19. Februar 2017

Hans Bergel: "Glanz und Elend der Siebenbürger Sachsen"

Wer erinnert sich noch der Rede von 1982 vor dem Kölner Dom? Oder jener im Dezember 1989 auf dem Münchner Odeonsplatz? Wem ist noch die Studie über die Lage der Menschenrechte bei den „Sachsen in Siebenbürgen nach dreißig Jahren Kommunismus“ bekannt? Gerade mal vierzig Jahre sind es her, als Hans Bergel sie 1976 in dem vom Kronstädter Walter Myss geleiteten Innsbrucker Wort und Welt Verlag veröffentlichte und damit – wie wir heute wissen – die kommunistischen Machthaber in Bukarest aufschreckte. Und wer vermisst sie nicht, die „Politische Schlagzeile“, die regelmäßig in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Siebenbürgische Zeitung mehr als nur ein Verbandsorgan mit Berichten werden ließ? Und die älteren Lesern werden sich auch noch daran erinnern, dass es in den späten 70er Jahren beinahe zu Zerwürfnissen innerhalb der Siebenbürger Sachsen in Deutschland kam, als die Vereinbarung zwischen Deutschland und Rumänien über die Familienzusammenführung zur Frage „Bleiben oder Gehen?“ führte. Maßgeblich Beteiligter und Unterstützer all jener, die ihr Leben in Freiheit zubringen wollten, war der ehemalige Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung (1971-1989).
All diese damals publizierten Texte stammen aus der Feder des streitbaren und daher oft auch unbequemen Schriftstellers und Journalisten Hans Bergel. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass dieser Mann auf die Auszeichnung „viel Feind, viel Ehr“ ebenso verzichtet, wie er es lieber sähe, dass manche seiner Voraussagen nicht zugetroffen hätten. So mancher mag es nicht hören oder gar als abstrus bezeichnen, aber seine 1971, dann 1976 lange vor der Grenzöffnung geäußerte Feststellung, „die Endphase achthundertjährigen Daseins der Siebenbürger Sachsen als geschlossen siedelnder Menschengruppe steht nicht bevor, sie hat vielmehr längst begonnen“, trifft trotzdem zu. Auch wenn es heute mit Hilfe aus dem Westen verschiedentlich zu einem Aufglimmen innerhalb der Gemeinschaft in Siebenbürgen kommt, ein richtiges Feuer wird wohl nicht mehr zu entfachen sein.

Hans Bergel bei einer Literaturlesung am 29. ...
Hans Bergel bei einer Literaturlesung am 29. Oktober 2016 in Nietzsches Geburtsthaus in Röcken, Thüringen.
Nun tritt der mittlerweile bald 92-Jährige, von dem in den letzten Jahren umfangreiche Tagebuchaufzeichnungen, Briefwechsel, Reisenotizen, philosophische Essays, ein Gespräch mit seinem Jerusalemer Freund Manfred Winkler, Gedichte, Übersetzungen u.a. erschienen, fast unerwartet mit einem Buch zum Thema „Siebenbürgen“ vor die Öffentlichkeit. Keine rühr- und erinnerungsseligen Ergüsse, sondern zehn ausgewählte Arbeiten vergangener Jahre, die das „Grundthema“ seines Lebens auf fulminante Weise noch einmal unüberhörbar aufklingen lassen. Der Umschlagtext übertreibt nicht: „Ein ungewöhnliches, informatives und spannendes Buch – Geschichte vorgetragen mit dem Elan des dramatischen Erzählers.“ Nicht nur Geschichte, noch aufregender als sie sind die Darstellungen zu Vorgängen unserer Epochen.

Mit seinen Betrachtungen und Beurteilungen stand und steht Hans Bergel nicht allein. Man nehme einmal Adolf Meschendörfers (1877-1963) Roman „Die Stadt im Osten“ (1931) zur Hand. Dort stehen Sätze, die Hans Bergel nicht treffender hätte schreiben können: „Wir stehen hier bis an die Brust in einem reißenden Strom, der uns fortspülen will von unserer Insel. Hört, ihr Völker Europas: den Siebenbürger Sachsen, den letzten Sachsen, geht das Wasser an die Kehle! Wir wollen nur leben. Und deutsch bleiben. Oder die Sturmflut über uns alle!“ War Meschendörfers Aufschrei nicht der vorweggenommene Weckruf des Berliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter (1889-1953), der mitten in der kommunistischen Blockadezeit von 1948 seinen Apell über die Ätherwellen verbreitete: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!“

Misstrauisch, nicht selten sogar feindselig, wurden Bergels Mahnungen ehemals von bundesdeutschen Politikern aufgenommen, sooft er ihnen den realen, am eigenen Leib erfahrenen Sozialismus zu erklären und sie aus ihren Träumereien auf den Boden der Tatsachen zu stellen versuchte. Wir alle, die wir aus Europas Südosten kommen und von ihm geprägt wurden, haben durch das, was dort in Jahrhunderten auf uns einwirkte, ein besseres Gespür für Mentalität und Anderssein der südosteuropäischen Völker entwickelt, für ihren Umgang mit dem Gestern und Heute, mit ihren Mythen und Legenden, ihrem Leiden, ihrer Geschichte, und nicht von ungefähr bezeichnet sich Hans Bergel als einen Menschen zweier Kulturkreise – des südöstlichen und des westlichen. Er ist Realist, es geht ihm nicht um Recht haben oder Recht behalten. Er spricht historische und gegenwärtige Situationen illusionslos klar und unmissverständlich an, ja, auch mit Stolz im Rückblick auf große geschichtliche Momente. Dabei leidet er an der verlorenen und entstellten Heimat.

