16. März 2015

„Ich spür noch immer ihre Hand“

„Der Tod ist groß./ Wir sind die Seinen/ lachenden Munds./ Wenn wir uns/ mitten im Leben meinen,/ wagt er zu weinen/ mitten in uns.“ An dieses Rilke-Zitat fühlte ich mich erinnert, als mir kürzlich Ruth Eders Neuauflage des schon 2007 erschienenen Büchleins „Ich spür noch immer ihre Hand. Wie Frauen den Tod ihrer Mutter bewältigen“ auf den Schreibtisch flatterte. „Das brauchst du dir jetzt nicht anzutun“, war meine erste Reaktion, hatte ich doch einige Wochen zuvor selbst schmerzlich von meiner Mutter Abschied nehmen müssen. Doch dann siegte meine Neugierde und sie wurde nicht enttäuscht.
Das Buch ist klar gegliedert und umfasst mehrere Teile. Nach einer etwas langatmigen Einleitung, die einen weiten Bogen spannt zu diversen Aspekten des Sterbens und seiner Wahrnehmung bei Hinterbliebenen und in der Öffentlichkeit allgemein, versöhnt der eigentliche Text den Leser durch einen klugen Schachzug, nämlich Töchter selbst zu Wort kommen zu lassen, sie ihr Erleben mit dem Tod der Mutter aus sehr persönlichem Blickwinkel schildern zu lassen. So entsteht ein Kaleidoskop unterschiedlicher Sichtweisen zum Thema Tod und Sterben, das wir nur allzu gerne an den Rand schieben, obwohl es, wie eingangs zitiert, lebensbestimmend für uns alle ist und uns „mitten im Leben“ oder später mit unabänderlicher Sicherheit trifft.

Fünfzehn Frauen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft – Systembetreuerin, Lehrerin, Journalistin, Studentin, Krankenschwester usw., verheiratet, geschieden, ledig, verwitwet, mit und ohne Kinder – berichten in anonymisierter Form in eher sachlichem Ton über ihre Begegnung und ihren Umgang mit dem Tod der Mutter. Es handelt sich um sehr individuelle Abschiede am Ende von Mutter-Tochter-Beziehungen, die geprägt waren von liebevoller Nähe, aber auch von Kälte und Distanz, wobei oft erst am Totenbett Konflikte aufweichen und Versöhnung möglich wird. Das Verbindende all dieser Schilderungen ist das Wissen darum, dass der Tod – hier der Mutter – einen bedeutenden Einschnitt im Leben der Hinterbliebenen – hier der Töchter – setzt, dass aber das Da-Sein in der Sterbestunde, die Begleitung der Sterbenden beim Hinübergleiten ungemein tröstlich ist und einem den Tod in einem neuen, weniger angstbesetzten Licht erscheinen lässt. Und wenn die einen „das Endgültige des Abschieds“ schwer trifft, weil sie nicht daran glauben, dass es nach dem Tod in irgendeiner Form weitergeht, so bleibt für die meisten etwas zurück, eine Verbundenheit über den Tod hinaus, die sich im Titel des Buches, aber auch in diversen Zeichen manifestiert.

Im letzten Teil des Buches handelt es sich um eine Kommentierung der authentischen Zeugnisse, was zu einer gewissen Redundanz führt, zumal eine Vielzahl an Zitaten aus dem Mittelteil das Lesen unnötig verlängert. Allerdings enthält er auch einige bedenkenswerte Ideen zur Frauenrolle, die eine grundlegende Wandlung erfahren hat vom „Heimchen am Herd“ hin zur selbstbewussten, berufstätigen Familienmanagerin, Ideen zur Trauerbewältigung, zur Hospiz-Bewegung sowie kritische Bemerkungen zu „Sterbetourismus“ und aktiver Sterbehilfe. Die Tipps zum Umgang mit dem Tod wie etwa mobile Pflegedienste, Essen-auf-Rädern, Mehrgenerationenhäuser sind in großen Teilen schon in der Wirklichkeit angekommen.

Abschließend sei gesagt, dass das Lesenswerte an diesem Buch die 15 Mutter-Tochter-Miniaturen am Saum zur Ewigkeit sind, die vielfältige Identifikationsmomente bieten und dem Leser helfen, das eigene Erleben in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und dem Tod den Stachel zu nehmen. Das Buch ist eine Aufforderung, den Tod zu enttabuisieren, ihm seinen Platz mitten im Leben zuzugestehen, ihn anzunehmen. Und auch wenn jeder seinen eigenen Tod durchlebt und mit ihm seine Angehörigen, seine Sterbebegleiter, so ist er doch die Klammer, die unser aller Leben früher oder später berührt, und es bleibt an uns zu entscheiden, wie wir ihm begegnen wollen.

KaRo


Ruth Eder: „Ich spür noch immer ihre Hand. Wie Frauen den Tod ihrer Mutter bewältigen“, Kreuz Verlag in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau, 2015, 160 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-451-61329-6
Ich spür noch immer ihre Hand
Ruth Eder
Ich spür noch immer ihre Hand

Verlag Herder GmbH
Taschenbuch
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Schlagwörter: Sachbuch, Tod, Frauen

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