2. Oktober 2015

Tagung zur Geschichte des Nationalsozialismus in Siebenbürgen

70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Geschichtsschreibung über die NS-Zeit in Siebenbürgen noch lückenhaft. Zwar seien in den vergangenen 20 Jahren einige, auch kontroverse Forschungsergebnisse präsentiert worden, meint der Vorsitzende des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL), Dr. Ulrich Wien, aber es bleibe der Eindruck, „es ist bislang zu wenig getan worden“. Vor diesem Hintergrund lud Ulrich Wien als akademischer Direktor des Instituts für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau und AKSL-Vorsitzender zusammen mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Universität München (IKGS) am zweiten September-Wochenende nach Landau in der Pfalz zu einem Workshop mit dem Thema: Geschichte des Nationalsozialismus in Siebenbürgen/Rumänien. Neben zahlreichen jungen Wissenschaftlern waren etliche Zeitzeugen, mehrheitlich mit siebenbürgischen Wurzeln, vertreten.
Siebenbürgen durchlebt mit seinem Anschluss an Rumänien nach Ende des Ersten Weltkrieges in den folgenden zwei Jahrzehnten große Umwälzungen, deren Facetten noch nicht alle aufgearbeitet sind. So wird das Versprechen der „vollen Freiheit für alle mitwohnenden Völker“ - festgehalten in den Karlsburger Beschlüssen der rumänischen Nationalversammlung vom November 1918 - von der rumänischen Verfassung von 1923 nicht eingelöst. Die bereits 1921 begonnene Agrarreform führt zu Enteignungen bei den „mitwohnenden Nationen“, insbesondere bei Deutschen. Hinzu kommen die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Die Unzufriedenheit führt schließlich in den 30er Jahren zu einer zunehmend unter völkischem Vorzeichen agierenden siebenbürgischen und Banater Erneuerungsbewegung. Um dann 1940 mit Einverständnis des rumänischen Staates unter dem profaschistischen Diktator Ion Antonescu eine nationalsozialistische Volksgruppenführung zu etablieren. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges stecken schließlich rund 60 000 Rumäniendeutsche in der Uniform der Waffen-SS oder der deutschen Wehrmacht, etwa die Hälfte von ihnen Siebenbürger Sachsen.

Im Rahmen des Workshops in Landau in der Pfalz referierte Andreas Möckel (Würzburg), emeritierter Professor für Sonderpädagogik, Jahrgang 1927, über seine Schulzeit und die Jugendbewegung, die zum Schluss nationalsozialistisch geprägt gewesen sei. Ein „gesellschaftlicher Konformitätsdruck“ und „Kritiklosigkeit“ habe seinerzeit geherrscht. Viele Sachsen hätten darauf mit der „geballten Faust in der Tasche“ reagiert, „aber nicht öffentlich protestiert“, so Möckel, der in Kronstadt aufgewachsen ist und im Januar 1945 in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert wurde.
„Wir waren alle deutschgläubig“: Prof. Dr. Paul ...
„Wir waren alle deutschgläubig“: Prof. Dr. Paul Philippi (am Rednerpult) in der von Dr. Ulrich A. Wien moderierten Diskussion mit dem Publikum. Rechts Prof. Dr. Andreas Möckel. Foto: Konrad Klein
Der frühere Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Paul Philippi (Hermannstadt), berichtete von seinem Weg von der Schulbank in Kronstadt über das sogenannte Völkische Dienstjahr zur Waffen-SS. Er wurde 1943 als 19-Jähriger „eingezogen“, nachdem ihm der Dienst im rumänischen Heer durch die NS-Volksgruppenführung verweigert worden war. Er wollte nicht in der Armee eines fremden Staates dienen. Rückblickend bezeichnete Philippi den Einzug der großen Mehrheit der Siebenbürger Sachsen in die Waffen-SS als den Beginn ihrer Selbstaufgabe und Selbstentfremdung als eigenständige politische Gemeinschaft im Vielvölkerstaat. „Wir waren alle deutschlandgläubig.“ Eine Unterscheidung zwischen Heer und Waffen-SS sei dabei nicht gemacht worden. Der Krieg sei als notwendiges Übel angesehen worden. Politische Indoktrination im Sinne der Nationalsozialisten habe er in der Waffen-SS kaum kennengelernt. Nach seiner damaligen Wahrnehmung sei die Waffen-SS vor allem als kämpfende Truppe bekannt gewesen, sagte der Theologe und Historiker, mit Blick auf anderslautende Urteile, die heute das Bild in der Öffentlichkeit bestimmten. Dass sich die Deutschen Rumäniens 1940 die NS-Volksgruppenführung aufoktroyieren ließen, bezeichnete er als „politisch schuldhaft“ und könne mit „Verblendung“ erklärt werden.

