15. März 2016

Über Sprachgrenzen hinweg

Im renommierten, international tätigen Peter Lang Verlag, der schwerpunktmäßig Publikationen aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften ediert, ist gegen Ende letzten Jahres ein von Germanistinnen aus Hermannstadt – Sunhild Galter, Maria Sass und Ellen Tichy – besorgter Band mit Aufsätzen erschienen, die von „Wechselwirkungen im deutsch-rumänischen Kulturfeld“ handeln und dabei in teilweise sehr lesenswerten Texten „Sprach- und Literaturkontakte aus interkultureller Perspektive“ ins Blickfeld rücken.
Der Frankfurter Peter Lang Verlag ist Teil der gleichnamigen Schweizer Verlagsgruppe mit Hauptsitz in Bern und weiteren Verlagsorten in Brüssel, New York, Oxford, Warschau und Wien, einer Verlagsgruppe, die für ihre gehobenen Ansprüche an die zu edierenden wissenschaftlichen Textvorlagen bekannt ist: Potenzielle Veröffentlichungen werden von jeweils einschlägigen Fachleuten begutachtet, ehe sie zur Drucklegung freigegeben werden. Das bürgt für die Qualität der verlagseigenen Publikationen. Diesen Ansprüchen genügen allen voran die beiden größeren Aufsätze, die am Anfang des Bandes stehen und von Horst Schuller bzw. Stefan Sienerth gezeichnet sind. Schuller, emeritierter Professor und Lehrstuhlinhaber an der Hermannstädter Germanistik, heute in Heidelberg lebend, setzt sich mit Paul Celan und seinen Übersetzungen aus der rumänischen zeitgenössischen Lyrik ins Deutsche auseinander. Allerdings beschränkt er sich nicht auf die Genese und die Gewichtung der relativ geringen Anzahl Celanscher Nachdichtungen aus dem Rumänischen, von denen einige zu Lebzeiten Celans gar nicht erschienen und erst aus dem Nachlass publiziert wurden. Vielmehr geht Schuller aufgrund von brieflichen Selbstäußerungen Celans, von Zeitzeugenaussagen sowie zahlreichen primär- und sekundärliterarischen Quellen dem komplizierten Werdegang eines Dichters nach, „der seine komplexe mehrdimensionale Identität als ein der Geburtsheimat in zunehmendem Maße entfremdeter deutschsprachiger Bukowiner Jude“ (S. 16) lebte. Dazu deckt der versierte Literaturhistoriker die zeithistorischen sowie biografischen Hintergründe und Ursachen auf, die Celan zum Verlassen seines Herkunftslandes und zu wachsender Distanzierung vom Literatur- und Kulturbetrieb Rumäniens bewegten, seine Kontakte aber zur dortigen Kulturszene während seiner Wiener und Pariser Jahre dennoch nie ganz abreißen ließen.

Schuller ergänzt seine treffliche Analyse mit einem Exkurs über deutsche Nachdichtungen aus dem Werk von Tudor Arghezi, von dem auch Celan Gedichte übertrug, und liefert dazu erstmalig eine nach unserem Kenntnisstand vollständige Auflistung der vorhandenen deutschen Übersetzungen von Arghezi-Texten in selbständigen Büchern und monografischen oder gemischten Anthologien, in Sammelbänden, Alben und Lehrwerken, die bisher in Rumänien und im deutschsprachigen Ausland erschienen sind – eine bibliografische Sonderleistung.

