11. Juni 2019

Sezierte Realität in Bildern - Lyrik von Emil Hurezeanu

Der Blick wird gelenkt auf die kleine Schere, die der dunkel gewandete Herr mit weißem Spitzenkragen in der „Anatomiestunde des Dr. Nicolaes Tulp“ von Rembrandt in den Händen hält. Ein zweiter Herr mit Halskrause – eine Zeichnung in der Hand –, schaut leicht abwesend am Betrachter des Bildes vorbei. Dieser vielsagende Ausschnitt befindet sich auf dem Buchcover des Gedichtbandes von Emil Hurezeanu, der den Titel der Malerei aufgreift und „Die Anatomiestunde“ heißt. Er ist letztes Jahr im Pop Verlag anlässlich der Leipziger Buchmesse mit Rumänien-Schwerpunkt erschienen.
Sein Autor, der zurzeit Botschafter Rumäniens in Berlin ist, war in frühen Jahren der Poesie zugeneigt und stellt nun seinen bereits 1979 in Klausenburg veröffentlichten Band in der deutschen Übersetzung von Georg Aescht vor. Intertextuelle und künstlerische Bezüge nicht nur zu Rembrandt, sondern auch zur griechischen Mythologie, zur Geschichte, zur Wissenschaft und Politik kommen darin vor. Manchmal leuchtet eine Verliebtheit in die eigene Jugend zwischen den Zeilen („Jugendportrait des Künstlers“) hervor, manchmal ergießen sich die Gefühle in Verse („Bildnis der Mädchen im Schatten“), aber vor allem auch sind es Texte, die sich mit der Vergänglichkeit des Lebens und dem Tod befassen. Dabei geht Hurezeanu impressionistisch vor, anschaulich schildert er seine disparaten Eindrücke, bringt den Zweig jungen Blutes im Rasierschaum mit dem Frühling in den frischen Bäumen in Verbindung, den Vogel des Abends mit den Jahreszeiten in uns, einem blühenden Obstgarten gleich, oder aber ehrt er eine Fliege anlässlich einer Liebesnacht. Ganz nahe ist stets der Bezug zur Malerei, nicht nur in den Titeln, ein Kapitel heißt „Nachtwache“. Einzelne Gedichte heißen „Alter italienischer Kupferstich“, „Landschaft mit Gedanken“ oder „Interieur mit Liebe“.
Der Gedichtband hat drei Teile, „Abendwache“, „Nachtwache“ und „Morgenwache“, und er enthüllt die Gedanken eines jungen Mannes, der Bilder findet „rund um diesen Augenblick“, damals, als Großmutter ihn mit Liebe umsorgte, im Gymnasium von Schäßburg, Gedanken eines Jugendlichen, der „den Rest Tee, über das Tischtuch verspritzt“ in Gedichten festhält, die nachher nicht mehr dieselben sind, wenn man sie alleine liest.

Manchmal sind es Anlassgedichte wie zum Beispiel „Fotografie“, das wohl beim Betrachten des Bildes entstanden ist, von Melancholie durchzogen. Manchmal sind es Liebesgedichte, kleine Meditationen oder einfach nur Sammelsurien von Eindrücken mit zuweilen pathetischen Bildern: „Vergiss jetzt wein nicht mehr vergiss / dass sich dann die Großartigkeit des Schmerzes zeigt / wenn unterm Ochsenziemer das Menschenfleisch / geziemend klafft und wenn / die Reisenden ihre zerfetzten Fußsohlen hingebungsvoll / mit ihren eigenen Adern umwickeln“.

Manchmal fehlen den Gedichten die Titel, dann stehen anstelle der Titel nur drei Sterne, oder sie hören mitten auf der Seite auf und gehen unvermittelt auf der nächsten Seite weiter, sodass die Trennungen der einzelnen Texte nicht so klar sind und dem Buch einen Hauch von einem inneren Monolog verleihen, der dem Autor existenziell wichtig ist. Emil Hurezeanu hat ein ereignisreiches Leben vorzuweisen: Der Autor, Publizist und Politologe war Herausgeber der Tageszeitung România Liberă in Bukarest sowie zeitweilig Intendant des TV-Senders Digi24. Er wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet und hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt „Cutia Neagră“ („Die Black Box“, 1997). Georg Aescht, sein Übersetzer und Verfasser der Nachbemerkung, schätzt vor allem die Realien, mit denen die Gedichte gespickt sind, und deren Authentizität.

Denn wie der de schwarz gewandeten Herrn mit der Schere auf dem Buchcover, ist der Blick Hurezeanus in seinen Gedichten genau, er seziert die Realität und bringt sie kunstvoll zur Sprache.

Edith Ottschofski




Emil Hurezeanu: „Die Anatomiestunde.“ Gedichte. Pop Verlag, Ludwigsburg, 2018, 86 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 978-3-86356-182-6.


Die ungekürzte Rezension ist in den Deutsch-Rumänischen Heften 1/2019 erschienen.

Schlagwörter: Hurezeanu, Lyrik, Buchbesprechung

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