27. Juni 2014

Das einschneidendste Ereignis

An die Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen vor 70 Jahren erinnerte beim diesjährigen Heimattag in Dinkelsbühl insbesondere auch die Dokumentationsausstellung „Aufbruch ins Ungewisse. Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen 1944“. Die am Pfingstwochenende im Ev. Gemeindehaus St. Paul gezeigte Ausstellung wurde mit einer Einführung des Bundeskulturreferenten Hans-Werner Schuster eröffnet, die hier leicht gekürzt abgedruckt wird.
(…) Dass ich Sie hier zu der Eröffnung der Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse. Die Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen 1944“ begrüßen darf, ist letzten Endes genau dieser Evakuierung zu verdanken. Jene rund 40000 Landsleute (etwa 5000 davon aus Südsiebenbürgen) waren die Pioniere unseres sächsischen „Go West“, die bald von weiteren Gruppen westwärts verschlagener Siebenbürger Sachsen flankiert einen solchen Sog entfalteten, dass heute nur ein Bruchteil von uns in der alten Heimat verblieben ist.

Sie alle haben den von Horst Göbbel verfassten Aufmacher in der letzten Folge der Siebenbürgischen Zeitung (siehe "Evakuierung 1944 – Gedenken 2014: Schwerpunktthema des Heimattags in Dinkelsbühl") gelesen, in dem er den Komplex Evakuierung in seinem Verlauf beschreibt und auch seine Bedeutung für die Entwicklung unserer Gemeinschaft – eine „Fortentwicklung“ in des Wortes doppelter Bedeutung. Daher und mit Blick auf den morgigen Vortrag meines hochgeschätzten Kollegen und Freundes (Horst Göbbel) könnte ich mir jede weitere Anmerkung dazu verkneifen. Ich tue das nicht, ganz bewusst. Und zwar, weil die Evakuierung nicht nur den Beginn unseres Hierseins markiert, sondern auch das potenziert und verstetigt, was mit dem 2. Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 begonnen hat: den Zerfall der einheitlichen siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft in Teilgemeinschaften. Eine Folge davon ist, dass die „Evakuierung“, dieses einschneidendste Ereignis für Sachsen in und aus Nordsiebenbürgen, bei Sachsen aus Südsiebenbürgen so wenig zum Klingeln bringt wie umgekehrt die Deportation. Deshalb also, und im vollen Bewusstsein, dass siebenbürgisch-sächsische Geschichte nicht nur eine Folge von Ereignissen ist, sondern auch die Erinnerung – die gemeinsame Erinnerung – daran, werde ich Ihnen einen kurzen Abriss des Evakuierungsverlaufs nicht ersparen und einige Ereignisse und Exponate streiflichtartig hervorheben.
Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster führte ...
Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster führte vor zahlreichem Publikum in die Dokumentationsausstellung „Aufbruch ins Ungewisse. Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen 1944“ ein. Foto: Christian Schoger
Als Erstes hervorheben will ich den Begriff „Evakuierung“. Auch wenn die angesprochenen 35000 Nordsiebenbürger Sachsen nach dem 23. August und Rumäniens Kehrtwende ihre Heimat verlassen, so ist es keine Flucht vor der heranrollenden Roten Armee, sondern eine schon seit März 1944 gut vorbereitete Aktion. Anders als in Südsiebenbürgen, wo man panikartig flüchtete (geschlossen aus den grenznahen Gemeinden Felldorf, Katzendorf, Maniersch, Rode, Zendersch und Zuckmantel und dazu vereinzelte Gruppen/Grüppchen). Damit heben sich die Führer des Gebietes Ost im Volksbund der Deutschen in Ungarn (VDU) wie der Kirchenführung des Generaldekanates Nordsiebenbürgen sehr positiv ab von den Betonköpfen in der kirchlichen wie Volksgruppenführung Südsiebenbürgens. Aber gerade dadurch wird die bequeme Entschuldigung zu unseren nationalsozialistischen Verquickungen – „wir wurden vom Dritten Reich gleichgeschaltet“ – relativiert. Immerhin hatten sich die Entscheidungsträger vor Ort in dieser Frage durchgesetzt – gegen große Widerstände. Denn die Vorbereitung der Evakuierung offenbarte in erster Linie, dass man an den Endsieg nicht glaubte, und das war Defätismus, Unterminierung der Moral und damit Untergrabung der NS-Herrschaft, die ähnlich wie Sabotage auch bis hin zum Tod bestraft wurde! (…) Dieser Vorbereitungszeit widmen sich nach vier einführenden Tafeln die Roll-ups 5-9. Darauf werden auch die bestimmenden handelnden Personen präsentiert – allen voran Robert Gassner, der Gebietsführer Ost im Volksbund der Deutschen in Ungarn – und es wird gezeigt, welche Güter für die Evakuierung vorbereitet werden sollten. Neben dem für das tägliche Leben Notwendigen sind es die materiellen „Schätze“ der Einzelperson, zu denen wohl immer auch die kostbare Tracht und die Familienbibel gehören, ebenso wie das Berufswerkzeug, und dann Schätze, die eher einen „ideellen“ Wert haben. Bibel und Tracht gehören auch unter diesem Aspekt dazu, aber auch ein unscheinbares Coetus-Band, ein Schützenpokal oder die 800000 Zettel mit den Notaten zu der mundartlichen Wortsammlung von Pfarrer Dr. Friedrich Krauss, dessen Lebenswerk mit der Veröffentlichung des fünfbändigen „Nordsiebenbürgisch-sächsischen Wörterbuchs“ 2006 gekrönt wird.