Auf einer ebenso gründlichen Auswertung von Quellen basiert die an Schullers Untersuchung anschließende Studie von Stefan Sienerth über den bedeutenden siebenbürgischen Literatur- und Kunsthistoriker, Publizisten und Übersetzer Harald Krasser. Sie widmet sich in der Hauptsache dem Konvolut von mehr als 300 oft beidseitig beschriebenen „Blättern“ (rumänisch „file“), das die „Securitate“ über Krasser angelegt hatte und das heute im Archiv der rumänischen Gauck-Behörde, dem „Nationalrat für das Studium der Unterlagen des kommunistischen Geheimdienstes“ (CNSAS), in Bukarest aufbewahrt wird. Sienerth, zuletzt bis zu seiner Verrentung Direktor des Münchner Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), hat in den letzten Jahren mehrfach im Bukarester Archiv recherchiert und sich in zahlreichen Aufsätzen um die Aufdeckung von Repressivmaßnahmen der rumänischen „Stasi“ gegen führende rumäniendeutsche Intellektuelle äußerst verdient gemacht, dazu 2009 in München auch eine in den bundesdeutschen Medien vielbeachtete wissenschaftliche Tagung organisiert und geleitet. Nachdem er die Verdienste Krassers als Wissenschaftler, Hochschullehrer und als Vermittler rumänischer Literatur ausgiebig würdigt, geht Sienerth auf dessen Securitate-Akte ein. Dabei legt er nicht lediglich die Druckmittel offen, mit denen der Geheimdienst u. a. auch auf Krassers Tätigkeit vor und während der „Gleichschaltung“ des rumäniendeutschen Kulturbetriebs durch das nationalsozialistische Deutschland zurückgriff, sondern fördert auch zutage, inwieweit Berichte von „inoffiziellen Mitarbeitern“ (IM) Krasser bei der Securitate z. T. schwer belastet haben. Eine unheilvolle Rolle hat dabei, wie Sienerths sehr zuverlässige und stets um Objektivität bemühte Recherche ergibt, allen voran der seinerzeit führende siebenbürgisch-sächsische Historiker und ehemalige Direktor des Hermannstädter Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums, Carl Göllner, gespielt. Unter dem Decknamen „Florescu“ lieferte er seinem „Führungsoffizier“ Berichte über Krasser, die, so Sienerth aufgrund der nachzulesenden Zitate, „strotzen (...) von gezielten Übertreibungen und böswilligen Unterstellungen“ (S. 91). Zweifellos waren niedrigste Beweggründe wie Berufsneid und Karrieregier bei diesem für den Geheimdienst äußerst produktiven Spitzel im Spiel, und es ist ein düsteres Bild, das Sienerth hier von den Beeinträchtigungen der siebenbürgisch-deutschen Kulturszene und dem unheilvollen Agieren eines ihrer wichtigen Repräsentanten in Zeiten der Diktatur liefert. Die übrigen elf Beiträge des Studienbandes stammen mehrheitlich von Mitarbeiterinnen der Hermannstädter Germanistik. Mehrere der Aufsätze setzen sich mit Fragen der literarischen Spiegelung interkultureller Bedingtheiten sowie des Transfers von Ideen und Motiven auseinander. Maria Sass geht Spuren rumänischen Gedankenguts in einem von Joachim Wittstock verfassten Essay über seine Geburts- und Heimatstadt nach, in den u.a. Denkansätze des Philosophen Constantin Noica hineinspielen, der seine späten Lebensjahre nahe Hermannstadt, auf der Hohen Rinne im Zibinsgebirge, verbrachte und dort einen Diskussionskreis um sich scharte. Joachim Wittstock selbst macht in einem Beitrag im Band die Präsenz „südöstliche(r) Lebenswelten in Andreas Birkners Sicht und Gestaltung“ (S. 141 ff) offenkundig, die auch in den nach der Aussiedlung Birkners in Deutschland entstandenen Prosatexten nachweisbar ist. Kinga Boitor untersucht das Jugendbuch „Konrads neue Freunde“ des Erzählers Heinz Weischer aus imagologischer Sicht. Weischer, der in der Nachwendezeit im Auslandsschuldienst der Bundesrepublik mehrere Jahre auch in Rumänien tätig war, verlegt die Handlung seiner Geschichte in ein siebenbürgisches Dorf, in dem Rumänen, Deutsche und Roma leben und wo interethnische Spannungen von zahlreichen Klischees im Bild des jeweils Anderen bestimmt sind. Die Heranwachsenden müssen sich mit künstlich geschaffenen Barrieren auseinandersetzen, um sie letztlich überwinden zu können.

Der Rezeption zeitgenössischer deutsch-schweizerischer Theaterliteratur an den Bühnen Rumäniens der Nachwendezeit widmet sich Maria Trappen und muss feststellen, dass diese bloß in den Jahren zwischen 1999 und 2007 über die modernen Klassiker Frisch und Dürrenmatt hinausging, als die Züricher Kulturstiftung „Pro Helvetia“ entsprechende Inszenierungen in Rumänien finanziell förderte.

