29. März 2019

Was führte zum Exodus der Deutschen aus Rumänien?

„Dieses Buch ist eine Synthese, die bisher auf dem rumänischen Markt gefehlt hat“, sagt der Soziologe Remus Anghel aus Klausenburg bei der Präsentation des interdisziplinären Gemeinschaftswerks am 27. Februar im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ in Bukarest: „Un veac frământat. Germanii din România după 1918“ (Ein bewegtes Jahrhundert. Die Deutschen in Rumänien nach 1918). Darin beleuchten Historiker und Soziologen die Entwicklung der deutschen Minderheit in den letzten hundert Jahren.
Warum ein solches Werk ausgerechnet jetzt bedeutsam ist, betont der Abgeordnete des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Ovidiu Ganț: Zum einen trägt zu dessen Glaubwürdigkeit bei, dass es nicht aus den eigenen Reihen der Deutschen kommt. Zum anderen ist Aufklärung der rumänischen Bevölkerung wichtig – vor dem Hintergrund der jüngsten verleumderischen Angriffe auf die deutsche Minderheit und das DFDR als „Nachfolger eines nazistischen Organisation“, der Deutschen Volksgruppe. Viele Dinge seien der rumänischen Bevölkerung nicht bewusst, meint auch Anghel. Etwa, wie turbulent die letzten hundert Jahre für die Deutschen in Rumänien tatsächlich waren. Die Ereignisse in dieser Zeit führten zur fast vollständigen Auswanderung der Minderheit, die von etwa 800.000 vor dem Ersten Weltkrieg auf derzeit 32.000 Mitglieder geschrumpft ist. Das sei „ein soziologisches Drama“, das mit den Umsiedlungen im Zweiten Weltkrieg und der Deportation in die UdSSR begann. Sein Mitautor, der Historiker Ottmar Trașcă, der das wissenschaftliche Werk zusammen mit Anghel koordinierte, betont, dass es vor allem mit zwei Mythen aufräumt: dem des harmonischen Zusammenlebens mit der rumänischen Mehrheit und dem, dass wirtschaftliche Gründe die Ursache des Exodus gewesen seien.

