Prozess, Zeitzeugenberichte

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