17. November 2016

Roland, Reiher, Elstermann

Der Anschluss an den neuen großrumänischen Staat stellte die Siebenbürger Sachsen vor mancherlei Probleme, manchmal auch reichlich makabre oder kuriose. Im Folgenden dazu drei Beispiele aus der Erinnerungs- und Denkmalskultur. Sie sind als Ergänzung zur Folge 8 von Konrad Gündischs „Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ (siehe SbZ Online vom 1. November 2016) gedacht.
Zur Erinnerung an die Schlacht bei Hermannstadt (26.-29. September 1916), bei der die von General v. Falkenhayn geführten Truppen der rumänischen Armee eine schwere Niederlage bereiteten, wurde noch vor Kriegsende auf dem Hammersdorfer Berg (Grigoriberg) ein Gedenkstein für Generalleutnant Elstermann v. Elster errichtet (dieser hatte von hier die Kämpfe gegen die aus dem Rotenturmpass eindringenden rumänischen Truppen geleitet). Die Festrede zur Einweihung des Gedenksteines hielt Pfarrer Hermann Klöß am 29. September 1918 (abgedruckt in Landwirtschaftliche Blätter Nr. 41 vom 13.10.1918). Der „schmucke“ Hammersdorfer Heldenfriedhof, so Klöß in seiner Ansprache, war kurz vorher eingeweiht worden, auch wenn die Arbeiten am dazugehörigen Backstein-Denkmal (offiziell: „Denkmalsturm“) noch nicht ganz abgeschlossen waren.
Der deutsche Heldenfriedhof mit dem Denkmalturm ...
Der deutsche Heldenfriedhof mit dem Denkmalturm von 1918 auf dem Hammersdorfer Berg (um 1930/35). Die weggesprengten, später sanierten Ecken sind deutlich erkennbar. August 1942 wurden die Gefallenen auf die Michelsberger Burg überführt. Foto: Emil Fischer
Wegen des Kriegsendes wurde das zu diesem Zeitpunkt noch unvollendete Rolandstandbild, eigentlich eine eigens für den Gedenkturm geschaffene Bauplastik, nicht mehr aufgestellt – die Darstellung des wehrhaften deutschen Ritters wäre eine Provokation gewesen. Auch so kam es schlimm genug. Laut Recherchen von Reinhold Gutt wurde der Turm im November 1918 beim Herannahen der rumänischen Armee gesprengt, was so nicht stimmen kann (Hermannstädter Zeitung vom 16. Mai 1997). Fakt ist vielmehr, dass die Rumänen selbst, wie mir auch Maler Karl N. Voik, ein guter Kenner der Hermannstädter Lokalgeschichte, 2006 erzählte, die vier Ecken wegsprengten, was man trotz ihrer Wiederherstellung 1921/22 immer noch sehen kann. Auch im Dachbereich gab es Sprengschäden, die zumindest indirekt bestätigen, dass der Turm eine riesigen Adler mit angelegten (?) Flügeln trug (einen solchen Adler gibt es heute noch im Rundtempel des im Juni 1918 eingeweihten Heltauer Heldenfriedhofs). Gerüchten zufolge soll der entfernte Adler in die Infanterie-Kadettenschule gebracht worden sein. 1925 kam es zu weiteren Zerstörungen auf dem Hammersdorfer Soldatenfriedhof, die Tafeln und Inschriften auf dem Elstermann-Gedenkstein hatte man bereits 1918 herausgeschlagen – verständlich, wenn man bedenkt, dass in rumänischen Augen allein das eingemeißelte Datum „Zur Erinnerung 28.9.1916“ traumatische Erinnerungen wachrufen musste. Immerhin steht der nackte Elstermann-Stein heute noch, zwischen einem Sendemast des Rumänischen Fernsehens und mehreren Mobilfunkmasten.
Reiherbrunnen auf dem Großen Ring in Hermannstadt ...
Reiherbrunnen auf dem Großen Ring in Hermannstadt (1931). Während der Fischreiher heute im Geschichtsmuseum zu sehen ist, rostet die originale Brunnenlaube vermutlich im Brukenthalmuseum vor sich hin. Brukenthalmuseum, Inv.-Nr. 26752. Foto: Guido v. Kováts
Später normalisierte sich die Situation durch die umsichtige Politik der Sächsischen Kriegsgräberfürsorge unter ihrer Leiterin Auguste Schnell (1870-1946). 1928 konnte auch die Rolandstatue an geschützter Stelle auf dem Heldenfriedhof in der Abteiruine in Kerz aufgestellt werden, einer „Ruhestätte von ¬unbeschreiblichem Stimmungszauber“ (Kronstädter Zeitung vom 2. Oktober 1928). Gefertigt wurde sie in der Steinmetz-Werkstatt von Rudolf Binder sen. (1888-1953), die Arbeit selbst hatte der begabte, früh verstorbene Bildhauer Fritz Zelch (1894-1935) ausgeführt (Mitteilung von Rudolf Binder jun., Freiburg). In den 1930er Jahren kümmerten sich Schwesternschaften, kirchliche Frauenvereine und auch die Wandervögel um die Instandhaltung der Kriegsgräber, darunter der junge Hellmut Klima, wie in seinen Tagebuchaufzeichnen nachzulesen ist (1.3. und 15.10.1931).