Zum anderen mussten „Schätze der Gemeinschaft“ in Sicherheit gebracht werden: Matrikelbücher und liturgisches Gerät, wie z.B. der Deutsch-Budaker Kelch, aus dem 16. Jahrhundert, der als Symbol der Partnerschaft zwischen der Stadt Dinkelsbühl und den Siebenbürger Sachsen 1997 als Leihgabe an die Evangelische Gemeinde Dinkelsbühl gegeben wurde. Dass trotz aller Vorbereitung nicht alle Schätze gerettet werden konnten, darf angesichts der auf den Fersen folgenden Front nicht wundern.

Bedauerlicherweise gehört auch das Draaser Schwert, ein Symbol der sächsischen Ansiedlung und sächsischen Freiheit in Siebenbürgen, dazu. Rund 85 Prozent der sächsischen Bevölkerung Nordsiebenbürgens werden ab dem 8. September in Trecks aus 50 Gemeinden evakuiert sowie mit Zügen und Lastkraftwagen der Wehrmacht aus den Städten Bistritz und Sächsisch-Regen. Über das ursprüngliche Treckziel Sathmar hinaus geht es – die Front im Rücken – immer weiter nach Westen, so dass sie bis Anfang November die damalige Grenze des Deutschen Reiches überschreiten und größtenteils in Nieder- und Oberösterreich untergebracht werden. Die mit der Eisenbahn Evakuierten landen in Schlesien, im „Warthegau“, Erzgebirge und Sudetenland. Die Flucht Richtung Westen wird auch bei und nach Kriegsende fortgesetzt. So gelangt ein Teil der Evakuierten nach Niederbayern und von dort nach Mittelfranken.

