28. November 2025

Alfred Schadt: "Vom Alter, Abschiednehmen und Erinnern"

Marcel Reich-Ranicki, der für seine berühmt-berüchtigten Sprüche bekannt war und mal wieder einen voluminösen Roman in der Hand zur Beurteilung hielt, ihn aufschlug und hastig drin blätterte, sagte einmal: „Das hätte man auch auf 80 Seiten erzählen können.“ Ich glaube, dass die Geschichten und Gedanken eines jeden 75-Jährigen, wenn gewollt, sicherlich einen großen kartonierten Roman füllen könnten, der sich gut verkaufen ließe.
Alfred Schadt, der Autor dieses Buches, hat sich ganz anders entschieden. Er macht sich tiefgründige Gedanken zu den Begriffen wie Alter, Abschiednehmen und Erinnern auf knapp 80 Seiten und schöpft dazu aus einem ihm sehr vertrauten Reich aus Literatur, Kunst und Kultur passende Zitate, die seine Gedankengänge unterstreichen. Er fügt sehr bedacht wichtige Fallbeispiele aus seiner Lebenserfahrung hinzu und gibt den Lesern somit auch in private Bereiche Einblick. Jedes Kapitel des Buches wirft Fragen auf, über die es sich lohnt nachzudenken. Das Buch bleibt spannend über die gesamten Seiten.

Wenn man bedenkt, dass eine alternde Weltbevölkerung weiterwächst, wie es in meiner Tageszeitung, den Fürther Nachrichten, heißt, hat der/die moderne Alte in unseren Tagen viel Zeit, sich auf die Zeitspanne nach seinem Ausscheiden aus der Berufswelt vorzubereiten, sich dann auch anderen Bereichen des Lebens zuzuwenden, Erinnerungen und Erfahrungen zu sammeln und dieses Wissen einzuordnen.

Auf so einen Weg nimmt uns der 75-jährige Alfred Schadt in seinem vierten Buch mit. Das Buch fordert durch Aufbau und Aussagen den Leser auf, sich gedanklich in ein Gespräch mit dem Autor zu begeben, eigene Meinungen entgegensetzen oder sich mit ihm einverstanden zeigen und eigene Erlebnisse zu vergegenwärtigen. Das macht das Buch lebendig und lesenswert. Die Impulse zu Alter, Abschiednehmen und Erinnern werden anregend in einer präzisen Sprache erörtert. Beim Abhandeln der Begriffe zeigt sich Alfred Schadt hin und wieder besorgt, misstrauisch und zweifelnd, wenn er zum Beispiel von florierender Tendenz eines gesamten Industriezweiges „Art of Aging“ spricht, die sich nur mit dem ewig Jungbleiben, dem oberflächlichen Gutaussehen und die neugewonnene Freiheit eines Rentners im Alltag eher nur mit Spaß und Freude zu füllen versucht. Er wünschte sich von der modernen Gesellschaft, dass sie mehr „Selbstbewusstsein und Würde“ zurückgewinnen sollte, und erinnert an alte Traditionen im Umgang mit betagten Menschen und dem Tod, der uns irgendwann mal alle betrifft. Den ersehnten Ausstieg aus dem betrieblichen Alltag erlebt jeder von uns auf eine andere Weise. Der Einstieg in die Ruhezeit zeigt sich bei überwiegend vielen Rentnern und Rentnerinnen lebensbejahend und voller guter Hoffnungen auf einen erfüllten nächsten Lebensabschnitt. Der Alltag ist im besten Falle mit neuen schönen Herausforderungen gefüllt. Das kann sich aber auch ändern, wenn eine schwere Erkrankung mit Schmerz und Leid den Rhythmus des Tages bestimmt. Alfred Schadt berichtet von seinen Erfahrungen des Einstiegs in die Rentnerzeit und erzählt von kurzzeitigem Rückkehren in seinen Lehrerberuf, diesmal als Aushilfe bzw. Vertretung und macht die ersten Erfahrungen als „Alter“. Er berichtet von sportlichen Betätigungen und Umzug in die Nähe der Familie seines Sohnes. Nichts Sinnvolles zu tun, scheint ihm so abwegig wie undenkbar. Müßiggang war in Siebenbürgen verpönt, das hat ihn geprägt und ein Leben lang begleitet. Später dann wollte es der Zufall, dass er Zugang zur Neuen Kronstädter Zeitung fand. Als Schriftleiter dieses Heimatblattes konzentrierte er sich nun mit Freude und Leidenschaft auf klare Aufgaben. Neue Herausforderungen standen bevor. Über vielseitige Themen vertiefte er sich in die Geschichten und Geschichte seiner Heimatstadt, was von der Leserschaft gewünscht und geschätzt wurde: „Dieses erste Jahrzehnt meines Rentnerdaseins war eine interessante, spannende Zeit, die gelegentlich Hektik, aber nie Langweile hat aufkommen lassen, und es war eine Zeit der Veränderung, des verstärkten Rückblicks und der Bewusstwerdung der vormals theoretischen in die jetzt persönlich kommende Endlichkeit“, schreibt er.

