24. Juli 2016

Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen

Als in der ersten Folge dieser „Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ der Inhalt und die Bedeutung des Andreanischen Freibriefs von 1224 besprochen wurden, kam der Hinweis auf eine Bestimmung dieser Urkunde: „Unus sit populus“ – einig sei, das heißt eine Gemeinschaft bilde dieses Volk, eine Vorgabe, die ein Grundpfeiler dessen sei, was diese Gruppe auszeichne: Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftssinn. Es sollte 262 Jahre dauern, bis dieses Ziel in vollem Umfang erreicht wurde.
In diesen mehr als zweieinhalb Jahrhunderten hatte sich die Siedlergemeinschaft in Siebenbürgen dank der Förderung durch die ungarischen Könige aus den Dynastien der Arpaden, der Angevinen, der Luxemburger und der Hunyaden (Verleihung von Handelsprivilegien, Markt- und Stapelrechten, Zunftorganisation und vieles mehr) zu einem wirtschaftlich und militärisch kraftvollen Element entwickelt, Dörfer, Städte und Burgen gebaut, Handels- und Kulturbeziehungen zwischen Ost und West geknüpft, das Land und auch sich selbst verteidigt. Die Siebenbürger Sachsen entwickelten sich in dieser Zeit neben einer militärischen zu einer Wirtschaftsmacht in dieser Region, mit weit gespannten Handelsbeziehungen.

„Schutz und Schirm der Christenheit“

Im 14. Jahrhundert entwickelte sich das aufstrebende Osmanenreich immer mehr zu einer Bedrohung für die Völker Südosteuropas. Schier unaufhaltsam drangen die „Türken“ auf dem Balkan bis zur Donau vor, minderten und beseitigten schließlich die Macht des Byzantinischen Reiches, gelangten dann bis an die Karpaten und griffen ab 1395 immer öfter Siebenbürgen an, eine neue, große Herausforderung für die Siebenbürger Sachsen, der sie sich kraftvoll gestellt haben, zusammen mit allen Völkern der Region und in enger Zusammenarbeit mit den Inhabern der Krone, die zu schützen sie bereit waren. Der ungarische König Sigismund von Luxemburg reagierte schnell auf die osmanische Bedrohung, eilte 1395 persönlich nach Siebenbürgen und organisierte alsbald einen internationalen Kreuzzug, scheiterte aber 1396 bei Nikopolis. 1426 kam er erneut nach Siebenbürgen, um die Aktionen gegen die Türken zu koordinieren, einige Monate lang war Kronstadt der Mittelpunkt des ungarischen, des deutschen und des böhmischen Reiches. Die Befestigung von Hermannstadt und Kronstadt wurde fieberhaft vorangetrieben, die Waffenproduktion intensiviert.
Das Hecht-Haus (Großer Ring Nr. 8) befand sich ...
Das Hecht-Haus (Großer Ring Nr. 8) befand sich seit 1472 im Besitz von Georg Hecht, danach bei dem Geschlecht derer von Wayda. 1821 erwarb es die Sächsische Nationsuniversität. Rechts das Haus des Kommandierenden Generals von Siebenbürgen (Nr. 7) mit dem „Generalloch“, links das Haus des Buchdruckers Martin Hochmeister d. J., von diesem 1828 erbaut. Foto: Hermann Balthes
1438 aber verheerte ein neuer Osmaneneinfall Südsiebenbürgen, Mühlbach etwa hat sich nie mehr von den damaligen Zerstörungen erholt. Der sogenannte Rumeser Student beteiligte sich an der Verteidigung der Stadt, geriet dann in Gefangenschaft, lernte dabei die türkischen Sitten und Gebräuche kennen und schrieb, nach jahrzehntelanger Sklaverei entkommen, in Rom als Dominikaner-Bruder Georg von Ungarn eine in vielen Auflagen erschienene objektive Beschreibung der Türken. Es ist die erste bekannte Veröffentlichung eines Siebenbürger Sachsen.

