28. April 2015

Zum Gedenken an die Bukarester Germanistin Grete Klaster-Ungureanu

„Meine Lebensaufgabe ist an der Schnittstelle der deutschen Kultur Siebenbürgens und der rumänischen Kultur. Ich kann und werde für beide etwas tun.“ Das war das Lebensmotto der kürzlich im Alter von fast 88 Jahren verstorbenen Bukarester Germanistin Grete Klaster-Ungureanu, das ihr Ausrichtung und Ziel in ihrer umfassenden didaktischen und wissenschaftlichen Tätigkeit verlieh.
Geboren wurde Grete Klaster-Ungureanu als ältestes von vier Geschwistern am 11. April 1927 in Urwegen. Das stattliche Dorf im Unterwald, wo „Tradition, Tracht und Glaube hoch gehalten wurden“, blieb für Grete Klaster-Ungureanu „ein Leben lang ein romantischer Sehnsuchtsort“. Ihr Vater, der Ethnologe Ludwig Klaster, war dort mehrere Jahrzehnte Gemeindepfarrer, zeitweise auch Dechant des Kirchenbezirks Unterwald. Sie wuchs somit in dem spezifischen Milieu des siebenbürgisch-sächsischen Pfarrhaushalts auf, in dem sich die Seelsorge mit einer Gelehrsamkeit paarte, die bezeichnenderweise eine Vorliebe für landeskundliche Themen entwickelte. Zweifellos hat sie diese Haltung des Sich-in-die-Pflicht-nehmen-Lassens, die im Elternhaus vorgelebt wurde, tief geprägt.

Das Gymnasium besuchte sie zunächst in Mühlbach, dann in Hermannstadt und bestand 1946 das Abitur. Im Kriegsjahr 1944 hatte sie den jungen rumänischen Offizier Gavril Ungureanu kennengelernt, der in Urwegen stationiert war. Durch seinen Einsatz entging sie im Januar 1945 der Deportation in die Sowjetunion.

Grete Klaster-Ungureanu (1927-2015) ...
Grete Klaster-Ungureanu (1927-2015)
Grete durfte als einzige von drei Schwestern studieren. Ihr Bruder Ludwig wurde Theologe und war eine Zeitlang ebenfalls Pfarrer in Urwegen. In den Jahren 1946-1950 studierte sie Germanistik an der Bukarester Universität. Ihre Vorliebe galt schon damals der Sprachwissenschaft. Nach ihrem Studium erhielt sie 1950 eine Anstellung am Lehrstuhl für Germanistik der Universität Bukarest. In der Hauptstadt traf sie Gavril Ungureanu wieder, der inzwischen Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, und die beiden heirateten 1952. Der Ehe entsprangen zwei Söhne: Christian, geboren 1954, und Viktor, geboren 1956. Nach schwerer Krankheit, in deren Verlauf ihn seine Frau aufopferungsvoll gepflegt hat, starb Gavril Ungureanu 2005.

In ihrer gut 50-jährigen Dienstzeit hat Grete Klaster-Ungureanu unzählige Studentengruppen beim Studium der deutschen Sprache – Sprachgeschichte, Grammatik, Phonetik, Wortkunde u.a. – begleitet. Ich habe sie als junge Assistentin 1952 bei der Aufnahmeprüfung für das Fach Germanistik in Bukarest kennengelernt und während des Studiums an zahlreichen Fachseminaren unter ihrer verständnisvollen Leitung teilgenommen; in späteren Jahren haben wir an verschiedenen Projekten zusammengearbeitet.

Grete Klaster-Ungureanu war bis 2002 als Dozentin am Germanistik-Lehrstuhl der Fakultät für Fremdsprachen der Universität Bukarest tätig, hauptamtlich bis zur Pensionierung 1982, danach als freie Mitarbeiterin. Im Jahr 2000 erhielt sie das Ehrendiplom des Germanistik-Lehrstuhls für 50 Jahre Lehrtätigkeit.

Neben dieser Tätigkeit an der Hochschule war es für Grete Klaster-Ungureanu ein besonderes Anliegen, Lehrbücher für den muttersprachlichen Unterricht an den deutschen Schulen in Rumänien mitzugestalten, wobei sie den Grammatik-Teil bearbeitete. Das gleiche gilt für die Lehrbücher „Deutsch als Fremdsprache“ für rumänische Schulen. Außerdem hat sie viele Jahre lang die deutsche Ausgabe der „Rumänischen Rundschau“ redigiert und dafür übersetzt, einer Monatsschrift für Kultur, die weltweit in vier Sprachen in den diplomatischen Vertretungen Rumäniens auflag. Sie gestaltete Schulfunksendungen zum Erlernen der deutschen Sprache für die Bukarester Radio- und Fernsehprogramme. Seit der Einrichtung des Bukarester Goethe-Instituts hielt sie dort häufig Vorträge zu kultur- und sprachgeschichtlichen Themen.