Leider war die Ruhezeit der Soldaten vom Hammersdorfer Heldenfriedhof bereits 1942 wieder abgelaufen, weil das Auswärtige Amt in Berlin die Sächsische Kriegsgräberfürsorge beauftragt hatte, eine Umbettung der Weltkriegsgefallenen in eine große Sammelgrabstätte auf der Michelsberger Burg vorzunehmen. Die Exhumierung und Überführung der Kriegsopfer in Hammersdorf fand am 23. August 1942 statt (so Klima in seinen Tagebüchern). Eine Gedenkfeier auf dem Burghof mit den ersten 600, mit Tannenreisig bedeckten Holzschreinen fand freilich bereits am Abend des 13. Juli 1942 statt, mit viel germanischem Feuerzauber, inmitten von Pylonen, Fackeln und dem goldenen Hoheitszeichen des Deutschen Reiches. Anwesend waren die Volksgruppenführung unter Gebietsleiter Kurt Fromm, der Beauftragte für die Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Südosten Klethy und Auguste Schnell, sein sächsisches Pendant (Südostdeutsche Tageszeitung vom 15.7.1942). Bis zum Einzug der Russen Ende August 1944 prangte ein steinerner Reichsadler mit Hakenkreuz im Eichenlaubkranz über dem Südportal der Michelsberger Burgkirche.
Dieses seltene Bilddokument der unsäglichen ...
Dieses seltene Bilddokument der unsäglichen Reiherbrunnen-Saga stammt vom 23. April 1933. Es zeigt den pensionierten Stabsfeldwebel Gheorghe Buruianu beim Versuch, eine Trikolore auf der Brunnenspitze zu befestigen. Ein Wachmann, Anhänger und Gegner verfolgen das Geschehen. Foto: Guido v. Kováts (?), Sammlung Klein (ehemals Ludwig Dengel)
Reichlich makaber müssen auch die Exhumierungen gewesen sein. Der Hermannstädter Roland Meint (geboren 1926) nahm als 16-Jähriger an den Ausgrabungen auf dem Thalheimer Heldenfriedhof teil und machte auch acht Aufnahmen davon, die heute noch existieren. „Es wurden Schaufeln, Spitzhacken und Spaten an uns Anwesende verteilt und jedem ein Grab zum Ausschaufeln zugeteilt. Die ausgegrabenen Gebeine wurden in Holzkisten gelegt, die Kisten vernagelt und auf den Pfarrhof nach Kastenholz gefahren. Die Ausgrabung war an einem Tag beendet.“ Soweit Meints hier nur auszugsweise wiedergegebene Schilderung der Aktion in seinem Brief vom 28. Januar 2003. Die in Michelsberg eingerichtete NS-Weihestätte mit ihren zahlreichen, nicht mehr bestatteten Gebeinen in den herumstehenden Knochenkisten wurde nie vollendet. Sie spielt auch als „siebenbürgische Walhall“ in Joachim Wittstocks Roman „Bestätigt und besiegelt“ (2003, S. 153 ff.) eine nicht unbedeutende Rolle in den nach der Deportation von Januar 1945 zu Papier gebrachten Aufzeichnungen des Heltauer Notars und Ortsvorstandes Michael Klein (1880-1964). Erst im Zuge der Restaurierung der Burgkirche von 1964-67 (Leitung: Dr. Gustav Gündisch) erhielt die Gedenkstätte ihr heutiges, würdevoll-schlichtes Aussehen, auch wenn manchem die großdeutsch-völkische Inschrift vom Altar Bauchschmerzen bereitet („DEUTSCHEN HELDEN AUS ALLEN GAUEN DES REICHES“).

