12. Februar 2019

Zum 80. von Gudrun Schuster: „Eine ungewöhnlich gebildete und kultivierte Persönlichkeit“

Die im Titel zitierten würdigenden Worte hat nicht irgendwer geschrieben, sondern der (gegenwärtig emeritierte) Heidelberger Ordinarius und international geschätzte Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer, bei dem sich Gudrun Schuster nach der Ausreise 1987 zu einer Prüfung gestellt hatte, um die Zulassung zum deutschen Schuldienst zu erwerben. Sie hat sie, wie damals auch andere vorzügliche Germanistinnen und Germanisten aus Rumänien, nicht erlangt. Zum Schaden nicht nur der Bewerber, eher noch des Landes, waren die Vorurteile gegen Zuwanderer offenbar zu groß, so dass sich keiner gefragt hat, was etwa Gudrun Schuster in den 15 Jahren davor als Deutschlehrerin des Kronstädter Honterusgymnasiums geleistet hat.
Doch Gudrun Schuster wäre nicht sie selbst gewesen, wenn sie darüber verzagt wäre. Sie fand vorübergehend eine sinnvoll gestaltete Beschäftigung beim Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, bis sie 1991-2002 als Fachdozentin am Münchner Goethe-Institut abermals beweisen konnte, was sie in ihrem Beruf zu leisten fähig und immer auch willens gewesen ist.

Ich lernte sie als kluge und vitale, ebenso aufgeschlossene wie zielentschlossene, in den Grenzen der Schicklichkeit auch kecke, eloquente und zur Wortführerin taugende Kollegin 1953 an der Schäßburger Bergschule kennen. Wie zahlreiche Kinder aus enteigneten Bauernfamilien der Umgebung suchte die aus einer Lehrerfamilie stammende, am 12. Februar 1939 in Heldsdorf geborene, in Neustadt aufgewachsene Burzenländerin dort aus ähnlicher Noterfahrung – der Vater war deportiert gewesen, die Mutter hatte vier Kinder durchbringen müssen – den kurzen Weg zum Brotberuf. Auch daraus wurde zunächst nichts.

Mit ihrer Umwandlung zum Gymnasium (1954) hatte die Lehrerbildungsanstalt ihren Zenit wohl überschritten, bot aber auf ihrem geistig abgehobenen Berg immer noch einen Wissensstandard hohen Niveaus, pflegte eine vielseitige musische Bildung, förderte einerseits einen großzügig freien, der Wahrhaftigkeit und früher Eigenverantwortlichkeit verpflichteten Umgang, und vermittelte andererseits eine anheimelnde Atmosphäre geselliger Gemeinsamkeit. War das ein Alternativangebot an der Wirklichkeit vorbei? In vielem, was Gudrun Schuster später analytisch scharfsinnig über die Sozialisation der um 1939/1940 geborenen siebenbürgischen Lehrergeneration geschrieben hat, schwingen eigene, auch Schäßburger Erfahrungen mit, und sie hat auch diese Frage sorgsam erwogen. Es war gewiss eine Schulbildung an den Alltagseinschränkungen vorbei, aber auch eine der Ermunterung zur Utopie und zur Solidarität der Ohnmächtigen vor der Macht. Insofern meine ich, hierin eine erste Vorgabe zum Wirken Gudrun Schusters erkennen zu dürfen.
Gudrun Schuster im Sommer 2018. Foto: Johannes ...
Gudrun Schuster im Sommer 2018. Foto: Johannes Schuster
Als sie im Herbst 1958 ihr Studium der Germanistik an der Klausenburger János-Bolyai-Universität begann, ging sie das unsäglich mutige Wagnis ein, als Zweitfach Ugristik zu wählen, ohne die nicht gerade einfache ungarische Sprache zu beherrschen. Man mag sich vorstellen, welche Anstrengung und welche Arbeitskraft es gekostet haben muss, diesem Fach auch über die unfreiwillige Vereinigung der beiden Klausenburger Universitäten 1959 hinaus treu zu bleiben und es schließlich mit einer zugewonnenen Sprache erfolgreich abzuschließen. Dieser schonungslos hohe Anspruch an sich selbst und an die eigene Leistung stellt eine zweite Konstante ihres Wesens und Wirkens dar.