Die Roll-ups 10-16 beleuchten das Zigeunerleben dieser Flucht nach Westen mit Koberwagen, mit Zigeunerofen, mit „Zigeunereien“. Ich setze letzteres in Anführungszeichen, und meine damit nicht nur das, was in fast allen Erlebnisberichten zur Evakuierung als „Organisieren“ – sprich Stehlen wie die Raben – bezeichnet wird. Ich will damit auch das Gefühl anklingen lassen, von außen als Zigeuner wahrgenommen zu werden, unwillkommen zu sein, mit Argwohn und von oben herab betrachtet zu werden. Ich denke, das war für unsere stolzen, herrischen Siebenbürger Sachsen eine harte Lektion. Aber eine Lektion, die wieder zu mehr Offenheit und Toleranz geführt hat.
Die Ausstellung zog viele interessierte Besucher ...
Die Ausstellung zog viele interessierte Besucher an. Foto: Christian Schoger
Offenheit und Toleranz sind sicherlich auch den Folgen der Evakuierung zu verdanken, der Tatsache, dass es damals viele Landsleute in die ganze Welt verschlagen hat, insbesondere nach Kanada und in die USA, wo sie sich der schon bestehenden Alliance of Transylvanian Saxons anschlossen bzw. die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Kanada gründeten. Ausführungen darüber werde ich Ihnen ebenso ersparen wie Ausführungen zu jenen Folgen der Evakuierung, die zur Entstehung von siebenbürgischen Siedlungen in Österreich und in Deutschland geführt haben (…). Nicht aussparen will ich jene etwa 6000 Siebenbürger Sachsen, die sich bei Kriegsende in den sowjetischen Besatzungszonen Österreichs und Deutschlands sowie in der Tschechoslowakei befanden, und die im Juni/Juli 1945 auf Befehl der Besatzungsbehörden zurück nach Siebenbürgen geführt werden. So wie Horst Göbbel, damals ein Kleinkind, kurz zuvor während der Evakuierung im Treck geboren. Nicht nur, dass dieser Rückweg den Hinweg an Härten und Entbehrungen um vieles überbot. Auch die „Heimat“ war nicht mehr Heimat. Die Evakuierten wurden als ehemalige ungarische Staatsbürger nicht als rumänische Staatsbürger anerkannt (aber auch die Südsiebenbürger Sachsen hatten ihre Bürgerrechte verloren) und sie hatten weder Haus noch Hof – ihr ganzer Besitz war enteignet und an neue Besitzer gegeben worden. Arbeitsfähige Männer und Frauen wurden interniert und zu Zwangsarbeit eingesetzt Sie hatten auch sonst vielfältige Repressalien, Verfolgungen und Demütigungen zu erleiden.

Auch für die Phase der Folgen der Evakuierung gibt es einige Exponate. Eines macht mich ratlos: Es ist die Bestätigung der Enteignung, die sich Johann Dorfi 1948 in Deutsch-Budak ausstellen lässt. Dass man sich bestätigen lässt, etwas zu besitzen an Hab und Gut, an Können und Ausbildung ist normal. Was aber treibt jemanden dazu, sich bestätigen zu lassen, dass er etwas nicht besitzt? Konnte er es nicht glauben? Wollte er es Schwarz auf Weiß sehen? Aber trotz allem: Auch diese Nordsiebenbürger Sachsen, von denen nur noch ein verschwindend kleiner Anteil in der alten Heimat lebt, zeigen die Offenheit und Toleranz, die ich schon angesprochen habe. Sie sind der Motor und das tragfähige Fundament einer Entwicklung, die im Herbst dieses Jahres zur Unterzeichnung der Städtepartnerschaft zwischen Bistritz und Wels, der Patenstadt der Siebenbürger Sachsen in Oberösterreich führt.

Die Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse“ veranschaulicht und dokumentiert nicht nur das Ereignis der Evakuierung, sondern auch ihre Vorgeschichte und deren Folgen. Dafür haben uns neben den zentralen Kultureinrichtungen der Siebenbürger Sachsen in Gundelsheim – Siebenbürgisches Museum sowie Siebenbürgen-Institut an der Universität Heidelberg mit Bibliothek und Archiv, viele Landsleute Materialien zur Verfügung gestellt. Ihnen gilt unser Dank. Dank auch an den Regisseur Günter Czernetzky, dessen Dokumentarfilm „Die Russen kommen“ ebenso als Teil der Ausstellung läuft wie die DVD von Horst Göbbel mit Interviews von Evakuierten. Einige dieser Materialien sind ebenso wie die Ereignisse, von denen sie zeugen, emotional aufgeladen. Wir waren bemüht, dass diese Emotionalität und die daraus resultierende subjektive Sicht die nüchterne und objektive Gesamtdarstellung der Ausstellung nicht beeinträchtigen. Das sowohl mit Blick auf die Ereignisse wie auch auf die Wertung des Gesamtkomplexes Evakuierung, der sowohl die beginnende Bedeutungslosigkeit der Siebenbürger Sachsen und ihrer Kultur für die Entwicklung Siebenbürgens markiert wie auch den Anfang der Entwicklung einer siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft und Kultur außerhalb Siebenbürgens.

