21. September 2020

"Schäßburg und die Große Kokel": Neuer Bildband von Martin Rill und Georg Gerster

Mit knapp drei Kilo bringt dieser Bildband ein beachtliches Gewicht auf die Waage und ergänzt auf 312 Seiten, vollgepackt mit Informationen, die Reihe mit den Bänden „Siebenbürgen im Flug“, „Das Burzenland“, „Hermannstadt und das Alte Land“, „Das Repser und das Fogarascher Land“ sowie dem zuletzt erschienenen Werk „Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“.
Als Ergebnis von drei Jahren Dokumentationen in 19 sächsischen Orten und mehreren Foto- und Dokumentationsreisen von 2017 bis 2020 in allen Jahreszeiten schließt dieser Band nicht nur nahtlos an seine Vorgänger an, sondern bietet einen Schatz an fotografisch dokumentierten sächsischen Siedlungen, der Kirchenburgen und ihrer Ausstattung, die erstmals als Gesamtbild der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Luftbilder, Gesamtaufnahmen und Dorfzeilenpläne führen uns Seite für Seite heran an Schäßburg und Keisd, beides UNESCO-Weltkulturerbestätten, sowie an 17 weitere Orte aus dem Gebiet der Großen Kokel. Aus der Vogelperspektive mit der jeweiligen Siedlungsstruktur und Kirchenburg als Ausgangspunkt entdeckt das Auge Details und Charakteristika an Ringmauern und Portalen, auf Friedhöfen oder bei Innenansichten von Kirchen, den Blick zur Orgel gerichtet, Schlusssteine in Kreuzgewölben, bemalte Emporen und Kassettendecken, feingliedrige Tafelmalereien an Altären oder kostbare Goldschmiedearbeiten.

Die die einzelnen Ortschaften einleitenden Luftaufnahmen des verstorbenen Schweizer Fotografen Georg Gerster enthüllen, was nur aus der Luft deutlich wird und ansonsten dem Betrachter in der Regel verschlossen bleiben würde: einheitliche Strukturen sächsischer Bauweise und architektonische Besonderheiten wie die von zwei Mauern eng umgebene Kirchenburg von Arkeden oder ein fast vollständig intakter Mauerring der Keisder Fliehburg, die zu Fuß nur als (vermeintliche) Ruine erfahrbar wird.

In gut 8.000 Fotografien hat Georg Gerster, der als Pionier des Flugbildes gilt, bis zur Mitte der 1990er Jahre Landschaft und das sächsische Siedlungsgebiet Siebenbürgens festgehalten und seiner Liebe zu Siebenbürgen durch diese Ausdruck verliehen. Dieser Fundus an Flugaufnahmen bildet bis heute den Ausgangspunkt für die Bildbände des Historikers Martin Rill. Ergänzt durch eigenes Bildmaterial und Literatur, besticht dieses gigantische Werk durch seine Vollständigkeit sowohl im Detail wie im Ensemble. Neben Kirchenburgen und ihren teils prunkvollen Ausstattungen finden sich mit Schulen, Pfarr-, Herren- und Rathäusern sowie allerlei Gebäudetypen von Bauernhäusern, Saalbauten und Friedhöfen eben solche sächsische Profanbauten, die Dorfleben und -bild präg(t)en. Die Fülle an Details ist es, was diesen Bildband auszeichnet. Dabei stehen nicht künstlerische Darstellung und Aufmachung im Vordergrund, sondern sachliches Erfassen und Beschreiben – im Großen wie im Kleinen.

Beim Durchblättern sticht einem die unlängst freigelegte, seltsam gerundete Form der Grabsteine von Denndorf ins Auge. Zeitweilig war es dort Brauch, einen von der Natur geformten Trovanten als Grabmal zu setzen, so Rill. In Peschendorf, Großlasseln und Rauthal sind es die Tarnautzken, die uns in Staunen versetzen. Wir erfahren im Text, dass es sich um einen hölzernen Friedhofspavillon handelt.

Auch Kunstbegeisterte kommen in diesem Bildband auf ihre Kosten. Vorgestellt werden mehrere spätgotische Flügelaltäre und Fresken, die einen europäischen Vergleich nicht scheuen müssen. In Felsendorf stand in der spätgotischen Saalkirche ein Altarretabel, das vermutlich aus der Werkstatt des Meisters Johannes Stoß stammt. Sein Vater war der berühmte Nürnberger Bilderschnitzer Veit Stoß, auf den unter anderen auch das berühmte Hochaltarretabel der Krakauer Marienkirche zurückgeht. Seit 2005 werden mehrere Flügelaltäre seines Sohnes Johannes in der Schäßburger Bergkirche aufbewahrt.