Fast schon komische Züge wies hingegen der erbitterte Streit um den Fischreiher auf dem von 1798 stammenden schmiedeeisernen Laubenbrunnen auf dem Großen Ring auf. Aufgrund nationalistischer Gerüchte geisterte er vor allem im März und April 1933 durch die gesamte Landespresse – man hatte ihn völlig unbegründet mit den Kämpfen von 1916 in Verbindung gebracht. Die Schlange in seinem Schnabel symbolisiere die „Verschlingung der rumänischen Armee durch die Deutschen“ unter General Falkenhayn (vgl. Der Lügenfeldzug gegen den Fischreiher, in: Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 29.4.1933). Fast täglich wurde der Vogel damals niedergebogen, angesägt und sogar abgebrochen, ehe er spurlos vom vermeintlichen Falkenhayn-Brunnen (fântâna lui Falkenhayn) verschwand. Rolf Reiser, 96, damals Brukenthalschüler in der Tertia (7. Klasse), erinnert sich noch gut, wie er mit seiner Klasse gegen 11 Uhr zum Turnschulgrund über den Großen Ring ging und dort eine aufgebrachte Menge von etwa 100 Leuten um den Reiherbrunnen herumstand und drei Studenten(?) zusah, wie sie sich mit Hammer und Zange am Reiher zu schaffen machten und eine Fahne am Brunnengitter befestigten. Als die Schüler zurückkehrten, war der Vogel niedergebogen und die Schlange weg. Im Übrigen wurde 1917 im Rahmen eines Wettbewerbs tatsächlich ein Falkenhayn-Brunnen für den Großen Ring entworfen, wie jüngst der Kunsthistoriker Timo Hagen anhand von erhaltenen Denkmalsentwürfen ausführte, doch wurde der monumentale, dem deutschen Befreier gewidmete Steinbrunnen nicht mehr gebaut. Was indes umgesetzt wurde, war die Umbenennung des guten alten Hermannsplatzes: 1917-1918 hieß er Falkenhaynplatz.
Der Roland vom Heldenfriedhof in Kerz, um 1930 ...
Der Roland vom Heldenfriedhof in Kerz, um 1930 (eingeweiht am 30. September 1928). Das Roland-Standbild war ursprünglich für das Hammersdorfer Denkmal bestimmt. Es stammt aus der Werkstatt des Hermannstädter Steinmetzes Rudolf Binder sen. und wurde vom Bildhauer Fritz Zelch ausgeführt. Foto: Emil Fischer, Sammlung Klein
Am 15. Februar 1948 wurde der Brunnen zusammen mit der Nepomuksäule abgetragen. Das wechselvolle Schicksal des Fischreihers und seine „schnöde Beseitigung“ inspirierte sogar Meistererzähler Erwin Wittstock zu einer leider bislang unveröffentlichten Skizze („Fielecks eiserner Vogel“; vgl. hierzu Joachim Wittstock: Einen Halt suchen, 2009, S. 54-56). 2002 plante der Hermannstädter Stadtarchitekt Szabólcs Guttmann, den Laubenbrunnen und den hl. Nepomuk wieder aufzustellen. Als Hermannstadt zur europäischen Kulturhauptstadt gekürt wurde, fertigte man 2006 einen künstlerisch leider sehr unbefriedigenden Nachbau (die originale Brunnenlaube wurde noch in den 1950er Jahren von Karl Voik im zweiten Hof des Brukenthalmuseums gesehen). Auf den in seinem Schilfnest stehenden Reiher mit der Wasserschlange im Schnabel verzichtete man bei der Kopie vollständig. Das größte Wunder ist, dass der Unglücksvogel überhaupt noch existiert und sogar eines der Exponate in der Dauerausstellung des Hermannstädter Geschichtsmuseum bildet. Über seine bewegte Vergangenheit wird allerdings nichts vermerkt, nicht einmal, dass der Brunnen einst vom böhmischen Rotgerbermeister Anton Filek „dem löblichen Publikum zur Ehre“ gestiftet wurde. Die deutsche Fassung des dreisprachigen Textes zum Original-Reiher lautet nur schlicht, allzu schlicht: „Bekrönung des Brunnens am Großen Ring“. Ein Hoch bei dieser Gelegenheit auf die siebenbürgische Präposition „am“ (statt auf dem).

Konrad Klein

Schlagwörter: Streiflichter, Geschichte, Erinnerungen

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