Das Repser Land und „Die Repser Burg“


Unmittelbar nach dieser Einführung des Bundeskulturreferenten
Stellvertretender Direktor des Rumänischen ...
Stellvertretender Direktor des Rumänischen Kulturinstitutes Titu Maiorescu in Berlin, Claudiu Florian. Foto: Christian Schoger
präsentierte der Stellvertretende Direktor des Rumänischen Kulturinstitutes Titu Maiorescu in Berlin, Claudiu Florian, den von Martin Rill und Dr. Georg Gerster in der eigenen Edition Wort und Welt und Bild herausgegebenen druckfrischen Band „Das Repser und das Fogarascher Land“. Als lyrische Zugabe trug Florian das Gedicht „Die Repser Burg“ von Michael Albert (1836-1896) vor, das der gebürtige Repser ins Rumänische übertragen hat. Lesen Sie im Folgenden beide Fassungen.









Die Repser Burg

von Michael Albert (1836-1896)


Aus Gartengrün und Ährengarben
in hoher, trotziger Gestalt
erhebt der Berg, gefurcht mit Narben,
die Felsenstirne von Basalt.


Drauf ruht, dereinst dem Feind zum Hohne,
und blickt ins Land so kühn, so weit
die turmgeschmückte Mauerkrone,
Burgtrümmer aus vergang‘ner Zeit.


Es liegt ein traurig tiefes Schweigen
hier ums verwitterte Gestein;
nur dunkle Wolkenschatten steigen
hoch über Wall und Turm herein.


Wie Geister aus den Heldentagen
ziehn riesengroß sie ein und aus,
wo pfeilgetroffen, schwertgeschlagen,
der Feind gestürzt im Sturmgebraus.


Jetzt tobt hier um die Felsenspitzen
der Wind nur statt der lauten Schlacht
und jagt aus tiefen Mauerritzen
den flücht‘gen Vogel in die Nacht.


O Felsenburg, mit ernstem Mahnen
zeigst du in die Vergangenheit,
ein Grabesdenkmal unsrer Ahnen-
doch sei kein Bild der künft‘gen Zeit!


Weh, wenn wir diesen Mauern gleichen,
so trüb erhellt vom Abendschein,
ein öder Bau voll Trümmerleichen,
ein still zerfallendes Gestein!


Dann steig aus deiner Felsenhalle,
o Burggeist, auf in wildem Zorn,
und stoße du zu weitem Schalle
den Weckruf in dein Geisterhorn:


Daß denen, die im Tale schlafen,
Entsetzen das Gebein erfüllt.
Dann zeige du, das Volk zu strafen,
in seinen Burgen ihm sein Bild!


Cetatea Rupea

de Michael Albert (1836-1896)


Din verde crud și snopi de spice,
cu faptul sfidător și 'nalt,
cel deal, brăzdat de cicatrice,
înalță fruntea-i de bazalt.


Pietroasa zidului coroană
semeț privește-n depărtări,
ea, ce-a sfidat vrerea dușmană,
azi odihnește vechi ruptori.


Tăcerea tristă-i și adâncă
peste pietrișul măcinat;
doar norii umbra-și mai aruncă
spre meterezu-ntunecat.


Prin neguri vechi, din vremi mărețe,
pătrund și pleacă, uriași,
pe unde spade și sânețe
trântiră-n viscol pe vrăjmași.


Doar vântul pe tăiș de stâncă
mai șuieră a bătălii
și din crăpatul zid alungă
fugare păsări spre stihii.


O, stană gravă de cetate
dintr-un trecut tulburător,
mormânt strămoșilor – în toate
nu-ntruchipa și viitor!


Vai nouă, de vom fi ca tine,
în străveziul asfințit,
deșarte ziduri în ruine,
pietriș tăcut și risipit.


Atunci, o spirite-al cetății,
cobori sălbatec din genuni
și fantomaticele trâmbiți
a deșteptare să le suni.


Poporului ce doarme-n Vale
un fapt de spaimă să-i arăți:
pedeapsă dă-i, pentru greșale,
să-și vadă chipul în cetăți!


Traducere de Claudiu M. Florian


Beide Fassungen gegenübergestellt und ausdruckbar im PDF-Format

Schlagwörter: Heimatag 2014, Ausstellung, Evakuierung

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