Im nächsten Kapitel setzt er sich mit dem heutigen Kampf gegen das Altern auseinander. Seine Gedanken kreisen um ein würdevolles Altwerdendürfen. Er erinnert sich, dass in seiner Kindheit die Großeltern bis zu ihrem Tod zur Familie gehörten, selbst als sein Großvater dement und über die Jahre zum Pflegefall wurde. Diese Haltung kommt auch heute zum Tragen: Bettina gab ihren Beruf auf, um ihre hilfsbedürftige Mutter bis zu ihrem Tod zu Hause zu pflegen.

Interessant finde ich, wie Alfred Schadt eine Zeit des Übergangs vom „noch zum nicht mehr“ erlebt: noch richtig fit, noch einmal gut gegangen, und darüber nachdenkt, wie er bisher nicht so beliebte Beschäftigungen wie Gartenarbeiten liebgewinnt und letztendlich Mußestunden akzeptieren kann, wenn sie im Gegenzug zum Tun erfolgen. Abschiednehmen, Aufräumen und Loslassen werden weiterhin thematisiert. Das Festhalten an alten Dingen findet er als ein Zeichen dafür, Erinnerungen über Gegenständlichkeit nicht zu verlieren, die Welt, die einen geprägt hat, aufrecht zu erhalten, auch wenn es vernunftmäßig keinen Sinn gibt. Manchmal ist es aber an der Zeit, innezuhalten, loszulassen und sich neu zu orientieren. Zufälle, Entscheidungen und Zäsuren bestimmen in gewisser Weise unser aller Leben – so die Erkenntnis des Autors. Während er einen kurzen Lebenslauf aufschreibt, beleuchtet er viele entscheidende Ereignisse in seinem Werdegang genau aus dieser Sicht, wie es gewesen wäre, wenn anders entschieden worden wäre. Es ist, wie ich finde, eine äußerst interessante Betrachtung aufs Leben. Andersrum finde ich, ist es eine Erklärung zu der Frage: wer bin ich, warum bin ich so, wie ich bin.

Sie sehen, liebe Leser, dass wir anhand der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lebensrichtungen im Alter, präsentiert von Alfred Schadt in seinem neusten Buch, uns auf eine interessante Gesprächsebene begeben. Es lohnt sich, das Buch zu besitzen und zu lesen. Eines darf ich noch verraten. Auf den letzten Seiten des Buches erwartet Sie eine gewisse abrundende Überraschung: eine Kurzgeschichte der besonderen emotionalen Art, die die Erzählkunst des Autors unterstreicht. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Roselinde Markel

Das Buch „Vom Alter, Abschiednehmen und Erinnern“, Berlin 2025, 71 Seiten, 5,00 Euro, zzgl. Versandkosten, kann bei Alfred Schadt, Giselherstraße 19, 16321 Bernau, Telefon: (0160) 4375767, oder E-Mail: schadtalfred [ät] gmail.com, bestellt werden.

Schlagwörter: Rezension, Kronstadt, Alter

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