In zehn Kapiteln befassen sich renommierte Experten mit folgenden Aspekten: Vasile Ciobanu beleuchtet die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, von der Großen Vereinigung 1918 bis 1933. Vor 1918 bildeten die deutschen Einwanderer separate Gruppen, erst ab der Vereinigung, die alle unterstützten, kann man von einer vernetzten deutschen Minderheit sprechen. Anfangs stark in Wirtschaft und Politik engagiert, folgten bald die Ernüchterung und Distanzierung von der rumänischen Gesellschaft, weil die Versprechungen auf Rechte von der Bukarester Zentralregierung nur teilweise eingehalten wurden. Diese bildeten einen fruchtbaren Boden für eine Annäherung der deutschen Minderheit an das nationalsozialistische Deutschland, wie Florian Kührer-Wielach und Ottmar Trașcă beschreiben. Ihren Höhepunkt fand die Spannung zwischen dieser und dem rumänischen Staat, als es Andreas Schmidt gelang, die auf Initiative der SS von ihm gebildete „Deutsche Volksgruppe“ den Interessen des Nazi-Regimes in Berlin völlig unterzuordnen. „Bewusst oder nicht wurden sie Hauptdarsteller dramatischer Ereignisse, die sie nicht beeinflussen, geschweige denn kontrollieren konnten“, schreibt Trașcă. Es folgte die kollektive Bestrafung, die Hannelore Baier beschreibt: Deportation und Enteignung. Der rumänische Politiker Vasile Luca räumte 1948 ein, dass es ein Fehler war, 300.000 bis 400.000 ethnische Deutsche undifferenziert zu bestrafen und Kolonisten in ihre Häuser einzuquartieren. Weil diese Maßnahme Arm wie Reich betraf, schloss sich die deutsche Minderheit über soziale Grenzen hinweg nur noch stärker zusammen – entgegen den Interessen der Kommunisten. Die Lage im frühen Kommunismus (1945-1960) analysiert Laura Gheorghiu: Nach 1945 führten Deportation, Enteignung, Arbeitslager, Entzug von Bürgerrechten und Einschränkungen im Gebrauch der Muttersprache zu einem anhaltenden Gefühl von Angst und Unsicherheit. Die Agrarreform 1945 hatte die wirtschaftliche Basis der Deutschen zerstört. Die Industrialisierung mit Arbeitsplätzen fern des Heimatorts entwurzelte sie und entfernte sie vom traditionellen Gemeinschaftsleben. Zeitweise Besserungen – etwa 1964, als ein reichhaltiges Kulturleben in deutscher Sprache aufblühte – änderten nichts an der im kollektiven Bewusstsein verankerten Angst.
Auslöser der in verschiedenen Wellen erfolgten Auswanderung war der territoriale Konflikt zwischen Deutschland und Russland gewesen, der zu den Umsiedlungen der Bessarabien-, Bukowina- und Dobrudschadeutschen sowie dem Rückzug der Deutschen aus Nordsiebenbürgen und dem Banat mit den Soldaten der deutschen Wehrmacht führte. Dies wiederum bedingte das Leitmotiv für den Exodus: Familienzusammenführung. Eine Rolle spielte hierbei auch die Haltung der Bundesrepublik, Verantwortung für die Auslandsdeutschen zu übernehmen, die im Freikauf der Deutschen, beschrieben von Claudiu Mihail Florian, kulminierte. Aber auch die zu Besuch zurückkehrenden ersten Auswanderer, die den Eindruck von Deutschland als Schlaraffenland verbreiteten. Die Transformation der Evangelischen Kirche A. B. (EKR) und ihre Rolle bei der Auswanderung beschreibt Ulrich Andreas Wien. Nach der Wende kam es zu einem Schneeballeffekt: Ganze Gemeinschaften wanderten geschlossen aus. Das Signal dazu gab meist das Weggehen des Lehrers und Pfarrers. Man sah keine Zukunft mehr für die Kinder, viele fürchteten, alleine zurückzubleiben.

Der Exodus wird jedoch nicht als „Exitus“ der deutschen Minderheit gewertet. Anghel weist darauf hin, dass viele Auswanderer aus Rumänien nicht wirklich verschwunden sind. Das Spektrum der Transnationalen reicht von „Sommersachsen“ über gemischte Familien, die hier und dort ein Standbein haben, Rückkehrer nach der Rente oder solchen, die sich in Rumänien eine neue Zukunft aufbauten, bis hin zu Einwanderern. Die von den Auswanderern zurückgelassene Infrastruktur – Schulen, Kirchen, Vereine, Kulturerbe – wird teilweise von Rumänen angenommen und gemeinsam weitergepflegt. Manchmal fungieren solche Nuklei der deutschen Sprache und Kultur auch als Anziehungspunkt für Investoren und Einwanderer aus Deutschland.

Die Traumata der letzten hundert Jahre – ihre Folgen kann auch die Forschung nicht rückgängig machen, doch vieles im Nachhinein erklären. Das Buch soll auch andere Wissenschaftler herausfordern, hofft Ottmar Trașcă, denn vieles sei noch ungeklärt – etwa die Frage, warum Rumänien im Gegensatz zu anderen kommunistischen Ländern seine Deutschen nicht vertrieben hat.

„Un veac frământat. Germanii din România după 1918“ ist 2018 in der Reihe „Sammlungen zu Minderheiten“ im Institut für das Studium der Probleme nationaler Minderheiten (Klausenburg) erschienen, ISBN 978-606-8377-57-5.

Nina May

Schlagwörter: Buch, Geschichte, deutsche Minderheit, Rumänien, deutsch-rumänische Beziehungen, Ausreise

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