Nach Abschluss des Studiums 1963 ging sie den Weg zahlreicher Kommilitonen: zunächst Deutschlehrerin auf dem Land (Hetzeldorf, Rosenau), seit 1968 in Kronstadt. Als sie dann 1972 die anspruchsvolle Stelle einer Deutschlehrerin am Honterusgymnasium Kronstadt antrat, war ihr Problem nicht etwa die Facharbeit. Auf deren Anspruch war sie vorbereitet, dem hat sie professionell, mit Energie und auf hohem Niveau entsprochen und sich durch ihren Einsatz dauernde Dankbarkeit vieler Schülergenerationen erworben. Um die Leistung irgendwie messbar zu machen, habe ich nachgezählt: Unter den durchschnittlich zehn Schulen, die Schüler zur Landesphase der Deutscholympiaden sandten, hat das Honterusgymnasium wiederholt ein Fünftel, gelegentlich gar ein Drittel, also überdurchschnittlich viele Preise gewonnen. Ohne konstante und disziplinierte tägliche Leistung wäre das nicht möglich gewesen. Auf der Habenseite wäre außerhalb der Klassentür auch ihre Mitwirkung an Theaterprojekten der Schüler, in deren Literaturkreis u.a. zu registrieren, ebenso ihre Leistungen im Fachzirkel der regionalen Deutschlehrer oder als jahrelanges Jurymitglied der Schülerolympiaden. Nicht vergessen sei ihre Förderung der Lehrbucherarbeitung durch kritisch wohlerwogene Verlagsreferate sowie die Abfassung des Kapitels „Aufsatzunterricht“ für das Lehrbuch der XI. Klasse (1986).

Ihr Problem wurde es jedoch zunehmend, „niemandes Sprachrohr“ zu sein. Denn schon der Antritt dieser Stelle geschah gesellschaftspolitisch in keinem günstigen Moment: Das ideologische Tauwetter war nach der Chinareise der Parteiführung im Juli 1971 offiziell für beendet erklärt, die Rückkehr zu ideologischem Dogmatismus und zu einem repressiven Überwachungsstaat eingeleitet worden. Dieser bezog nun nicht mehr nur, wie schon länger nach außen hin, sondern zunehmend auch im Verhältnis zu den Minderheiten eindeutig nationalistische Positionen. Als Folge stieg die Zahl der Ausreiseansuchen von Schülern und Lehrern, das deutschsprachige Umfeld wurde ausgedünnt, während in den Klassen der Proporz andersnationaler Schüler zunahm und in die wenigen selbständigen deutschen Schulen ohne Not rumänische Klassenzüge hineingezwungen wurden. Es habe Energie, Konzentration und Fingerspitzengefühl, aber auch Flexibilität, Kompromissfähigkeit und nicht selten Selbstzensur gebraucht, um mit der Lage klarzukommen, hat sie nachträglich geschrieben.

Ich weiß nicht, inwiefern es ihr selber bewusst ist, wie beharrlich sie noch Jahre nach der Ausreise in mehreren Schriften vor allem mit Ideologien haderte. Ihre gesammelten Aufsätze führen den Titel „Leben mit und gegen Ideologien“ (2006), der größte Aufsatz darin heißt „Schule und Ideologie“, doch auch Rezensionen zu diversen anderen Themen führen negativ markiert Titel wie „Quelle des Unglücks: Ideologie (1997), Jenseits tödlicher Ideologie“ (2005) oder „Versuch gegen eine ,Schutz- und Trostideologie‘“ (2000). Und dennoch ist auch sie um eine Trostideologie nicht herumgekommen. Denn wie anders als durch das Angebot literaturgestützter alternativer Utopien an der Wirklichkeit und deren vergifteten Ideologien vorbei waren Jugendliche zu selbstbestimmter geistiger Freiheit zu bilden, wenn sie beständiger Bevormundung unterworfen, mit ihren Familien von der Staatsführung wie Stiefbürger behandelt und im Extremfall bloß als einträgliche Handelsware geschätzt wurden?