Herta Müllers Roman „Atemschaukel“ in einer europäisch interkulturellen Tradition zu verorten, versuchen Roxana Nubert und Ana-Maria Dascălu-Romițan. Nicht zu Unrecht verweisen die Autorinnen auf die russische Gulag-Literatur und deren namhaften Vertreter Solschenizyn, Schalamow und Sinjawskij. Die Behauptung aber, dass Herta Müller zugleich bei der „Darstellung des Hungers“ in ihrem Buch, das in der Hauptsache auf die Lagererfahrungen des Dichters Oskar Pastior und deren Versprachlichung durch ihn selbst zurückgeht, dass also Herta Müller „im Besonderen an Knut Hamsuns bekannten Roman Hunger anknüpft“ (S. 248), ist allerdings gewagt. Eher mag es sich um zufällige Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen in Situationsbeschreibungen oder Bildern als um „Anknüpfungen“ handeln, schon gar nicht im Falle von Kafkas „Hungerkünstler“ und Samuel Becketts Roman „Moloy“, die im Aufsatz ebenfalls herangezogen werden.

Einem sprachwissenschaftlichen Thema aus interkultureller und transkultureller Sicht widmet sich im Band Doris Sava, indem sie vergleichende Redewendungen, in der Linguistik Phraseme oder Phraseologismen genannt, im Deutschen und Rumänischen (z.B. „er schläft wie ein Klotz“ bzw. „doarme ca un butug“ oder „doarme butug“) zueinander in Bezug setzt und richtig schlussfolgert, dass vorhandene „Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten“ auf „übereinstimmenden Beobachtungen und Erfahrungen bzw. auf identischen Lebens- und Denkweisen“ (S. 184) beider Völker im gemeinsamen kulturgeographischen Raum fußen.

Mit praktischen Fragen des Übersetzens beschäftigen sich fünf Beiträge im Band. Lăcrămioara Popa würdigt die Leistung des Banater Autors Robert Reiter als Übersetzer rumänischer Volksballaden, Nora Căpățână berichtet über gefundene Lösungen bei der Translation von Benennungen kulturspezifischer Realien, von Elementen des Sprachkolorits, von Wort- und Sprachspielen während ihrer Arbeit an der Übersetzung von Eugen Kluges Erfolgsroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ins Rumänische. Mit der Übertragung von teilweise lateinisch, in der Hauptsache aber deutsch abgefassten Gerichtsprotokollen Hermannstädter Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts ins heutige Rumänisch waren Ioana Constantin und Carmen Popa beschäftigt und referieren u. a. über ihre Bemühungen, die Verständlichkeit der frühneuhochdeutschen Texte in der Zielsprache sicherzustellen, ohne sie dabei ihrer charakteristischen Sprachlichkeit verlustig gehen zu lassen. „Aus der Übersetzerwerkstatt der Hermannstädter Germanistik“ (S. 257 ff) legen Nora Căpățână und Rodica-Ofelia Miclea in zweisprachigem Textabdruck Beispiele von Übertragungen zu vergleichender Kenntnisnahme vor: Übersetzungen von Gedichten des bedeutenden rumänischen Lyrikers Mircea Ivănescu ins Deutsche sowie der sehr gelungenen Kurzerzählung „Glasikone“ von Joachim Wittstock ins Rumänische.

Nach der Lektüre des Bandes stellt sich der Eindruck eines vielfältigen Mosaiks aus sehr unterschiedlichen Forschungsansätzen und Gegenständen wissenschaftlicher Aufbereitung ein. Dass dabei über Sprachgrenzen hinweg Erkenntnisse gewonnen und differenziert mitgeteilt werden, verstärkt diesen Eindruck zusätzlich. Als übergreifendes Fazit des Ganzen zudem bleibt: Viele der Einzelteile dieses Mosaiks sind höchst interessant, einige gar in besonderem Maße lesenswert.

Hannes Schuster




Sunhild Galter, Maria Sass, Ellen Tichy (Herausgeber): Wechselwirkungen im deutsch-rumänischen Kulturfeld. Beiträge zu Sprach- und Literaturkontakten aus interkultureller Perspektive. Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaft, Frankfurt am Main, 2015, 282 Seiten, 56,95 Euro, ISBN 978-3-631-66345-6

Schlagwörter: Literatur, Kultur, rumänisch, deutsch, Sprache, Buchvorstellung

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Neueste Kommentare

  • 15.03.2016, 19:29 Uhr von bankban: Vielen Dank für diese kenntnisreiche, detaillierte und ganz offenbar mit großer Hingabe und großem ... [weiter]

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