Das geht auch aus dieser jüngsten Publikation über deren Glanz und Elend hervor. Der Leser spürt es, wenn Bergel über den Homo Transilvanus, den vom siebenbürgischen Hochland geprägten Menschen, schreibt, über die Karpaten, über Hermannstadt, Kronstadt, das Burzenland, über die großen Siebenbürger. In Abwandlung einer Äußerung des Kunst- und Kulturhistorikers Harald Krasser (1906-1981) über Adolf Meschendörfer kann auch über Bergel gesagt werden: Hat je eine Landschaft ihren Dichter so reich und immer wieder befruchtet wie Hans Bergel? Und nichts bleibt bei ihm in der Provinz stecken. Vielmehr wird ihm Siebenbürgen dank unerwarteter Blickwinkel jedes Mal zu Europa.

Es wäre auch aus einem anderen Grund zu einfach, sein Buch auf diesen Landstrich im Karpatenbogen zu reduzieren: Der Weitgereiste hat viel zu feine Antennen, um nicht nach jedem seiner Aufenthalte, ob in Namibia, Kanada, Israel, Neuseeland, Italien, der Ägäis, nach Besichtigung antiker Stätten, großer Museen, nach Begegnungen mit Menschen manchen der Eindrücke in seine vielgesichtige literarische Arbeit einfließen zu lassen. Mit eben diesen geschulten Antennen nimmt er auch die Nuancen historischer saxonischer Existenz in Siebenbürgen wahr. Siebenbürgen lässt den Welterfahrenen mit der z.T. ungewöhnlich bewegten Vita nicht los. Er zieht den internationalen Vergleich heran, um zu zeigen, warum das nicht nur subjektiv der Fall ist. Ob Stolz oder Wehmut ihn veranlassten, zu diesem vorgeschrittenen Lebenszeitpunkt noch einmal zu zeigen, woher er kommt, was ihn bewegt, welches seine, unsere geistigen Wurzeln sind? Um, nicht zuletzt, mit „Würde von der historischen Bühne abzutreten“, wie er einmal schrieb.

Der Untertitel des Namen gebenden Beitrags des Buches lautet: „Finis Saxoniae im Licht der Geschichte / Etappen eines Rückzugs“; es ist der umfangreichste Text des schön gestalteten Bandes. Der Untertitel deutet an, worauf Bergels Gedanken hinauslaufen: historisch zwangsläufig auf das „Finis“. Er brachte, wie gesagt, bereits vor Jahrzehnten die Rede darauf, sicherlich nicht als Erster. Aber er tut es mit Argumenten, die ihm der Rückblick aus dem 21. Jahrhundert liefert. Es liegt ihm nichts an einer plakativen Behauptung: Bergel zeigt, dass es um einen Rückzug in Etappen geht, deren Beginn weit zurückreicht. Es hat auch nichts mit der sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu tun. Zeigte uns nicht erst vor Kurzem der Künstler Peter Jacobi in fotografisch schönen, in ihrem Inhalt jedoch tief traurigen, ja erschütternden Bilder den tragischen Verfall einst stolzer Kirchen und Burgen in Nord- und einigen Teilen Südsiebenbürgens? Die von Bergel zitierten Worte eines rumänischen Publizisten sprechen genau das aus, wenn der Rumäne, an die Sachsen gewandt, bedauernd über ihre Abwanderung „Ade“ sagt und hinzufügt: „Wir danken euch für tausend Jahre historischer Loyalität!“ Und das war’s. Bergels Buch bietet eine Fülle beeindruckender Beispiele für den Glanz der sächsischen Präsenz in Siebenbürgen, Hinweise auf Leistungen, die diese kleine Ethnie am Rande des westlich geprägten Europa im Karpatenbogen immer wieder hervorbrachte. Sie versetzen in Erstaunen und lassen die Frage aufkommen: Wie nur war es ihr möglich, trotz zahlreicher – oder besser: zahlloser? – Katastrophen sich stets von Neuem aufzurichten und auf den Gebieten der Wissenschaft, der Technik, der Literatur und Künste, des Handwerks und der Wehrhaftigkeit Spitzenleistungen hervorzubringen? Schon allein die Verteidigung des Landes mit Burgen, Kirchenburgen und Wehrkirchen sonder Zahl erscheint als ein Wunder. Von den Nachbarn bewundert, beneidet – doch nicht geliebt. Also doch nur „hospites“, Gäste, auf Abruf geblieben bis zu der einst so genannten „erfüllten Mission“? Um dann westwärts zurückzuziehen in die Landschaften, aus denen ihre Vorfahren vor Jahrhunderten aufgebrochen waren?

Und hier angekommen? Zunächst mit scheelem Blick betrachtet, missverstanden (siehe Beitrag „Nach den Narben fragt niemand. Die Schwierigkeit, als Deutscher ein Deutscher zu sein“, S. 215-219), vom Staat zaghaft gefördert, nach erbrachter Leistung ob ihrer Ausdauer und Zielstrebigkeit anerkannt, teilweise bewundert, sind diese Deutschen aus Südost mittlerweile ein integrer Teil der Gesellschaft. Wer den Pulsschlag ihrer Herkunft, ihrer Lebenshaltung und ihres Blicks auf die Welt spüren will, lese das Buch, von dem hier die Rede ist.

Udo W. Acker

Hans Bergel: Glanz und Elend der Siebenbürger Sachsen. Rückblicke und Ausblicke eines Beteiligten. Edition Noack & Block, Berlin 2017, 222 Seiten, 45 Abbildungen, gebunden, 24,80 Euro, ISBN 978-3-86813-043-0, erhältlich im Buchhandel.

Schlagwörter: Rezension, Bergel

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