Die Sachsen sahen im Zusammenschluss der Privilegierten, die ja auch Waffen tragen und einsetzen durften, eine Chance und traten als Stand der bekannten „Unio trium nationum“ bei, die vor allem der Landesverteidigung diente.1441 wurde Johannes von Hunyad zum Woiwoden von Siebenbürgen ernannt. Aus einer rumänischen Knesenfamilie in den ungarischen Hochadel aufgestiegen, konnte er in zahlreichen Türkenkämpfen, an denen stets auch die Siebenbürger Sachsen beteiligt waren, sein überragendes Feldherrentalent unter Beweis stellen, unter anderem auch vor den Toren von Hermannstadt und im „langen Feldzug“ (1442-1444) auf dem Balkan. Als ungarischer Reichsverweser trug er entscheidend dazu bei, dass der osmanischen Expansion nach dem Fall von Konstantinopel (1453) für einige Zeit Einhalt geboten werden konnte.

1479 stelle sich ein siebenbürgisches Aufgebot, in dem Ungarn, Szekler, Rumänen und Sachsen gemeinsam kämpften, den Eindringlingen entgegen. In der Schlacht auf dem Brodfeld zwischen Mühlbach und Broos, in der sich ein vom Hermannstädter Bürgermeister angeführter Heerbann durch besondere Tapferkeit auszeichnete, fügte es den Osmanen eine empfindliche Niederlage zu. Antonio Bonfini, der Chronist von König Matthias Corvinus, schreibt dazu: „Die Sachsen, welche als Bürger leben und in Städten wohnen, baten ihn [den Woiwoden], er möge ihnen die Ehre des Kampfes in den Vorderreihen gestatten.“
Türkische Krieger mit gefangenen Christenmädchen. ...
Türkische Krieger mit gefangenen Christenmädchen. Holzschnitt nach einer Zeichnung des Nürnbergers Niklas Stör (1530). Sammlung Konrad Klein

1493 unternahmen die Osmanen über das Zibinsgebirge einen Überraschungsangriff gegen Hermannstadt. Das Umland wurde verwüstet, die Stadt und auch die meisten Kirchenburgen des Umlandes widerstanden jedoch, und einem siebenbürgisch-sächsischen Heerbann unter Führung des Hermann­städter Bürgermeisters Georg Hecht gelang es sogar, am Roten-Turm-Pass die beutebeladenen Türken aufzureiben, bis sich der Fluss vom Blut der Gegner rot färbte, wie ein Chronist festhielt. Über die Erfolge dieses miles aureatus wurde danach sogar in Rom vor versammeltem Kardinalskollegium berichtet. Sein Haus auf dem Großen Ring wurde später zum Sitz der Sächsischen Nationsuniversität.

Mit ihren Verteidigungsanlagen – ummauerte Städte, zu Fluchtburgen ausgebaute Kirchen, die ein in seiner Dichte einmaliges System von Wehrkirchen bildeten –, mit ihrem Kundschaftersystem in der Walachei, das türkische Truppenkonzentrationen frühzeitig nach Siebenbürgen meldet, mit den Waffen, die sie produzieren und mit denen sie selbst in den Krieg zogen, fügten sich die Siebenbürger Sachsen in das vielgerühmte Antemurale Christianitatis ein, in die Vormauer der Christenheit, die die südosteuropäischen Völker gegen die vordringenden Türken bildeten. Das ist eine ihrer großen historischen Leistungen im Mittelalter, und darauf sind bereits die Zeitgenossen stolz. So berichtete der Bürgermeister von Hermannstadt nach dem Fall von Konstantinopel nach Wien, seine Stadt sei nun „bei den Türken vor anderen Städten des Königreiches zu Ungarn namhaftiger; darum schreien die verfluchten Türken oft und dick [laut], jung und alt ohne Unterlaß: Cibin, Cibin, das ist Hermannstadt, Hermannstadt, damit hoffen sie, wenn sie diese Stadt gewännen, so möchten sie nicht allein dem Königreich zu Ungarn, dem die Hermannstadt ein Schild und Schirm ist, sondern auch der ganzen Christenheit desto leichter, nach ihrer Bosheit Willen, Schaden und Irrung bringen.“