Die Kirchenburg von Malmkrog enthält mit dem spätgotischen Malmkroger Altar nicht nur den einzigen unverändert erhalten gebliebenen vorreformatorischen Marienaltar Siebenbürgens und mit einer Entstehungszeit von 1460 bis 1465 einen der ältesten Flügelaltäre des Landes überhaupt, sondern auch das größte Wandgemälde des siebenbürgisch-sächsischen Siedlungsgebietes an einer Wand des Nordschiffs und Altarraumes. Zusammen mit den Freskenmalereien des Chores bewahrte Malmkrog sich eine reich geschmückte Ausstattung, die hier nicht wie in den meisten siebenbürgischen Gemeinden während der Reformationszeit zerstört wurden.

Wie bereits das Zwischenkokelgebiet ist auch die Gegend an der Großen Kokel von dem jahrhundertelangen Zusammenleben der deutschen, rumänischen und ungarischen Bevölkerung und deren wechselseitigen Beziehungen geprägt. „Da sind einerseits auf dem ehemaligen Königsboden gelegene Gemeinden, deren seit Einwanderungszeiten sprichwörtliche Freiheit und Eigenständigkeit sich in wehrhaften Kirchenburgen mit stolzen Türmen – manche sogar von vier Ecktürmchen gesäumt und auf die Kapitalgerichtsbarkeit hinweisend – niederschlägt. Und es sind ehemalige Leibeigenegemeinden bzw. Hörigendörfer, deren kleine Häuser und relativ junge Kirchen ein Hinweis darauf sind, dass diese Dörfer über Jahrhunderte hinweg arm und rechtlos waren,“ schreibt Dr. Hans Bruno Fröhlich, Dechant des Evangelischen Kirchenbezirkes A.B. Schäßburg, in seinem Vorwort.

Nachdem um 1300 n. Chr., wie Rill schreibt, die Besiedlung des Gebietes südlich der Großen Kokel weitestgehend abgeschlossen war, bildeten sich rasch wirtschaftliche wie kulturelle Kraftzentren aus. Nachdem Schäßburg – der Stadt wird in diesem Bildband ein großes Kapitel gewidmet – 1324 zum Verwaltungszentrum erhoben wurde, blühten dort und im Marktort Keisd Handwerk und Zünfte. Rasch entwickelte sich Schäßburg zu einem Zentrum für Kunsthandwerk im südlichen Gebiet der Großen Kokel. Neben Goldschmieden und Malern war die Stadt auch Anziehungspunkt für Zinngießer und Schreiner von europäischem Rang und zahlreiche stattliche Sakralbauten mit reichhaltiger, imposanter Ausstattung entstanden.

Nicht nur für Siebenbürgen-Liebhaber, auch für Freunde von Kunsthandwerk und Architektur ist der neue Bildband „Schäßburg und die Große Kokel“ von Martin Rill ein Muss. Er hat damit eine Fundgrube an Informationen, Wissenswertem und interessanten Details geschaffen, die jede Siebenbürgenreise zum Highlight werden lässt – auch wenn der Bildband sich aufgrund seines Gewichtes weniger fürs Reisegepäck als für das Vor- oder Nachbereiten zu Hause eignet. Dieses vielschichtige Werk darf in keiner (Haus-)Bibliothek über Siebenbürgen fehlen und die nächsten beiden Bände sind schon in Arbeit: Dort nimmt Martin Rill den Leser mit nach Mediasch, ins Weinland und an den Unterlauf der Großen Kokel sowie in die Landschaft von Harbachtal und Unterwald.

Stephanie Schoger

Georg Gerster und Martin Rill: „Schäßburg und die Große Kokel“. Verlag Siebenbürgen Buch, Erlenbach, 2020, ca. 300 Seiten, 800 Farbabbildungen, 1 Übersichtskarte, 19 Ortsgrundrisse, 59 Euro, ISBN 978-3-00-065486-2; bestellbar bei Buchversand Südost, Brigitte Rill, Seebergsteige 4, 74235 Erlenbach, Telefon: (07132) 9489048 (werktags 18.00-21.00 Uhr), Internet: www.siebenbuergen-buch.de.

Schlagwörter: Buchbesprechung, Bildband, Schäßburg, Kokel, Gerster, Rill, Kirchen

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