Die Schule war der Ort für Gudrun Schuster. Dass sie den ohne Rücksicht auf persönliche Risiken verließ, hat auch etwas mit ihrem Selbstanspruch und mit Selbstachtung zu tun. In dem täglich realen Absurdistan war die Kluft zwischen gesellschaftspolitisch Gefordertem und dem vom Gewissen Gebotenen so unüberbrückbar geworden, dass es keinen wundern sollte, wenn im Schul- und Erziehungswesen die Kraft zur Widerständigkeit irgendwann auch den Stärksten verlassen musste. Denn Lehrer haben es nicht mit mehr oder weniger gut gefertigten Werkstücken zu tun, sondern mit Verantwortlichkeit für junge Menschen, die ihren Weg suchen.

Gudrun Schuster hat ihren eigenen Weg auch ohne Schule gemacht und sich neben der Brotarbeit am Goethe-Institut verstärkt wissenschaftlicher Publizistik zugewandt. Unmittelbar nach ihrer Ausreise hat sie Überlegungen zur Sicherung siebenbürgischer Literatur sowie Handreichungen zur Dokumentation in der Siebenbürgischen Bibliothek Gundelsheim veröffentlicht und hat im Auftrag des Arbeitskreises für den Böhlau Verlag zwei geschichtliche Bücher unterschiedlicher, doch nicht geringer Schwierigkeitsgrade aus dem Rumänischen bzw. aus dem Ungarischen übersetzt. Übersetzungserfahrungen brachte sie aus Rumänien mit, denn schon in Kronstadt hatte sie für die Presse wiederholt ungarische Gegenwartsliteratur übersetzt. Auch erste editorische Erfahrungen hatte sie mit einer schulgerechten Ausgabe von Kellers „Grünem Heinrich“ (1983) gewonnen, die ihr nun bei einer bearbeiteten Memoiren-Ausgabe des zeitweiligen Journalisten, dann Druckerei- und Museumsmitarbeiter Hans Schwarz (2003) zugutekamen.

Sie hat zahlreiche Vorträge für eine breite Öffentlichkeit gehalten, aber wiederholt auch auf Fachtagungen gesprochen und die Beiträge in Tagungsbänden oder in Fachzeitschriften veröffentlicht, wobei sie thematisch ihren Interessengebieten treu geblieben ist: Einerseits hat sie sich in zahlreichen Buchrezensionen sowie in vertieften Sprachanalysen mit Ideologien in der Literatur beider Diktaturen auseinandergesetzt, andererseits waren Untersuchungen zur siebenbürgischen Schulgeschichte ihr Schwerpunkt. Mehrere dieser Abhandlungen sind in ihrem genannten Band „Leben mit und gegen Ideologien“ (2006) nachzulesen, und in der Sektion Schulgeschichte des Arbeitskreises ist sie auch gegenwärtig etwas wie die belebende und maßgebende Seele.

Gudrun Schuster habe, schrieb Professor Borchmeyer 1988, eine schriftliche Prüfungsarbeit vorgelegt, deren Güte „weit oberhalb dessen lag, was in einer Staatsexamensklausur zu verlangen ist“, und in der mündlichen Prüfung habe sie ihn und seinen mitprüfenden Kollegen buchstäblich vergessen lassen, dass es sich um eine Prüfung handelte, „denn es entwickelte sich ein Fachgespräch auf hohem intellektuellem Niveau, das sich weit über ein Prüfungsgespräch erhob“. Dem ist zur Würdigung der Jubilarin nichts hinzuzufügen außer den besten Wünschen für weitere gute Jahre.

Michael Markel

Schlagwörter: Kultur, Gudrun Schuster, Germanistin, Pädagogin, Kronstadt, Honterusschule, AKSL, Wissenschaft, Übersetzungen

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