„Unus sit populus“

Am 6. Februar 1486 nahm der Hermannstädter Bürgermeister Thomas Altemberger jene Urkunde entgegen, in der König Matthias Corvinus, der Sohn des Türkenbezwingers Johannes von Hunyad, „universorum Saxonum nostrorum partium regni nostri Transsilvanarum“ (der Gesamtheit der Sachsen in den siebenbürgischen Landesteilen Unseres Königreiches) die Freiheiten des Andreanischen Freibriefes bestätigte.
In der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom ...
In der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom fand 1502 Fra Georgius de Hungaria, in Siebenbürgen besser bekannt als Rumeser Student oder Ungenannter Mühlbacher, seine letzte Ruhe nächst dem Grab des berühmten Renaissancemalers Fra Angelico. Später wurden seine Gebeine in ein Gemeinschaftsgrab mit anderen Dominikanermönchen umgebettet. Foto: Konrad Klein
Damit wurde die Herausbildung der Sächsischen Nationsuniversität besiegelt, die bis 1876 die Geschicke der Siebenbürger Sachsen gelenkt hat. Vorausgegangen war eine langsame, aber stete und zielbewusst betriebene Ausweitung des Geltungsbereichs des Andreanischen Privilegs auf weitere Siedlungsgebiete der Siebenbürger Sachsen: noch 1366 durch Ludwig I. den Großen auf das Nösnerland, 1422 von Sigismund von Luxemburg auf das Burzenland. Betrieben wurde dieser Zusammenschluss vom Stadtpatriziat, dem unterschiedliche Gruppen, auch viele aus Deutschland, Italien und Ungarn zugewanderte Unternehmer angehörten und dessen bedeutendster Vertreter Thomas Altemberger war, der zwanzig Jahre lang an der Spitze von Hermannstadt stand und der von Gustav Gündisch zu Recht als „Architekt der Sächsischen Nationsuniversität“ bezeichnet wurde.

Unter Rückgriff auf das genannte „unus sit populus“ setzte die städtische Führungsschicht es durch, dass sich alle territorial nicht ganz zusammenhängenden, aber freien Gebietskörperschaften zusammenschließen. Um 1480 formulierten alle sächsischen Gebietskörperschaften – die Sieben und Zwei Stühle, die Distrikte Kronstadt und Bistritz – gemeinsam die „Anbringen der Städte und aller Deutschen aus Siebenbürgen“ an den König. Sechs Jahre danach erfolgte dann die genannte Ausweitung des Andreanums auf das gesamte freie sächsische Siedlungsgebiet. Damit trat die Sächsische Nationsuniversität als oberste politische, administrative, gerichtliche und repräsentative Instanz der siebenbürgisch-deutschen Siedler in das Licht der Geschichte.

Ihre bald sich bewährende innere Stärke ist auch darauf zurückzuführen, dass die Verwaltungs- und Gerichtsorgane von Hermannstadt, die im Laufe der Zeit organisch gewachsen sind, fast unverändert auf den Gesamtverband der Nationsuniversität übertragen werden konnten und der Bürgermeister von Hermannstadt gleichzeitig Sachsengraf (comes Saxonum) war. Der von Thomas Altemberger erworbene und nach ihm benannte Codex, der Teile aus unterschiedlichen deutschen Rechtsüberlieferungen wie dem Magdeburger und dem Iglauer Recht sowie aus dem Schwabenspiegel übernahm, diente fast 100 Jahre lang als Grundlage der Rechtsprechung. Dieses in gotischer Fraktur handgeschriebene, mit schönen Miniaturen verzierte Pergamentbuch lag künftig vor jedem sächsischen Würdenträger, wenn er seinen Amtseid leistete.

Das Wort Nation drückte die Zugehörigkeit zu einem Stand und nicht zu einem Volk aus und die Nationsuniversität repräsentierte ebenso wenig wie die ungarischen Adelsversammlungen die Hörigen gleicher Sprach- bzw. Volkszugehörigkeit. Ebenso wie die ungarischen oder die rumänischen Hörigen waren die auf Adelsboden lebenden Deutschen in Siebenbürgen durch die Nationsuniversität nicht vertreten. Das Wort Universität aber bezog sich auf die Gesamtheit einer privilegierten Gruppe, die den Zusammenschluss anstrebte und verwirklichte, um sich selbst zu verwalten, zu richten, seine Rechte zu verteidigen und gemeinsam gegenüber den anderen Kräften des Landes und des Staates aufzutreten.

Dr. Konrad Gündisch

Schlagwörter: Streiflichter, Geschichte, Siebenbürger Sachsen, Gündisch

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