Die „Rahmenbedingungen“ für die politische Radikalisierung der Zwischenkriegszeit, die die deutsche Minderheit in die Arme der Nationalsozialisten trieb, skizzierte Florian Kühler-Wielach (München). Danach tendierten die Rumäniendeutschen zunächst dazu, „sich mit der Macht zu arrangieren“, während sich die Regierung auf Ungarn und Juden „einschoss“. Allerdings hätten sich die Hoffnungen auf Autonomie und Minderheitenrechte dann zerschlagen, sagte der designierte IKGS-Direktor. Die zunehmende Enttäuschung über den neuen Staat habe die Empfänglichkeit für den Nationalsozialismus noch befördert. Dass auch eine der Kerninstitutionen der Siebenbürger Sachsen, die Evangelische Kirche, zunehmend „völkisch“ - nicht: nationalsozialistisch - dachte, zeigte Timo Hagen (Heidelberg) anhand der Protokolle des Landeskonsistoriums. Dabei sei die Kirchenleitung in erster Linie vom Wunsch geleitet worden, in der politisch volks-bewegten Zeit nicht die Macht zu verlieren.

Der Religionswissenschaftler Dirk Schuster (Potsdam), der zusammen mit Hagen die Herausgabe der Protokolle des Landeskonsistoriums aus den Jahren 1919-1944 an der Uni Koblenz-Landau vorbereitet, sprach von einer „Selbstnazifizierung“ der Landeskirche. So etwa wurde in Hermannstadt die einzige Außenstelle des 1939 in Eisenach gegründeten „Entjudungsinstituts“ der evangelischen Kirche eröffnet. Es war „zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" von elf evangelischen Landeskirchen gegründet worden, an deren Spitze regimenahe „Deutsche Christen“ standen.

Ulrich Wien zeigte am Beispiel der beiden Bischöfe Viktor Glondys, der 1941 aus dem Amt gedrängt wurde, und seinem Nachfolger von SS-Gnaden, Wilhelm Staedel, wie unterschiedlich deren Selbstverständnis war. Während Glondys bereits 1931 den Rassekult und Rassenhass der Nazis kritisierte, in seiner Antrittspredigt als Bischof 1932 den „Kadavergehorsam“ verurteilte und 1936 Berufsverbote für nationalsozialistisch eingestellte Lehrer durchsetzte, sei Staedel eine „willfährige Marionette“ von SS-Volksgruppenführer Andreas Schmidt gewesen, so der Kirchenhistoriker. Dabei habe aber auch Glondys eine „weitgehende Selbst-Gleichschaltung“ der Landeskirche nicht verhindern können.
„Promi-Loge“ des Workshops in Landau. Von links: ...
„Promi-Loge“ des Workshops in Landau. Von links: Hannelore Baier, Michaela Nowotnick, Florian Kührer-Wielach, Timo Hagen. Im Vordergrund Irmgard Pelger, die Frau des ehemaligen Kronstädter Stadtpfarrers Mathias Pelger. Foto: Konrad Klein
Auch andere wichtige Gesellschaftsbereiche waren der NS-Propaganda ausgesetzt, wie der Historiker Corneliu Pintilescu (Hermannstadt) am Beispiel der deutschsprachigen landwirtschaftlichen Presse zwischen 1935 und 1944 zeigte. Schließlich seien damals mehr als 80 Prozent der Rumäniendeutschen Bauern gewesen. Über eine „Idealisierung der Bauernschaft“ und die Verbreitung der „Blut und Boden“-Ideologie sollte nicht nur die Gleichschaltung der Landwirtschaftsverbände erreicht werden. In den Kriegsjahren sei es auch schlicht darum gegangen, junge Bauern für das Militär zu rekrutieren sowie die „Ernährungsfront“ zu stärken, sprich: die Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Unterstützt wurden die Bemühungen der Deutschen Volksgruppe unter ihrem Volksgruppenführer Andreas Schmidt von zeitweilig bis zu zehn „reichs“-deutschen, teilweise konkurrierenden Geheimdiensten, wie der Historiker Ottmar Trașcă (Klausenburg) zeigte. Beobachtet wurden die geheimen Auslandsaktivitäten des Deutschen Reiches vom rumänischen Geheimdienst SSI (Serviciul Special de Informații), der etwa über den SD-Ausland und die Aktionen des Volksgruppenführers im Bilde war.