Neben der Lehrtätigkeit reihen sich in ihren ausgedehnten Wirkungsbereich Sprachforschung und Lexikographie gleichgewichtig ein. Sie arbeitete an den drei Auflagen – 1966, 1989 und 2007 – des großen Deutsch-rumänischen Wörterbuchs (Dicționar german-român) mit, die das Bukarester Linguistik-Institut der Rumänischen Akademie herausgegeben hat. Bei der dritten Auflage, die die sprunghafte Entwicklung des modernen Wortschatzes der letzten Jahrzehnte mit etwa 50000 neuen Einträgen eingearbeitet hat, übernahm sie die Leitung der Bearbeitung. Es handelt sich um das umfangreichste deutsch-rumänische Wörterbuch, zweifelsohne ein wichtiges Nachschlagewerk.

Der Name Klaster-Ungureanu ist auch mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch, dem lexikographischen Jahrhundertwerk, verbunden. So hat sie beim Band 8: N-P, erschienen 2002, das EDV-erfasste Typoskript überprüft und den Band 9: Q-R, 2006, zusätzlich mit Mundartbelegen aus Urwegen ergänzt.

In den letzten Jahren wandte sie sich mit besonderer Hingabe den Predigttexten des Pfarrers Damasus Dürr zu, der zu den bedeutenden evangelischen Geistlichen der siebenbürgisch-sächsischen Kirche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehört. Er hatte in Wittenberg bei Philipp Melanchthon, dem engen Luther-Mitarbeiter, studiert. Seine Predigten hat er deutsch geschrieben und in sächsischer Mundart gehalten, sie fixieren eine siebenbürgische Spielart der Luthersprache und sind lateinisch und griechisch annotiert. Grete Klaster-Ungureanu hat mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Predigttexte bereits in Bukarest begonnen und sie in München nach der Übersiedlung weitergeführt. Für die Akribie der Philologin ist es bezeichnend, dass sie 2011-12 – schon dreiundachtzigjährig – für dieses Projekt ihre Kenntnisse in Latein und Altgriechisch an der Universität München im Seniorenstudium aufgefrischt und abschließend sogar das Große Latinum mit „sehr gut“ bestanden hat.

Schließlich sei noch erwähnt, dass Grete Klaster-Ungureanu für das Projekt „Audio-Atlas siebenbürgisch-sächsischer Dialekte“ des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Universität München (IKGS) Transkriptionen sächsischer Mundarttexte aus 110 Ortschaften Siebenbürgens durchgeführt hat. Es handelt sich um die Tonbandaufnahmen der sechziger und siebziger Jahre, die meine Kollegin Ruth Kisch und ich als Mitarbeiter des Bukarester Linguistik-Instituts auf Tonband gemacht haben. Diese gesprochenen Texte und ihre Transkription dokumentieren in einzigartiger Weise die Dialektvielfalt des Siebenbürgisch-Sächsischen.

Grete Klaster-Ungureanu hat neben ihrer vielfältigen beruflichen Tätigkeit, neben ihren Pflichten im Haushalt und als Mutter sich nach 1990 auch als Presbyteriumsmitglied der Bukarester evangelischen Kirchengemeinde engagiert. Sie sah nach dem politischen Umbruch 1989/90 ihre Aufgabe für die deutsche Kultur weiterhin in Rumänien und weigerte sich, nach Deutschland auszusiedeln, obwohl ihre Söhne und Geschwister sowie ihre Mutter ausgewandert waren. Erst nach langem Drängen der Söhne reiste sie ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes aus und ließ sich in München nieder.

2013 wurde eine unheilbare Krankheit bei ihr diagnostiziert und seit Dezember 2014 schränkte ein Hirntumor ihre Bewegungsmöglichkeiten stark ein, so dass die Unterbringung im Münchener Christophorus-Hospiz – nach ihrer eigenen Einschätzung – für sie die beste Lösung war. Noch in den letzten Lebenswochen bearbeitete sie Daten der Kirchenmatrikeln ihres Heimatortes Urwegen für das Genealogie-Projekt des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und hielt telefonisch Kontakt zu beruflichen Weggefährten, auch zu mir. Sie verstarb am 25. März 2015 im Hospiz.

Bei aller Nüchternheit und Sachlichkeit war Grete Klaster-Ungureanu für Generationen ihrer Studenten sowie für den Kreis der ihr Nahestehenden von ausgesuchter Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Ihre Kollegen und Schüler bewahren sie in dankbarer Erinnerung.

Heinrich Mantsch

Schlagwörter: Porträt, Nachruf, Germanistin

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