3. April 2016

Patriziertracht in Hermannstadt

Unter dem Titel „Standesgewand – Nationalkostüm – Modetracht. Der Kleiderwandel im siebenbürgischen Hermannstadt im 18. und frühen 19. Jahrhundert“ hat die Volkskundlerin Dr. Irmgard Sedler kürzlich einen ausgezeichneten Aufsatz veröffentlicht. Der 40 Seiten lange Artikel mit 13 Abbildungen ist als Teil eines größeren Forschungsvorhabens auf den Seiten 25-64 des folgenden Buches zu lesen: „Provinz als Denk-und Lebensform. Der Donau-Karpatenraum im langen 19. Jahrhundert“, herausgegeben von H. Heppner/ M. Miladinović-Zalaznik, Reihe: Neue Forschungen zur ostmittel- und südosteuropäischen Geschichte, Band 7, Peter Lang Edition, Frankfurt, 2015, 332 Seiten, 59,95 Euro, ISBN 978-3-631-66569-5 (Print), E-ISBN 978-3-653-05969-4 (E-Book).
Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts verlagerte sich der politische und kulturelle Schwerpunkt immer mehr nach Wien, so dass unter anderem auch Siebenbürgen sich mit dem Gedanken, Provinz zu sein, abfinden musste. Mit dem steten Blick zur Metropole änderten sich ­jedoch vor Ort nicht nur das politische und nationale Selbstverständnis, sondern auch die verschiedensten Lebensformen, gesellige Gepflogenheiten, Mode etc. Irmgard Sedler nutzt den reichen Fundus an Porträts Hermannstädter Patrizier in der Galerie des Nationalmuseums Brukenthal, um die Veränderungen deutlich zu machen und zu erläutern. So wird das prächtige, doch steife, überlieferte Standesgewand der Frauen zum verpflichtenden Ritualgewand bei Taufe, Hochzeiten und anderen familiären Feiern.
Franz Anton Bergmann: Dieselbe Anna Maria Hutter ...
Franz Anton Bergmann: Dieselbe Anna Maria Hutter von Huttern in Patriziertracht, Öl auf Leinwand, um 1775/80, Brukenthalmusem Hermannstadt
Außerhalb dieses Rahmens wird es mit Bewunderung und Staunen zum Ausdruck nationaler Zugehörigkeit, gelegentlich auch nationalen Protestes. Richtungweisend für die Entwicklung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Hofhaltung der Familie des Gouverneurs ­Baron Samuel von Brukenthals bei deren Geselligkeiten immer die neueste Wiener Hofmode zu sehen war, die man gerne nachahmte. Auch die eigene Patriziertracht wurde in diesem Sinne der Mode angepasst. So wird z.B. das ehemalige seidene Trägerkleid, das „Seggel“, zu einem zweiteiligen Gewand, wobei jedoch über Jahrzehnte die weißen Ärmel beibehalten werden. Der Übergang geschieht in kleinen Schritten, bis schließlich das leichte Kleid des Empire bei Bällen und Theateraufführungen zur Normalität wird und den Anschluss an die große Welt bezeugt. Die Erläuterung der einzelnen Gewandteile, der Hauben, Mieder, der Ausschnitte, Taillen, hier der Schneppentaille, der Ärmel, Röcke, des dazugehörigen Schmuckes u.a.m. geben den Bildern ein neues historisches Leben und der Leser würde sich wünschen, noch mehr der Bilder, wenn möglich noch in Farbe, vor sich zu haben.

Außer dieser anschaulichen Quelle stehen der Autorin unter anderem Briefe z.B. der Familie von Heydendorff zur Verfügung. Daraus geht hervor, dass die Männer sich nach Ort, Stellung und politischem Amt zu richten hatten. Die siebenbürgische Patriziertracht, kostümgeschichtlich der ungarischen Magnatentracht nahe stehend, wurde als „ungrisches Kleid“ in der Siebenbürgischen Hofkanzlei selbstverständlich getragen, während ein solches Auftreten von der Wiener Hofkanzlei nicht geduldet wurde, wo die zeitmodische Kleidung, das so genannte „deutsche Kleid“ angesagt war.
Johann Martin Stock: Anna Maria Hutter von ...
Johann Martin Stock: Anna Maria Hutter von Huttern (1752-1831) in Wiener Hoftracht, Öl auf Kupfer, 1787, Brukenthalmuseum Hermannstadt
Irmgard Sedler weiß durch reiches schriftliches Material über die Kleidungsgewohnheiten, Kleidungspflichten, sowohl politischer als auch gesellschaftlicher Natur, Beschaffungszwänge und -kosten usw. das Zeitbild lebendig und verständlich darzustellen, die Hintergründe zu verstehen und manche Unwegsamkeit zwischen Provinz und Metropole zu durchschauen.

Dr. Helga Stein

Schlagwörter: Trachten, Hermannstadt, Brukenthalmuseum, Aufsatz, Sedler

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