Auch bei der „Arisierung“ jüdischen Besitzes hatte das Reich seine Finger im Spiel. Grundlage für die Quasi-Enteignungen waren antijüdische Gesetze, die in Rumänien seit 1938 galten. Die Massenmorde an Juden vom Sommer 1941 im rumänischen Iași und die Deportationen in die Lager von Transnistrien standen da erst noch bevor. Oftmals seien jüdische Unternehmer eher mit Rumäniendeutschen entsprechende „Assoziierungen“ eingegangen als mit Rumänen, wie Hannelore Baier (Hermannstadt) etwa am Beispiel von Mediasch darlegte. Dabei sei beim Ankauf auch mit Geld „aus dem Reich“ nachgeholfen worden. Allerdings habe die Rumänisierungspolitik der Bukarester Regierung eine stärkere „Arisierung“ verhindert. So war beispielsweise von Seiten der deutschen Volksgruppe vorgesehen, Häuser von Juden künftig als Schulen zu nutzen.

Das Problem der fehlenden Schulgebäude hatte die katholische Kirche offenbar im geringeren Maße, wie Stephan Schüller (Mainz) mit einem Seitenblick auf das Banat am Beispiel der katholischen Ordensschulen aufzeigte. Diese hätten dank der Hartnäckigkeit ihrer Träger bis zuletzt weitgehend ihre Eigenständigkeit gegenüber der Deutschen Volksgruppe behalten können.

Einen weiteren Aspekt der siebenbürgischen Geschichte beleuchtete Hansgeorg von Killyen (Freiburg) mit einem kurzen Abriss über die Biografien einiger siebenbürgisch-sächsischer Ärzte, die im Nationalsozialismus Karriere machten, etwa durch Suizidversuche an Kindern. Einen ambitionierten Bogen in die Gegenwart schlug schließlich die Literaturhistorikerin Michaela Nowotnick (Berlin) über den Nationalsozialismus in der rumäniendeutschen Literatur. Dabei zeigte sie, dass beispielsweise die Autoren Adolf Meschendörfer, Erwin Wittstock und Heinrich Zillich (Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen von 1952-1963; die Redaktion) zu Dichtertreffen mit dem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels geladen waren. Eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bei rumäniendeutschen Autoren habe aber erst nach 1990 eingesetzt, wie Nowotnick resümierte. Zum Abschluss dieses anderthalbtägigen Parforcerittes durch die jüngere Geschichte der Siebenbürger Sachsen sprach Ulrich Wien von einem großen Wissensgewinn für die weitere Forschung: „Wir wissen, dass wir noch zu wenig wissen!“.

Gregor Zacharias


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Schlagwörter: Tagung, AKSL, IKGS, Landau, Geschichte, Nationalsozialismus, Siebenbürgen und Rumänien

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